The Lost Are Found

Interview mit Claudia Brücken

Jeder Eighties-Fan kennt ihre dunkle, ausdrucksstarke Stimme: gemeinsam mit Susanne Freytag sang Claudia Brücken beim deutsch-britischen Synthie-Projekt Propaganda, dessen Hits wie „Dr. Mabuse“, „Duel“ oder „p:Machinery“ vom Album „A Secret Wish“ unvergessen sind und zu den besten Elektropop-Songs überhaupt zählen. Nach dem Ende von Propaganda wurde es etwas stiller um Claudia Brücken, die Mitte der 1980er Jahre von Düsseldorf nach England zog, wo sie auch heute lebt. Musik gemacht hat sie immer, meist in Kollaborationen, z.B. mit Thomas Leer oder mit ihrem Lebensgefährten Paul Humphreys (OMD) als Duo Onetwo. Jetzt ist ein neues Album von Claudia Brücken erschienen, das in Kooperation mit dem legendären Produzenten Stephen Hague (New Order, Siouxsie & The Banshees, Pet Shop Boys, Peter Gabriel) entstanden ist.

„The Lost Are Found“ versammelt elf Brücken-Interpretationen von Songs der Bee Gees, David Bowie, Pet Shop Boys, Stina Nordenstam oder ELO – aber es ist weit mehr als „nur“ ein Coveralbum. Zum einen hat Brücken keine allfälligen Hits der genannten Stars ausgewählt, sondern Songs, die ein wenig unbekannter sind, nicht so „abgespielt“. Zum anderen macht Claudia Brücken (die in England die Ü-Punkte weglässt und dort Claudia Brucken heißt) jeden Song zu ihrem eigenen – die behutsame, aber stringente, harmonische Produktion Hagues tut ihr übriges dazu. „The Lost Are Found“ ist eine melancholische, aber auch hoffnungsspendende, warmherzige Songkollektion, die in der kalten Jahreszeit das Herz wärmt und für die Ewigkeit gemacht ist. Im Frühling kommt Claudia Brücken auf Deutschland-Tour – don´t miss!

Wie hast du die Songs ausgewählt – und welcher liegt dir (warum) besonders am Herzen?

Es fing alles mit „One Summer Dream“ an, einem besonders wehmütigen melancholischen Lied von ELO. Nachdem Stephen (Hague) und ich unsere eigene Version von dem Stück gemacht hatten, begann unsere gemeinsame Suche nach Liedern, die um „One Summer Dream“ drum herum passen. Ein Kriterium war, dass wir nach relativ unbekannten Songs suchten, die noch nicht so häufig gecovert wurden. Ein anderer Anhaltspunkt war nach Songs zu suchen, die uns persönlich etwas bedeuten und berührt haben, Teile von unseren eigenen Soundtracks sind und uns durch unser Leben begleitet haben.
Während des Prozesses der Songauswahl haben Stephen und ich bemerkt, dass es viele Gemeinsamkeiten gab und das uns Lieder einer bestimmen Art ansprechen: melancholische, traurige Lieder, die einen aber auch irgendwie glücklich machen und aufbauen, traurige Lieder die das Gefühl von Hoffnung vermitteln.
Ich habe nicht wirklich ein einzelnes Stück, das mir am Herzen liegt. Ich fühle mich mit jedem dieser Lieder und ihren Geschichten verbunden und sie bedeuten mir alle sehr viel.

Ein Coveralbum kann Unterschiedliches ausdrücken – eine Verbeugung vor den Liedern und Komponisten, oder eine Selbst-Positionierung… was ist „The Lost Are Found“?

„The Lost Are Found“ ist eine Sammlung von Liedern, für die ich mich gemeinsam mit Stephen entschieden habe. Wir hatten uns dazu entschlossen eine bestimmte Art von Album zu machen – ein Tribut ist nicht ganz das richtige Wort. Es ging uns mehr darum ein Album zu kreieren, das die Direktheit eines selbst komponierten Albums besitzt, ohne dass wir es selbst geschrieben haben. Es erzählt Geschichten und zugleich eine größere Geschichte welche ich erzählen bzw. singen wollte ohne dass es meine eigenen Worte sind. Und vielleicht erklärt es etwas über mich, im Hinblick auf die Auswahl der Lieder, des Gesangs und der Aufnahme.
Vielleicht lässt es erahnen wo ich mich selbst als Künstlerin bzw. Sängerin sehe – eine Sängerin von melodischen, sensiblen Popsongs, die ein gewisses Maß an Mysteriösem und etwas Geheimnisvolles an sich haben und auf subtile Art und Weise arrangiert wurden.
Das Arbeiten an Songs von anderen Künstler, die mir nahe sind, hilft mir mit meiner Arbeit an meinen eigenen Songs, also vielleicht doch nicht Selbst-Positionierung sondern eher Selbst-Bildung.

Onetwo

Würdest du „The Lost Are Found“ als Comeback-Album bezeichnen?

