Musikerinnen heute
Die Ergebnisse der MELODIVA-Umfrage Teil 2
Die Motivation, junge Mädchen in der Popmusik gezielt zu fördern und sie mit geschlechtsspezifischen Angeboten an die Instrumente locken zu wollen, erscheint obsolet: gehen junge Musikerinnen heute nicht bereits unbeirrt und selbstbewusst ihren Weg und nehmen sich, was ihnen zusteht? Jedes Mädchen kann doch heutzutage, ohne schief angeschaut zu werden, eine E-Gitarre kaufen und Unterricht nehmen oder sich per Youtube-Video das Spielen autodidaktisch beibringen! Und es gibt doch immer mehr weibliche Gesichter auf Jazzfestivals als früher! Gerade neulich, da hab ich doch eins in einem Flyer gesehen, wann war das doch gleich… Die wollen halt alle nicht! Den Job des professionellen Musikers halten halt nur die harten Kerle aus! Oder könnte der Weg der professionellen MusikerIN besonders mühsam, steinig und schwer sein? Wir haben nachgefragt. Wie der Alltag der musikschaffenden Frauen heute aussieht, ob sie Kinder haben und wie sie das alles unter einen Hut kriegen. Und da wir soviele Hobby-, Semiprofi- und Profimusikerinnen wie möglich hören wollen, geht die Umfrage weiter; mach mit unter .
Allgemeines
32 Musikerinnen haben uns dankenswerterweise Auskunft über ihr Leben und Wirken mit und in der Musik gegeben. Das Alter der Frauen rangiert zwischen 23 und 60 Jahren, das Durchschnittsalter liegt also bei 39 Jahren. Von der Rockmusikerin mit Major Deal (bezeichnenderweise die Jüngste) über die vielbeschäftige Jazzmusikerin mit 5 Bands bis zur gelegentlich musizierenden Hobbymusikerin sind alle Bandbreiten vertreten; Frauen aus sog. „all female“-Bands, Musikerinnen, die in gemischten Combos spielen und Solokünstlerinnen. 62,5 % davon arbeiten als Profimusikerinnen, knapp 10 % bezeichnen sich als semi-professionell, der Rest hat keine Angaben gemacht. Die Instrumente verteilen sich wie folgt: die größte Gruppe stellen die Sängerinnen mit 25 % der Interviewten, wobei weitere 12,5 % eher den Singer-/Songwriterinnen zuzuordnen sind, gefolgt von 18 % Multiinstrumentalistinnen. 12,5 % sind den Percussionistinnen zuzuordnen, je 9 % spielen Bass und Blasinstrumente, 6 % Gitarre und nur eine Interviewte gab an, Schlagzeug zu spielen.
Erst in der zweiten Befragung wurde danach gefragt, ob die Musikerinnen Kinder haben, was erst einige wenige aus der ersten Befragung beantwortet haben. 56 % derjenigen, die darauf geantwortet haben, haben keine Kinder; in der Gruppe der Mütter gab es zudem Nennungen, dass z.B. die musikalische Tätigkeit erst nach der Erziehung der Kinder begonnen wurde oder die Musik nicht professionell ausgeübt wird. Es ist also anzunehmen, dass die Mehrheit der befragten Profimusikerinnen keine Kinder hat.
Die Mehrheit der Befragten, nämlich 65% gab an, als Kind oder Erwachsene Musikunterricht genossen zu haben und 37,5% haben ein Musikstudium abgeschlossen; 31% bezeichnen sich als Autodidaktinnen.
Musikalische Vorbilder: Björk und Joni Mitchell
Die Liste der genannten musikalischen Vorbilder ist bezeichnend: angeführt wird sie von Björk und Joni Mitchell. Einer Fülle von genannten Sängerinnen und Singer-/Songwriterinnen wie Ella Fitzgerald, Tina Turner, The Gossip, Melissa Etheridge, Janis Joplin, Patti Smith, Nina Hagen, Julia Neigel, Billie Holiday und vielen, vielen anderen stehen wenige Instrumentalistinnen gegenüber: Joelle Leandre, Irène Schweizer, Marilyn Mazur, Sheila E., Xu Fenxia, Carla Bley, Sylvia Kronewald, Katharina Dustmann und Nora Thiele. Als „all female“ Bands wurden lediglich The Indigo Girls, Liverbirds und 7 Kick The Can genannt.
