The Female-Jazz-Connection: Teil 4

Frauen in der Chicagoer Jazz-Szene

Grazyna Auguscik (Polen/USA)

…The Jazz Factory

Ihren Namen kann in den USA kaum jemand auf Anhieb aussprechen. Dafür lieben die Amerikaner ihren unüberhörbaren polnischen Akzent, der das leicht Zerbrechliche, Brüchige ihrer Stimme unterstreicht. Ursprünglich war Grazyna Auguscik nur in die Vereinigten Staaten gekommen, um an dem renommierten „Berklee College of Music“ Jazz-Gesang zu studieren. Das war vor 15 Jahren. Grazyna ist immer noch hier, und in Chicago ist die Sängerin aus der Jazz-Szene nicht mehr wegzudenken.

Ihr Album „River“ wurde ein landesweiter Erfolg, mit mehrfachen Nominierungen zum „Best Vocal Album 2002“, unter anderem im Downbeat Magazine. Mit ihrer neuesten CD „Past Forward“ vereint Grazyna erstmals polnische Folklore mit Jazz. Hintergrund dieser Kooperation mit der Krokow Klezmer Band war das „Chicago Composer’s Project“, das jährlich vom Jazz Institute of Chicago ausgeschrieben wird, und für das Grazyna im Jahr 2002 ausgewählt worden war.

Dabei ist Grazyna Auguscik weit mehr als „nur“ Jazz-Sängerin. Sie vereint gleich mehrere Stationen der Jazz-Produktionskette in sich: Produzentin, Bandleaderin, Plattenfirma und Künstleragentur in einer Person.

Wann und warum hast Du angefangen, Jazz zu singen?

Das ist schwer zu sagen. Ich wuchs in Polen auf, in einer Zeit, in der es sehr schwierig war, überhaupt Jazz-Material oder –Musik in die Finger zu kriegen. Wir hörten ein bisschen was über die öffentlichen Radiosender, aber es gab nicht viele Jazz-Programme. Ein Freund von mir, ein Schlagzeuger, der als Musiker auf Kreuzfahrtschiffen in der ganzen Welt arbeitete, brachte uns Schallplatten mit. Er war es, der uns in den Jazz einführte. Er schnitt mir ein Tape zusammen mit Standards, wie „Fly Me To The Moon“, „Satin Doll“, „The Girl From Ipanema“ und „One Note Samba“. Ich erinnere mich an das Gefühl – die Musik war einfach anders als die Pop-Songs, die wir sonst hörten.

Jazz – die verbotene Musik

Ich fing an, Jazz zu singen und begann, mit Jazz-Musikern in Krakau zu arbeiten. Krakau hatte damals schon eine sehr große Jazz-Gemeinde. In den 50ern war Jazz noch verboten, erst nach 1956 durfte offiziell Jazz gespielt werden. Trotzdem kenne ich viele Musikstudenten, auch später noch, die von der Musikhochschule flogen, weil sie nachts Jazz spielten.
Jazz ist eine sehr persönliche Sache. Im Jazz kann man Emotionen auf so viele unterschiedliche Arten ausdrücken. Deshalb liebe ich Scat-Singing. Das ist für mich der direkteste Weg, alles, was man sich vorstellen kann, zu imitieren, alles, was man an Klängen in der Natur findet – du stellst dich einfach hin und machst etwas völlig Unerwartetes.
Das ist der Grund, warum ich mit Jazz anfing – weil ich etwas in der Musik entdeckte, das anders war, etwas, das mich nicht mehr losließ, etwas, das ich in keiner anderen Musik finden konnte.

Warum bist Du vor 15 Jahren in die Vereinigten Staaten gegangen?

Es gab in Polen einfach keine Möglichkeiten mich weiterzuentwickeln. Heute ist das anders. Die ganze Welt hat sich ja verändert – man kriegt alles über das Internet, man kann überall auf der Welt großartige Musiker hören. Vor 15 Jahren war es wahnsinnig schwer, Übungsmaterial zu bekommen, und ich kannte niemanden. Dabei war ich so hungrig, mehr zu lernen. Wenn ich in Polen geblieben wäre, hätte ich mir wohl einen Namen gemacht und gute Musik gespielt, aber ich wäre auf einem bestimmten Level stehen geblieben. Jazz ist nun mal keine polnische Musik, es ist keine europäische Musik – Jazz ist amerikanische Musik. Sie entstand hier, in den USA.

Auf Deinen letzten beiden Alben verzichtest Du komplett auf Piano und arbeitest stattdessen mit zwei Gitarristen. Eine ungewöhnlich Wahl für eine Jazz-Sängerin.

Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich in Polen ursprünglich selbst klassische Gitarre studiert habe. Ich liebe Gitarren. Der Klang gibt mir als Sängerin außerdem mehr Raum. Man kann eine Menge experimentelles Zeug mit Gitarren machen. Ich arbeite mit zwei Gitarristen. Der eine spielt akustische Gitarre, mit eher klassischem Klang, der andere E-Gitarre. Ich habe früher auch mit Piano gearbeitet, meine Musik war damals völlig anders. Für eine dunkle, kräftige Stimme ist es vielleicht besser, volle Piano-Harmonien zu nehmen, aber für meine Stimme ist die Kombination aus zwei Gitarren perfekt.

Warum spielst Du eigentlich nicht selbst Jazz-Gitarre?

Das ist eine gemeine Frage. Ich weiß es selbst nicht! Ich nehme mir ständig vor zu üben, aber ich habe nie die Zeit. Ich habe schon so oft versprochen, mich hinter die Gitarre zu klemmen. Manchmal setze ich mich dann hin und stelle fest – ich kann eigentlich immer noch einiges. Also, ich verspreche – I will do it!

Wer waren Deine musikalischen Einflüsse?

Die Jazz-Riesen: Ella Fitzgerald war immer meine Nummer eins. Sie hat viel improvisiert, und ihr Timing ist das beste. Dann Sarah Vaughn, Carmen McRae, Betty Carter. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich ein Al Jarreau-Album hörte. Ich war hin und weg. So was hatte ich noch nie gehört. Zum ersten Mal imitierte jemand Instrumente mit menschlicher Stimme. Er hat wirklich eine Tür für den Scat-Gesang geöffnet. Dann kam Bobby McFerrin.

Schleichwege statt Autobahnen

Einer meiner ersten Lehrer war sozusagen Chet Baker. Er war das Gegenteil von allen anderen. Die anderen waren Schwarze, ihre Musik sehr emotional. Und dann Chet – ein „white guy“ mit unglaublichem Feeling. Seine nostalgische Musik war meiner Seele und meinen Wurzeln sehr nah. Neulich sagte einer meiner Musiker zu mir: „Schau Dir das an – alle Deine Songs sind in Moll!“ Das stimmt, aber ich liebe nun mal Moll. Es ist wie ein Gemälde. Manche Bilder sind bunt und hell, andere warm. Chet Baker ist traurig, depressiv, aber ich sehe die Lichter in seiner Musik. Sie deprimiert mich nicht. Sondern sie versetzt mich in einen anderen emotionalen Zustand. Wir sehen oft nur das Glänzende, Laute in der Welt. Dazwischen ist die wahre Schönheit, die wir übersehen, weil sie nicht glitzert. Chet Baker zeigt uns die versteckten Pfade – nicht die Highways.

Wenn Du die USA und Polen, bzw. Europa vergleichst – was sind die entscheidenden Unterschiede in der Jazz-Szene und im Business?

Was die Musik selbst angeht, gilt: Jazz in Europa ist anders, weil er auf anderen Einflüssen aufbaut. Wir haben einen anderen kulturellen Hintergrund und deshalb spielen wir auch anders. Wir Europäer sind mehr intellektuell als emotional. Und wir haben ein anderes Timing. Jazz ist die Musik der Schwarzen und sie gehört ihnen. Ich spüre den Unterschied, wenn ich mit schwarzen Musikern spiele. Aber ich stelle auch fest, dass ich meine eigenen Impulse einbringe, die charakteristisch für mich sind.

Was das Business betrifft – da hat sich in der Zwischenzeit natürlich auch in Polen viel verändert. Damals mussten wir uns nicht um Promotion kümmern. Die Plattenfirmen gehörten der Regierung. Die Musiker verdienten nicht durch den Verkauf von Platten, sondern nur durch Live-Auftritte. Heute ist es dort ähnlich wie in den USA: Wenn Du eine CD herausgibst, musst Du sehr viel in Promotion investieren. Die Regeln sind die gleichen, nur der Markt ist anders. Hier in den Staaten ist der Markt riesig. Würde ich von Chicago nach New York gehen, müsste ich von vorne anfangen, neue Kontakte knüpfen, meine Infrastruktur neu aufbauen.

Die USA sind das Land, in das Leute aus der ganzen Welt kommen, um es hier zu schaffen. In Polen ist nur Polen. Wen kümmert’s? Wenn jemand berühmt ist, ist er überall berühmt.

Was sind Deine Erfahrungen als Frau im Jazz-Business?

Es ist schwerer, ganz bestimmt. Du wirst nicht als Geschäftspartnerin gesehen, sondern primär als Frau. Das Business wird zum Großteil von Männern betrieben. Es ist deshalb manchmal schwer, sich als Frau Respekt zu verschaffen. Ich bin eine der wenigen Frauen, die ihr eigenes Platten-Label haben. Ich lasse mir nichts gefallen und setze mich auch durch. Ich habe gute Argumente – wer nicht einverstanden ist, muss mir bessere liefern.

