Vom Wickeltisch zur Bühnenshow
MELODIVA-Umfrage Teil 3
Dies ist die dritte Auswertung einer Umfrage, die wir 2010 gestartet haben und die bis heute laufend fortgeführt wird. Zusätzlich zu diesen Antworten habe ich Zitate aus früheren MELODIVA Einzelinterviews verwendet (s. Quellen), in denen es um den Alltag mit Kindern ging.
Allgemeines
Von 48 Musikerinnen, die bisher auf unsere Umfrage geantwortet haben, haben uns 18 Musikerinnen aus ihrem Leben mit Kindern berichtet (14 Musikerinnen gaben an, keine Kinder zu haben, 16 machten keine Angabe). Im Schnitt sind diese Frauen 44 Jahre alt und mehr als ein Dreiviertel (77 %) arbeitet als Profi-Musikerin. 72 % haben ein Hochschulstudium abgeschlossen. Damit ist die Gruppe der Musikerinnen mit Kindern im Durchschnitt deutlich besser ausgebildet und professioneller ambitioniert als die Gesamtgruppe. Nach wie vor haben wir mit unserer Umfrage also vor allem Musikerinnen erreicht, die bereits gut ausgebildet sind und Berufserfahrung haben und somit mitten im Leben stehen. Vom Nachwuchs, den Berufsanfängerinnen bzw. Frauen unter 40 J. haben wir bisher kaum Informationen.
Karriere vs. Kinder – wie der Alltag von Musikerinnen mit Kindern gelingt
Eines sei vorweg genommen: ja, der Job der Profimusikerin lässt sich mit Kindern vereinbaren! Doch gibt es einige Grundbedingungen, ohne die es kaum gelingen kann. Wie andere Selbständige sind sie häufig gezwungen, einer hohen finanziellen Unsicherheit zu begegnen, die der Beruf der Profimusikerin fast immer mit sich bringt. Außerdem sind sie mit Arbeitszeiten konfrontiert, die selten familienkompatibel sind und längere Reisen einschließen können, was die Vereinbarkeit ungleich schwieriger macht als in anderen Jobs. Wer keine ausreichende Unterstützung durch PartnerInnen oder Familie hat oder gar alleinerziehend ist, hat Mühe, sich zu Zeiten auf die Bühne zu stellen, wo kein Kindergarten auf hat (nämlich abends und am Wochenende). Und wer für jedes Konzert einen Babysitter engagieren muss, der die halbe oder ganze Nacht die Stellung hält, braucht bei den heutigen mitunter unterirdisch niedrigen Gagen und Eintrittsbeteiligungen gar nicht erst aus dem Haus zu gehen!
Familienunfreundliche Arbeitszeiten
Nicht wenige Musikerinnen leben mit Partnern zusammen, die ebenfalls mit der Musik ihr Geld verdienen. Die Jazzsaxophonistin Alexandra Lehmler hat zwei Kinder und spielt mit ihrem Ehemann sogar in einer Band. Sie beurteilt es so: „Es ist überwiegend ein Vorteil [mit dem Lebenspartner gemeinsam Musik zu machen]. (…) Der einzige Nachteil ist der organisatorische Teil. Dadurch, dass wir zwei Kinder haben, müssen wir manchmal logistische Meisterleistungen vollbringen. Aber bisher hat alles immer irgendwie funktioniert“ *.
Die Wahlamerikanerin Monika Herzig, Jazzpianistin, Professorin, Komponistin und Mutter zweier Kinder blickt auf eine ereignisreiche Zeit zurück, als ihre Kinder noch klein waren: „Die ersten Jahre waren schon interessant und haben viel Organisationstalent und viele Babysitter gebraucht – ein ganz wichtiger Unterschied zu den männlichen Musikern, die das oft ihren Frauen überlassen können und ihre Karriere schneller aufbauen können! (…) … [wir] haben uns dann erstmal mit Brot backen über Wasser gehalten bis die ersten Gigs kamen.“ Diverse Stipendien sicherten das Einkommen ihrer Familie über viele Jahre hinweg.
