„ShePOP – Frauen.Macht.Musik“ schreibt Popgeschichte neu
Ein Besuch im rock’n’popmuseum in Gronau
Die in Kooperation mit den Universitäten Oldenburg und Paderborn entstandene Ausstellung zeigt auf ca. 800 qm unzählige Akteurinnen des Musikbusiness und vermittelt – sofern man Zeit mitbringt und sich in die Texte vertiefen kann – deren kulturhistorische Entwicklung und Bedeutung. Sie stellt Frauen vor, die Rock- und Popgeschichte geschrieben haben, oftmals ohne je gewürdigt zu werden, und wirft Schlaglichter auf charakteristische Geschichten von im Musikbereich tätigen Frauen in unterschiedlichen Phasen, Genres und Arbeitsbedingungen. Neben dem musikalisch-kreativen Focus zeigt die Ausstellung so auch die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge und „subjektive Positionen (…), die einen Eindruck von den Schwierigkeiten, aber auch den Erfolgen jahrzehntelanger Emanzipationskämpfe konkretisieren und lebensnah erden“, so heißt es im Katalog zur Ausstellung (S.10).
Tatsächlich war es die Diskussion um die Frauenquote gewesen, die das rock’n’pop Museum in Gronau vor anderthalb Jahren dazu bewogen hat, sich dem Thema mit einer Sonderausstellung zu widmen. Denn zwar waren und sind Frauen seit jeher an der Produktion aller Aspekte der Popmusik beteiligt – was die Ausstellung eindrucksvoll belegt – aber der Mangel an Role Models und die größere Schwellenangst haben mit zahllosen anderen Faktoren dazu geführt, dass sie sich nicht im gleichen Maße im Musikbusiness engagierten wie Männer. Darüber können auch einige wenige weibliche Megastars nicht hinweg täuschen. Und nicht umsonst heißt der Untertitel der Ausstellung „Frauen.Macht.Musik“: „Zum einen sollen die komplexen Machtstrukturen, die das Wirken von Frauen im Musikgeschehen schon immer umgeben und mitunter verkompliziert haben, beleuchtet werden, zum anderen soll aber auch das emanzipatorische Potential von Popkultur in den Blick genommen werden, das Mädchen und Frauen die Möglichkeit bietet, sich abseits festgefahrener Geschlechterstereotype zu entwerfen“ (S. 19). Das heißt, Frauen unterliegen einerseits den Machtstrukturen des Musikbusiness, üben aber auch selbst Macht aus. Eine Frau, die sich im Popgeschäft zu behaupten weiß, hat entweder gelernt, mit den rollenspezifischen Anforderungen klarzukommen und sich mit dem von der Plattenfirma entworfenen Image zu arrangieren; sie kann aber genauso gut die enorme emanzipatorische Kraft der Popkultur für sich nutzen und mit einem Gegenentwurf ihre eigene Musik zu etablieren versuchen.
Thematisch behandelt die Ausstellung alle Bereiche der Rock- und Popmusik, ganz gleich ob vor, auf oder hinter der Bühne – und dies spiegelt sich auch in der räumlichen Anordnung der Ausstellung wider. Das Kuratorinnenteam der Unis Oldenburg und Paderborn hat sich für eine Dreiteilung der Ausstellung entschieden und unterscheidet die Bereiche „vor“, „auf“ und „hinter der Bühne“.
Vor der Bühne: Fans, Groupies, FotografInnen & JournalistInnen
Das Publikum betritt zuerst einen angedeuteten Konzertraum und schaut auf eine riesige Bühne, hinter der eine Videoleinwand aufgebaut ist. Diese kann mit einem Mischpult per Touchscreen angesteuert und so Videos von verschiedenen Frauenbands im Laufe der Geschichte aufgerufen werden. Von den 60er Jahren bis ins neue Jahrtausend geht der Streifzug, so unterschiedliche Bands und „Girlgroups“ wie The Supremes, Girlschool, Hole, Spice Girls, The Go-Go’s, The Ronettes, Babes in Toyland, Le Tigre, usw. werden auf der großen Leinwand wieder zum Leben erweckt.
Der Bereich vor der Bühne gehört den weiblichen Fans und soll „eindrucksvoll die Euphorie und Leidenschaft, die sie für ihre Idole aufbringen“ zeigen. Die Besucher können hier verschiedene Bühnenoutfits bekannter Künstlerinnen wie Madonna, Ina Deter oder Lady Bitch Ray aus der Nähe betrachten, sowie Stars im Kleinformat – als Fan-Barbiepuppe. Nähert man sich lebensgroßen, scherenschnittartigen „Fans“ aus Pappe, beginnen verschiedene O-Töne etwa von einer Besucherin des Ladyfestes oder von der Produzentin und Musikerin Gudrun Gut, die im Interview über Konkurrenzgefühl unter Musikerinnen und ihr Verhältnis zur Technik spricht.
