Von Lebewesen und Zuständen
Ein Interview mit Eva Klesse
Das Release-Datum Eures neuen Albums „Creatures & States“ (enja yellowbird, VÖ: 15.10.2020) steht unmittelbar bevor. Auf was können sich die Hörer*innen besonders freuen?
Das vierte Album unserer Bandgeschichte ist wie immer ein mit viel Herzblut handgemachtes Stück Musik, in welchem wir unsere musikalische Zusammenarbeit gemeinsam weiterspinnen und -führen. Wir erzählen neue Geschichten in Musik und nehmen die Hörer*innen mit auf Reisen in unsere Träume, unsere letzten Tourneen, Fantasiewelten und Geschichten aus dem echten Leben. Außerdem können sich alle, die die CD so richtig oldschool physisch erwerben, auf ein richtig tolles und besonderes Artwork der Dresdner Zeichnerin KENDIKE freuen.
Bei Euren Stücken kommt es öfter vor, dass Ihr Euch eine Geschichte ausdenkt, die Ihr dann in Musik wiedergebt. Wie gehst du beim Komponieren vor und was inspiriert Dich?
Wir schreiben ja alle vier für unsere Band und gehen da alle glaube ich ganz unterschiedlich vor. Bei mir ist oft etwas Außermusikalisches der erste Anstoß, eine Geschichte, eine Begegnung, etwas, das ich gelesen habe, das mich beschäftigt. Manchmal steht der Titel eines Stückes als allererstes fest und ich versuche, die Musik dazu zu schreiben, manchmal ist es auch genau andersherum. Dann setze ich mich ans Klavier und probiere herum. Oft ist natürlich auch andere Musik eine große Inspiration: eine bestimmte Stimmung bei einem Konzert, die man einfangen möchte, eine Farbe, eine Art, an Improvisation heranzugehen, die man mit in die Band einbringen möchte.
Die Corona-Pandemie hat sehr viel eingeschränkt, vor allem die Kulturbranche. Wie hat die momentane Situation Dich als Musikerin und auch die Musik auf dem neuen Album beeinflusst?
Wir hatten das große Glück, das Album noch vor dem Lockdown aufnehmen zu können, es ist quasi aus heutiger Sicht heraus ein „Zeugnis aus einer anderen Zeit“. Die durch die Pandemie verursachten Einschränkungen waren für uns alle natürlich einschneidend. Ich persönlich saß mit gepackten Koffern für 10 Tage Tour (u.a. in der Türkei, der Schweiz und Deutschland) im Zug, als nach und nach innerhalb von Stunden alle anstehenden Konzerte abgesagt wurden und quasi das eigene Leben so ein bisschen vor einem zusammenbrach. Das und die darauffolgenden Wochen, die Ungewissheit und die Ohnmacht, den eigenen Beruf nicht mehr ausüben zu können, haben glaube ich bei uns allen einen bleibenden Eindruck hinterlassen und viele offene Fragen. Vor allem die Situation aller rein freiberuflichen arbeitenden Kolleg*innen ist dramatisch, da muss jetzt dringend eine politische Lösung gefunden werden.
Andererseits haben wir alle natürlich nach dem Verdauen des ersten Schocks versucht, die Zeit auch in irgendeiner Weise positiv für uns zu nutzen, um beispielsweise Musik zu schreiben, zu reflektieren und die – wenn auch von außen verordnete – Pause auch als ein vielleicht überfälliges Innehalten in unserem sonst doch sehr bewegten Leben zu begreifen.
Du hast eine Professur in Hannover, das ist ja was ganz Besonderes. Wie ist es für Dich, die erste deutsche Instrumentalprofessorin im Jazz zu sein?
Dass ich die erste Instrumentalprofessorin im Jazz in Deutschland bin, steht natürlich für etwas – aus meiner Sicht hoffentlich für einen Aufbruch in Richtung von mehr Diversität, auch in der Jazzausbildung. In meiner alltäglichen Arbeit an der Hochschule spielt dieser Fakt allerdings keine große Rolle, da ist es mir einfach eine riesige Freude, mit jungen motivierten Musiker*innen zu arbeiten, sie auf ihrem Weg zu begleiten und zu unterstützen, neue Musik kennenzulernen, sich gegenseitig zu inspirieren und etwas zurück- und weiterzugeben von dem, was ich von meinen Lehrer*innen und Mentor*innen gelernt und mit auf den Weg gegeben bekommen habe.
Was glaubst Du müsste sich ändern, damit sich mehr Musikerinnen als Hochschul-Professorinnen im Instrumentalbereich bewerben und von den Musikhochschulen eingestellt werden?
Das ist eine komplexe Problematik, die sicher nicht in 1-2 Sätzen zu beantworten ist. Natürlich ist es wichtig, das bei der Besetzung von Stellen im Hochschulkontext im Auge zu behalten, aber ich denke, dass man deutlich früher ansetzen muss: u.a. bei der Sensibilisierung für das Thema generell (in der Szene, aber auch gesamtgesellschaftlich), beim Aufbrechen von veralteten Rollenbildern und Gender-Klischees und bei genderbewusster Pädagogik auch im Musikbereich, bei der Schaffung von Vorbildern, der gezielten Förderung junger Mädchen* und Frauen*, bei einem offeneren und diverseren Blick auch auf das Thema Ästhetik generell und und und. Es gibt noch viel zu tun und wir können das nur schaffen, wenn wir uns alle zusammen tun, Männer, Frauen und everybody in between.
Wann und wie kamst Du zum Schlagzeug?
Mit 10 habe ich den Wunsch entwickelt, Schlagzeug zu spielen und zu lernen. Ich komme aus einem musikliebenden Elternhaus, wir waren oft gemeinsam auf Konzerten und da hat mich das Instrument einfach fasziniert. Zu meinem 11. Geburtstag bekam ich dann ein erstes kleines gebrauchtes Kinder-Schlagzeug geschenkt und dann gings los!
Ihr wollt bestimmt bald mit dem Album auf Tour gehen. Ist es möglich, dass diese auch als Hybrid- oder Onlinekonzerte stattfinden werden?
Wir sind da im Moment ganz offen – und müssen das auch sein, da sich die Umstände und die Regeln ja täglich ändern (können). Im Moment fühlt es sich ein wenig an wie ein déjà vu der Situation im März, wo man gar nicht absehen und beurteilen kann, was in 2 Wochen passieren wird. Unsere Fähigkeit, sich auf immer neue Gegebenheiten einzustellen und zu improvisieren, schulen wir als Jazzmusiker*innen ja sowieso ständig, diese werden im Moment aber noch mal ganz besonders auf die Probe gestellt. Wir hoffen sehr, dass wir in der 2. Jahreshälfte Konzerte spielen können, unter welchen Umständen auch immer (wenn möglich natürlich am allerliebsten mit dem Zauber der Zusammenkunft echter Menschen an einem echten Ort und ganz analog).
Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch und wünschen alles Gute für die nächste Zeit!
Eva Klesse Quartett live: 16.10.2020 Kulturforum, Kiel | 17.10.2020 Jazzclub, Rostock | 30.10.2020 Jazzfreunde, Kleve | 13. & 14.11.2020 Bird’s Eye, Basel (CH) | 15.11.2020 Stadthalle, Werl | 19.11.2020 Pianosalon, Berlin | 20.11.2020 Jazzclub, Singen | 21.11.2020 Jazzclub, Villingen | 22.11.2020 Jazzhaus, Freiburg
(Titelfoto: Gerhard Richter, Bandfoto: Sally Lazic, CD-Cover: Kendike)
Interview: Rebekka Marx
14.10.2020