The Art and Life of Jutta Hipp
Interview mit Ilona Haberkamp
Du forschst schon viele Jahre über die deutsche Jazzpianistin Jutta Hipp, hast sie in New York besucht und 2013 die CD „Cool is Hipp is Cool“ mit deinem Ilona Haberkamp Quartet herausgebracht. Bei dieser Gelegenheit hast Du auch für MELODIVA einen Report über das Leben von Jutta Hipp geschrieben (vgl. https://www.melodiva.de/reports/jutta-hipp-pianistin-poetin-und-malerin/). Woher kommt Dein starkes Interesse für diese Frau? Ist es ihre Musik, ihre späteren Zeichnungen oder ihr Lebensweg?
Die musikalische Karriere, der Lebensweg von Jutta Hipp ist spannend wie ein Krimi. Interessant ist, dass Jutta Hipp als erste Frau und Instrumentalistin bereits in Nazideutschland in einer Männerdomäne Fuß fasst und sozusagen durch ihre musikalischen Lebensstationen selbst Teil der Entwicklung des Jazz in Deutschland bis zu ihrer Übersiedlung 1955 in die USA ist. Ihre Lebensphasen begleiten sozusagen die Jazzhistorie: angefangen im Dritten Reich, wo Jazz als „degenerate negro music“ degradiert und verboten ist, während des Zweiten Weltkrieges, als weiterhin unterdrückte Musik nach dem Einmarsch der Russen in Leipzig (ihrer Heimatstadt), dann durch ihre Flucht in den Westen um weiterhin Jazz spielen zu können, bis hin zur Emanzipation des deutschen Jazz in der Nachkriegszeit und natürlich ihre Erfolge in New York. Nachdem ich 1986 mit Iris Kramer Jutta Hipp in New York besuchte und wir sie kennenlernen konnten, hatten wir sofort eine sehr persönliche Beziehung zu ihr. Das Interesse an ihrer Person beruht natürlich nicht nur darauf, was Jutta Hipp als erste Frau im Jazz durch ihre künstlerischen Fähigkeiten erreicht hat, sondern auch dass sie mit Vorurteilen aufräumte und zeigte, dass Jazz ein Lebensgefühl ist und keine Geschlechterfrage. Sie folgte bedingungslos ihrer Leidenschaft, hat allerdings im privaten Bereich dafür einiges geopfert.
1986 hast Du Dich mit Iris Kramer („Reichlich Weiblich“) auf den Weg nach New York gemacht, um Jutta Hipp persönlich kennenzulernen. Was waren Eure Beweggründe und was habt Ihr erlebt?
Iris Kramer und ich waren Mitbegründerinnen der ersten Frauen Big Band (Jazzorchester „Reichlich Weiblich“) in Deutschland. Es war damals Mitte der 80er Jahre nebenbei bemerkt, immer noch nicht leicht, überhaupt unseren Traum von einer reinen Frauen Big Band umzusetzen. Nach einigen Recherchen, welche Frauen es überhaupt in Deutschland in der Vergangenheit gab (Iris wollte auch ihre Diplomarbeit über Frauen im Jazz schreiben), sind wir auf Jutta Hipp aufmerksam geworden.
Die Beweggründe, sie in New York zu besuchen, waren vielschichtig. Aber eines wollten wir unbedingt in Erfahrung bringen: Warum hat Jutta aufgehört zu spielen? Zu diesem Zeitpunkt war es für uns nicht zu begreifen, wie es möglich ist, sich abrupt aus der Jazzszene zu verabschieden, wenn man musikalisch so viel erreicht hat. Erlebt haben wir eine sehr freundliche, bescheidene aber auch aufgeschlossene, lustige Jutta, die mit ihrem Leben zufrieden schien. Ihr musikalischer Traum war verblasst, aber nicht überschattet, denn ihre Kreativität führte sie in der Malerei, der Poesie und Fotografie fort. Ihre Begeisterung für den Jazz blieb bis an ihr Lebensende erhalten, indem sie Jazz hörte und ihre Schallplattensammlung stetig erweiterte. Durch ihren regen Briefwechsel, vor allem mit alten Freunden und Musikern und ihrem Bruder aus Deutschland, brach der Kontakt zu Old Germany nie ab. Trotzdem kehrte sie nie wieder nach Deutschland zurück. Dafür hatte sie ganz persönliche Gründe. Unser Kontakt blieb noch lange bestehen durch Telefonate und Briefwechsel.
