Meshell Ndegeocello/USA

The Funky Queen on Bass...

Die Bassistin, Keyboarderin, Sängerin und Poetin Meshell Ndegeocello hat mit ihrer Musik noch nie in gängige Schubladen gepasst. Auch ihr viertes Album „Cookie: The Anthropological Mixtape” widersetzt sich einer einfachen Einordnung. Sperrig und schön ist das, was die als Michelle Johnson in Berlin geborene und in den USA aufgewachsene Multiinstrumentalistin als neuestes Werk abliefert, und sie ]orientiert sich kein bisschen am simplen Mainstream-Geschmack.

Das gesprochene Wort dominiert bei ihr, auf aus HipHop und Funk abgeleiteten, mit Jazzeinflüssen angereicherten Rhythmen. Mit ihrer intensiven warmdunklen Stimme singt oder haucht sie auch viele der 16 Stücke. Nein, eine Schublade lässt sich für ihre Musik nicht leicht finden, auch wenn manche sie als Vorreiterin der Nu Soul-Welle ansehen. Newcomer wie zum Beispiel India.Arie mit ihrem „Acoustic Soul“ wandeln erfolgreich, aber dabei natürlich wesentlich weichgespülter und radiotauglicher, in Meshell Ndegeocellos Fußstapfen.

Nach den sphärisch bittersüßen und sanft melancholischen Tönen des letzten Albums „Bitter” ist Meshell Ndegeocello, die seit 1993 bei Maverick Records von Madonna unter Vertrag ist, jetzt wieder zu einem kraftvollen erdigen Funk als Fundament ihrer Musik zurückgekehrt – afroamerikanische Grooves, und dazu natürlich jede Menge afroamerikanisches Bewusstsein in den Texten.

Wach und widerständig setzt sie sich mit Rassismen und Sexismen, mit Bürgerrechten und Schwarzer Geschichte auseinander. In den Texten benutzt Meshell Ndegeocello u.a. Zitate und Samples von Angela Davis, aus der „Anthology of Negro Poets” und aus der „Freedom Now Suite”.
Freiheit ist ein immer wiederkehrendes Motiv ihrer Black Poetry. So heißt es in dem Song „Dead Nigga Blvd.“, der sich auf eine Kampagne zur Umbenennung von Straßen nach Schwarzen bezieht: „… niggas need to redefine / what it means to be free.“

Liebe ist ein weiteres Thema, doch nicht immer unbelastet: in „Barry Farms” erinnert sich Meshell Ndegeocello an eine junge Frau, die sie ohne das Gefühl von Schande lieben und auch bei ihr sein sollte, wenn es ihr schlecht ginge, anstatt sie nur für Experimente mit ihren eigenen sexuellen Grenzen zu benutzen. Bei dem sehr erotischen „Trust” bleibt wie bei dem Liebeslied „Earth“ das angesprochene Geschlecht offen.

Privat ist die 33jährige Mutter eines 13jährigen Sohnes seit vielen Jahren mit der feministischen Schriftstellerin und Aktivistin Rebecca Walker, der Tochter von Alice Walker, liiert. Doch über Privatleben und sexuelle Identität ist Meshell Ndegeocello kaum mehr zu entlocken als: „Ich bin nicht lesbisch, ich bin nicht bisexuell – I´m in love with Rebecca!”

Als Studiomusikerin ist Meshell Ndegeocello sehr begehrt und hat schon für unzählige Stars bis hin zu den Rolling Stones gearbeitet. Ihre Soloalben baut sie auf den vielen Wurzeln der Black Music auf: Soul, Jazz und Fusion, Funk, R´n´B, HipHop. Für ihr viertes Album entlehnt sie neben den Funk-Basics viele Elemente aus dem Jazz, besonders den an Improvisationen erinnernden Aufbau der einzelnen Stücke, die oftmals ineinander übergehen, daneben Instrumentierungen mit Saxophon und Klarinette. Auch Latingrooves sind in die Rhythmen aus HipHop und Funk eingewoben, wie die Salsaklänge in „Hotnight”. Der Blues liegt bei ihr eher in den Worten, die von vergangenen Helden und heutiger Hoffnung künden. Wie bei vielen Schwarzen KünstlerInnen üblich, findet sich im Booklet eine Lobpreisung des Schöpfers – aber halt: Meshell Ndegeocello schließt von Allah über Buddha und Krishna bis hin zu Yahweh alle möglichen Glaubensrichtungen mit ein, und nennt ES auch „die Göttin“ und „die Unbegreiflichkeit“. An erster Stelle im Booklet jedoch steht eine Huldigung an die Kraft des Wortes; sie dankt all den Schreibenden, die in Poesie und in ihren Büchern Weisheit, Gefühl und den Spirit vermitteln und weitergeben: „Und – gerade habe ich dieses erstaunliche Buch entdeckt, das du echt lesen solltest. Es heißt …”

Ein langsamer HipHop-Beat wird von einem eindringlichen Drum´n´Bass-Stück abgelöst.
Der Bass ist Meshell Ndegeocellos eigentliches Instrument, und es lohnt sich, tief in die schweren Basslinien einzutauchen. Nur selten ertönt ein Gitarrensolo, noch seltener triumphiert die Sanftheit wie auf „Bitter”. Lediglich das etwas an New Age-Musik erinnernde Stück „Earth” fällt aus dem verbindenden Rahmen und gerät ein bisschen schmalzig.

Zeilen oder eine Art Refrain, die im Ohr bleiben, sind auf „Cookie: The Anthropological Mixtape” fast nie und dann eher ganz überraschend zu hören. Meshell Ndegeocellos Kompositionen leben – neben ihrer erotischen souligen Stimme natürlich – von Intensität, Abwechslung und von der Nicht-Vorhersehbarkeit, niemals dagegen von Eingängigkeit.

Einziges Zugeständnis – oder ein Versuch, im Radio gespielt zu werden? – ist der Beinahe-Ohrwurm „Pocketbook”, der in den USA als erste Single veröffentlicht wurde, dazu noch ein Remix von Missy Elliott (featuring: einige Superstars), der als Bonustrack auch auf dem Album ist. Das mit dem Radioplay hat übrigens tatsächlich funktioniert, wohl vor allem dank der großen Namen.

Bass, Keyboard, Vocals, Komposition: ME SHELL Ndegeocello

Meshell Ndegeocello ist dennoch eine, die sich nie zugunsten der Charts verbiegen wird.
Im Interview sagte sie einmal, sie mache Musik nur um der Musik willen, um sich auf diese Weise auszudrücken und zu sich selbst zu finden – und nicht etwa um reich zu werden und ein teures Auto zu fahren.
„Cookie: The Anthropological Mixtape”, ihre brandneue CD, ist ein Kandidat für das Album des Jahres.
Empfehlung: immer wieder hören und dabei noch mehr musikalische Feinheiten (und mehr Erotik…) entdecken!

Discografie:

Cookie: The Anthropological Mixtape (9-2002)

The Bitter (1999)

Peace Beyond Passion (1996)

Plantation Lullabies (1993)

(Alle CDS beim Label von Madonna:“Maverick“ , im Vertrieb in Deutschlan düber WEA)

www.meshell.com

Label:

www.maverick.com

Quelle: aus Lespress 11/2002

Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung bei der Lespress-Redaktion und der Autorin Irene Hummel.

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Autorin: Irene Hummel

30.11.2002