Winterjazz Festival 2019

Jazz made in Köln

Es war 2012, als die Saxophonistin Angelika Niescier die Idee des Winter Jazzfests von New York City nach Köln brachte. Inzwischen hat es sich zum längst etablierten Aushängeschild der Jazz-Metropole Köln entwickelt, das weit über die Stadtgrenzen hinaus strahlt: das Winterjazz Festival. Bereits zum siebten Mal bringt es die interessantesten Acts der Kölner Jazzszene auf die drei Bühnen des Stadtgartens und zwei weiterer Locations. Die perfekte Möglichkeit für Neugierige, Jazzliebhaber*innen und -neulinge, an nur einem Abend ganz tief in eine lebendige Jazzwelt einzutauchen. Am Folgetag können sich interessierte Musikerinnen auf der „Konferenz zur Netzwerkbildung“ für mehr Gleichberechtigung einsetzen und Visionen für neue Netzwerke und Kooperationen entwickeln.

Die Auswahl ist groß: das Publikum kann am 05.01.2019 aus 18 Konzerten mit rund 50 Musiker*innen wählen und dabei viele neue Projekte und Kollaborationen entdecken. Die fünf Bühnen sind zu Fuß erreichbar und werden ab 18:30 Uhr bespielt: Der Hauptspielort Stadtgarten präsentiert sich mit seinem Konzertsaal, dem „Studio 672“ und dem Café-Restaurant nunmehr als Europäisches Zentrum für Jazz und aktuelle Musik. Die gegenüberliegenden Spielorte Zimmermann’s und Umleitung bilden den Rahmen für Konzerte in intimerer Atmosphäre.

Bei freiem Eintritt gibt das beliebte Winterjazz-Festival einen Überblick über die Kölner Jazzszene und einen Ausblick ins anstehende Konzertjahr. Von Fusion, Free Jazz und Avantgarde über waghalsige Mischungen von Modern Jazz, Neuer Musik, Pop und Heavy Metal oder Werk-Vertonungen angloamerikanischer Dichter bis hin zu Klangreisen mit ekstatischen Vocals, Effekt-basierten Bass- und Synthesizerklängen, treibenden Grooves und kaleidoskopischen Farbklängen ist eine weitreichende Bandbreite abseits plattgetrampelter musikalischer Pfade zu entdecken.

Achtzehn Bands, Musiker*innen und Projekte tragen durch ein buntes Programm. Als „Europäisches Zentrum für Jazz und aktuelle Musik“ freuen sich die Veranstalter*innen, der lokalen Szene eine Plattform geben zu können, die nicht nur bei Jazz-Kenner*innen auf offene Ohren stößt, sondern auch bei einem breiten Publikum für Begeisterung sorgt. Wir stellen euch eine kleine Auswahl des Line-Ups vor:

Emißatett

Elisabeth Coudoux (Foto: Wolfgang Vogt)

ist das Quintett der Cellistin Elisabeth Coudoux (vc, comp) und die Verwirklichung von direkter musikalischer Kommunikation. Fünf Stimmen, die gleichberechtigt sprechen, antworten und zuhören. Es entsteht ein dichtes, aber transparentes Gebäude von Ereignissen, eine komplexe Struktur. Für dieses Erlebnis existiert keine intellektuelle Definition. Der Intuition des Publikums bleibt es überlassen, ob es ausschließlich hört oder auch denkt, ob es in sich versinkt oder schaut, ob es analysiert oder sich hinein schwingt in die Musik. Ein Teil der Sprecher gelangt über strukturierte Vorlagen zu neuen Gesprächsthemen, die von anderen kompositionsfreien Stimmen aktiv aufgenommen werden. Manchmal formulieren Gastredner neue Themen und setzen alte Kompositionen in einen neuen Kontext. Das Gebilde Emißatett bleibt ständig in Bewegung und ist dabei thematisch immer am aktuellen Diskurs. Mit Matthias Muche (trb), Robert Landfermann (b), Philip Zoubek (prep. p) und Etienne Nillesen (extended snare dr & cymb).

