MEREDITH BROOKS/USA

Selbst ist die Frau

Ein Hit kann bekanntlich zur Last werden. Besonders, wenn die Plattenfirma zukünftig deckungsgleiche Nachfolger, wie vom Fließband, erwartet. So wie im Fall von ,Bitch‘, Meredith Brooks Hit-Single vom 1997 erschienenen Album ,Blurring The Edges‘.
Nach einer für beide Parteien enttäuschenden Zusammenarbeit zum Nachfolger ,Deconstruction‘ (1999) trennten sich Label und Künstlerin. Doch die Songwriterin aus Corvalis, Oregon, bewies genügend Selbstbewusstsein, um den Schritt in die Unabhängigkeit zu wagen und Neuland zu betreten. Das zeigt sie auf ihrem dritten Werk ,Bad Bad One‘ hinsichtlich Songwriting und Produktion.

Der große Hit, gleich zu Beginn der Karriere, versüßt zwar den Sprung ins Haifischbecken, setzt aber den Startpunkt der Erfolgskurve gefährlich hoch. Man muss sich ab sofort immer am eigenen Erfolg messen lassen. Medien und Plattenfirma verlangen Nachschub, den Künstler befallen neben Star-Allüren und Erfolgsdruck oft auch Selbstzweifel über Ausrichtung, Anspruch und musikalischen Schwerpunkt der Karriere. Wie so vielen gelang es auch Meredith Brooks nicht, nach dem Chartbreaker ,Bitch‘ mit dem durchaus gelungenen zweiten Album ,Deconstruction‘ die hohen Erwartungen der Außenwelt zu erfüllen. Nun legt sie ein Album nach, mit dem sich von ihren bisherigen Strukturen getrennt hat.

Meredith, du hast mal gesagt: „Musik ist meine Therapie“. Was galt es denn mit deinem neuen Album zu therapieren?

Brooks: Eine Menge! Du durchlebst schließlich viele verschiedene Phasen in deiner Karriere. Du erlebst Erfolg, Kritik, gewöhnst dich an das Musikgeschäft und arbeitest an deiner Kreativität. Auf dieser Platte habe ich versucht, alle Störgeräusche außen vor zu lassen. Ich habe mich nur auf mich selbst konzentriert. Und auf meine Liebe zur Musik. Nach ,Deconstruction‘ habe ich zum ersten Mal eine Pause eingelegt, bin durch Europa gereist und habe ganz in Ruhe Songs geschrieben. Und ehe ich mich versah, hatte ich genügend Material für ein Album. Einfach so. Ohne Zeitdruck. Und vor allem ohne eine Plattenfirma, die mir die ganze Zeit über die Schulter schaut.

Selbst ist die Frau.

Du wirst auch zitiert, du habest mit diesem Album konsequent deine Vorstellungen verwirklicht. Ist das nun einfach nur sehr egoistisch, oder eine künstlerische Befreiung?
Brooks: Diese Platte entstand wirklich in Freiheit. Unabhängig! Ganz ohne Druck! Das war toll! Auf der anderen Seite hatte ich auch eine wütende Phase hinter mir, weil ich enttäuscht war. Ich fühlte mich von meiner früheren Plattenfirma verletzt und ausgenutzt. Aber ich habe auch die Chance dieser Unabhängigkeit erkannt. Ich hätte keine weitere Platte für diese Firma machen können. Ich fühlte mich völlig unter Kontrolle, wie bei einer Mutter, die ständig schaut, ob ihr Kind artig Hausaufgaben macht. Diese Leute haben die ganze Zeit nur genervt, ich solle ein zweites ,Bitch‘ abliefern. Stattdessen habe ich ihnen ,You Don‘t Know Me‘ geschrieben. (lacht)

Entstehen deine Songs immer noch auf der akustischen Epiphone, die dir deine Mutter als Teenager geschenkt hat?