Sex Sells

Welche Rolle spielen visuelle und körperliche Aspekte für Frauen im Jazz?

Eine große Rolle! Hübsche Frauen haben es leichter, Jobs zu bekommen. Um einen Gig zu bekommen musst Du erstmal nicht fantastisch singen können, wenn Du gut aussiehst..

Man braucht sich ja nur mal die CD-Covers ansehen – sogar die Frauen, die keine schönen Gesichter haben, zeigen Beine, Arme, Brüste, versuchen einen sinnlichen Teil des Körpers darzustellen. Schönheit ist das erste, was den Leuten auffällt, erst dann greifen sie nach der Musik. Männer müssen nicht gut aussehen – je fertiger, desto besser. Frauen dürfen dagegen nicht müde und erschöpft aussehen.
Auf der anderen Seite ist Jazz nicht Pop-Musik. Im Pop bügelt der Computer alles aus. Im Jazz musst Du Dich immer noch live auf die Bühne stellen, und Du musst gut sein! Nach oben kommen nur die wirklich besten Musiker.

Warum gibt es so wenige Jazz-Instrumentalistinnen?

Das ist eine gute Frage. Vielleicht, weil wir andere traditionelle Rollenmuster in Leben und Familie haben. Es kostet viel Zeit zu üben und in guter musikalischer Form zu sein. Das geht nicht, wenn man sich um Mann und Familie kümmern will. Frauen wurden zwar auch früher ermuntert, zum Beispiel Klavier zu spielen, um zu unterhalten und zu begleiten, und manche dieser Frauen waren unglaublich gut, aber niemand förderte oder ermunterte sie zu einem Musikstudium.

Schwere Kaliber

Das ist heute anders, und es gibt immer mehr Frauen auf den Jazz-Bühnen. Aber es ist ein hartes Leben. Man muss viel aufgeben. Und dann immer der Anspruch, dabei auch noch gut auszusehen. Vielleicht sind da auch tatsächlich immer noch körperliche Barrieren: Manche Instrumente sind schwer, wie Schlagzeug und Bass, und man muss sie durch die Gegend tragen. Da muss sich noch viel in der Einstellung der Frauen ändern.

Was verändert sich musikalisch?

Wir Frauen werden zunehmend Bandleader und Produzenten. Wir sind Teil des Business. Das heißt, wir müssen uns umschauen und uns damit beschäftigen, wie wir uns vermarkten und wie wir unsere Musik promoten. Wenn wir also gesellschaftlich aktiv werden, wird das auch Einfluss auf unsere Musik haben. Wenn ich eine Kämpferin bin und mich um so vieles kümmern muss, aggressiv auftreten muss, dann kann ich als Sängerin nicht sanfte sein und nur schöne Musik produzieren. Meine Arbeit wird automatisch in eine andere Richtung gehen. Schließlich drücke ich in meiner Musik mich selbst aus, mein Leben und meine Gefühle. Ich kann nicht jemand anders auf der Bühne sein. Ich kann nur ich selbst sein.

Bandleaderin, Produzentin, Managerin, Booking Agent, Künstlerin in einer Person. Kollidieren diese Rollen?

Es ist schwer. Ich mache alles selbst, komme noch dazu von einem anderen Kontinent, singe aber amerikanische Musik. Nach so vielen Jahren ist es immer noch so, wenn ich irgendwo anrufe und die Leute hören meinen Akzent, dann heißt es: „Oh – wo kommen Sie denn her? Aha, und Sie singen Jazz??“ Ich muss also jedes Mal beweisen, dass ich das kann und Demos und CDs verschicken. Das Organisatorische frisst 90% meiner Zeit. Ich habe also nur 10% um mich zu entspannen und für die Musik. Das ist nicht genug.

Ich suche eigentlich ständig jemanden, der mir einiges abnimmt. Auf der anderen Seite ist es auch interessant, alles alleine zu machen, weil ich so den gesamten Produktionsprozess mitbekomme und kontrolliere. Um ehrlich zu sein, ich habe Angst, dass ich irgendwann nicht mehr fähig bin, einen Teil dieser Kontrolle aus den Händen zu geben.

Welchen Rat würdest Du jungen Jazz-Musikerinnen mitgeben?

Gib niemals auf! Glaube an die Musik und an das, was du tust! Und zähle nicht auf den Erfolg. Der Erfolg kommt oder auch nicht – die Musik ist das, was bleibt.

Discographie

Die aktuelle CD: 2003 „Past Forward“

2001 „River“

2000 „Fragile“
1998 „Pastels“
1996 „Don’t Let Me Go“

All by GMA Records

Ein Bericht von Martina Taubenberger/München
Copyright: Melodiva
August 2003

Autorin: Martina Taubenberger

31.07.2003