Marlies Debacker

Marlies Debacker Quartett
Die belgische Pianistin Marlies Debacker studierte Jazz und Neue Musik und agierte seit ihrer Übersiedlung nach Köln in zahlreichen verschiedenen Kontexten als Pianistin, Interpretin, Performerin und Improvisatorin. Die Bandbreite ihres Schaffens ist auch in ihren Improvisationen hörbar: Hier treffen energetisches Spiel à la Cecil Taylor und harmonische Improvisationen im Stile Bill Evans’ auf heftige Cluster oder quasi-serielles Spiel im Sinne der frühen Darmstädter Avantgardisten. Für dieses Konzert hat Debacker ein schlagkräftiges Quartett zusammengestellt: mit Wolter Wierbos (trb), Salim Javaid (sax) und Carl Ludwig Hübsch (tb). Die Musik spielt mit den verschiedenen Genres zwischen Free Jazz und Avantgarde, manchmal ganz anonym und dann wieder gegenständlich, zuweilen virtuos – jedoch in jedem Augenblick transparent.  Musikalische Floskeln oder Zitate verschwinden in Momente der Klangforschung, irritiert durch ordinäre Alltagsgeräusche – diese wiederum derart differenziert, dass sich eine weitere Ebene öffnet… So entsteht eine ganz transversale Musik – tief verbunden mit der Free Jazz-Tradition und der damit verbundenen Energie, ästhetisch jedoch davon befreit und klanglich eher im Bereich der pseudo-elektronischen Musik. Und trotz aller Komplexität und Feinheit ist die Musik im Kern vor allem eins – spielerisch und humorvoll.

Pulsar Tales

Pulsar Tales
Seit Anfang 2015 stehen Pulsar Tales auf der Bühne und haben seitdem zahlreiche Club- und Festivalauftritte gespielt; Konzerte auf ganz verschiedenen Festivalbühnen spiegeln den Stilpluralismus und die musikalische Offenheit der Band wider.
2016 veröffentlichte sie ihre erste EP „One Blurred Disclosure“. Auf ihren Klangreisen fusioniert Pulsar Tales ekstatische Vocals, mit Effekten angedickte Bassund
Synthesizerklänge und treibende Grooves zu kaleidoskopischen Farbklängen. Ihr Anything-Goes-Crossover klingt wie eine collagenartige Klangreise, die temporeich von einem musikalischen Stern zum nächsten rauscht. Die von Pulsar Tales heraufbeschworenen musikalischen Synergien münden jedoch nicht in musikalischem Sprachgewirr, sondern in atmosphärischen und schweißtreibenden Konzerten. Mit Taya Chernyshova (voc), Martin Lüdicke (kb), Katharina Wolf (b) und Lukas Schäfer (dr).

Duo Doyna

Duo Doyna
Annette Maye (cl, bcl) und Martin Schulte (guit) verbinden musikalische Welten. Jahrhundertealte berührende und mitreißende Klezmer-Melodien wachsen in den virtuosen Improvisationen des Duos über sich selbst hinaus und verbinden sich mit Anklängen aus dem Jazz, Rock und Funk. „Meisterhafte Instrumentalisten“ schwärmt die Westdeutsche Zeitung, „ein musikalisches Juwel“ schreibt die Zeitung Der Westen. Auch im neuen Programm des Duos steht die Improvisation im Mittelpunkt: anknüpfend an die Tradition einerseits, jazzig, frei und expressiv andererseits, stets spontan, virtuos und mit unbändiger Spielfreude!
Annette Maye beschäftigt sich mit Weltmusik, Jazz und zeitgenössischer Musik. Sie spielte mit vielen international renommierten Musikern und trat als Solistin mit Ensembles wie der hr- Bigband, der WDR-Big Band u.a. auf. Zahlreiche Konzertreisen führten Maye durch Europa, den Nahen Osten, nach Asien und Afrika. 2016 erhielt sie vom Land NRW den „Künstlerinnenpreis NRW“. Sie veröffentlichte zahlreiche CD-Alben und ist seit 2013 die künstlerische Leiterin des internationalen Festivals „Multiphonics“ für kreative Klarinettenmusik. Martin Schulte ist einer der gefragtesten Gitarristen der Jazzszene zwischen Rhein und Ruhr. In zahlreichen verschiedenen Formationen sowie mit seinem eigenen Quartett hat er sich schnell zu einem festen Bestandteil der lebendigen Kölner Jazzszene entwickelt, die er mit seiner musikalischen Offenheit, seinem tiefen Gespür für Improvisation und seinem gekonnten Wandeln zwischen Spannung, Intensität und Entspanntheit bereichert.