Brooks: Nein, die Gitarre habe ich in Rente geschickt. Ich hab‘ sie natürlich noch, aber spiele nicht mehr drauf. Ich schreibe nach wie vor alle Songs auf der akustischen Gitarre – (macht eine kurze Pause und sagt ganz stolz:) mittlerweile in meinem eigenen Studio! Inzwischen ist es komplett eingerichtet, inklusive Pult und Pro Tools. Ich genieße die Freiheit dort Tag und Nacht arbeiten zu können, wann immer ich will, ohne dass die Uhr tickt oder irgend jemand zuschaut.

Resultieren aus dieser veränderten Arbeitsweise auch die hörbaren Veränderungen in deiner Musik?

Brooks: Ich denke schon. Ich finde mein Gesang und meine Harmonien haben sich weiter entwickelt. Hör dir meine ersten beiden Platten an – für mich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Außerdem: Wenn du alleine arbeitest, kannst du dich zum Clown machen, ohne dass sich jemand über dich kaputt lacht.

Was für Amps kamen auf ,Bad Bad One‘ zum Einsatz? Spielst du noch den Hot Rod und deinen ’69er Fender Combo?

Brooks: Diesmal habe ich einen Vox-AC30- und einen Overbuilt-112-Combo benutzt, der von Rick Seccombe gebaut wird, der früher bei Matchless gearbeitet hat. (mehr unter www.overbuiltamps.com) Diesen Verstärker habe ich fast ausschließlich für diese Aufnahmen benutzt. Ich hasse die meisten Verstärker. Es gibt kaum einen, dessen Sound mir wirklich gefällt.

No POP-Girl

Und bei den Gitarren? Sind Neuzugänge in deiner Sammlung zu verzeichnen? Zuletzt hast du ja eine blonde Tele gespielt, für die dir Jay Black von Fender den Halsradius verändert hat, weil du so kleine Hände hast.
Brooks: Die spiele ich immer noch. Es gibt keine Neuheiten auf der Liste. Ich spiele meine Favoriten, die reichen mir. Das heißt, meine Tele, meine dunkelblaue Strat und meine Jimi-Hendrix-Strat. Ich habe diesmal bewusst weniger eingesetzt. Ich muss schließlich niemandem mehr etwas beweisen. Ich habe mir lediglich zwei akustische Gitarren zugelegt, eine Takamine für die Live-Shows und eine Guild D-4 für’s Studio.

Wie haben sich aus deiner Sicht Sound und Spielweise entwickelt? Bemerkst du Veränderungen?
Brooks: Sicher. Auf diesem Album passiert definitiv mehr Gitarrenarbeit. Meine ehemalige Plattenfirma versuchte aus mir ein Pop-Girl zu machen. Deswegen gab es auch kaum Gitarrensoli auf dem letzten Album. Ich denke, ich habe in jeder Hinsicht zugelegt, habe auf diesem Album viel mit Sounds experimentiert und auch spieltechnisch einiges zu zeigen. Hoffe ich.

Du hast ,Bad Bad One‘ selbst produziert. Wie kam das denn?
Brooks: Nun, mein Manager meinte eines Tages, ich hätte das Zeug, auch alles komplett selbst zu produzieren und meinte, ich müsse das unbedingt mal ausprobieren. Ich wollte mir diese Mütze zuerst nicht aufsetzen. Ich fand sie einige Nummern zu groß. Aber mich reizt Neuland. Also habe ich mir ein Studio eingerichtet und mich innerhalb eines Jahres eingearbeitet. Immerhin gibt es eine Menge Musiker, die ihre Sachen selbst produzieren, warum soll ich das nicht auch können?

Hattest du Hilfe?

Brooks: Während dieser Zeit habe ich oft mit Dave Darling (ihrem früheren Produzenten) gesprochen. Er hat mir eine Menge geholfen. Gerade, als es an die Aufnahmen mit meiner Band ging. Ich hatte immerhin noch nie die komplette Kontrolle über alles! Am Ende war‘s mir doch zu viel, fürs erste Mal. Aber ich habe eine Menge gelernt. Ich habe diesen Job sehr ernst genommen. Ich habe auch Pro Tools von A-Z gelernt. Da macht mir jetzt keiner was vor.

