Mit dem ’one-way ticket’ zur Jazzkarriere

Interview mit der Musikerin Monika Herzig

Manche Leute brauchen nur 24 Stunden pro Tag, um nahezu Unmögliches zu schaffen. Die Jazzpianistin, Komponistin und Hochschulprofessorin Monika Herzig, gebürtige Deutsche und seit einigen Jahren US-Bürgerin, ist so eine. Sie hat mit ihren Bands Beeblebrox und Monika Herzig Acoustic Project unzählige Alben veröffentlicht – ihre neuste CD/DVD Combo „Come With Me“ war mehrere Wochen in den US-Jazz Radio Charts – und in den renommiertesten Clubs und Festivals der Welt gespielt. Sie lehrt Musikindustrie und „Creative Thinking“ an der Indiana University, engagiert sich in der Jazz- und Musikerinnenförderung, bringt den Jazz an Amerikas Schulen und hat zu guter Letzt auch noch ein Buch geschrieben – das alles mit zwei Kindern und einem Mann, der selbst Profimusiker ist! Jetzt kommt die Vollblutmusikerin für eine Konzertreise nach Deutschland und wir durften sie kurz vor der Abreise interviewen.

Keine Frage, diese Frau ist eine kreative Macherin, der die Ideen nicht ausgehen und die nicht lange mit Widrigkeiten hadert. Der Jazz war in Albstadt, ihrem Heimatort, nicht allzu bekannt? Kein Problem, dann setzt frau sich 1988 kurzerhand in einen Flieger und fliegt ins Land des Jazz, nach Amerika. „Wirst Du heute für uns singen, Monica?“ wurde die Pianistin oft zu Beginn eines Konzerts gefragt und so mit dem typischen Stereotyp Musikerin=Sängerin konfrontiert, das auch in den USA funktioniert. Statt jedoch in Verzweiflung auszubrechen, hat sie begonnen, etwas daran zu ändern. So hat sie 2010 den Verein „Isis of Indiana“ gegründet und veranstaltet in diesem Jahr zum zweiten Mal ein Mädchensommercamp und begleitend, Konzerte wie das Femmes Blue Festival, das ausnahmslos Musikerinnen auf die Bühne bringt. Es gab 2011 noch keinen Autor, der über ihren Lehrer, den Jazzmusiker David Baker ein Buch geschrieben hat? Dann schreibt sie eben selbst eines. Ihr Erfolgsgeheimnis? Kreativität.

Du feierst ja im nächsten Jahr eine Art Jubiläum, kann das sein? Du lebst jetzt schon fast 25 Jahre in den Vereinigten Staaten, denn 1988 war das, als Du – eigentlich für ein Jahr – nach Amerika gezogen bist, um an der Universität von Alabama/USA zu studieren. Du bist dann aber dort geblieben… wie kam es dazu?

Hat alles angefangen mit einem Austauschprogramm von der Pädagogischen Hochschule Weingarten mit der University of Alabama. 1988 wurde ich ausgewählt – gerade nach meinem ersten Staatsexamen – und zusammen mit meinem Partner und Gitarrist Peter Kienle beschlossen wir alles dranzusetzen, im Land des Jazz Karrieren zu starten. Deswegen zogen wir mit „one-way ticket“ los und haben uns dann erst mal mit Brot backen über Wasser gehalten bis die ersten Gigs kamen. Die University of Alabama gab mir dann ein Lehrstipendium im zweiten Jahr damit ich einen Master in Music Education machen konnte. 1991 sind wir dann nach Bloomington, Indiana gezogen, wo ich mit mehreren Stipendien den Doktor in Music Education absolviert habe. Nach vielen Jahren als frei schaffende Musikerin bin ich seit vier Jahren Professorin in Kulturmanagement und weiterhin Profimusikerin.

Du hast also Deinen Doktor in Musikpädagogik und „Jazz Studies“ gemacht – und schon als Musikerin gearbeitet?

