Buchtipp: „Musikpraxis und ein gutes Leben“

Welchen Wert haben ethische Konzeptionen für die Musikpädagogik?

In der nordamerikanischen und der deutschen Musikpädagogik gibt es seit einigen Jahrzehnten eine Diskussion darüber, ob Musikunterricht junge Menschen dazu befähigen kann, ein gutes Leben zu führen. Eine Neuerscheinung hat sich im September letzten Jahres daran gemacht, an diese Diskussion anzuknüpfen. Die Autorin Daniela Bartels thematisiert u.a. die folgenden Fragen: Warum und unter welchen Bedingungen kann das Musizieren als ein Bestandteil eines guten Lebens aufgefasst werden? Aus welchen Gründen ist es lohnenswert, dass Menschen in musikpädagogischen Leitungspositionen neben musikalischen auch ethische Ziele verfolgen?

Der Buchtitel „Musikpraxis und ein gutes Leben“ von Daniela Bartels sprach mich an, und die Frage, welchen Wert ethische Konzeptionen eines guten Lebens für die Musikpädagogik und umgekehrt haben, geisterte in dieser und ähnlicher Fragestellung schon das ein oder andere Mal in meinem Kopf herum, da ich selbst seit mehr als 20 Jahren im musikpädagogischen Bereich arbeite. Daniela Bartels (Jahrgang 1982) hat sich dieses Themas in ihrer Dissertation angenommen. Sehr akribisch hat die Studienrätin für Musik und Englisch mit Schwerpunkt Gesang und Jazzchorleitung beleuchtet, was Musikpraxis für die Entwicklung des Menschen für eine Bedeutung hat. In sieben Kapiteln und auf 186 Seiten untersucht sie, inwieweit Musikunterricht junge Menschen dazu befähigen kann, ein gutes Leben zu führen.

Sehr umsichtig ist sie mit den unterschiedlichsten Definitionen. Was ist ein „gutes Leben“? Wie wird im musikpädagogischen Bereich gearbeitet? Wie wird unterrichtet? Dabei unterscheidet sie zwischen Musikunterricht in der Schule, wo über Singen neue Kenntnisse wie die Funktion und das Lesen des Bassschlüssels erarbeitet werden einerseits und dem Instrumentalunterricht im 1:1 Einzelunterricht bzw. in der Gruppe andererseits. Wie viel Mitsprache- oder Mitgestaltungsrechte haben die Schüler*innen?

Viele Querverweise, Quellenangaben und Literaturzitate machen das Buch zu keiner einfachen Kost, aber dieses Schriftstück ist eine Dissertation und keine populärwissenschaftliche Untersuchung. Gründlich untersucht Daniela Bartels die Verbindungen zwischen philosophischem Denken und unterrichtspraktischen Überlegungen, und steuert konkrete Beispiele aus dem Schulalltag bei. Interessante Aspekte, inwieweit sich der Erwerb bestimmter Grundfähigkeiten oder Fortschritte messen lassen, da vieles in den Bereich der Interpretation der*s Außenstehenden fällt, regen ebenso zum Nachdenken an wie andere Ansätze wie z.B. die These der US-Philosophin Martha Nussbaum, die den Menschen nicht primär als Mangelwesen ansieht, sondern die vorhandenen Kräfte und Fähigkeiten in den Vordergrund stellt. Dadurch ergibt sich eine besondere Philosophie der Lebenskunst, in der Musiklehrer*innen ihren Schüler*innen Raum lassen, ihre Probleme selbständig zu lösen. Sie erziehen junge Menschen so zum eigenständigen Reflektieren.

„Selbstgestaltung“ nimmt in Bartels‘ Dissertationsschrift einen wichtigen Platz ein. Kann man musisch-künstlerischen Aktivitäten einen Wert zusprechen, der der Selbst- und Sozialkompetenz zugute kommt? Wie kann anhand Musikunterricht – egal, ob in der Schulklasse oder im Instrumentalunterricht – so gearbeitet werden, dass die Schüler*innen bestmöglich und ideal gefördert werden? Wie können musikalische Praxen zu einem „guten Leben“ beitragen? Sehr versöhnlich endet Bartels‘ Fazit, indem sie Hannah Arendt zitiert und den verantwortlichen Musiklehrer*innen eine Last von den Schultern nimmt. Vergessen und verzeihen gehörten zum Prozess des Musik Erlernens dazu. Sie ermutige alle Menschen, die Verantwortung für andere übernehmen, im Leben selbst zu handeln und in die eigenen, aber auch prinzipiell in die Fähigkeiten der anderen zu vertrauen. In diesem Umfeld könnten sich Heranwachsende selbst im Handeln üben.

Daniela Bartels Buch ist somit eine gute Anregung für junge und auch schon erfahrene Musikpädagog*innen, sich neu über Sinn und Werte ihrer Arbeit zu positionieren.

Über die Autorin: Von 2009 bis 2013 war Daniel Bartels zunächst als Referendarin und danach als Musik- und Englischlehrerin an der Clay-Schule tätig. Hier setzte sie ihre musikpädagogischen Schwerpunkte auf die Band- und Chorarbeit. Von 2013 bis 2017 lehrte und promovierte Daniela Bartels als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar. Zeitgleich gründete und leitete sie in Berlin den Pop/Jazz-Chor „zimmmt“, in dem bis heute allen Sänger*innen künstlerische Mitbestimmung und die Übernahme künstlerischer Verantwortung ermöglicht wird. Von 2017 bis 2019 war sie als hauptamtlich Lehrende im Lernbereich „Ästhetische Erziehung“ an der Universität zu Köln tätig. Seit April 2019 lehrt Daniela Bartels als Gastprofessorin an der UdK Berlin. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Philosophie der Musikpädagogik, Musikpädagogik und Ethik und die Verknüpfung von Theorie und Praxis in der Musikpädagogik, z. B. im Rahmen der Weiterentwicklung des Ansatzes einer demokratischen Chorpraxis (Quelle: UdK Berlin).

Daniela Bartels‘ Dissertationsschrift „Musikpraxis und ein gutes Leben – Welchen Wert haben ethische Konzeptionen für die Musikpädagogik?“ ist 2018 im Wißner-Verlag, als Band 146 in der Reihe „Forum Musikpädagogik“ erschienen.

186 Seiten | ISBN 978-3-95786-156-6 | 29,80 €

Infos

Autorin: Angela Ballhorn

30.10.2019