Ich habe immer an meinen Projekten und Kollaborationen gearbeitet und die Tatsache, dass es länger gedauert hat sie zu realisieren hat mehr mit der Finanzierung und Suche nach den richtigen Kollaborationen etc. zu tun. Ich würde es nicht als ein Comeback-Album bezeichnen, sondern eher als das neueste in einer Serie von Projekten, welches an die Alben mit Paul Humphreys (Onetwo -Instead) und Andrew Poppy (Another Language) und anderen Kollaborationen anschließt. Von außen könnte man den Eindruck bekommen, dass es ein Comeback-Album ist, weil ich während ich mache was ich mache “unsichtbar’ bin, aber das Wort Comeback erscheint mir als Beschreibung doch ein wenig zu dramatisch, weil es Ruhestand andeutet oder auch Grandness/ Grandeur. Ich habe nie den Eindruck gehabt, aufgehört zu haben. Manchmal erscheint es, als ob es lange dauert ein Album zu machen, aber das hat mehr mit den Umständen zu tun: z.B. kein Plattenvertrag anstatt Intention. Ich arbeite momentan an Projekten, die vielleicht ein oder fünf oder zehn Jahre brauchen bis sie verwirklicht werden, aber ich werde immer an ihnen arbeiten, egal wie lange es dauert, bis sie veröffentlicht werden.

Wie lief die Zusammenarbeit mit Stephen Hague? Ihr seid ja gute Bekannte…

Stephen und meine Zusammenarbeit begann vor ca. vier Jahren. Wir haben ein paar Lieder zusammen geschrieben, „Thank you“ und „Night school“, die auf einer Retrospektive meiner Karriere namens „Combined“ erschienen sind. Stephen hat mir unter anderem auch mit der Running Order dieses Albums geholfen. Unsere Zusammenarbeit war von Anfang an sehr locker und entspannt, da hat alles gepasst und wir hatten so viel Spaß, dass wir noch mehr zusammen machen wollten. Ich habe Stephen ein paar neuere Lieder von „Combined“ vorgespielt, unter anderem Andrew Poppys und meine Coverversion von Roy Orbinsons „In dreams“, welche Stephen sehr gefiel und ihn auf die Idee brachte „One Summer Dream“ zu interpretieren.

Wir fingen immer mit einem sehr simplen einfachen backing track an, über den ich singen konnte, damit ich ein Gefühl für die Melodie, den Text und die Stimmung des Songs entwickeln konnte. Dann einigten wir uns auf die Tonart. Nach Absprache, in welche musikalische Richtung das Lied führen sollte und welche Instrumentierung wir uns beide vorstellen könnten, fing Stephen an, an den Soundkulissen zu basteln, während ich mich mehr und mehr in das Lied versetzte, bis ich wusste, dass ich an den Punkt angelangt war den Gesang aufzunehmen.
Auch dieser Prozess war sehr locker und relaxed, ich habe frei in den Raum gesungen mit Kopfhörer und Popshield, während Stephen im selben Raum am Mischpult saß und zwar ohne Kopfhörer und nur die Stimme pur ohne Musik hörte. Da muss man einige Hemmschwellen überwinden, aber ich habe mich schnell an Stephens Arbeitsweise gewöhnt. Einfach Augen zu und durch. Das Gute an dieser Arbeitsweise war, dass er alles ‘roh’ hörte und mir sofort Tipps geben konnte, worauf ich achten müsste. Es gehört schon eine Menge Vertrauen dazu so zu arbeiten, aber das hat wirklich sehr gut mit uns beiden geklappt.

Wann und wie weiß man, wie (in welchem Arrangement o.ä.) ein Song am Besten funktioniert? Gab es für manche Stücke verschiedene Versionen?

Stephen ist ein Meister seines Handwerks. seine Spezialität ist der Popsong und gerade da spielt die Songstruktur so eine wichtige Rolle und deshalb ist dies auch das erste was er unter die Lupe nimmt. Ich habe mich sehr auf Stephens Expertise verlassen. Er hat ein Feingefühl für Form und Gestalt(ung) und er hat das Talent, die richtigen musikalischen Entscheidungen zu treffen. Das war ja auch ein Grund, warum ich schon so lange mit ihm zusammenarbeiten wollte. Die Songstruktur ist sehr wichtig und Stephen beginnt damit das Lied zu ‘zerhacken’ und bringt es in eine Form welche für ihn schlüssig ist. Danach fängt er an, am Groove und dem Fundamentalem, wie z.B. Bass zu basteln.

Besonders der erste Track „Mysteries of Love“ (Lynch/Badalamenti, Original gesungen von Julee Cruise) scheint wie für dich gemacht – hattest du schon länger geplant, diesen Song einmal zu interpretieren oder war das eine neue Idee?

Ich war schon immer ein großer David Lynch-Fan. Meine Faszination für seine Filme und seine Soundtracks begann mit dem Song „In heaven“ aus „Erasurehead“. Dieser Song hat etwas so Geheimnisvolles und Mysteriöses an sich – dieser Song erweckte mein Interesse für Musik im Film. „Blue Velvet“ ist einer meiner Lieblingsfilme von David Lynch und es gab einige Lieder von ihm, die ich gerne neu interpretiert bzw. ‚getacklet’ hätte, aber als das Album vom Konzept her mehr und mehr Gestalt annahm, wurde uns klar, dass „Mysteries of love“ das Album beginnen musste, weil es musikalisch und melodiös so genial ist und auch vom Lyrischen so gut zur Thematik meines Albums passt.