Erfahrungen: helping hands und Stöck & Steine
Wir haben gefragt, welche Einflüsse hilfreich, welche hinderlich waren, wie wie die Erfahrungen mit MusikerInnen, dem Publikum, der Presse und in der Musikwelt allgemein sind und ob es ihrer Meinung nach Vorurteile gegenüber Musikerinnen und Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gibt. Als unterstützende Faktoren wurden am
häufigsten die Familie, d.h. Eltern und Lebenspartner genannt, aber auch die MitstudentInnen, FreundInnen, BandkollegInnen, LehrerInnen oder das „Netzwerk“ und die Frauenmusikszene. Bei den hinderlichen Faktoren und den Erfahrungen der Musikerin ist entscheidend, ob die Musikerin mit anderen Frauen oder in einer gemischten Band Musik macht und ob sie Sängerin oder Instrumentalistin ist.
Die Sängerinnen und Songwriterinnen, die ja bei unseren Befragten die Mehrheit stellen, berichten einerseits von positiven Erfahrungen und davon, dass sie als oft einzige Frau auf der Bühne oder in der Band eine besondere Aufmerksamkeit genießen und besonders zuvorkommend behandelt werden. Allerdings lasten auf ihnen auch große Erwartungen, denn „Es gibt das Klichè um mich herum, dass Sängerinnen keine Musik lesen können, nichts an Musik verstehen, und nur schön auf der Bühne sein wollen und schön singen“ (Sophie Tassignon). Sängerinnen kämpfen oft mit dem Vorurteil, keine richtigen Musikerinnen zu sein – singen kann schließlich jeder! Die Jazzsängerin Alexandrina Simeon bringt es auf den Punkt: „… es hat mich immer zusätzlich mehr Energie und Anstrengung gekostet, auf der Bühne zu stehen, weil ich stets aufs Neue beweisen musste, dass ich doch ein bisschen mehr als nur singen kann“ . Wohlgemerkt: „nur“ singen! Das heißt, Sängerinnen müssen sich mit Notenkenntnissen, Kompositions- und Improvisationsfähigkeiten und sexy dresses „aufpimpen“.
Musikerinnen, die in reinen Frauenensembles spielen, berichten ebenfalls von besonderer Beachtung und Bewunderung, einer Art „Frauen-Bonus“, weil sie gleichsam als seltene Exoten durch die Musiklandschaft wandeln. Andererseits bekommen sie oft Vorurteile zu spüren und werden kritischer beäugt: „Sie schimpft sich Musikerin, mal sehen, ob auch Musikerin drinnen steckt“ (Kassandra Towers). Frauen werden eben, vor allem von der älteren Generation, immer noch am ehesten hinterm Gesangsmikrofon vermutet. Eine Saxophonistin berichtet dazu folgende Episode: „Ich kam zum Gig mit meinem Saxkoffer und den Jungs aus meiner Band. Da kam ein mittelalter Anzugstyp auf uns zu, der uns engagiert hatte, zeigt auf mich und sagt zu den Jungs: ich hab doch gesagt, ohne Anhang!“ (Regina Fischer)
Kränkende Kommentare z.B. nach Konzerten („für ’ne Frauenband ward ihr ja richtig gut!“) werden zum Glück weniger, kommen aber immer noch vor, besonders bei all female bands. Sie zeigen, dass Frauen auch heute noch auf der Bühne nicht viel zugetraut wird. Die Band „Trude träumt von Afrika“, die seit 20 Jahren mit Comedy & Percussion Erfolge feiert und in Omakleidern auf die Bühne kommt, hat dazu die passende Anekdote: „… nach einem Auftritt der Truden standen wir – noch im BühnenOutfit – zusammen mit einer Dame vom Veranstaltungsteam im Fahrstuhl – und sie fragte uns: „Seid ihr eigentlich alles Männer?“ Dass Frauen „sowas“ tun, war ihr einfach zu unwahrscheinlich“ (Anke Hundius).
