Sandy Evans/Australien
Saxes down under!
„…so um die zehn Projekte“
Eine genaue Anzahl der Projekte, mit denen sie momentan arbeitet, kann die australische Saxophonistin Sandy Evans nur ungefähr angeben. „Ich glaube, in so um die zehn Projekten arbeite ich mehr oder weniger regelmäßig.“
Da sind dann Bigband-Formationen dabei, für die sie auch schreibt, wie aber auch ihre Bands unter eigenem Namen. Im Jahr 2002 sind zwei grundverschiedene CDs von der Tenor- und Sopransaxophonistin erschienen.
„Not In The Mood“ ist eine Trio-Einspielung mit dem Bassisten Brendan Clarke und dem Schlagzeuger Toby Hall, mit dem Sandy Evans in den verschiedensten Projekten zusammen arbeitet. Sowohl am Tenor- wie auch am Sopransaxophon hat die Australierin ihren ganz eigenen Sound.
Und mit ihrem Trio, das traditionellere Elemente der Triobesetzung mit Funk und asiatischen Melodien vermischt, hat sie eine eigene Kompositionssprache gefunden.
Ganz anders dagegen die Band Clarion Fracture Zone, die es im vergangenen Jahr mit dem Martenitsa Choir aufgenommen hat. Hier spielt eine sechsköpfige Band mit drei Bläsern (Sandy Evans – ts und ss, Tony Gorman – ts, ss, cl und Paul Cutlan – ts, as, bcl) zusammen mit einem vielköpfigen Chor. Der Martenitsa Choir unter der Leitung von Mara und Llew Kiek ist ein klangstarkes und vielsprachiges Organ. Teilweise stehen die Texte in ihrer bulgarischen und gällischen Originalsprache. Anders als bei Jan Garbareks Zusammenarbeit mit dem Hilliard Ensemble wird der Chorklang durch die Saxophone und Klarinetten mehr im Satz verstärkt denn als Improvisationshintergrund verwendet.
Tony Gorman, Sandy Evans und der Pianist Alister Spence schaffen mit ihren ausdrucksstarken Kompositionen einen homogenen Klangkörper, der zum häufigen Anhören anregt.
Ein drittes großes Werk wurde ebenfalls 2002 in Szene gesetzt. Sandy Evans hatte einen Kompositionsauftrag erhalten und ein „Testimony“ geschrieben, zur Erinnerung an Charlie Parker. 1999 entstanden die ersten Entwürfe für Kompositionen und Texte des amerikanischen Autors Yusef Komunyakaa. Zuerst entstand das „Testimony“ für den Rundfunk, doch 2002 sollte es auch auf die Bühne gebracht werden: Elf Kompositionen durch Texte verbunden, von 15 Musikern gespielt (dem Australian Art Orchestra), vor einer Leinwand, die Bilder von Parker, abstrakte geometrische Umrisse und viel Licht, welches die Musiker, die auf verschiedenen Ebenen vor der Leinwand spielten, in scharfe Schattenrisse verwandelte. Die Kritiker waren begeistert, und auch Sandy Evans zeigt sich ganz zufrieden mit ihrem Werk, das Ende Oktober letzten Jahres uraufgeführt wurde.
Neben diesen zeitfressenden Projekten spielt sie noch Weltmusik mit einer Koto-Spielerin und arbeitet mit einer Saxophonkollegin in einem Quartett zusammen.
„Das breitgefächerte Interesse stammt wohl aus meiner Anfangszeit als improvisierende Musikerin. Ich habe meine Schulzeit in Singapur beendet, und seither habe ich auch ein großes Interesse an asiatischer Musik. Ich war am Jazzkonservatorium in Sydney, meine Wurzeln waren damals aber im Punk-Jazz, wenn man das so nennen darf. Das war in den frühen 80ern und ich weiß nicht, wohin der verschwunden ist.
Ich habe mit `Great White Noise‘ gespielt. `Women and Children First‘ war meine eigene Band, für die ich einen Bus gekauft habe. Wir waren auf einer siebenmonatigen Tour durch Australien und haben in allen möglichen Orten gespielt, auch in Orten, wo es nie Jazz gab. Das hat mich sehr geprägt. Danach ging ich nach Europa und Amerika, um zu studieren und lebte ein Jahr in Schottland. 1988 bin ich nach Australien zurück gegangen und arbeitete.
Momentan arbeite ich in zehn verschiedenen Bands. Eine heißt `The Catholics‘, die World Music spielen. Das erfordert Jazz- und Tanzmusikqualitäten, sehr grooveorientiert mit tollen Solos.
Auf der anderen Seite habe ich das Ensemble `austraLYSIS‘ mit einem Engländer, der nach Australien gezogen ist. Wir machen Sachen mit Computer-Interaktion. Dazwischen liegen all die anderen Projekte. Mein Trio schöpft aus meinen Erfahrungen wie auch mein zehnköpfiges Ensemble `Ten Part Invention‘. Die Band ist ein Vehikel für australische Komponisten, die eine Chance haben für ein zehnköpfiges Ensemble zu schreiben.“
Eigentlich schade, dass vom australischen Jazz so wenig in Europa zu hören ist. Sydney zum Beispiel hat eine sehr lebendige Jazzszene, die häufig im asiatischen Raum zu hören ist. „Europa und Amerika ist einfach zu weit weg und damit zu teuer“ sagt Sandy Evans und fügt gleich noch lachend hinzu „und der Zeitunterschied zum Anrufen kommt dann auch noch erschwerend hinzu…“
Projekte und … der Zeitunterschied
Melodiva: Was ist dein musikalischer Hintergrund?