Ja, wie gesagt – immer weiter in der Schule bleiben war der Schlüssel zum Visum und außerdem gab’s immer wieder Stipendien, die die Studiengebühren bezahlten und noch ein kleines Gehalt fürs Unterrichten. Wir haben uns dabei immer kräftig als Musiker durchgeschlagen mit unserer Fusion Band „BeebleBrox“ und jeglichen Jobs, die man sich vorstellen oder auch nicht vorstellen kann.

Wie war Dein musikalischer Werdegang, hast Du schon früh begonnen, Klavierunterricht zu nehmen? Wann hat sich für Dich entschieden, dass Du die Musik zu Deinem Beruf machen willst?

Ich wollte immer Klavier spielen, musste aber erst die Melodica lernen, um zu beweisen, dass es mir ernst war. Mit 10 haben meine Eltern dann endlich ein Klavier gekauft und ich habe dann auch angefangen Kirchenorgel zu lernen. Das hat mir viel beim Improvisieren und bei Theorie & Praxis geholfen, da ich schon bald für unseren Organist einspringen konnte. Ich wusste schon in der Grundschule, dass ich Musik- und Mathematiklehrerin werde – aber der Jazz kam erst später ins Spiel, als ich in meine erste Band eingestiegen bin. Während meiner Studienzeit hab ich zweimal im Sommer am Jazzworkshop in Köln teilgenommen und dann gab’s kein Zurück mehr. In unserem Heimatort Albstadt gab’s eine Jazzgruppe, die mich dann eingeladen hat – so habe ich meinen Partner Peter Kienle kennengelernt (wir sind jetzt 20 Jahre verheiratet).

Was hat Dir an der Musik, am Jazz so gefallen?

Die Improvisation und Freiheit, eigene Musik zu kreieren hat mich fasziniert in meinen späteren Schuljahren. Vor allem der soziale Aspekt war wichtig – mit anderen Musik zu machen und nicht alleine im Proberaum zu sitzen.

Auf dem Cover Deiner ersten (?) Platte „Melody With Harmony“ bist Du lachend mit zwei kleinen Kindern zu sehen, die wie ich annehme, Deine eigenen sind. Hast Du diese Platte mal eben zwischen Windeln wechseln und füttern produziert oder wie haben wir uns das vorzustellen?

Das war die zweite Acoustic Project CD and vorher gab’s schon sechs Platten mit BeebleBrox. Ja, das war wohl zwischen Windeln wechseln und Üben und Stillen. Meine Kinder erzählen sicher mal Stories über ihre verrückte Mama, die immer unterwegs war bei Gigs, oft mit Kindern im Schlepptau. Inzwischen sind die zwei Mädels 12 und 10 Jahre alt und haben brav gelernt, sich oft abends selbst ins Bett zu bringen, da Mama und Papa irgendwo einen Auftritt haben. Sie finden es aber ganz toll, weil sie dann natürlich machen können, was sie wollen. Aber die ersten Jahre waren schon interessant und haben viel Organisationstalent und viele Babysitter gebraucht – ein ganz wichtiger Unterschied zu den männlichen Musikern, die das oft ihren Frauen überlassen können und ihre Karriere schneller aufbauen können!

Wie sind die Bedingungen in Amerika für MusikerInnen? Ist es schwer, mit der Musik den Lebensunterhalt zu verdienen?