Oftmals fühlen sich die Musikerinnen, und das gilt nicht nur für rein weiblich besetzte Bands, musikalisch nicht ernst genommen, weil „häufig mehr über das Auftreten und Erscheinungsbild geredet wird“ (anonym). Die junge Kölner Rockband The Black Sheep z.B. bekommt zwar große Komplimente nach Konzerten, wenn sie das skeptische Publikum überzeugen konnte; aber mit dem Beigeschmack, dass „schnell der Vorwurf einer gecasteten Band aufkommt, weil es dann doch gut war“ (Johanna Klauser). Der Sonderstatus hat also zwei Seiten: „Einerseits punktet man mit der Seltenheit verbunden mit Bewunderung, auf der anderen Seite sind Vorurteile und auch kränkende Kommentare und Einstellungen“.
Zwei weitere Vorurteile scheinen sich immer noch hartnäckig zu halten: dass Frauen keine Ahnung von Technik hätten und keine kompetenten Ansprechpartner bei Gagenverhandlungen seien. Da wird einer Profi-Schlagzeugerin vom Techniker gesagt, wie sie ihr Instrument zu stimmen habe und der Sängerin, wie sie ihre Mikrofone bedienen solle. Zum Glück werden diese Episoden aber immer seltener.
Auffallend ist, dass viele Frauen, meist aus der Jazzszene davon berichten, dass sie sich ignoriert und allein fühlen. Bei Bandzusammenstellungen werden Frauen nicht gefragt, wie Corinne Windler es formuliert: „Jungs fragen Jungs und Mädchen fragen auch Jungs“. Männliche Seilschaften sind anscheinend immer noch so eng geknüpft, dass Frauen keine Chance haben, z.B. für ein Jazzfestival engagiert zu werden.
Zwischen Selbstzweifeln, mangelnden Role Models und Kinderwunsch: warum viele Mädchen keine Profimusikerin werden
Bei der nächsten Frage wurde die Musikerin gefragt, woran es ihrer Meinung nach liegt, dass so wenige Mädchen professionelle Musikerinnen werden, gemessen am Anteil derer, die ein Instrument lernen. Regina Fischer fasst schön zusammen, was in vielen Antworten anklang: „Mädels haben sicher häufig weniger Selbstbewusstsein als Jungs, reflektieren zu viel, sind zu kritisch mit sich. Jungs bekommen schon morgens beim Anblick ihres eigenen Spiegelbildes eine Serotoninausschüttung (Zufriedenheitshormon)„. Danach zu urteilen, bringen Frauen per se oder aufgrund ihrer Sozialisation, eher wenige der Eigenschaften mit, die für ein Profimusikerinnen-Dasein für nötig erachtet werden. Die Antworten zeichnen folgendes, sehr selbstkritisches Bild:
Mädchen und Frauen haben in der Regel mehr Selbstzweifel (oder sie äußern sie zumindest öfter), sie denken, sie wären nicht gut genug. Mit Fehlern können sie nicht so gut umgehen, sie sind sehr perfektionistisch; eher stellen sie ihr Licht unter den Scheffel und besuchen unzählige Kurse und Workshops, scheuen sich aber davor, das Wissen danach anzuwenden. Es kann also mitunter sehr lange dauern, bis Frauen den Mut finden, auf die Bühne zu gehen und sich dem Urteil des Publikums auszusetzen: „Dieses sich Aussetzen gegenüber Kritik vertragen viele Frauen nicht – wir sind zu sehr angewiesen auf freundliche Bestätigung“ (Jane Zahn).
Gerade die Sonderstellung, die manche Frauen in ihrem Genre und Instrument innehaben, kann sich für viele als zu anstrengend erweisen: „… weil Musikerinnen eine Minderheit sind, werden sie zuerst als Frau und erst dann als musizierender Mensch wahrgenommen. Alles, was sie tun, wird zuerst auf sie als Frau zurückgeführt. Das ist wahnsinnig anstrengend. Das halten nur taffe Frauen aus. Was alle anderen ausschließt“ (Judith Estermann).
Mädchen und Frauen haben in der Regel breitere Interessen, streuen ihre Aufmerksamkeit und setzen mehr als eine Priorität. Der Nachteil dabei ist, dass sie sich leichter ablenken lassen und sich nicht so gut auf eine Sache konzentrieren können oder wollen. Für sie sind soziale Kontakte sehr wichtig, sie stecken viel Energie in Beziehungsarbeit, was das Vorankommen bei der Bandarbeit eher behindert. Konkurrenz scheuen sie eher, aber „es fehlt oft am einfachen und unkomplizierten Schulterschluss“ (Sigrun W. Heuser), weil alle damit beschäftigt sind, sich unter Kolleginnen abzugrenzen.
