Viv Albertine

Riot Grrrl der ersten Stunde

Am 28.7.2011 tritt Viv Albertine im Frankfurter Club Orange Peel auf. Sie ist Stargast der Veranstaltung „Riot Grrrl Revisited!“, die sich um das Thema Riot Grrrlsm dreht. Wer wäre dafür besser geeignet als das Ur-Riot Grrrl Viv Albertine?

Veranstalter ist der Kulturverein „Raum 121“, der jeden letzten Donnerstag im Monat im Orange Peel die Reihe „text&beat“ veranstaltet. Die Organisatorin dieses Abends, Christina Mohr, führte aus diesem Anlaß ein kurzes Interview für Melodiva.

Viv Albertine ist eine echte Legende, allerdings keine, die sich auf früheren Lorbeeren ausruht: Viv war Gitarristin der Londoner Postpunkband The Slits, eine der wenigen reinen Frauenbands dieser Zeit. The Slits existierten von 1977 bis 1982 und waren in vielerlei Hinsicht eine der wichtigsten, originellsten und einflussreichsten Postpunk-Acts. Im popkulturellen Gedächtnis geblieben ist zum Beispiel das Cover ihres Albums „Cut“ von 1979, auf dem die Band nackt und von oben bis unten mit Matsch beschmiert posiert. Die Nacktheit der Slits war keine demonstrative Sexyness, sondern Protest: The Slits wehrten sich gegen das Establishment und das männlich dominierte Popgeschäft. Die vier Frauen (prominenteste Besetzung: Albertine, Ari Up, Tessa Pollitt, Palmolive) stürmten die Bühne, ohne ihre Instrumente zu beherrschen – das war zu Punktagen durchaus üblich, aber die meisten Bands inklusive der Sex Pistols spielten schlicht und einfach schnellen, dilettantischen Rock’n’Roll. Die Slits dagegen experimentierten mit afrikanischen und jamaikanischen Rhythmen und machten jedes ihrer Konzerte zum Happening. The Slits kombinierten Tutus mit Doc Martens und begründeten damit einen ikonischen femininen Punk-Style, der millionenmal kopiert wurde. Ihre damals noch minderjährige Sängerin Ari Up, die kürzlich an Krebs verstarb, pinkelte auf der Bühne und führte sich auch sonst so ungebührlich auf, dass die Slits auf ihren Tourneen mit z.B. The Clash in Hotels Hausverbot bekamen. In Songs wie „Typical Girls“ machten sie sich über ihre Geschlechtsgenossinnen (und sich selbst) lustig, ihre Coverversion von „I Heard It Through the Grapevine“ ist auch für heutige Hörgewohnheiten ein basslastiger Geniestreich ohne Vergleich. The Slits waren Wegbereiterinnen für unzählige Frauenbands, vor allem für die Riot Grrrl-Bewegung, die ab den frühen 1990’er Jahren mit Gruppen wie Hole, Bikini Kill, Bratmobile, Sleater-Kinney oder Kenickie den Jungsbands in den Hintern trat.

1982 trennten sich die Slits. Ab 2005 reformierte sich die Band unter der Regie von Ari Up und Tessa Pollitt, trat wieder regelmäßig auf und veröffentlichte das Album „Trapped Animal“. Viv Albertine wollte bei der Reunion nicht dabei sein. Nach einer langen Pause vom Popbetrieb begann Albertine 2009, wieder Musik zu machen. Allein, nur mit ihrer Fender Telecaster und ihrem noch immer punkrock-rebellischen Gesang. Ihr Debütgig als Solokünstlerin fand im September 2009 in Brixton statt und begeisterte unter anderem Thurston Moore (Sonic Youth) so sehr, dass er Vivs EP „Flesh“ auf seinem Label Ecstatic Peace! veröffentlichte. Ein „langes“ Album soll in diesem Jahr erscheinen und ist ein komplett durch Fan-Unterstützung finanziertes Projekt des Internetlabels Pledgemusic.

Christina Mohr: Du hast eine sehr lange Pause von der Musik eingelegt – was hast du in der Zwischenzeit getan und warum ist jetzt der richtige Moment für einen Neubeginn?

Viv Albertine: Nach dem Ende der Slits bin ich Anfang der 1980’er Jahre auf die Filmhochschule gegangen, weil ich das Musikbusiness so verachtet habe. Es wurde buchstäblich zum Business und es ging nicht mehr darum, die Welt zu verändern oder einfach Musik zu machen. Ich habe dann Sendungen für die BBC produziert, außerdem Filme und Pop-Videos gedreht. Dann bekam ich eine Tochter und zog sie groß. Und dann brach mit dem wachsenden Einfluss des Internets das Musikgeschäft zusammen, Gottseidank. Deshalb bin ich wieder da.