Es gibt viele Möglichkeiten wenn man vielseitig ist. Ich arbeite als Jazzmusikerin und Kirchenmusikerin, und nehme viele private Gigs an, zum Beispiel Hochzeiten etc. Glücklicherweise kann man hier bei Hochzeiten wenigstens die Jazz Standards spielen, während man in Deutschland wohl eher in die Schlagerkiste greifen müsste. Allgemein ist es im Jazz nicht einfach. Mit der Wirtschaftskrise sind viele Clubs verschwunden und auch private Engagements sind weniger und es wird weniger gezahlt. Im Moment würde ich sagen, dass es sehr schwierig ist, mit Musik den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Professorenstelle an der Indiana University kam zum richtigen Zeitpunkt. Ich muss jetzt zwar doppelt arbeiten – tagsüber unterrichten, nachts spielen – aber es gibt mir die Freiheit, meine eigene Musik zu verfolgen und ein paar von den „Society Gigs“ fallen zu lassen.

Was meinst Du, gibt es einen Unterschied zu Deutschland, auch im Hinblick auf die spezifische Situation als JazzmusikerIN?

Die Gagen sind niedriger, man muss mehr Standards und Bebop spielen, und die Musik hat überraschenderweise einen Minderheitsstatus, während es in Deutschland mehr ein Kulturgut ist.

Du hast bereits mehrere Alben mit dem „Monika Herzig Acoustic Project“ veröffentlicht, aber auch solo. Sind das alles Eigenkompositionen und worin besteht der Unterschied?

Meistens halbe/halbe – ich mache gerne neue Arrangements von alten Standards, habe aber auch viele Eigenkompositionen.

Du komponierst selbst; war das schon früh ein Teil Deiner musikalischen Identität oder ein langer Weg dorthin? Was bedeutet für Dich das Komponieren?

Komponieren ist sehr wichtig – ich habe in den letzten Jahren den Weg zum Bandleader und zur eigenen Musik eingeschlagen, obwohl es oft schwieriger ist. Die Faszination vom Jazz ist für mich die Möglichkeit des individuellen Ausdrucks. Ich habe auch viel gelernt und geforscht über die Geschichte des Jazz und gehe oft in Schulen, um Kindern den Jazz ganz früh nahe zu bringen, als eine Möglichkeit des Individualismus und der Kreativität, aber auch als einen Teil der ganz besonderen amerikanischen Geschichte.

Du bist ja Mitbegründerin der Organisation „Isis of Indiana“ (ISIS, http://isisofindy.com), die 2010 gegründet wurde. Wie kam es dazu und was sind Eure Ziele?

Ich habe 2010 die Sängerin Heather Ramsey kennengelernt und wir haben uns von Anfang an gut verstanden hinsichtlich der Schwierigkeiten mit männlichen Bandmitgliedern und Clubs, die oft unfair auf weibliche Bandleader reagieren. Wir beschlossen, zusammen Projekte mit all-female bands zu organisieren. Unsere Projekte waren sehr erfolgreich, leider versuchen inzwischen andere die Ideen zu kopieren – mit dem falschen Konzept! Wir sehen jetzt Konzerte mit Sängerinnen und männlichen Bands – das sind eher Verstärkungen der alten Vorurteile!

Neben einer Konzertreihe für Musikerinnen veranstaltet ihr ein „Girls Create Music Sommercamp“ für Mädchen von 9-16 Jahren, bei dem mir aufgefallen ist, dass es unter anderem auch „songwriting skills“ vermittelt, was ungewöhnlich und eine großartige Idee ist, wie ich finde. Wie sind Eure Erfahrungen damit?

Unser Camp war super! Die Mädchen waren sofort dabei und haben in ihren Bands nicht nur tolle Songs zusammen geschrieben, sondern auch alle Instrumente selber gelernt und ihre parts gemacht. Wir freuen uns schon riesig auf das zweite Camp vom 23. – 27. Juli dieses Jahr und haben fast 30 Mädchen und 7 Lehrer. Wir kriegen auch tolle Unterstützung mit freien Musikinstrumenten und Räumen. Ich war sehr freudig überrascht über die Kreativität der Mädchen und glaube, dass die Freiheit ohne Jungs viele Schleusen geöffnet hat, die sonst abgelenkt wären.

Wieviel Musik findet an amerikanischen Schulen eigentlich statt, kann man das verallgemeinern?