Of Cabbages And Kings

Of Cabbages and Kings – „Aura“
Mit virtuosem Genuss zelebrieren „Of Cabbages and Kings“ die Unterschiedlichkeit ihrer Stimmen und musikalischen Einflüsse und erfinden dabei kompositorisch facettenreich komplett Neues. Neo A Cappella nennen die Musikerinnen ihre Stilrichtung. Jede der Jazzsängerinnen fasziniert schon für sich. In der Formation lassen sie einander Raum, bilden immer neue Variationen für die gelungene Balance von Solo- und Ensemblegesang und schaffen es, den Zauber der menschlichen Stimme zu vervielfachen: vom gesprochenen Wort zu subtilen Harmonien, von popmusikalischen Charakteren zu abstrakten Dissonanzen, zerbrechlich leise bis kraftvoll laut. Beim Winterjazz 2019 stellt das Frauenensemble ausgewählte Stücke seines Debüt-Albums „Aura“ vor, das im Dezember 2018 bei KLAENG Records erschienen ist. Normalerweise als Quartett auf der Bühne stehend, werden „Of Cabbages and Kings“ im Rahmen dieses Festivals zu dritt auftreten. Die drei in Köln lebenden Sängerinnen Laura Totenhagen, Rebekka Ziegler und Veronika Morscher singen seit 2015 in gemeinsamen Formationen und komponieren bzw. arrangieren ausschließlich selbst.

JULI Quartett (Foto: Ninette Niemeyer)

JULI Quartett
Die Musiker*innen des neu formierten Quartetts des Kölner Holzbläsers Sven Decker haben sich an einem heißen Julitag bei einer Aufräumaktion in einem Kölner Proberaum kennengelernt und arbeiten seitdem auch an einer gemeinsamen Auffassung von Ordnung und Unordnung in der Musik. Es wird entrümpelt und ausgemistet, geordnet, installiert, neu entworfen und wieder verworfen, neu gestaltet und neu orientiert, diskutiert und sinniert, experimentiert und entwickelt. Ziel ist ein Raum, der zum Verweilen einlädt und in dem sich jeder frei bewegen oder einfach nur zur Ruhe kommen kann. Mit Sven Decker (sax, cl, bcl, comp), Heidi Bayer (tp, flh), Conrad Noll (b) und Jo Beyer (dr).

TRIBE (Foto: Helmut Berns)

Tribe
Vertrackte Kompositionen, atemberaubende Improvisationen – manchmal zart, meistens fett und immer wahnsinnig! Eine wilde Mixtur, angesiedelt im paradoxen Feld des Jazz, angedockt an Hip Hop, R’n’B, Dubstep, Pop und Rock. Peripherie und Zentrum, Emotionalität und pure Energie, Komplexität und Hörvergnügen gehen Hand in Hand. Die improvisatorische Spielwut dieser elektro-akustischen Formation, in der John-Dennis Renken fünf der allerfeinsten Protagonisten des aktuellen Jazz zusammenbringt, gleicht einer chemischen Reaktion: Verdichtung, Verschmelzung, Explosion… Musik!
Mit John-Dennis Renken (tp, electr), Angelika Niescier (sax), Shannon Barnett (trb), Andreas Wahl (g) und Bernd Oezsevim (dr).

Tamara Lukasheva & Lucas Leidinger (Foto: ElisaEssex/NiclasWeber)

Lukasheva & Leidinger
Die ukrainische Sängerin Tamara Lukasheva und der Kölner Pianist Lucas Leidinger haben sich während ihres Studiums an der Musikhochschule Köln kennen- und schätzen gelernt. Obwohl beide in den vergangenen Jahren einige Male mit verschiedenen Projekten zusammen auf der Bühne standen, ist dies ihre erste Begegnung als Duo.
Tamara Lukasheva hat sich seit ihrem Umzug nach Köln 2010 mit ihrer Vielseitigkeit und Ausdrucksstärke in zahlreichen Projekten über die hiesigen Grenzen hinweg einen Namen gemacht. Lucas Leidinger ist als Pianist und Bandleader schon seit Jahren als Kreativ-Geist in zahlreichen Formationen bekannt. Beide sind neben ihren virtuosen Fähigkeiten als Instrumentalisten auch herausragende Komponisten. Für ihre künstlerische Arbeit haben sowohl Tamara Lukasheva (2018) als auch Lucas Leidinger (2016) das bekannte „Horst und Gretl Will Stipendium für Jazz und improvisierte Musik der Stadt Köln“ verliehen bekommen. Man darf sich auf ein besonderes Zusammentreffen zweier starker Musikerpersönlichkeiten freuen!