Die Jazzsaxophonistin Christina Fuchs teilt sich mit ihrem Mann, der ebenfalls Musiker ist, die Kinderbetreuung zu gleichen Teilen, inklusive Kindergarten und Offene Ganztagsschule. Allerdings nicht ohne Einschränkung: „Regel Nr. 1: wir spielen nicht oder selten in gemeinsamen Projekten, damit einer immer zuhause sein kann. Regel Nr. 2: keine ausgedehnte Touren (zu hart für alle Beteiligten), obwohl, das ändert sich jetzt allmählich mit zunehmendem Alter. (…) Ich denke, dass es hilfreich ist, wenn beide Musiker sind, weil es ein grundlegendes Verständnis für die (manchmal absurden) Notwendigkeiten dieses Berufes gibt“.
Auch die Percussionistin Martina Prutscher erlebt eine größere Flexibilität in dieser Konstellation. „Mit einem Mann, der ebenfalls Musiker ist und bereit dazu, die Hälfte der Aufgaben zu übernehmen, klappt es sehr gut. Die Selbstständigkeit bietet (neben allen Risiken) auch Freiräume, die es bei Festangestellten nicht gibt“.
Meike Goosmann teilt sich die Betreuung ihrer 3jährigen Tochter mit dem Vater des Mädchens, der jedoch in einer anderen Stadt arbeitet und so weniger Zeit zur Verfügung hat. Bei ihr spielen die Großeltern eine wichtige Rolle im Alltag, weil sie ihr vor allem das Konzerte Spielen ermöglichen.
Jane Zahn hat 3 erwachsene Kinder und erst mit ihrer Karriere als Profimusikerin begonnen, als die Kinder schon groß waren: „Sehr schlecht [lassen sich Kinderbetreuung und Karriere miteinander vereinbaren]. Nur in einer „Großfamilie“ ist es möglich, Proben und Auftritte zu absolvieren, ohne verrückt zu werden“.
Wer bei der Kinderbetreuung nicht auf die Großeltern zurückgreifen kann, muss während der Proben und Konzerte in den Abendstunden teure Tagesmütter oder Babysitter bezahlen. Eine französische Jazzmusikerin hat gerade eine kleine Tochter bekommen und berichtet: „Ich teile mir mit meinem Mann die Betreuung. Ich dachte zuerst, ich könnte die Betreuung und meine Musik vereinbaren, aber das ging nicht. Jetzt haben wir eine Tagesmutter für 3 Tage à 5 Stunden, es reicht aber nicht und ist sehr teuer. In Frankreich, [meinem Heimatland], fangen Frauen nach 3 Monaten wieder an zu arbeiten, sie stillen früher ab und haben Tagesmütter. In Deutschland hab ich das Gefühl, dass erwartet wird, dass man sich ein Jahr um das Kind kümmert. Ich habe mich um einen Platz in einer Kinderkrippe bemüht und man sagte mir, dass ich frühestens in einem Jahr die Chance auf einen Platz habe. Ein bisschen Hilfe mehr wäre gut!“
Eine lange Elternzeit, wie sie in „normalen“ Berufen vorgesehen ist, wollen und können sich Musikerinnen ohnehin nicht leisten, manchmal noch nicht einmal einen Mutterschutz: „Den letzten Gig habe ich 5 Tage vor der Geburt gespielt, Unterricht gegeben habe ich noch am Abend vor der Geburt, danach drei Wochen Pause,“ sagt die Percussionistin Martina Prutscher.
Ihre Kollegin Bernadette La Hengst hat bis 6 Wochen vor der Geburt gearbeitet und 2 Monate danach, um nicht Hartz IV beantragen zu müssen. Der kleine Sohn der Singer-/Songwriterin Anke Keitel ist erst wenige Monate alt, sodass sie ihn zu Konzerten mitnimmt und in der Pause stillt. Auch sie hat nur eine kurze Auszeit von zwei Monaten rund um die Geburt genommen.