Sandy Evans: Ich bin in Sydney aufgewachsen und habe mit der Flöte angefangen, der typische klassische Hintergrund. Aber ich begann mich schon früh für Improvisation zu interessieren. Deshalb habe ich mit 14 Jahren mit dem Altsaxophon angefangen. Freie Improvisation hat mich ebenso sehr interessiert wie alles andere, mein Geschmack war also breit gefächert.
Mit dem Ensemble Clarion Fracture Zone, spiele ich schon lange. Die Band wird von Alyster Spence, meinem Ehemann Tony Gorman und mir geleitet.
Melodiva: Das funktioniert mit drei Leadern?
Sandy Evans: Offensichtlich, denn wir haben jetzt schon die fünfte Platte eingespielt. Die erste kam übrigens auf dem deutschen Label von Vera Bra auf den Markt. Mit der Band waren wir auch ein paar Mal in Deutschland. Irgendwie fühlt es sich nicht gut an, die Band weiterlaufen zu lassen, da Tony nicht mehr spielen kann (Sandys Ehemann leidet an MS).
Dann gibt es das Australian Art Orchestra, das von dem Pianisten Paul Grabowsky geleitet wird. Das war ein Projekt mit Puppenspiel, sehr interessant. Er ist jemand, der Ideen verteilen kann. Er bringt Leute dazu, Sachen zu machen. Diese 19köpfige Band tritt natürlich nicht oft auf, das wäre einfach zu schwierig zu koordinieren und zu teuer.
Ich spiele noch mit mehreren Bands, z. B. mit einer Koto-Spielerin, die die Koto bekannter machen soll, und einem Percussionisten. Dieses Trio ist natürlich ganz anders als meine anderen Bands.
Ich spiele mit einer Sängerin zusammen, die von Cassandra Wilson beeinflusst ist, und außerdem mit einer anderen Saxophonistin, die auch hervorragende Sachen schreibt.
Melodiva: Kommst da nicht durcheinander?
Sandy Evans: Jeder macht das so in Sydney…. Wir mögen es, und bisher bin ich noch nicht durcheinander gekommen! In Sydney gibt es das selbe Problem wie in anderen Städten – zu wenige Gigs, und die auch noch schlecht bezahlt. Tourneen nach Europa sind schwierig zu organisieren, nicht nur, weil es zu teuer wäre, sondern auch wegen dem Zeitunterschied. Deshalb ist die Verbindung nach Asien viel stärker.
Der Baum ein Fluss?
Melodiva: Wer hat dich dann beeinflusst?
Sandy Evans: John Coltrane und ein paar australische Musiker, die man vermutlich nicht so kennt außerhalb unseres Kontinents. Viele meiner Lehrer am Konservatorium haben mich beeinflusst. Ich habe letztlich viel Roland Kirk angehört. Die klassischen Tenoristen wie Joe Henderson und Sonny Rollins sind mir natürlich auch wichtig. Meine Verbindung zur 60er Jahre Avantgarde mit Coltrane und Eric Dolphy ist sehr stark. Aber ich hatte einen Punkt in meinem Leben erreicht, das war 1986. Als ich herausgefunden habe, dass ich eine freiere Musikerin bin. Ich wollte aber mehr Kontrolle der Form etc. haben. Deshalb bin ich nach Amerika gegangen und habe bei Joe Lovano studiert. Er hat nie geurteilt und mir gesagt, ich solle wie der oder der klingen. Ich sollte meine Vorstellungskraft befreien, je stärker deine Ohren, deine Artikulation, deine Kontrolle über das Instrument sind, desto mehr kannst du dich frei machen. Dann habe ich herausgefunden, dass ich mehr Disziplin in meiner Musik haben möchte. Ich spiele mehr traditionell, und ich habe in einer Band namens Mara gespielt – osteuropäische Volksmusik aus Bulgarien. Da habe ich auch Disziplin gelernt. Jetzt kann ich alles loslassen und in alle Richtungen gehen.
Ich erinnere mich, dass ich eine Art Zen Haiku gelesen habe, der sich darum drehte, dass der Baum ein Baum ist und ein Fluss ein Fluss dann ist der Baum kein Baum und der Fluss kein Fluss, und am Schluss ist der Baum wieder ein Baum und der Fluss wieder ein Fluss. Ich habe diesen Endpunkt noch nicht wieder erreicht, bin aber auf dem Weg.
Melodiva: Ich denke, gerade als Tenorsaxophonistin ist es schwierig, seine eigene Stimme zu finden, weil es einfach zu viele gute SpielerInnen gibt.
Sandy Evans: Am Anfang war es sehr schwer für mich. Jeder hatte sein Idol, wie das er klingen wollte, und auf einmal klangen alle wie Michael Brecker…. Das ist besser jetzt. Ich habe den Sound von Michael Brecker und seine Virtuosität bewundert, aber ich wollte nie kopieren. Es ist schwer, etwas Neues zu machen als Saxophonistin, und ich glaube auch nicht, dass ich etwas Neues gemacht habe, aber ich bin zufrieden mit dem, was ich mache.
Discografie:
CD – Sandy Evans Trio – Not In The Mood
(Vertrieb- Newmarket)
http://www.newmarketmusic.com
CD – Clarion Fracture Zone – With The Martenitsa Choir `Canticle‘
(Label: Rufus, Vertrieb: Universal)
www.rufusrecords.com.au
Copyright: Redaktion Melodiva
28.02.2003