Eurasians 2 (Foto: Peter-Tümmers)

Eurasians 2
Schon seit 2014 musizieren Caroline Thon (sax) und Veronika Todorova (acc) gemeinsam in dem mit dem Weltmusikpreis Ruth ausgezeichneten, international besetzten Oktett Eurasians Unity, welches durch Emotionalität und virtuose Kraft begeistert und als überaus überzeugende Fusion aus Jazz, sprühendem Groove und folkloristisch-traditioneller Musik gilt. 2018 veröffentlichte das Ensemble bei ENJA/Yellowbird seine in Kooperation mit dem RBB entstandene Debüt-CD „Eurasians Unity“. Caroline Thon kennt man eher als eine keine Grenzüberschreitungen scheuende Akteurin der modernen Jazzwelt (Thoneline Orchestra, Patchwork), während die aus Bulgarien stammende Veronika Todorova durch ihre vielseitige Ausbildung sowohl als Solistin mit klassischen Streichorchestern (Studio Konzertante, Collegium musicum), als auch als Interpretin von traditioneller Balkanmusik und Jazz (Veronika Todorova Band) gefragt ist.
Mit EURASIANS 2 präsentieren die zwei hochkarätigen Musikerinnen, angelehnt an die Philosophie der Eurasians Unity, folkloristische Motive und moderne Saxophon- und Akkordeonimprovisationen und verweben in lyrischen und balladesken Stücken perfekt innerliche Melodien mit orchestralen Arrangements zu einem harmonischen Ganzen.

Außerdem sind dabei: Florian Ross Quintett 
| Thomas Rückert Trio 
| Sebastian Scobel | Trio MTW | T.ON | Rouzbeh Asgarian Quintett 
| Monophonist | 

Just Another Foundry
 | Haupt / Wesp

Am Tag darauf findet von 11-18 Uhr im Stadtgarten eine Konferenz zur Netzwerkbildung statt. Auf der von den Musikerinnen Angelika Niescier und Ulla Oster initiierten Konferenz soll gemeinsam mit allen Teilnehmerinnen überlegt werden, ob es eines Netzwerkes nach dem Beispiel der mannigfaltigen Frauen-im-Business-Netzwerke bedarf und wie dieses aussehen könnte. Es soll zusammengetragen werden, was Musikschaffende neben dem Beschreiben von Missständen und Formulieren von Forderungen konkret tun können, z.B. neue Formen der Zusammenarbeit untereinander, Formen der persönlichen/künstlerischen/(kultur)politischen Weiterentwicklung finden. Im ersten Teil der Konferenz berichten die Pia Lenz und Anna Orth über die Recherchen zu ihrem Film „Der kleine Unterschied 2018“. Die beiden Autorinnen haben 18 ganz „normale“ Frauen dazu befragt, was sie in ihrem Berufsleben erleben. Ihre aufwühlenden Alltagsberichte zeigen, wie weit entfernt die Gesellschaft in Deutschland von Gleichberechtigung ist. Der Bericht und das anschließende Gespräch mit den beiden Regisseurinnen soll Impulse für die weitere gedankliche Arbeit geben.
Im zweiten Teil der Konferenz wird das Gespräch in Arbeitgruppen weitergeführt, in denen effektiv und ergebnisorientiert Modelle für die Gründung eines Netzwerks diskutiert und Möglichkeiten zur weiteren Zusammenarbeit entwickelt werden sollen. Zur Diskussion stehen mehrere Modelle solcher Netzwerk-Arbeit. Eine langfristige Vision könnte unter anderem sein: die Öffnung des Netzwerkes für alle Interessierten und eine lockere Folge von Treffen, an denen unterschiedliche ReferentInnen Impulse für künstlerische, gesellschaftliche und politische Arbeit geben. Für ein kleines Catering wird gesorgt.

Weitere Infos unter: http://winterjazzkoeln.com/

Autorinnen: Maria Bätzing, Mane Stelzer

12.12.2018