In den Grundschulen ungefähr ein bis zwei Stunden pro Woche, ab Mittelschule gibt’s dann die Möglichkeit, in Bands mitzumachen und verschiedene Instrumente zu lernen. Der 2000 „No Child Left Behind“-Act, den Busch durchgebracht hat, hat es für künstlerische Fächer schwierig gemacht, da die Schulen sich für die Tests vorbereiten müssen, um nicht Unterstützungsmittel vom Staat zu verlieren. Deshalb kommen mehr und mehr Musikprogramme zu kurz oder werden gestrichen, obwohl die Forschungsergebnisse eindeutig zeigen, dass Musikunterricht viele andere Fähigkeiten fördert.

In Deutschland gibt es zwar viele Mädchen, die ein Instrument lernen, aber die wenigsten schlagen dann wirklich eine Laufbahn als Popularmusikerin ein. Meist sieht man eher Sängerinnen und Songwriterinnen auf der Bühne. Ist das in den USA genauso?

Das ist genauso und immer noch ein Problem von Role Models – wenn man nicht andere sieht, die so was Ähnliches machen, ist es schwierig, den Berufsweg einzuschlagen. Das ist eins von unseren Zielen mit ISIS – Role Models und Mentors.

Du hast Ende letzten Jahres, pünktlich zu seinem 80. Geburtstag, ein Buch über den amerikanischen Jazzmusiker David Baker („David Baker – A Legacy In Music“, 2011) veröffentlicht, der für Dich selbst ein großer Lehrmeister war – wie Du in Deinem Vorwort erwähnst, hast Du Dich ja vor allem wegen ihm an der Indiana Universität eingeschrieben und hast bei ihm studiert. Was ist das Besondere an ihm?

Um alles Besondere zu erwähnen, müsste ich das ganze Buch zitieren – hier ein paar von den wichtigsten Punkten:
– Arbeitsmoral, er arbeitet immer noch mehr als 14 Stunden pro Tag
– Eine besondere Gabe, das Beste von seinen Schülern zu fordern und zu bekommen
– Er hat immer Zeit für Fragen, ist immer bereit zu helfen
– Jazz Education beruht auf seinen Büchern und Methoden
– Trotz Vorurteilen und Hürden hat er sich nicht vom Weg abbringen lassen
– Begabter Musiker und Komponist

Baker wurde ja durch eine Kieferverletzung daran gehindert, weiter als Jazzposaunist zu arbeiten und hat sich fortan auf die Komposition und die Lehre konzentriert. Du bist mittlerweile selbst Dozentin an dieser Universität; was macht für Dich den Reiz aus, Jazz zu unterrichten?

Im Moment unterrichte ich hauptsächlich Kurse in Music Industry, Creative Thinking, Community Arts, da ich im Kulturmanagement angestellt bin. Die Kurse in Music Industry haben mir den Job verschafft – es ist so wichtig zu lernen, wie die Industrie funktioniert und wie sich die Zukunft entwickelt. In der neuen Wirtschaftskultur, die Ideen braucht, ist Kreativität auch sehr gefragt und die jazz combos sind ein Model dafür. Ich liebe den Austausch mit meinen Studenten und habe viele neue Ideen durch ihre Fragen und Weltanschauungen. Das Unterrichten hält mich auch frisch mit der gegenwärtigen Musikkultur und technischen Neuigkeiten. Unser Programm ist sehr neu und ich habe viel Freiheit, Kurse zu kreieren – love it!

Aktuelle CD: „Come With Me“ (2011) Label: Owl Studios

Tourtermine in Deutschland:
08.06.2012 Mainz, Hochschule für Musik
21.06.2012 Esslingen, Jazz im Dulkhäusle
29.06.2012 Ludwigsburg, Jazzclub

http://www.monikaherzig.com/
Autorin: Mane Stelzer

03.06.2012