Meike Goosmann hat ebenfalls bis kurz vor der Entbindung und schon 5-6 Wochen danach Konzerte gegeben und ihre Tochter plus ein Familienmitglied als Betreuer mitgenommen. „Ich habe allerdings ganz kurz vor der Geburt eine CD aufgenommen. Das war eine gute Idee, da dann die Phase der „Postproduktion“ und „Vermarktung“ in der Zeit mit kleinem Kind gut funktioniert hat. Die neuen Stücke konnten veröffentlicht werden. Nun kann ich schon wieder spielen und mich viel freier bewegen, was für das Touren wichtig ist“.
Auch eine Theatermusikerin, die für Schauspielproduktionen an mittleren und großen Häusern arbeitet, konnte es sich nicht leisten, ihre Arbeit zu unterbrechen: „Die ersten Wiederaufnahmeproben fanden 3 Wochen nach der Geburt statt. Viel zu groß war die Angst, schnell raus zu sein, aus dem laufenden Betrieb, wenn ich ein Projekt abgesagt hätte. Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, dass wirklich auf meine Situation Rücksicht genommen wurde. Ich wurde wegen der Terminierung zwar gefragt, aber da war eigentlich kein großer zeitlicher Spielraum. Auch die Situation als stillende Mutter im Theater. Das Theater gibt sich gerne familienfreundlich, aber in der Praxis stellt sich niemand wirklich darauf ein“.
Dazu kommt, dass ein wichtiges finanzielles Standbein vieler Musiker und Musikerinnen, das Unterrichten als PrivatlehrerIn, in der Regel ebenfalls in die Zeit fällt, in der kein Kindergarten oder Hort mehr geöffnet ist, wie eine Pianistin beschreibt: „Instrumentalunterricht (…) findet oft nachmittags und abends statt – die Zeiten, in denen ein Kind zu Hause ist – sehr familienunfreundlich, wie ich gemerkt habe. Erst recht, wenn beide Eltern viel nachmittags – wegen des Kindes abwechselnd – arbeiten. Ein Kunststück! Die Kindergärten waren völlig unpassend für uns“.
Durch die verstärkte Einführung der Ganztagesschulen hat sich dieses Problem weiter verschärft und die Organisation der Unterrichtsstunden ist noch schwieriger geworden, wie eine Erhebung der Fachgruppe Musik der Gewerkschaft ver.di (2012) unter Musikschullehrkräften und PrivatmusiklehrerInnen zeigt: 78 % der Befragten gaben an, Probleme durch die Ganztagesschulen zu haben (im Gegensatz zu 63 % im Jahr 2008). Aus finanziellen Gründen würden viele MusikerInnen (52 %) gern mehr unterrichten, können dies aber nicht aufgrund von Schülermangel und weil die Musikschule nicht mehr Stunden anbietet (vgl. Bossen, Dr. Anja (2012): „Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen von Musikschullehrkräften und Privatmusiklehrern 2012, Fachgruppe Musik der ver.di, Frankfurt/Oder).
Die künstlerische Arbeit rund um das Komponieren, Arrangieren und Texten ist zwar meist zu Hause zu bewerkstelligen, was es zumindest von der Örtlichkeit her einfach macht. Eine Pianistin schreibt z.B., dass sie während der einjährigen Unterrichtspause, als ihr Kind noch klein war, nachts weiter komponiert und geübt hat. Die Freiräume sind häufig jedoch nur klein und die gilt es optimal zu nutzen. Meike Goosmann beschreibt es so: „Das Komponieren ist eigentlich das, was am meisten warten muss. Aber ich bin sicher, dass es sich wieder in den Vordergrund drängen wird. Dafür brauche ich Muße und die habe ich nur sehr begrenzt (…) Ich glaube, ich muss mir die Arbeitsphasen anders organisieren“.