Du hast dann unter anderem auch ,Bare Naked‘, das Debüt von Jennifer Love Hewitt produziert. Wie war es, ein Auftragswerk für jemand anderen zu übernehmen?

Brooks: Überraschend! (lacht) Zum Glück verstanden wir uns sofort blendend. Jennifer und ich schrieben am ersten Tag gleich einen Song und ich sagte ihrem Label sofort zu, dass Album zu produzieren. Als wir sieben Songs fertig hatten, spielte ich sie der Plattenfirma vor und die Leute waren total begeistert! Jennifer bekam übrigens daraufhin ihren Plattenvertrag. Es war allerdings auch der härteste Job, den ich je in meinem Leben gemacht habe.

„…sagen wo es langgeht!“

Warum glaubst du, hat es in der bisherigen Geschichte populärer Musik noch keine Frau auf den Produzentensessel einer namhaften Band gebracht?

Brooks: Das ist eine verdammt interessante Frage! Das ist wirklich eine Marktlücke, oder? Es ist wirklich ein sehr kreativer Job, mit dem man in eine dieser Männerdomänen einbrechen kann. OK, du findest viele Frauen in kreativen Berufen, aber meist zeigen sie dort nur ihre feminine Seite. Es gibt nicht viele Frauen, die einem ganzen Raum voller Typen sagt, wo’s langgeht! (lacht) Linda Perry und Alanis Morissette haben einzelne Songs koproduziert, aber ich glaube, ich bin die erste Frau, die ein komplettes Album hingelegt hat. Dafür hat mich das allerdings auch ein Jahr meines Lebens gekostet.

Worauf sollte eine junge Band beim Thema Produktion achten?

Brooks: Sie sollte sich ein „unabhängiges Ohr“ zulegen. Eine Person, der sie wirklich vertraut, die objektiv und professionell Kritik üben kann. Damit meine ich nicht den Bruder, oder die Freundin, sondern einen Profi! Jemand, der dich fragt, warum du dort im vierten Takt auf der Snare kein Delay verwendest, oder warum die Frequenzen um 4 Kilohertz so nerven. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, auch mal loslassen zu können und sich die Aufnahmen nach einer Woche Pause mit einem frischen Satz Ohren anzuhören.

Kannst du es eigentlich noch hören, wenn dich die Leute immer wieder auf ,Bitch‘ ansprechen, obwohl du eine Menge anderer, guter Songs geschrieben hast?

Brooks: Ach, mir macht das nichts aus. Ich bin immer noch geschmeichelt, dass die Leute die Nummer hören und drüber reden wollen. Ich liebe den Song. Ich habe ihn gerade gestern neu aufgenommen. Ich habe ihn als akustische Version neu arrangiert. Und ich dachte: Tolle Nummer!

Deconstruction‘ war dagegen nicht sonderlich erfolgreich in Europa. Was, wenn auch dieses Album floppt?
Brooks: Tja, was? Was soll ich machen? Das wäre traurig. Aber ich habe ein eigenes Studio, bin kreativ, schreibe ständig Songs und habe treue Fans. Ich mache mir darüber keine Gedanken. Das einzige, was ich kontrollieren kann, ist weiterhin gut zu arbeiten. Und dass im letzten Jahr 22 Cover-Versionen meiner Songs entstanden, ist ein ziemlich gutes Zeichen, glaube ich.
Danke fürs Gespräch! n

Quelle: Dieser Text erschien bereits im Dezember 2003 bei „Gitarre & Bass“. Dank an die Redaktion und den Autor für die kollegiale Unterstütuzung.
http://www.gitarrebass.de

Text: Stefan Woldach
Fotos: another dimension

Erschienen: Januar 2004

Copyright: Melodiva

www.meredithbrooks.com

29.01.2004