Propaganda 1984-85

Ist deine Vergangenheit mit Propaganda eine Bürde oder ein Geschenk? Was glaubst du, wäre ohne diese Band passiert? Hast du noch Kontakt zu den anderen Mitgliedern, z.B. Susanne?

Es war ein Geschenk und zugleich eine Bürde, ein zweischneidiges Schwert also. Ich bin sehr stolz auf meine Vergangenheit mit Propaganda und all die Erfahrungen die wir miteinander erlebt haben. Zu einem hat unser Album „A Secret Wish“ viele Türen für mich geöffnet und mir viel Respekt verschafft, andererseits waren die Erwartungen eines follow-up-Albums so hoch, dass ich sie alleine ohne die Band und das Team nie hätte erfüllen können. Meine Arbeit nach Propaganda wurde oft an „A Secret Wish“ gemessen, was meine Karriere als Solo-Artist erschwerte. Aber ich hab das durchgezogen, woran ich glaubte und ich bin zufrieden mit all meinen Offerings.

Seit einigen Jahren grassiert eine wahre Reunion- und Revival-Welle – könntest du dir eine Propaganda-Reunion vorstellen?

Wir reden immer darüber,… schön wärs!

Du und Susanne wart – natürlich, möchte man hinzufügen – die Aushängeschilder von Propaganda. Hast du dich in dieser Rolle wohl gefühlt? Würdest du heute etwas anders machen? Und hast du dich jemals als Frau im Popgeschäft benachteiligt gefühlt?

Susanne und ich waren die Aushängeschilder – darüber habe ich mir eigentlich nie den Kopf zerbrochen. Das war ein Teil meiner Rolle als Sängerin und Frontfrau. Schwierigkeiten hatte ich nur damit, wenn ich als ‘Tanzhuhn’ abgestempelt wurde oder als eine ‘Marionette von Trevor Horn’ und ich das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden, nicht wirklich respektiert zu werden… aber zum Glück geschah das relativ selten. Das Musikgeschäft wurde damals hauptsächlich von Männern geführt und so habe ich manche sexistischen Erfahrungen gemacht. Ich war damals noch sehr jung und relativ unerfahren, heute würde ich ganz anders damit umgehen.

Du hast mit vielen bekannten Musikern wie z.B. Martin Gore, Thomas Leer oder Paul Humphreys zusammengearbeitet und interpretierst gern Songs anderer KomponistInnen – was gefällt dir an der Kooperation an sich? Und könntest du dir vorstellen, allein im Studio zu arbeiten?

Ich schließe eine Arbeit allein im Studio nicht aus, aber ich fühle mich wohl als ein Teil vom Ganzen. Vielleicht liegt es daran, wie ich meine Arbeit und Teilnahme an „A Secret Wish“ wahrgenommen habe und bevorzuge deshalb diese Arbeitsweise. Jeder von uns hatte eine bestimmte Rolle und der Produzent (Steven Lipson) wusste, wie er das Beste aus einem rausholen konnte. Das waren sehr positive Erfahrungen, die ich damals gemacht habe. Diese frühen Jahre beim Label ZTT haben mich wahrscheinlich beeinflusst und ich glaube, dass ich deshalb Teamarbeit so schätze. Das ist auch ein Grund warum mir die Kooperation an sich gefällt: es interessiert mich was passiert (geschieht) wenn man bestimmte Elemente zusammenwirft und was dabei herauskommen – entstehen kann….das Experiment an sich also….

In einem Interview für The Quietus (2011) bezeichnest du dich selbst als eher private Person – wirst du mit dem neuen Album auf Tour gehen bzw. Auftritte machen? Und fällt dir das schwer oder freust du dich darauf?

Ich komme im März für vier Shows nach Deutschland und freue mich wirklich sehr darüber die Gelegenheit zu haben im Heimatland aufzutreten. Unten angehängt sind die Daten, es wäre schön euch zu sehen!
Wir sind zu sechst auf der Bühne Paul Humphreys (keys) Sam Sallon (keys & BV’s) James Watson (keys, bass, guitar) Dawne Adams (percussions) und Dave Watson (BV’s, guitar). Wir spielen Songs von meinem neuen Album „The Lost are Found“, Songs aus meiner Vergangenheit mit Propaganda, Act, Onetwo und aus meiner Solokarriere. Wer kommt, kriegt also einen Gesamteindruck von all dem was ich über die Jahre so gemacht habe!

Aktuelle CD „The Lost Are Found“ (2012)

Tourtermine:
Mi 20.3.2013 – Bochum – Zeche
Do 21.3.2013 – Frankfurt – Nachtleben
Sa 23.3.2013 – Berlin – Postbahnhof
So 24.3.2013 – Hamburg – Gruenspan

www.claudiabrucken.co.uk
Autorin: Christina Mohr

05.03.2013