Länger am Ball zu bleiben und eine Sache zügig zum Ende zu bringen, ist mit Kindern selten möglich, andererseits haben die „Zwangspausen“ auch ihre Vorteile, wie es die Jazzmusikerin Alexandra Lehmler beschreibt: „Es ist natürlich manchmal schwierig, weil man etwas, was man angefangen hat, oft tagelang nicht zu Ende bringen kann. Inspirierend ist der Alltag zwischen Kindergarten, Kinderarzt und Proberaum auch nicht immer. AAAABER ich kann mir das eine ohne das andere nicht mehr vorstellen. Ich genieße es oft sehr, mit aus der Musikwelt verabschieden und mit meinen Kindern „abtauchen“ zu können. Ich glaube, nur dadurch ist es wiederum möglich, dass ich es so genieße, mit meiner Band unterwegs zu sein“. *
Das „Multi-Tasking“, das (arbeitende) Mütter ohnehin und Musikerinnen noch mehr leisten müssen, dieses zwischen-Wickeltisch-und-Bühne-Stehen, kann als erfüllend, aber auch als sehr anstrengend empfunden werden. Constanze Maly aka Lava 303, die als quasi Alleinerziehende u.a. mit Electromusik und DJing ihren Lebensunterhalt bestreitet, fragt sich das in ihrem Blog vor einem Livekonzert, bei dem sie ihren Sohn dabei hat: „Vor-Gig Depression macht sich breit: warum tu ich mir das überhaupt an, ich könnte so `nen gechillten Sonntag haben, ich könnte ein ganz anderes Leben haben. Vielleicht sollte ich doch endlich vernünftig werden, Rock’n’Roll ist halt nix für Mädchen und für Mamis mit Kindern schon gar nicht, wie wär’s mit erstmal aufräumen und putzen? “ **
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Alltag von Musikerinnen geprägt ist von familienunfreundlichen Arbeitszeiten, die ohne eine Kinderbetreuung durch den/die Partner/in und/oder die zusätzliche Betreuung durch Großeltern, Au Pairs und Babysitter eigentlich nicht zu bewältigen sind. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass 10 der 18 Musikerinnen mit Kindern angaben, nur ein Kind zu haben.
Finanzielle Unsicherheit
Zu diesen schwierigen Bedingungen kommt ein unregelmäßiger Verdienst, der durch die Geburt eines Kindes oft als noch belastender empfunden wird. Viele der von uns befragten Musikerinnen gaben dies als Grund für den niedrigen Frauenanteil in ihrem Beruf an, wie z.B. Bernadette La Hengst: „Frauen denken immer noch mehr an Sicherheit als Männer“. Das erklärt auch, warum Frauen z.B. häufig im klassischen, weil gut organisierten Bereich (Orchester!) und noch mehr als ihre männlichen Kollegen in der Musikpädagogik zu finden sind.
In der Tat waren in der bereits erwähnten ver.di-Studie über 55 % der befragten Musikschullehrkräfte und PrivatmusiklehrerInnen Frauen. Dabei ist jedoch anzumerken, dass die Arbeit als MusiklehrerIn zwar ein kontinuierliches Einkommen garantiert, die finanzielle Situation der MusikschullehrerInnen jedoch alles andere als rosig ist. Schon 2008 konstatierte die Autorin Dr. Anja Bossen eine „desaströse Sozial- und Einkommenssituation“, die sich seitdem noch deutlich verschlechtert hat. Die Einkommen sind zum Teil stark gesunken, die Zahl der befristeten Verträge dagegen gestiegen, wobei die Kündigungsfristen häufig nur 2-6 Wochen betragen. Nur 8,5 % arbeiten in Vollzeit, 33,6 % in Teilzeit und 58 % als freie MitarbeiterInnen. Zwar sind 73 % der befragten MusiklehrerInnen bei der KSK versichert und haben somit eine Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, andere Sozialversicherungen fehlen jedoch meist: nur 13 % gaben an, eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu bekommen, eine Arbeitslosenversicherung haben 11 %, einen Mutterschutz genießen 3 % und über einen Kündigungsschutz dürfen sich nur noch 2 % freuen (vgl. Bossen (2012)).