Hat das Deine/Eure weitere musikalische Entwicklung beeinflusst?
Ja, das kann man so sagen!! Für uns war damals klar, dass wir auf keinen Fall mit der Musik aufhören würden. So ist es auch gekommen!!
Wir waren ein wenig erschrocken, welchen Lebensstandard die Jazzmusiker allgemein in New York zum Zeitpunkt unseres Besuches hatten. In welchen Wohnungen sie wohnten und wie sie lebten. Danach haben wir verstanden, welcher Einsatz nötig ist, um zu überleben, vor allem, wenn man allein, nur auf sich gestellt ist. Nach den Gesprächen und unserem Interview mit Jutta Hipp war uns bewusst, dass es im New York der 50er ein anderer Wind herrschte und Jutta Hipp nach der Trennung ihres Mäzens Leonard Feather und ihres Agenten, es kaum allein schaffen konnte. Die Gratwanderung zwischen Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit im harten Musikbusiness einerseits und mangelndes Selbstbewusstsein, Zweifel gegenüber den eigenen Fähigkeiten, übertriebener Respekt und falsche Rücksichtnahme haben ihren eigenen musikalischen Untergang heraufbeschworen. Ich konnte das alles persönlich gut nachvollziehen.
Iris und mir war es bewusst, dass wir in Deutschland unsere musikalischen Träume einfacher erfüllen konnten. Das hätte Jutta auch gekonnt, sie hätte zurückkehren sollen. Einladungen alter Kollegen, wieder in Deutschland aufzutreten, hat sie nie angenommen. Das ist schade!!
Aber um auf deine Ausgangsfrage zurückzukommen, mich hat der Cool Jazz immer interessiert, ich liebe Chet Baker, Paul Desmond, Miles Davis, den Cool Jazz der Nachkriegsjahre in Deutschland, dazu gehört natürlich das Hans Koller Quartett und das Jutta Hipp Quintett ebenso wie die New Jazz Group Hannover aus jener Zeit. Meinen eigenen Saxophon-Sound würde ich als „cool“ und „sanft“ beschreiben. Ja, die Begegnung mit Jutta hat uns bestärkt, die Musik niemals aufzugeben. Das war das Fazit, was wir daraus gezogen haben.
Wie kam es jetzt zu der Veröffentlichung von „The Life and Art of Jutta Hipp“?
Die Idee einer Art Jutta Hipp Renaissance, d.h. sie als Künstlerin wiederzubeleben, kam uns damals schon. Am liebsten hätten wir in unserem jugendlichen Eifer natürlich gehabt, dass sich Jutta wieder dem Klavier zuwendet und vielleicht eine Reise nach Deutschland unternimmt und in unseren kühnsten Träumen, dass sie wieder mit ihren Musikerkollegen auftritt. Auch eine filmische Dokumentation war in unserem Kopf. Aber mangelnde finanzielle Mittel und karges Interesse von entsprechenden Unterstützern ließen unsere Idee zerplatzen.
Der Gedanke, etwas zu veröffentlichen, war immer da. Tauchte mal auf, ebbte mal wieder ab, denn wir waren im Besitz eines persönlichen 70-minütigen Interviews mit Jutta Hipp und ihren Korrespondenzen.
