MIZZ JAZZTHETIK
200 Ausgaben stemmt Christine Stephan
Sie berichtet seit fast 20 Jahren über die Newcomer, die Kleinen, Großen und Größten der Jazz-Szene, fotografiert und vernetzt. Sie ist unermüdlich und kümmert sich mit ungebrochener Energie und Freude um ihr Lebenswerk, das eigene Magazin JAZZTHETIK: um ihr Redaktionsteam, um Inhalte und Layout, um Titelstorys und Coverdesign. Gemeint ist eine „self-made-woman“ par excellence: CHRISTINE STEPHAN, die Gründerin, Herausgeberin und Verlegerin der JAZZTHETIK. Melodiva hat die 200. Ausgabe, die im Oktober erscheint, als Aufhänger gewählt, eine Zeitschrift, aber vor allem den kreativen Kopf der JAZZTHETIK den LeserInnen einmal vorzustellen.
Anne Breick sprach in ihrer alten Heimat Münster (Westf.) im JAZZTHETIKBÜRO mit Christine Stephan.
S T E C K B R I E F :
Mizz JAZZTHETIK- CHRISTINE STEPHAN
– Geboren 1961 im Sauerland
– Über den Umweg Sozialpädagogik Ausbildung zur Raumausstatterin
– Nordfrankreich: Theaterrequisite, Feuerspucken, Sound- und Licht-Technik
– 1983: Umzug nach Münster und Arbeit als Reprotechnikerin
– Mitarbeit bei diversen Stadtmagazinen (Anzeigen/Vertrieb/Produktion)
– März 1987: Start mit der 0-NUMMER der JAZZTHETIK
– Oktober 2006: die 200. Ausgabe erscheint
„Musik war bei mir schon immer da!“
Wie kam eine damals junge, kreative und neugierige Frau dazu, sich in die verstaubte, etwas konservative „Jazz-Mukker-Szene“ zu wagen und dann noch ein eigenes Magazin auf die Beine zu stellen? Diese Frage interessierte mich brennend und die Antwort scheint im Nachhinein so einfach: „Musik war für mich schon immer da. Ich wollte darüber lesen, aber eben in einem Medium mit Stil. Weil es leider kein adäqates Magazin gab, entschloß ich mich, es eben selbst zu machen.“
Die ausgebildete Raumausstatterin und anschließend am Theater bei der Requisite und Bühnentechnik jobbende Anfang Zwanzigerin brachte das gehörige Rüstzeug mit: Gründergeist, Durchsetzungsvermögen und eine gehörige Portion Neugierde und Selbstbewußtsein. Die fundierten Kenntnisse, die sogenannten Pfeiler eines Verlages schmiedete sie sich als Mitarbeiterin diverser Stadtzeitungen. Hier entdeckte sie ihre Leidenschaft zur Druck- und Repro-Herstellung, zu Grafik und Design, zur Druckproduktion, zum Anzeigenverkauf und zur Abwicklung. Vor allem, da sie verschiedenste Bereiche einfach abdecken mußte, lernte sie das Verlagsbusiness von der „Pike auf“, aber auch das kleine Einmaleins des Zeitungsmachens und – es machte ihr großen Spaß.
Leidenschaft und Entdeckergeist
Mit 23 Jahren war es dann soweit, als damals absolut jüngste Redakteurin und Verlagskauffrau legte sie los, verhandelte wie ein Profi mit Druckereien, mit „den good old Jazz-Mukker-Boys“, mit Schreiberlingen und Starfotografen. Immer als einzige Frau und dann auch noch „unbedarftes Küken“ in der Herrenrunde war das ein Stand, den viele junge Frauen am liebsten großräumig umfahren. Nicht so Christine Stephan. Selbst beim Erzählen strahlt ihr der Witz, die Freude und der Schalk aus den Augen – es war sicherlich nicht leicht, aber sie hat es geschafft! Sich als Nicht-Journalistin durchzusetzen, ihre Vorstellungen einzubringen, ernstgenommen zu werden etc., das bedarf einer großen Portion Dickköpfigkeit und Pragmatismus. Dazu kam auch noch ihre unbändige Leidenschaft, etwas „richtig Gutes“ auf die Beine stellen zu wollen und etwas Neues und Anderes zu machen, was es so bislang auf dem Zeitungsmarkt nicht gab. Zu der Zeit (1987) gab es nur eine Zeitschrift über Jazz, konservativ daherkommend und über den tradierten Jazz berichtend. Christines Ehrgeiz war es, dem einen kreativen Gegenpol, ein innovatives und spritziges Lay-Out und eben „Jazz & Anderes“ entgegenzusetzen. So lautete auch fortan der Untertitel der JAZZTHET
IK
Der Titel wurde zum Programm
Als Marketingfrau schlägt mein Herz höher – wie kann ein Titel eine Philosophie besser transportieren als dieser. Da steckt mehr als CI (Corporate Identitiy) dahinter, da ist Herzblut und Know How mit eingeflossen. So erzählt Christine mir von der „Null-Nr.“, der ersten Ausgabe, die mit rauchenden Köpfen am Reißbrett oder besser Reprotisch gemeinsam mit verrückten Designern und Trompete spielenden Grafikhelden entstand. Stolz holt sie die Mappen der Ausgaben aus dem Regal, das sich bei fast 200 Ausgaben unter seinem Gewicht biegt und ächzt. Zu jeder Ausgabe, zu jedem Titel weiß Christine eine Geschichte „…guck mal hier – das Bild im Hintergrund ist eine alte Röntgenaufnahme von mir und hier, mit diesem Titel sprengten wir beim Satz fast den Rechner…..“. Sie kann erzählen und ihre Begeisterung steckt mich an. Einige der frühen Titel erkenne ich wieder – sie gefielen mir damals schon gut. Wir entdecken gemeinsam (wie in einer Kunstausstellung) die „Ästhetik“ und den „Charme“ vieler Titelseiten, die dieses Journal nachhaltig prägten.