Fotografinnen wie Melissa Hostetler, Tina Bara, Katja Ruge und Jeannette Petri und ihren Werken, die sich mit Bildern von Livekonzerten oder Künstlerinnen-Porträts einen Namen gemacht haben, ist mit einigen Stellwänden ebenfalls ein Teil der Ausstellung gewidmet. Musikmagazine und Fanzines sind in einem Schrank ausgelegt und können durchgeblättert werden.
Ein nur Erwachsenen zugängliches Separée zeigt die exzessive Seite des Fankults wie z.B. Penis-Abdrücke von Jimi Hendrix von Cynthia Plaster Caster.
Auf der Bühne: Musikerinnen
Auf der riesigen Bühne nun sind mehrere „Instrumente“ als Stationen aufgebaut, an denen jeweils die Lebensgeschichte einer Musikerin per Video abgerufen werden kann, indem man eine „Saite“ oder „Taste“ anschlägt. Das sind Musikerinnen, die mit dem betreffenden Instrument assoziiert werden wie z.B. Bernadette La Hengst an der E-Gitarre oder Melissa auf der Maur von den Smashing Pumpkins am E-Bass. Nur schade, dass sich diese Instrumente als Fake erweisen. So erfährt das Publikum zwar interessante Geschichten von Carole King, Nina Hagen und der Drummerin Meg White von den White Stripes, aber die Chance, Mädchen oder junge Frauen an die Instrumente zu locken und zum Ausprobieren zu animieren, wurde mit diesen Attrappen leider vertan.
Hinter der Bühne: Songwriterinnen, Labelchefinnen, Produzentinnen, Veranstalterinnen
Der Bereich hinter der Bühne widmet sich „voll und ganz den Frauen, die sonst nicht zu sehen sind“: Songwriterinnen, Produzentinnen, Frauenlabels, u.v.m. Hier ist z.B. das Original-Büro des Labels Flittchen Records zu besichtigen, welches als unabhängiges Plattenlabel 1998 von Almut Klotz und Christiane Rösinger in Berlin gegründet wurde. Eine Kabine stellt Songwriterinnen vor, den größten Teil des hinteren Bereichs nimmt jedoch ein sog. „Infolabyrinth“ ein, in dem die Besucherin per Kopfhörer an verschiedenen Bildschirmen interessante kurze Abrisse anschauen und -hören kann. Diese betreffen zum einen Frauen-Festivals, die Frauenbewegung und Labels, aber auch viele Themenbereiche, die eigentlich auf die Bühne gehören würden wie Blues-Ladies, Ikonen, Queers, Superstars oder Pionierinnen.
In diesem Labyrinth sind wahrhaft interessante Entdeckungen zu machen, wenn auch die Texte nicht sehr lang sind und kaum in die Tiefe gehen. An der Station „Pionierinnen“ erfährt das Publikum z.B. von der Soundingenieurin Delia Derbyhire (1937-2001), die schon in den 60er Jahren mit einem experimentellen Tanzstück Entwicklungen des Techno vorwegnahm, was aber erst nach nach ihrem Tod bekannt wurde. Die Station der Ikonen informiert u.a. über Janis Joplin, die in nur sechs Jahren zu Berühmtheit gelangt war, und unterstreicht ihre Bedeutung als rauchendes, trinkendes, fluchendes und sich nicht um Konventionen scherendes Role Model für die Frauen von damals. Dort erfährt man z.B. auch, dass Patti Smith und Joni Mitchell sich gezwungen sahen, ihre ersten Kinder zur Adoption zu geben, um als Musikerin leben zu können. Unter „Blues Ladies“ erfährt die Leserin, dass sich als eine der ersten Bluesmusikerinnen Memphis Minnie (1897 – 1973) einen Namen machte.
„Girl Groups“ spannt einen Bogen von den Boswell und Andrew Sisters in den 30er und 40er Jahren zu den Supremes, die in den USA der 60er Jahre sogar so beliebt wie die Beatles waren, zu den Pointer Sisters, The Bangles und den Spice Girls der neueren Zeit. Hier wird die Pionierfunktion der Girls Groups als Role Models unterstrichen, die erstmals jungen Frauen auf breiter Basis den Weg ins Popmusik-Business ebneten. Der Infopoint „Festivals“ informiert über Frauenfestivals unterschiedlicher Ausrichtung wie Venus Weltklang (1981) oder Lilith Fair. Unter „Frauenbewegung“ werden Musikerinnen wie Helen Reddy, Nina Hagen und Ina Deter gewürdigt, die in ihren Songs klare Statements zu Abtreibung und Selbstbestimmung abgaben, sowie die Bewegung der Riot Grrrls in den 90er Jahren mit der einzigen Riot Grrrls Band Deutschlands, Parole Trixi.
Um das Labyrinth herum zeigen große Foto-Stellwände die Künstlerin Peaches 2008 während einer Konzert-Tour.