Nur knapp die Hälfte bekommt Gehalt während der Schulferien, von SchülerInnen verursachte Stundenausfälle werden selten vergütet und viele LehrerInnen müssen unbezahlte Zusatzleistungen wie Vorspiele und Elterngespräche erbringen. Zwar arbeiten mehr Frauen (55 %) als MusikschullehrerInnen und PrivatlehrerInnen als Männer, sie sind aber nur zu 40 % vollzeitbeschäftigt. Das liegt zum großen Teil daran, dass sie mehr Zeit für Familienarbeit erübrigen (müssen). Dennoch wünschen sich überproportional mehr Frauen, mehr unterrichten zu können: „Die weiblichen Befragten unterrichten im Schnitt ca. 2 Wochenstunden weniger als ihre männlichen Kollegen. Diese geringere Stundezahl entspricht dabei vermutlich nicht dem Wunsch der weiblichen Beschäftigten. Diese gaben wesentlich häufiger (53%) an, aus finanziellen Gründen mehr unterrichten zu wollen, als Männer (46%)“ (ebd.). Durch das niedrigere Einkommen erhöht sich die Gefahr der Altersarmut.
Auch haben es Musikerinnen mitunter schwerer, an Engagements zu kommen. Viele Frauen aus der Jazzszene berichten davon, dass sie sich ignoriert und ausgeschlossen fühlen. Bei Bandzusammenstellungen werden Frauen nicht gefragt, wie Corinne Windler es formuliert: „Jungs fragen die Jungs, punkt und amen. Da geht es nicht um Qualität“. Männliche Seilschaften sind anscheinend immer noch so eng geknüpft, dass Frauen keine Chance haben, z.B. für ein Jazzfestival engagiert zu werden. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die meisten der uns befragten Musikerinnen (80 %) angaben, schon einmal eine eigene (Frauen-) Band gegründet und Projekte selbst initiiert zu haben.
Selten reichen die Gagen und Auftragshonorare zum Leben aus, meist müssen die Musikerinnen zusätzliche Jobs annehmen, um ihren Traum von der Musikkarriere leben zu können. Die Musikerin Lalah hat uns in einem früheren MELODIVA-Interview berichtet: „Ich bin Musikerin, alles andere mache ich, um zusätzlich Geld zu verdienen. Ich habe Kommunikationsdesign studiert und als freie Fotografin, Designerin und Autorin gearbeitet, damit ich mir damit die Musik finanzieren kann. Ich wusste schon bald, wie sich das anfühlt, wenn man den Dispo ständig ausreizt. (…) Ich fing an, mich mit vier Berufen zu verzetteln, alles litt darunter, ich wurde in allem schlechter. Also nur noch ein bisschen Grafik und viel, viel Musik, das klappt gut“. ***
Ihre Kollegin Bernadette La Hengst resümiert: „Ich muss schon sehr flexibel sein, um meiner Tochter die Sicherheit zu geben, die sie braucht und gleichzeitig ein so unsicheres (und auch aufregendes) leben zu führen. Es funktioniert nur, wenn man ein gutes Netzwerk aus Freunden, Familie und/oder dem anderen Elternteil hat, das sich zuverlässig kümmert. Aber meine Tochter hat dadurch auch viele Vorteile, sie lernt viele andere Menschen kennen, macht mit mir zusammen Musik und hat keine Angst vor neuen Situationen. Das Problem ist oft, dass ich zu viel arbeiten muss, um unser Leben zu finanzieren“.
Förderungen für MusikerInnen wie die Künstlerförderung der Initiative Musik können aus diesem Grund gar nicht hoch genug bewertet werden. Seit 2008 können sich MusikerInnen für das Programm bewerben, die eine Albumproduktion, Konzerttour o.ä. planen und finanzielle Unterstützung benötigen; sie erhalten zwischen 10.000 und 30.000 Euro bei einer Eigenbeteiligung von mindestens 60%. Die Berliner Singer-/Songwriterin Dota Kehr aka Kleingeldprinzessin konnte so ihr neues Album „Wo soll ich suchen“ besser promoten, das Duo BOY und die Rockmusikerin Cäthe kamen gleich zweimal in den Genuss der Förderung. Die Labelgründerin Gudrun Gut von Monika Enterprise bekam die Förderung, um die Arbeitsbedingungen rund um Albumproduktion, Vermarktung und internationale Promotion der von ihr betreuten Künstlerinnen verbessern zu können.