Musikkatalog als Brainstorming
Wie kam es nun dazu, daß ein neuer Begriff kreiert wurde und fortan ein junges Jazzmagazin zieren sollte? Das damalige Team saß zusammen, blätterte u.a in dem JPC-Katalog und blieb irgendwie bei Miles Davis und seiner Compilation von 1986 „Ezz Thetic Fantasy“ hängen. Aus „Ezz“ wurde „JAZZ“ und mit dem Anhängsel „THETIC“ schlug die Geburtsstunde für ein neues Jazzmagazin, das in Münster (Westf.) beheimatet war und ist. Da sollte fortan der Jazzbegriff modifiziert, erweitert und mit neuen, auch ungewöhnlichen Inhalten besetzt werden. Da sollte Kunst und auch Literatur mit einfließen und somit den LeserInnen ein optisches und haptisches Werk geliefert werden. Da wurde vom „visuellen Erleben“ phantasiert, da wurden hohe Anforderungen an die DesingerInnen gestellt und auch die Drucker konnten bei der Produktion ein Lied davon singen, über Sonderwünsche und -farben, Stanzen und Falzen…
„Sie spielt gerne über Bande“
Damit beschreibt Christine Stephan ihren Werdegang nur zu gut: zielsicher aber auch mit einigen Umwegen, abgelenkt aber trotzdem treffend, indirekt aber immer mit dem Ziel vor Augen, die eigene Leidenschaft für gute Musik mit immer mehr Menschen zu teilen. Und das ist ihr gelungen. Vor uns auf dem großen schweren Schreibtisch der Herausgeberin, in einer ehemaligen Werkstatt im Hinterhaus der Innenstadt Münsters, gucken uns fast zweihundert Titelbilder an. Da liegen 20 Jahre Jazzgeschichte dokumentiert, katalogisiert vor uns ausgebreitet, da liegen auch Opfer, denn ohne Investition und eigener Ausbeutung funktioniert es auch hier nicht. Nachtschichten und unermüdliche Festivalreisen durch ganz Europa. Never-ending E-Mailsegen und CD-Bemusterung – da gilt es haufenweise Informationen, Daten, Fakten, Fotos und vieles mehr Monat für Monat aufzuarbeiten und zu verpacken. Nach anfänglich 12 Ausgaben pro Jahr hat sich dann das JAZZTHETIK-Team für 10 Ausgaben und damit für zwei Doppelnummern im Sommer und Winter entschieden.
Teamgeist oder „die gute Seele“ im Verlag
Sie wohnt oberhalb der Redaktionsräume, sie ist immer ansprechbar, auch für ihre Redakteur/Innen und das Verlagsteam. Mit viel Humor und Herz für die Belange ihrer MitarbeiterInnen und KollegInnen ist Christine Stephan die gute Seele der JAZZTHETIK. Daß ihr die meisten Musikjournalisten und –Journalistinnen jetzt schon über so viele Jahre die Treue halten, einige sind sogar von Anfang an mit dabei, das zeugt vom guten Betriebsklima und trägt zur Qualität dieses Journals bei. Daß die Chefin (das hört Christine gar nicht gerne) immer auch selbst mit Hand anlegt, sogar in den Anfängen einige Titelgestaltungen aus ihrer eigenen Feder stammten, daß wissen alle, die hier arbeiten zu schätzen. Sie kennt sich einfach aus und ist mittlerweile sicherlich ein wandelndes Nachschlagewerk des „WHO IS WHO“ in der Jazzszene.
Ich bedanke mich bei Christine Stephan für dieses spannende, lustige, informative und inspirierende Gespräch, das einfach leider nur viel zu kurz war.
Sie hat übrigens auch schon damals als „GROSSE“ unsere „KLEINE“, (unser ehemals hauseigenes Printmedium MELODIVA) mit unterstützt und tut es auch heute noch, denn sie greift uns in der MELODIVA-REDAKTION mit der einen oder anderen Zweitverwendung der in JAZZTHETIK erschienenen Beiträge unter die Arme.
Teil Zwei des JAZZTHETIK-Reports gibt es zum 20-jährigen Jubiläum des Journals im kommenden Frühjahr 2007
Eine kleine Auswahl der für mich schönsten JAZZTHETIK -TITEL
Text + Fotos: Anne Breick /Frankfurt
Titelfoto: „Auf Fotosafari“, Foto: privat)
Erschienen: September/Oktober 2006
Infoline: Redaktion MELODIVA im
F M B – FRAUEN MUSIK BÜRO – Frankfurt/GERMANY
+49(0)69-4960848 oder http://www.melodiva.de
29.09.2006