Silje Nergaard / Norwegen
"Störrisch den eigenen Weg gehen"
Aus Norwegen, dem Land der Mitternachtssonne und den wunderschönen Fjorden kommt die Sängerin Silje Nergaard. Seit einigen Jahren hat sie sich als eine der eigenständigsten Vocalistin im Jazzgenre profiliert. Doch Silje Nergaard nur als Sängerin zu bezeichnen, wäre untertrieben.
Schließlich hat sie für ihre neueste CD „At First Light“ (Universal) neun der zwölf Stücke geschrieben.
In den letzten zwölf Monaten haben sich die Ereignisse um die Skandinavierin schier überschlagen. Kaum war ihr Album „Port Of Call“ auf dem Markt konnte sie mit ihrer Band und dem 60köpfigen staatlichen norwegischen Rundfunkorchester auftreten. Drei Monate später war sie als einzige europäische Künstlerin bei der „Verve Now“-Tour durch Europa dabei.
Und last but not least stand sie beim Internationalen Jazzfestival Molde / Norwegen mit dem amerikanischen Gitarren-Superstar Pat Metheny zusammen auf einer Bühne. Und die Tour 2002 durch Deutschland dürfte nach der überaus gelungenen Platte „At First Light“ ebenfalls ein großer Erfolg werden.
Sie gab Pat Metheny einen Song von sich
Das Jazzfestival Molde war auch Ausgangspunkt der Karriere, da hatte sie als 16-Jährige ihren Durchbruch, als sie bei einer Jazzsession bei der Band des damals schon verstorbenen Bassisten Jaco Pastorius eingestiegen war. Die Frau, die sie in der Toilette singen hörte, sagte ihr, dass sie doch auch auf die Bühne gehen solle. Das tat sie und „ich wachte am nächsten Morgen in meinem Zelt auf, schlug die Zeitung auf und sah ein riesiges Bild von mir!“
Die natürliche, unaufgesetzte Art Silje Nergaards beeindruckte nicht nur das Publikum und die Kritiker, sondern auch die Musiker. Einer der ebenfalls von ihr schwer beeindruckt war, war Pat Metheny, der sie einem Produzenten empfahl und ihr so einen ersten Vertrag für das EMI-Label Lifetime besorgen konnte.
Ebenso unbedarft hatte sie Pat Metheny einen Song von sich gegeben, der diesen auch aufnahm.
Mit der gleichen Einstellung geht sie auch ins Studio und macht was ihr Herz ihr sagt. Sie singt ihre Stücke mit jungmädchenhafter Stimme, einschmeichelnd, sirenengleich und läßt einem auch die Texte direkt ins Herz gehen.
Seit ihrer ersten Veröffentlichung 1990 ist viel passiert
„Die neue Platte ist meine siebte Veröffentlichung. Ich habe sehr verschiedene Sachen ausprobiert, weil mein Herz für viele verschiedene Musikrichtungen schlägt (u.a. zwei Platten in norwegischer Sprache, davon eine mit einem achtköpfigen männlichen Gesangsensemble). Meine Plattenfirmen waren da immer sehr kulant mit mir. Viele Künstler wissen genau, was sie wollen, in mir gibt es eine Menge Variationen. Jazz ist allerdings die Wurzel, zu der ich immer wieder zurückkehre.
Deswegen ist „Port Of Call“ auch eine fast reine Jazzplatten geworden, um mich von da aus wieder nie zu organisieren und an meinen eigenen Kompositionen zu arbeiten. Ich fühle mich in der norwegischen Landschaft sehr kreativ.“
Silje Nergaard schreibt ihre Stücke, erst danach kommen die Texte. Dieser Weg ist etwas ungewöhnlich doch für die Sängerin der einzig logische. „Ich bin in erster Linie Komponistin. Ich habe zwar eine starke Ahnung, um was es in den Stücken textlich gehen sollte, ab und zu reicht es auch einmal für eine Textzeile, aber ganze Texte schreiben…. Da gebe ich die fertigen Kompositionen lieber zu meinem Texter Mike McGurk. Er versteht die Atmosphäre in den Stücken, und wir müssen nur selten argumentieren. Ich nenne ihn immer meinen Handschuh, denn die Texte des schottischen Dichters passen wie ein Handschuh zu meinen Stücken.“
Kreativität enspringt aus ihrem Gleichgewicht
Die Besetzung ist manchmal etwas außergewöhnlich. Zur Working Band gesellen sich Gäste wie zum Beispiel auch der deutsche Trompeter Till Brönner oder ein Streichensemble. Aber überarrangiert wäre das letzte was man über Silje Nergaards Musik sagen kann.
„Wir wollen immer das Herz des Songs haben. Keine Dekorationen, nicht zu viele Schnörkel. Deshalb ist auch der Anteil der Solos klein gehalten. Meine Musiker verstehen das, und wenn kein Solo nötig ist, dann wird eben keines gespielt.“
Neben der Musik ist Silje Nergaard auch Mutter. Ihre viereinhalbjährige Tochter Erle ist das wichtigste in ihrem Leben. Ihre Tochter ist es gewöhnt, dass Mama manchmal weggeht und dann wieder kommt. „Manchmal nehme ich sie auch mit, da sie gerne da ist wo was los ist. Außerdem reist sie gerne. Aber es ist nicht einfach. Ich möchte alles in Balance halten. Meine Kreativität entspringt aus einem Gleichgewicht. Ich kann nicht aus einer unglücklichen Stimmung heraus schreiben. Mich inspiriert es, mit meiner Tochter zusammen zu sein, weil die kindliche Energie noch nicht von dem ganzen „das geht nicht, das darfst du nicht“ der Erwachsenen gebremst ist.“
Frauen haben es schwerer im Musikbusiness
Silje Nergaard musste nie die Erfahrung machen, dass es Frauen schwerer im Musikbusiness haben. „Wenn du deine Leidenschaft entdeckt hast, dann kann dich nichts stoppen. Leidenschaften können sich allerdings ändern. Ich habe eigentlich nicht die Erfahrung gemacht, daß man als Frau im Musikbusiness benachteiligt ist. Das hat aber auch vielleicht damit zu tun, dass ich Sängerin bin, da ist der Status ein bisschen anders. Vielleicht hat es aber auch mit meinem Charakter zu tun. Ich kann sehr störrisch sein und bin schwer davon abzubringen, meinen Weg zu gehen. Das möchte ich auch allen Frauen, die Musik machen, raten: Störrisch sein, und zielstrebig den eigenen Weg gehen!“
Aktuelle CD
Silje Neergard, at first light
Copyright: Redaktion Melodiva
Autorin: Angela Ballhorn
30.04.2002