Bescheidenheit und Altruismus, was Mädchen eher mit auf den Weg gegeben wird/wurde, sind in der Musikwelt von Nachteil. „Mädchen sind ja oft fleißiger als Jungs, aber wenn es darum geht, richtig Karriere zu machen, nehmen sich Frauen oft zu sehr zurück und sind zu bescheiden („Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommst Du ohne Ihr“)“ (Susanne Heidrich).
Im Gegenzug wird gesagt, dass Jungs und Männern eher ihr Ding durchziehen und sich zusammentun, sie machen einfach. Sie lernen „by doing“ und stellen sich auch auf die Bühne, auch, wenn sie ihr Instrument noch nicht perfekt beherrschen. Sie schließen sich aber auch eher mit ihrer Gitarre oder ihrem Bass im Zimmer ein und üben stundenlang: „Ein befreundeter Musiker meinte, als Jugendlicher übte er stundenlang Gitarre und setzte damit die Basis für sein Können. Sein größter Antrieb dazu war die Hoffnung, dass er als super Gitarrist von den Mädchen begehrt und gefeiert wird und musste dann mit ansehen, wie seine Freunde die Mädchen „abschleppten“, während er den ganzen Abend auf der Bühne stand“ (Uli Pfeifer).
Immer wird als Grund genannt, dass es noch zu wenige Role Models gibt (was wir tagtäglich zu ändern versuchen), was sich ja auch an der Liste der musikalischen Vorbilder der Befragten ablesen lässt. Erfolgreiche Musikerinnen, die bereits die Profilaufbahn eingeschlagen haben, die im Unterricht und Workshops zeigen, dass es geht, machen Mut, geben Tipps usw., aber auch Instrumentalistinnen auf der Bühne, in der Presse, in BRAVO & Co. sind gerade für junge Frauen wichtige Vorbilder, die es leider noch zu wenig gibt.
Wichtige Vorbilder und Coaches haben viele der Befragten auch im Musikunterricht in der Schule, Musik- und Hochschule vermisst, wenn man mal von Gesangslehrerinnen absieht. Der Alltag sei immer sehr männlich geprägt gewesen, wie Corinne Windler über ihre Ausbildung an der Musikhochschule in Luzern schreibt: „Es gab nur Lehrer, keine Lehrerinnen. Eine einzige Frau gab einen Workshop (Sängerin). Ich hatte in all meinen Prüfungen keine einzige Expertin. Da kamen immer nur Männer, mit männlichen Ansichten (schnell, viele Töne, oft emotionslos etc.). Die Sprache wurde über eine lange Zeit nur männliche gewählt. Es gab also immer nur Musiker, Schüler, Studenten – als Frau fühl ich mich da nicht sehr angesprochen. (…) Es ist ein sehr unpopulärer Ort für Frauen, es braucht eine verdammt dicke Haut, dort mitzumachen“.
Auch die Entscheider im Musikbusiness sind oft genug männlich: „Würde es mehr weibliche Produzentinnen geben, mehr Musik-Journalistinnen, mehr Label-Chefinnen, mehr Musik-Managerinnen, dann würde es wahrscheinlich auch mehr Musikerinnen geben, die von ihrer Kunst leben können“ (Bernadette La Hengst).
Ein weiterer Grund für die mangelnde Präsenz der Frauen im Profimusik-Bereich ist sicherlich, dass es nicht einfach ist, Familie und Musik unter einen Hut zu bringen. Wer keine ausreichende Unterstützung durch PartnerInnen oder Familie hat oder gar alleinerziehend ist, hat Mühe, sich zu Zeiten auf die Bühne zu stellen, wo kein Kindergarten auf hat (nämlich abends und am Wochenende). „Es ist halt schwieriger, als Frau ein Groupie zu finden, das einer Frau die Stange hält, den Haushalt führt und die Kinder aufzieht… Aber nicht aufgeben, es gibt sie!“ so die Electrokünstlerin Constanze Maly, die ihren Sohn als quasi Alleinerziehende schon mal zu Auftritten mitnehmen muss. Der Spagat geht nicht immer gut aus. Die Saxophonistin Gesine Bänfer hat ihre kleinen Kinder zu Konzerten mitgenommen, was ihr einen Bandscheibenvorfall und einen Hörsturz eingehandelt hat. Ihre Kollegin Bernadette La Hengst, die sich mit ihrem Exmann die Erziehung der Tochter teilt, hat bis 6 Wochen vor der Geburt gearbeitet und 2 Monate danach, um nicht Hartz IV beantragen zu müssen. Sie beklagt: „das Problem ist oft, dass ich zuviel arbeiten muss, um unser Leben zu finanzieren“.