Auch die vermehrte Nutzung von Crowdfunding-Plattformen hat zu einer besseren finanziellen Ausstattung von MusikerInnen beigetragen und Projekte ermöglicht, die sonst nicht finanzierbar wären. Die Musikerin Katja Werker konnte die Produktion ihres Albums „Zirkuskind“ über Crowdfunding auf Startnext finanzieren, auf der gleichen Plattform sammelte das Frauenblasorchester Berlin für seinen Dokumentarfilm „Kein Zickenfox“ erfolgreich Spenden. Die Trompeterin Saskia Laroo erfüllte sich mittels Crowdfunding auf indiegogo den Traum von einer Live-DVD, die ihre Konzert-Tour durch Zimbabwe dokumentiert. Eine Studie der Popakademie stellt fest, dass die Projekte deutschsprachiger KünstlerInnen und Bands durch Crowdfunding zu 69 % erfolgreich verliefen, bei 49 % der TeilnehmerInnen übertrafen die erzielten Projektsummen sogar ihre Erwartungen (vgl. Fruner et al. (2012): “Crowdfunding meets Music – Report 2012”, Projektarbeit im Rahmen des Studiengangs Music and Creative Industries M.A. an der Popakademie Baden-Württemberg, Mannheim).
Ein weiterer Umstand, der eine Profikarriere von Frauen im Musikbusiness erschwert, ist die Tatsache, dass Frauen ab einem bestimmten Alter viel mehr als Männer damit rechnen müssen, zum „alten Eisen“ gezählt zu werden. Christiane Rösinger, heute solo als Songwriterin unterwegs, berichtet von ihrer Zeit als Sängerin, Gitarristin und Texterin bei den Lassie Singers: „Lustigerweise wurden wir ja schon bei den Lassie Singers mit unserem für Frauen im Musikgeschäft zu hohem Alter konfrontiert. Als „die nicht mehr ganz taufrischen Damen aus Berlin“ hat uns ein Journalist beschrieben. Da waren wir 28“.****
Simone Grunert aus Berlin beklagt, dass es jede Menge Jubiläums- und „Comeback“-Alben von Peter Maffay & Co. gibt, aber von keiner reifen „Frontmusikerin“. „Um das 40., 50. oder 60. Lebensjahr finden Musikerinnen im öffentlichen Raum eigentlich nicht mehr statt“. Männer in diesem Alter haben Charakter und Erfahrung, Frauen werden alt und hässlich.
Manchen, die sich für eine Profikarriere entscheiden, bleibt deshalb der Kinderwunsch wohl letztlich verwehrt. Die Sängerin und Komponistin Sophie Tassignon und ihr Partner, der auch Musiker ist, haben keine Kinder, denn „unser Leben ist wegen unserer Karriere zu kompliziert, also mit Kindern wäre es noch schwerer. Das Geld reicht nicht, unsere Arbeit braucht Zeit…“ Auch die Gitarristin Eliane Amherd schreibt, dass sie sich Kinder nicht vorstellen kann, ohne einen „gutsituierten Partner“ zu haben.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Alltag einer Profimusikerin häufig von einer finanziell unsicheren Situation geprägt ist, die durch niedrige Gagen, aber im Besonderen auch durch mangelnde Engagements entsteht, da viele Musikerinnen nach wie vor einen Ausschluss aus männlichen Netzwerken erfahren. Außerdem sind sie durch Familienarbeit in ihrer Arbeitskapazität mehr als ihre männlichen Kollegen eingeschränkt und müssen durch mangelnden Mutterschutz und Elternzeit eine höhere Belastung ertragen. Da das Einkommen von Musikerinnen allgemein niedriger ist, erhöht sich die Gefahr der Altersarmut.
Ob der Kinderwunsch letztendlich die Profi-Karriere bei einem signifikanten Teil der Musikerinnen verhindert, konnte hier nicht festgestellt werden. Es ist jedoch anzunehmen, dass Musiker weniger Schwierigkeiten haben, beides zu vereinbaren – was nicht zuletzt daran liegen könnte, dass sie meist nichtmusizierende Partnerinnen haben, die ihnen den Rücken freihalten!