Aber eigene musikalische Projekte hatten immer Vorrang. Nach dem Tode von Jutta im Jahr 2003 wurde das alles wieder präsent. Ich plante eine musikalische Hommage, die dann erst 10 Jahre später 2013 bei der Plattenfirma Laika Records erschien. Unser musikalisches Tribute Cool is Hipp is Cool mit meinem Ilona Haberkamp Quartett (feat. Silvia Droste und Ack van Rooyen) wurde auch 2013 bei den Berliner Jazztagen aufgeführt. Da ich für dieses musikalische Projekt viel geforscht habe, wollte ich noch mehr daraus machen. Es sollte eine Art künstlerische Gesamtausgabe werden: die Musik, die Kunst und ihre Poesie miteinander zu verknüpfen, als Gesamtwerk. Diese Idee konnte ich dann mit Gerhard Evertz, der bereits im Jahre 2012 eine kleine Dokumentation über das Leben und Wirken von Jutta Hipp im Eigenverlag herausgegeben hatte, verwirklichen.
Könntest Du uns einen Überblick geben, was diese Sammlung enthält?
Diese künstlerische Gesamtausgabe ist die erste und einzige Ausgabe in dieser Fülle. Selbstverständlich konnten wir nicht alles in dem 207 Seiten umfassenden Werk unterbringen.
Enthalten ist die gesamte Biografie, die ihre musikalischen Stationen und ihr Leben nach der Musik beschreibt. Außerdem ihr gesamtes musikalisches Werk, darunter zwei unveröffentlichte Aufnahmen wie eine alte Demoaufnahme aus dem Jahre 1945, wo Jutta noch als Laie oder Anfängerin bezeichnet werden kann und drei Titel vom Newport Festival aus dem Jahre 1956, die noch im letzten Moment entdeckt wurden. Viele ihrer Zeichnungen und Gemälde, sowie Gedichte überwiegend über Jazzmusiker, manchmal auch mit passenden Zeichnungen und Korrespondenzen zieren den mittleren Teil des Buches. Es gibt einen deutsch- sowie englisch-sprachigen Teil, der mit unterschiedlichem Bildmaterial gefüllt ist, weil wir so viele Dokumente haben.
Welcher Beitrag ist von Dir und wer sind die anderen Autoren oder Herausgeber?
Ich habe die gesamte Biografie geschrieben bis auf ein Kapitel, in dem Gerhard Evertz seine interessante Begegnung mit Jutta Hipp im Jahre 1955, bevor sie nach New York emigrierte, beschreibt. Mit Gerhard Evertz zusammen habe ich die gesamte Recherche von vielen Bildern, Dokumenten, Fotos und Artikeln betrieben. Dr. Robert von Zahn ist Herausgeber des Buches Jazz in NRW und schrieb das Vorwort. Der Herausgeber der Gesamtausgabe ist Micha Gottschalk, der sich auf Jazzmusik der 50er und 60er Jahre spezialisiert hat. So ist es eine Gemeinschaftsproduktion, ohne den anderen hätte diese Jazz-Kollektion nicht zustande kommen können.
Wer hat dieses Werk initiiert und welcher Verlag hat es herausgebracht?
Manchmal ist es so im Leben, dass man zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Die Idee kam von zwei Seiten. Einmal von Micha Gottschalk und seinem Verlag Be! Jazz Records, der daran interessiert war, die gesamte Musik von Jutta Hipp herauszubringen und Gerhard und ich wollten ihre Kunst und ihre musikalische Karriere beschreiben. Zwei Ideen, die sich zu einer größeren Schöpfung verbinden. Der Verlag Be! Jazz Records hat die gesamte Ausgabe Ende Oktober herausgebracht, also diese Kollektion ist noch ganz frisch!
Du hast beim diesjährigen Jazzforum Darmstadt zum Thema „Gender & Identity“ einen Vortrag über den Klavierstil von Jutta Hipp und wie sich dieser parallel zu ihren Lebensumständen in New York veränderte, gehalten. Was hast Du festgestellt?
Jutta Hipp hatte immer bestimmte Vorbilder, denen sie sich annäherte. So sind es in jungen Jahren während des Zweiten Weltkrieges, Fud Candrix und Jimmy Lunceford, Fats Waller und Erroll Garner, Benny Goodman, aber auch Count Basie, Duke Ellington. Sie konnte sehr gut Fats Waller und Erroll Garner imitieren.