Eine weitere Stellwand präsentiert das Comic „Wanna Be A Star – Wege durchs Musikgeschäft“, in dem drei mögliche „Karriere“-Verläufe von Musikerinnen dargestellt sind: ein Mädchen bewirbt sich zu Beginn bei einem Casting, ein anderes schreibt Songs und sucht eine Band, und eine dritte hat eine neue Software und träumt davon, damit einen Clubhit zu produzieren. Die drei fiktiven Freundinnen um die 20 werden auf ihrem Weg in die Musik begleitet und machen ganz unterschiedliche Erfahrungen; „aber allen begegnen im Musikbusiness vor allem Männer“. Alle drei scheitern erst einmal, an den Produzenten, der Presse, den Bandkollegen oder – wie bei der dritten im Bunde – an der eigenen Naivität und Unwissenheit. Am Ende sind sie um eine Erfahrung reicher. Die wichtigste Botschaft jedoch ist: sie lassen sich nicht unterkriegen und machen am Ende weiter, und zwar nach ihren eigenen Vorstellungen. Und: it’s a long and winding road! Dieses Comic ist zwar recht plakativ, aber gerade für Jugendliche informativ und dürfte mit gängigen Vorstellungen aufräumen, gerade was die bei Jugendlichen sehr beliebten Castings angeht. Die letzte Seite klärt über Major und Independent Labels auf und endet mit einem Zitat von Claire Parr, die leitende Positionen in Labels innehat: „I don’t think it’s a man’s world. I know it’s a man’s world, especially from a business standpoint“.
Schließlich und endlich gibt es auch noch etwas zum Mitmachen: in der sog. Greenbox können mutige BesucherInnen einen Ausflug in die Welt der Megastars wagen und im Kostüm von Lady Gaga, Amy Winehouse oder Kate Perry Karaoke (!) singen. Für wenige Euro kann man davon ein Musikvideo produzieren lassen und auf einem USB-Stick nach Hause nehmen. Im Anschluss lohnt ein Abstecher in das Klischeekino, „wo diverse Klischees der weiblichen Rock- und Popmusik mit entsprechend aussagekräftigen Videoclips bedient werden“ (was wir beides leider aus zeitlichen Gründen nicht mehr testen konnten).
An der Kasse gibt es noch den gleichnamigen Katalog zur Ausstellung zu kaufen, der inhaltlich mehr in die Tiefe geht und unbedingt zu empfehlen ist. Der von Thomas Mania, Sonja Eismann, Christoph Jacke, Monika Bloss und Susanne Binas-Preisendörfer herausgegebene Band wirft z.B. einen Blick auf Sexualität und Weiblichkeitsnormen, erzählt die Geschichte von Damenkapellen, referiert über die Zuschreibung der E-Gitarre als männliches Instrument, u.v.m. Er enthält Beiträge von u.a. Sheila Whiteley, Anette Baldauf & Katharina Weingartner, Rosa Reitsamer, Birgit Richard und Diedrich Diederichsen.
Fazit
„ShePOP“ sollte man möglichst zu den ruhigeren Öffnungszeiten besuchen, denn die Ausstellung dürfte bei hohem Besucherandrang ihre Schwächen haben. Auf das Infolabyrinth als eine der Haupt-Präsentationsarten zu setzen, könnte sich dann nämlich als nachteilig erweisen. Nur wenige können um einen Infoplatz herumstehen und wer keinen Kopfhörer ergattern und den Text starten kann, muss synchron mit dem Nachbarn mitlesen oder warten, bis der Kopfhörer frei wird. So haben die MacherInnen ein unfreiwilliges Hindernis für die BesucherInnen geschaffen und die dargestellten Frauen einmal mehr nicht wirklich aus der „Versenkung“ geholt! Schon der optische Eindruck dieses Raums stimmt merkwürdig: in der Mitte ist das Infolabyrinth mit den Bildschirmen zu sehen, das wohl neugierig machen soll, letztlich aber mehr versteckt als sichtbar macht. Drum herum stechen die riesigen Foto-Stellwände von Peaches ins Auge, die überproportional viel Platz „wegnehmen“. Hier wurde meiner Meinung nach an einer wichtigen Stelle auf Präsentationsfläche verzichtet, und dafür der Foto-Ausstellung eines Fotografen übermäßig viel Raum eingeräumt.
Ein weiteres Manko ergibt sich für mich durch den Bühnenaufbau, bei dem man/frau mit Blick auf die vermeintlichen Instrumente Lust bekommt, selbst Musik zu machen, dann aber durch die Fakes enttäuscht wird. Ist es vom Unterhalt zu teuer, richtige Instrumente „plugged“ und mit Kopfhörer bereit zu stellen, damit die Mädchen und Frauen im Publikum sich nicht nur ihre potentiellen Role Models anschauen, sondern gleich selbst ans Werk machen können? (aber wer weiß, vielleicht säßen dort am Ende wieder nur die Jungs…)
Kurz gesagt: „ShePOP“ ist eine Ausstellung, die ihre kleinen Schwächen hat, aber auf jeden Fall eine Reise wert ist.
rock’n’pop museum
Udo-Lindenberg-Platz 1
48599 Gronau
Tel.: 02562-81480
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Öffnungszeiten: Dienstag nach Absprache, Mi-So 10-18 Uhr
Eintritt: Erw. 7,50 €, erm. 5.-€, Kinder bis 6 Jahre gratis; spezielle Tarife für Familien.
Autorin: Mane Stelzer
26.04.2013