Wie ließe sich die Situation verbessern?
Auf unsere zuletzt gestellte Frage bekamen wir einige Verbesserungsvorschläge, die den Grundproblemen Kinderbetreuung und Finanzen entgegen wirken könnten. Gefordert wurden mehr Teilzeit arbeitende Männer, sowie mehr Krippenplätze an den Hochschulen und flexiblere Betreuungszeiten in Kitas und bei Tagesmüttern, z.B. nachmittags und am Abend. Auch wurden Mehrgenerationenhäuser (Jane Zahn) und mehr Familienzusammenhalt (Be Ignacio) als Lösungsansätze genannt.
Allgemein höhere Gagen für MusikerInnen, bessere Sozialleistungen und eine höhere Wertschätzung der pädagogischen Tätigkeit würden die oft prekäre finanzielle Situation der MusikerInnen verbessern. Weiterhin kamen Forderungen nach einem Grundeinkommen auch in der Elternzeit auf, sowie nach mehr Stipendien, wie es sie bei den Bildenden Künsten gibt, wie es die Musikerin Bernadette La Hengst vorschlägt.
Eine Theatermusikerin spricht sich außerdem für eine Quote in der öffentlich subventionierten Kultur aus: „In meinem Fach, also an den Theatern sind eindeutig zu wenig Frauen in der Regie tätig und zu wenig Frauen in den leitenden Abteilungen, also dort, wo die Teams zusammen gewählt werden. Und Jungs bringen Jungs voran, so war das immer und so ist das heute. Wenn es ums Geld geht, haben Frauen schlechtere Karten und Jungs sind da vielleicht auch mehr hinterher, an die Jobs wirklich ranzukommen. (…) ich würde eine Quote in der Kultur schon begrüßen. Öffentliche Mittel sollten auch zu gleichen Teilen ins Volk zurückfließen. Es sind schließlich auch die weiblichen Themen und Sichtweisen, die uns in der subventionierten Kultur fehlen, wenn zu 90 % Männer Regie führen“.
Ein Gegenbeispiel für mehr Familienfreundlichkeit findet sich in einem Zitat von Meike Goosmann, die von einer Episode aus ihrem Touralltag berichtet: „Wir hatten einen Auftritt in Österreich. Da hat die Veranstalterin alles völlig selbstverständlich so eingerichtet, dass ich mit der 6 Monate alten Lenja dorthin reisen konnte ohne Babysitter. Sie hat eine Babysitterin organisiert aus ihrem Team, die uns den Tag begleitet hat an dem wir mehrere Auftritte in dem kleinen Ort hatten. Sie hat dann Lenja auf dem Arm gehabt oder im Wagen geschoben und wir konnten spielen. Das war sehr toll. (Sie hat eine kleine Tochter 2 Jahre älter…..) Das ist doch eine wegweisende Geschichte!“
Anmerkungen/Quellen:
* Stelzer, Mane (2012): „Alexandra Lehmler” – Interview mit der Saxophonistin aus Mannheim, MELODIVA Reports,
** Maly, Constanze: „Rock’n Roll Mama“ in: http://www.acidrocknroll.org/rocknrollmama.htm
*** Mohr, Christina (2009): „Lalah – Ich wär soweit“, Interview in MELODIVA Reports: https://www.melodiva.de/reports/lalah-ich-war-soweit/
**** Mohr, Christina (2010): “Eher so kaputte Chansons”- Christiane Rösingers „Songs of L. And Hate“, Interview in MELODIVA Reports: https://www.melodiva.de/reports/eher-so-kaputte-chansons/
Mehr Ergebnisse der Umfrage findet Ihr unter: „Zwischen Lila Latzhose und Tabu – Die Ergebnisse der MELODIVA-Umfrage Teil 1“ (2010) (https://www.melodiva.de/reports/zwischen-lila-latzhose-und-tabu/) und
„Musikerinnen heute – Die Ergebnisse der MELODIVA-Umfrage Teil 2“ (2011) (https://www.melodiva.de/reports/musikerinnen-heute/)
05.11.2013