Vielen, die sich für eine Profikarriere entscheiden, bleibt der Kinderwunsch wohl deshalb verwehrt. Die Sängerin und Komponistin Sophie Tassignon und ihr Partner, der auch Musiker ist, haben keine Kinder, denn „unser Leben ist wegen unserer Karriere zu kompliziert, also mit Kindern wäre es noch schwerer. Das Geld reicht nicht, unsere Arbeit braucht Zeit…“
Die Instabilität und Unsicherheit, die das Leben der ProfimusikerIn mit sich bringt, wird denn auch oft als weiterer Grund angegeben, warum sich junge Frauen eher nicht für eine Profilaufbahn entscheiden. „Frauen denken immer noch mehr an Sicherheit als Männer“, vermutet Bernadette La Hengst. Das erklärt auch, warum Frauen z.B. häufig im klassischen, weil gut organisierten Bereich (Orchester!) und noch mehr als ihre männlichen Kollegen in der Musikpädagogik zu finden sind. In letzter Konsequenz begnügen sich Frauen, die Musik machen, oft mit kleineren Projekten oder ziehen sich in „geschützte“ (Frauen-)Projekte zurück: „Frauen schaffen sich bei großem Druck eher Lebensalternativen, werden Mutter und pflegen das musikalische Hobby“ (Ana und Anda).
Stigma vs. Menschenrecht
Die nächste Frage lautete: „Findest Du, dass es wichtig ist, das Geschlecht zum Thema zu machen, z.B. von Frauenbands zu reden und Ungleichheit zu benennen oder glaubst Du, dass es den Musikerinnen allgemein und Deiner Karriere eher schadet?“ Die meisten Musikerinnen äußerten sich zu dieser Frage gespalten bzw. sehr differenziert. Einerseits möchten alle in erster Linie als Musikerin und nicht als Frau wahrgenommen werden, und einfach „ihr Ding machen“. Doch das geht oft nicht so ohne Probleme, wie eine anonyme junge Drummerin beschreibt: „Früher wollte ich nichts davon hören (das Geschlecht zum Thema zu machen, Anm. der Verf.), bis ich bemerken musste, dass die erste Reaktion auf mich immer sein wird: wow, eine Frau am Schlagzeug. Dann habe ich angefangen das zu akzeptieren, man muss einen Mittelweg finden, dann geht’s wieder langsam, aber hoffentlich ans Ziel: akzeptiert zu werden als Frau und Musikerin“.
Keine möchte in eine Ecke gedrängt und schubladisiert werden, oder schlimmer, wie es eine Songwriterin ausdrückt, die anonym bleiben möchte: „… wenn man >Frauenband< sagt, klingt es fast wie eine Behinderung. (...) Ich finde, (…), dass es schadet. Weil es eine Reduzierung ist auf das, was mit der Musik nicht zu tun hat“. Auch empfinden es einige als schädlich für ihre Karriere, wenn man in die „Frauenecke“ gedrängt wird. Das Wort „Frauenband“ suggeriere, „… dass Männer dort nicht gern gesehen werden, dass es Nischenmusik ist, dass es mehr um das >Frausein< als um die Musik geht“ (Uli Pfeifer). Diesem Einwand hält Annette Kayser entgegen: „… ich glaube, dass viele Angst haben, als Feministin oder gar Emanze tituliert zu werden, weil die veröffentlichte Meinung da gut gearbeitet hat. Als hätten wir keinen Humor, und als ginge es letztlich nicht um Menschenrechte und einen Fortschritt für Frauen wie für Männer“. Oder wie es Sigrun W. Heuser ausdrückt: „Wenn es den Musikerinnen allgemein und meiner Karriere schadet, wenn mein Geschlecht zum Thema gemacht wird, dann MUSS das Geschlecht zum Thema gemacht werden“.
