Suggestive Songwelten
Singer/Songwriterin Sophie Hunger in der Centralstation
Selten gelingt es Popmusikern, mit leisen Tönen mehrere hundert stehende Zuschauer im Konzert zum Verstummen zu bringen. Bei Sophie Hungers Auftritten könnte man die buchstäbliche Stecknadel fallen hören, und das nicht nur in poetischen Balladen. Die sechsundzwanzig Jahre alte Sängerin und Songschreiberin fesselt mit vielsprachigen und -schichtigen Liedern, die sich ebenso wie ihre variable Stimme ganz selbstverständlich von gängigen Mustern abheben. Schon auf den beiden hervorragenden Alben, „Sketches of Sea“ und „Monday’s Ghost“, betört Hunger mit facettenreichen Songs, assoziativen Texten und einer absichtsvoll sparsamen Klangästhetik. Auf der Bühne schafft sie mal solo, mal von sensiblen Musikern begleitet, eine geradezu intime Nähe.
Hungers Präsenz lebt von ihrem eindringlichen Gesang und einer bemerkenswert natürlichen Ausstrahlung, die sich keinen Deut um Posen schert. Stets im Sitzen, mal über die zart gepickte Westerngitarre gebeugt, mal beherzt in die Saiten einer E-Gitarre schlagend, signalisiert ihre Körperhaltung vollkommenes Eintauchen in die eigenen, suggestiven Songwelten. Zwischen den intensiven Liedern verliert sie wenige, unaufgeregte Worte, die sich meist auf einen Song beziehen, manchmal auch nur eine kleine Plauderei sind. Offensichtlich fühlt sie sich wohl im Saal der Centralstation; während eines knappen Solos von Christian Prader lehnt sie sich so entspannt auf ihrem Stuhl zurück, also säße sie auf der heimischen Veranda.
Abseits der Bühne oder in ihren bisweilen charmant humorvollen Conferencen mag Sophie Hunger zurückhaltend erscheinen. Als Sängerin hat sie große Kraftreserven und weiß souverän damit umzugehen. Selbst fragilen Momenten wohnt eine lauernde Energie inne, die sich umso mehr in insistierenden oder sprunghaften Melodien offenbart. Dabei wechselt Hunger häufig die Register, mäandert von dunklen Sprech-Einlagen über angeraut-rauchige Mitten zu leidenschaftlichen Aufschwüngen. Dringlichkeit und kontrollierte Expressivität verstärken die Aura persönlicher Courage ebenso wie manche stilistischen Wechsel. Im philosophisch-epischen „Rise And Fall“ zeigt Hunger ihr pianistisches Talent und flirtet mit Einflüssen von Klassik und Romantik, in „The Boat Is Full“ rechnet sie engagiert mit den Schweizer Nationalisten ab. Andere Songs verarbeiten atmosphärische Folk-, Rock- oder Chanson-Einflüsse.
Nicht allein das Stück „Marketplace“ ist nachhaltig von Jazz inspiriert. Auch die Band, allen voran der grandiose Posaunist Michael Flury, weiß um die Qualität von Nuancen, gezielter Reduktion, Dynamik und musikalischem Freigeist. Flurys flirrende Posaune erscheint zuweilen wie eine zweite Gesangsstimme, kann aber auch eine Trompete oder gar Streicher imitieren. Als Sänger liefert Flury zusammen mit Christian Prader manchen feinen Chorsatz, dann wieder duettiert er mit dessen Querflöte. Zudem sorgt Prader an Gitarren und Flügel für subtile Harmonien, die ebenso wie die Grooves von Bassist Simon Gerber und die Rhythmen Julian Sartorius‘ das Klangbild transparent und abwechslungsreich halten. Nicht zuletzt wecken einige eindrucksvolle neue Songs im Live-Repertoire die Gewissheit, dass von Sophie Hunger zukünftig noch viel zu hören sein wird.
Weitere Konzerttermine von Sophie Hunger s. „Konzerte“
Aktuelle CD:
Monday’s Ghost (2009)
Label: Emarcy Records
Autor: Norbert Krampf
Foto: ky./Jean-Christophe Bott
Copyright: Redaktion MELODIVA
03.06.2009