„Towards a Twenty-First-Century Feminist Politics of Music“ von Sally Macarthur
Buchrezension von Sandra Müller-Berg
Die australische Musikwissenschaftlerin Sally Macarthur von der University of Western Sidney widmet sich diesem Thema in ihrem neusten Buch „Towards a Twenty-First-Century Feminist Politics of Music“ (Ashgate Publishing Limited, 2010), das sie letztes Jahr veröffentlichte. Das Buch ist, vereinfacht ausgedrückt, in einen theoretischen und einen „praktischen“, musikanalytischen Teil gegliedert. In der Einführung eröffnet die Autorin ihr theoretisches Gerüst, welches sich hauptsächlich auf den Theorien des französischen Philosophen Gilles Deleuze (1925-1995) stützt, der in der Tradition des Essentialismus und Poststrukturalismus steht. Nun gelten die Schriften Deleuzes, darunter sein zweiteiliges Hauptwerk „Kapitalismus und Schizophrenie“ (1972 und 1980), auf das sich Macarthur zentral bezieht, als hochkomplex und artifiziell. In seinen Werken wird oft die lineare Erzählweise aufgebrochen, und es entsteht ein Netz miteinander verbundener, assioziativer „Plateaus“. So hätten es die LeserInnen allein mit dem deutschen Text, falls nicht Experte der Deleuzeschen Philosophie, nicht leicht. Und mit der englischen Version werden die Dinge auch nicht klarer und das ist bereits einer der Stolpersteine dieses Buchs, das eine starke praktische Umsetzung einfordert. Es braucht seine Zeit, bis man die philosophischen Gedankengänge begreift. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob diese Ausführlichkeit für das Thema wirklich dienlich ist. Nun ist aber trotz den Verständnisschwierigkeiten im theoretischen Gerüst dieses Buch kein ausschließlich theoretisches Werk, das sich an einige eingeweihte Spezialisten wendet. Macarthur schafft es, die LeserInnen immer wieder zurückzuholen. Ihre Interpretation einiger Denkmodelle von Deleuze bezieht sie konkret auf die zentrale Position, dass trotz der veränderten beruflichen Möglichkeiten Komponistinnen in der zeitgenössischen, ernsten Musikszene kaum Fuß fassen können. Diese Tatsache zu untersuchen ist an sich ein interessantes Unterfangen. Allerdings gerät Macarthur bei ihrer Analyse in für europäische Verhältnisse fragwürdiges Fahrwasser, das möglicherweise mehr mit dem Unterschied zwischen der seriellen, atonalen Musik Europas und dem tonalen, postmodernen Kompositionsstil nicht-europäischer Kontinente zu tun hat, als man es auf den ersten Blick zu meinen glaubt.
Macarthur stellt im zweiten Kapitel „How is Gender Composed in Musical Composition?“ zu Recht fest, dass es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Kompositionsgeschichte eine Gegenbewegung zum Serialismus gab, nämlich die „minimal music“ und die auf Strawinsky zurückgehende Postmoderne. Im dritten Kapitel nun führt Macarthur aus, dass die Neue Musik (die atonale Musik) „kopiert wird von unflexiblen Praktiken, die den Zentralismus des männlichen komponierenden Subjekts fördern“ (Macarthur, S. 18). Spätestens an dieser Stelle bekommt man leichte Bauchschmerzen, da Macarthur einen speziellen Kompositionsstil, nämlich den Serialismus, als primär maskulin interpretiert. Dieser Kompositionsstil habe nun nach Macarthur auch einen spezifischen musikanalytischen Zugang evoziert, der innerhalb der Musikwissenschaft zur Normalität wurde. Dies begründet sie, zugegebenermaßen recht geschickt, mit dem Aufkommen des maschinellen Zeitalters in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: „ […] life is actually a machine: all of life is made up of multiple machinic connections from which we form our image of the world.“ (Macarthur, S. 17). Macarthur stellt die These auf, dass der aus dem Technik-Zeitalter resultierende musikanalytische Zugang verhindere, dass die Werke weiblicher Komponisten adäquat interpretiert werden könnten. Diese These, die zwar plausible Elemente wie den Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Technik und dem musikalischen Serialismus beinhaltet, birgt die Gefahr, dass Komponistinnen abgesprochen wird, sie könnten nicht nach einem vermeintlich „streng logischen“ Verfahren wie dem Serialismus komponieren. Dazu gibt es natürlich Gegenbeispiele, wie beispielsweise die Musik der belgischen Komponistin Jacqueline Fontyn, die ein abgewandeltes serielles Verfahren für ihre Musik zugrunde legt. Und es ließe sich beinahe schon böswillig schlussfolgern, dass Frauen tendenziell in einem gefühlsbetonten, neoromantisch-tonalen Stil komponierten, der aber nun einmal in der maskulinen, technisierten (Kompositions)Welt wenig Raum fände, weil es eben auch keinen adäquaten musikwissenschaftlichen Zugang für Musik weiblicher Komponisten gäbe. Das sind natürlich Gedankengänge, die klischeehaft daherkommen und überkommenen Stereotypen Rechnung tragen. Aber wenn man dies ernst nehmen sollte, dann müssten die Musikanalysen im zweiten Teil des Buchs nun die von Macarthur geforderte Wende darstellen.
Jedoch zeigen die kurzen Werkanalysen der Komponistinnen Sofia Gubaidulina, Elena Kats-Chernin und Anne Boyd keinen besonders differenzierten musikwissenschaftlicher Ansatz, der feministische Sichtweisen in einem von einer Frau komponierten Werk erkennen ließe. Stattdessen folgt Macarthur einer recht konventionellen Werkbetrachtung, die auf die Harmonik fokussiert ist und Ergebnisse streckenweise gerne mit Teilen der Deleuzeschen Philosophie anreichert.
Das Buch von Sally Macarthur bietet reichlich Diskussionsstoff und regt streckenweise zum Nachdenken an. Denn Fakt ist, dass in den Foren neuer Musik weitaus weniger Komponistinnen vorkommen als Männer. Und es ist auch tatsächlich so – das ergab die Nachforschung der Rezensentin – dass sehr viel weniger Frauen von Musikverlagen in den Katalogen der großen Musikverlage wie Schott Music, Breitkopf & Härtel oder Edition Peters erscheinen als die männlichen Kollegen. Woran das liegt, vermag allerdings Macarthurs Ansatz nicht plausibel zu erklären. Vielleicht liegt es an der bisher immer noch nicht überwundenen Geschlechterdiskussion. Übrigens lehnen Komponistinnen wie Jacqueline Fontyn und Isabel Mundry Fragen oder Bemerkungen zu ihrer Identität als Komponistinnen radikal ab (Fontyn sagt sogar, dass sie „Komponist“ sei!), vielleicht, weil sie banal sind. Also: Es gibt Frauen, die komponieren. Übrigens tun das Männer auch. Und möglicherweise könnte man, wenn man weltweit alle Werke aller Komponistinnen und Komponisten analysiert hätte, einen geschlechtspezifischen Unterschied erkennen. Aber wäre damit das Problem gelöst, dass immer noch der Anteil an männlichen Komponisten in den Konzertsälen höher ist?
Weitere Infos zu Komponistinnen beim Musikinformationszentrum miz http://www.miz.org/komponisten.html, dem Furore Verlag http://furore-verlag.de, der Website der Fördervereins Archiv Frau und Musik e.V. http://www.komponistinnen.de/ und beim Sophie-Drinker Institut http://www.sophie-drinker-institut.de/cms/index.php
Autorin: Sandra Müller-Berg
28.06.2011