Außerdem kann sich der Sonderstatus der all female band auch als Segen erweisen: manche werben bewusst mit dem Etikett „Frauenband“ und sichern sich damit einen Marketingvorteil, weil sie als Exotinnen eine Nische besetzen. Die Schweizer Musikerin Corinna Zingg schreibt dazu: „Eine Frauenband kann ein Publikumsmagnet sein. Es ist etwas Besonderes. Wieso sollte man das nicht nutzen?“
Die Frauen sind sich also weitgehend einig, dass sich nichts ändert, wenn die Ungleichheit und der Mangel an Musikerinnen nicht benannt werden. Entscheidend ist aber die Frage, WIE sie benannt wird. Daher plädieren einige Musikerinnen dafür, offensiv oder auch provokativ mit dem Thema umzugehen, es mit Humor und Gelassenheit zu nehmen und das Täter-Opfer-Prinzip zu vermeiden, „… dass es nicht zum Geschlechterkampf kommt als vielmehr, dass die Mädchen und Frauen beständig im ‚Vormarsch‘ unterstützt werden“ (Sigrun W. Heuser).
Braucht es Angebote, die sich speziell an Frauen und Mädchen richten?
Netzwerke von Frauen und spezifische Angebote für Mädchen und Frauen werden ausnahmslos von allen begrüßt, auch wenn sie sie nicht unbedingt selbst wahrgenommen haben oder wahrnehmen. Gerade wegen der vorher genannten Problematik des sich-nicht-Trauens haben solche Projekte eine Schlüsselfunktion: sie sind gut für den Einstieg, weil sie Raum zum Ausprobieren und Fehler machen lassen und das Selbstvertrauen stärken. Die Profimusikerin und Produzentin Gesine Bänfer bringt es auf den Punkt: „Unter Mädchen bzw. Frauen gibt es mehr Freiräume, weniger Hemmungen, weniger Wertung“. Gerade bei Mädchen und jungen Frauen wird immer wieder bestätigt, dass sie sich in solchen Zusammenhängen eher an für sie „fremdere“ Instrumente wagen und z.B. von einem klassisch-„weiblichen“ auf Schlagzeug, E-Gitarre oder Bass umschwenken.
Hier ergibt sich endlich auch die Möglichkeit für Musikerinnen, ein Role Model für Mädchen und Frauen zu sein: „Denn wir Frauen, die über die Jahre Erfahrung auf der Bühne und im Musikgeschäft gesammelt haben, können den jungen Mädchen da sehr helfen und ihnen auch das Selbstbewusstsein geben, damit sie ihren musikalischen Weg gehen können. Daher bin ich auch sehr froh, parallel pädagogisch tätig zu sein – Mädchen brauchen verschiedenste Perspektiven, um den richtigen Weg für sich zu finden“ (Alexandrina Simeon). Auch Bernadette La Hengst findet, „… man sollte unbedingt junge Mädchen stärken und motivieren, sich künstlerisch auszudrücken, etwas eigenes auszudenken und ihnen Plattformen bieten. Und gerade bei Mädchen in der Pubertät ist es wichtig, dass sie abseits von Jungs einen eigenen Freiraum haben, in dem sie sich gegenseitig unterstützen und nicht Rivalinnen sind“. Die jungen Musikerinnen der Band The Black Sheep, alle Anfang Zwanzig, geben denn auch Workshops speziell für Mädchen und arbeiten mit Jugendzentren zusammen, um Mädchen die Scheu vor Schlagzeugen und E-Gitarren zu nehmen.
Einige Musikerinnen wie Corinna Zingg geben zu bedenken, dass es wichtig sei, sich nicht nur in Frauen-Projekten zu bewegen: „Leider gibt es immer noch zuwenige Frauen, die in gemischten Gruppen Musik machen. Solange sich die Frauen in „geschützte“ Projekte zurückziehen, werden wir immer was Besonderes sein. Musik hat kein Geschlecht. Musik soll Freude machen. Männer sind auch nur Menschen und haben kein Problem mit Frauen, die Musik machen wollen“. Auch die Bassistin Uli Pfeifer plädiert für einen Mix aus gleich- und gemischtgeschlechtlichen Angeboten, um irgendwann aus der „Mädchen-Nische“ herauszukommen. Die Starthilfe müsse aber gegeben sein: „… so wie es auch erwiesen ist, dass aus reinen Mädchen-Schulen mehr Mathematikerinnen und Physikerinnen hervorgehen, so glaube ich auch, dass durch gleichgeschlechtliche Angebote unter professioneller Anleitung die Mädchen eher aus bestehenden (unbewussten) Rollen hinauswachsen, sich eher an von Männern dominierte Instrumente trauen und wider Erwarten ihren Spaß und ihre Fähigkeiten daran finden“.