CM: Viele Leute kennen dich als Gitarristin der Slits – ist das eine Last oder ein Geschenk? Und wie stellst du dich Leuten vor, die noch nie im Leben von den Slits gehört haben?

VA: Ich habe jahrelang niemandem erzählt, dass ich in einer Band war. Ich habe einfach nicht darüber gesprochen. Und wer mich nicht von früher kannte, dachte, dass ich „nur eine Mutter“ war und guckte mich mit ausdruckslosen Augen an. Besonders Männer. Ich fand das amüsant und eine gute und schnelle Form, um Leute einschätzen zu können.

CM: The Slits waren eine Punkband erster Stunde – bist du heute noch genau so rebellisch?

VA: Wir waren keine Punkband!! Aber ich fühle mich noch immer sehr rebellisch – mehr als es die jungen Leute heute sind. Meine ganze Familie besteht aus Rebellen, die so bleiben bis zum letzten Atemzug. Es liegt mir einfach im Blut.

CM: Du warst Teil einer der prägendsten und einflussreichsten Frauenbands aller Zeiten, The Slits haben Geschichte geschrieben. Hast du das Gefühl, dass ihr damals den Weg bereitet habt für andere Bands oder die Riot Grrrl-Bewegung (und mit einflussreich meine ich nicht nur euer musikalisches Erbe: in einem Buch über Madonna habe ich gelesen, dass sie ihren ersten berühmten Look von den Slits gestohlen hatte).

VA: Ich glaube, die Einflüsse aus jener Zeit sind in der Musik und in der Mode noch immer spürbar, aber leider nicht in der Haltung!

CM: Denkst du, dass es Musikerinnen heute einfacher haben als vor dreißig Jahren? Oder haben Künstlerinnen nur dann eine Chance, wenn sie als komplett artifizielle Figur auftreten wie Lady Gaga?

VA: Lady Gaga ist sehr theatralisch, sie hat auf jeden Fall ihre Berechtigung. Ich bin noch nicht lange wieder musikalisch aktiv, aber die Leute erzählen mir, dass es für Frauen heute schwieriger ist als in den 1970’er Jahren. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass es noch härter zugehen könnte als damals – aber wenn es so ist, ist das wirklich zum Verzweifeln!

CM: Dein Instrument ist die E-Gitarre – DAS männliche Rock-Intrument. Bist du jemals von männlichen Gitarristen gedisst worden?

VA: Ich habe die elektrische Gitarre niemals als männliches Instrument gesehen. Im Gegenteil, als ich anfing zu spielen, habe ich die E-Gitarre genommen, weil ich das Gefühl hatte, dass wir perfekt harmonieren. Das Aussehen, die Größe, die Form, der Abstand der Saiten voneinander, die Menge der Saiten, der Anschlagen. Ich habe eher das Gefühl, dass männliche Gitarristen sehr girly sind.

CM: Wie würdest du deinen aktuellen Stil beschreiben? Ich finde deine neuen Songs einerseits sehr rau und roh, aber auch sehr gefühlvoll.

VA: Das ist eine schöne Beschreibung. Ich würde noch hinzufügen: ehrlich.

CM: Bist du gern auf der Bühne oder machst du lieber für dich alleine Musik?

VA: Zuhause schreibe und übe ich. Im Studio setze ich eine Idee in etwas Hörbares um. Und auf der Bühne kann ich mit den Leuten direkt kommunizieren. Ich liebe alles davon!

CM: Es ist so traurig, dass in den letzten Monaten zwei deiner Mitstreiterinnen, Poly Styrene und Ari Up an Krebs verstorben sind. Denkst du oft an sie? Was machte die beiden so besonders?

VA: Ich denke wirklich oft an die beiden. Jeden Tag. Ich denke über die Lektionen nach, die ich von beiden gelernt habe: Von Ari habe ich viel über Musik und Rhythmus und die Freiheit des Ausdrucks gelernt. Und von Poly über das innere Leuchten, Vergebung, Toleranz und Hartnäckigkeit.

CM: Wie funktioniert Pledge Music, das Label, auf dem dein neues Album erscheinen wird?

VA: Pledge läuft gut an: Leute, die an mich und meine Arbeit glauben, geben ein bisschen Geld und im Gegenzug bekommen sie die Platte und Kunstwerke und Merchandise-Artikel, weil sie früh einen Beitrag geleistet haben.

28.07.2011 Frankfurt, Orange Peel „Riot Grrrl Revisited!“ mit Viv Albertine LIVE !
Eine Buchpräsentation in Text, Bild und Ton: Katja Peglow & Jonas Engelmann (Hrsg.)

www.vivalbertine.com
www.myspace.com/albertine
www.pledgemusic.com
www.raum121.de

Foto rechts: Carolina Ambida

Autorin: Christina Mohr

17.07.2011