Damit erregte sie zunächst in München nach dem Krieg in den Ami Clubs Aufsehen. Die musikalische Arbeit in dem Hans Koller Quartett führte sie in eine andere Richtung, den Cool Jazz. Was ihr nicht behagte war, dass Hans Koller ihr eine bestimmte Improvisationsrichtung vorgab wie z:B. Lennie Tristano zu spielen. Anders herum entwickelte sich aber genau dadurch ihr ganz persönlicher Piano Stil. Nachdem sie die Hans Koller Band verlassen hatte, gründete sie ihr eigenes Jutta Hipp Quintett mit Emil Mangelsdorff und Joki Freund, dieses Quintett war eines der modernsten Jazzgruppen in der BRD. Juttas kontrapunktischer Piano Stil war in der Jazzszene einzigartig. Es gab in Amerika vielleicht Lennie Tristano, Dave Brubeck oder John Lewis vom Modern Jazz Quartett, die annähernd so improvisierten, aber Jutta Hipp war herausragend und wurde nicht umsonst zur besten Jazzpianistin gewählt. Nachdem sie 1955 nach New York kam, wurde sie sehr durch das Spiel von Horace Silver inspiriert, sie veränderte ihren Style, der Anschlag wurde akzentuierter und percussiver. Dies wurde wiederum von Kritikern verurteilt, die behaupteten, sie würde nun wie viele andere spielen. Allerdings sehe ich es nicht als Veränderung, sondern eher als Erweiterung ihrer Kunst, denn auf ihren Blue Note Platten spielt sie unterschiedliche Stile, welches die Vielseitigkeit ihrer pianistischen Fähigkeiten unter Beweis stellt. Ihren eigenen Stil behält sie bei. Unüberhörbar auf ihrer allerletzten Einspielung mit Zoot Sims „Violets for your furs“, oder auch auf den Hickory House Aufnahmen „Dear old Stockholm“. Jutta Hipps Stil ist „zeitlos, zuweilen durchbrochen lyrisch, zuweilen akkordisch treibend“.
Hast Du neben Jutta Hipp noch weitere Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte?
Ich leite die Big Band der Musikschule Dortmund und zwei Jazzensembles.
In Verbindung mit dem Jazz-Education Projekt der Philharmonie Essen, bereite ich Schulklassen auf Jazzkonzerte der Extraklasse vor wie Wayne Shorter, Eliane Elias, Richard Bona etc.
Weiterhin habe ich zum Thema Jazz in der ehemaligen Sowjetunion geforscht, über den Saxophon- und Improvisationsstil von Paul Desmond und bin gerade dabei, von meinem verstorbenen Professor Rainer Glen Buschmann seine gesamten Kompositionen zusammenzutragen, sprich ein Werkverzeichnis zu erstellen. Danach werde ich in seine Kompositionsarchitektur eintauchen.
Nebenbei werde ich die 100 Gedichte meines Großvaters endlich mal veröffentlichen. Die haben aber nichts mit Musik zu tun.
Welche musikalischen Projekte verfolgst Du zur Zeit?
Ich plane eine neue CD mit meinem Ilona Haberkamp Quartett, das werde ich Anfang nächsten Jahres angehen.
Und zum Schluss: Hast Du für unsere LeserInnen noch einen guten Tipp für ein Weihnachtsgeschenk? 😉
Naja, wenn du mich so fragst, kann ich meine beiden CDs empfehlen einmal „I remember Paul„, mein Paul Desmond Projekt und die musikalische Hommage an Jutta Hipp „Cool is Hipp is Cool„, beides bei Laika Records erschienen, auch die CD meiner Tochter Clara Haberkamp mit ihrem Trio „You Sea!“ und natürlich die brandneue Gesamtausgabe über „die Kunst und das Leben der Jutta Hipp“, die sich wirklich lohnt.
BE! Jazz Records, The Life and Art of Jutta Hipp, VÖ: 26.10.2015 www.negamusi.com
Autorin: Hildegard Bernasconi
11.12.2015