Fazit
Es lassen sich also vor allem zwei wichtige Seiten der Ungleichheit ausmachen. Zum einen ist da die Umgebung – die „Musikwelt“, VeranstalterInnen, MangerInnen und ProduzentInnen, die Presse, die Uni, die KollegInnen und das Publikum – von der die Musikerin mangelnde Wertschätzung bis hin zur Ignoranz erfahren kann und die damit immer wieder eben nicht den Boden ebnet, sondern Stolpersteine aller Art bereithält, vor allem, wenn sich die Musikerin auf von Frauen vorher nicht ausgiebig betretenen Pfaden bewegt wie im Instrumentalbereich. Hier gilt es, weiter Frauen sichtbar zu machen, sie zu promoten und zu featuren, wo wir nur können. Und zwar nicht, weil sie Frauen sind, sondern weil sie Musikerinnen sind, deren Musik gewürdigt werden soll! Und zwar ganz im Sinne, wie es Bernadette La Hengst für die Veranstaltung des Ladyfestes 2004 in Hamburg postuliert hat: nicht den Mangel an Künstlerinnen zu beklagen, sondern die Vielfalt darzustellen.
Hier wären wir auch wieder bei den Role Models: es braucht viele gute, erfolgreiche und vor allem sichtbare Musikerinnen, um die als süße Häschen oder sexy bitch „aufgepimpten“ Sängerinnen und Tänzerinnen in Fernsehen und Internet uninteressant aussehen zu lassen. Hierzu planen wir seit geraumer Zeit ein Online-Portal von und für musikinteressierte Mädchen, für das wir im Übrigen noch finanzielle Unterstützung suchen.
Die andere Seite ist die Weichenstellung in der Kindheit und wie wir als Gesellschaft mit Mädchen und Jungen umgehen. An vielen Grundschulen gibt es heutzutage keinen Musikunterricht (mehr). Musikprogramme wie Jedem Kind ein Instrument, das seit einigen Jahren in Schulen im Ruhrgebiet Kindern den „Erstkontakt“ mit vielen verschiedenen Instrumenten ermöglicht, sind sicherlich ein weiterer, wichtiger Schritt in die richtige Richtung, und auch das Primacanta-Projekt in Frankfurt, das alle Kinder in der Grundschule zum Singen bringen soll und an einigen Schulen erfolgreich läuft, wird langfristig für eine bessere Auflösung der starren Rollenmuster sorgen. Doch solange diese nicht bundesweit und flächendeckend für alle Kinder durchgeführt werden, können sie immer nur kleinen Einfluss haben. Musikprojekte wie Bandfieber oder Sistars, die junge Mädchen an für sie ungewöhnliche Instrumente und die Bandarbeit heranführen, bringen so vielleicht schon die entscheidende Weichenstellung hin zur Popularmusik, wenn es um Studium und Beruf geht, sind aber auch lokal begrenzt.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Musikerinnen heute – vor allem im Instrumentalbereich – mehr als ihre männlichen Kollegen mutig und selbstbewusst sein, sehr stark an ihren Lebenstraum glauben und sich ein gut funktionierendes Netzwerk aus MitmusikerInnen und UnterstützerInnen knüpfen müssen, um den „Weg nach oben“ zu schaffen. Bis sich das ändert, muss noch viel auf den Weg gebracht werden. Es reicht eben offensichtlich nicht ganz, in ein Musikgeschäft zu gehen und sich eine Gitarre zu kaufen.
Der vorliegende Text ist die etwas veränderte Fassung eines Vortrags, den ich auf der Tagung „Mädchen und Frauen in der populären Musik – (k)ein Genderthema?“ am 26.11.2011 im Mädchenzentrum Gelsenkirchen gehalten habe. Das Eingangszitat stammt von Anette.
Über die ersten Ergebnisse gibt es ebenfalls einen Report auf MELODIVA mit anderen Schwerpunkten, nachzulesen unter https://www.melodiva.de/reports/zwischen-lila-latzhose-und-tabu/.
05.12.2011