Mercedes Sosa (AR)

Sie ist gerade 70. geworden und hat ihre neue CD herausgebracht: Corazon Libre.
„Ich konnte damals kein einziges Wort spanisch verstehen, und ich hatte mit lateinamerika-nischer Musik eigentlich auch nichts am Hut. Mich interessierte nur Jazz, und der sollte nach Möglichkeit instrumental sein. Eine Freundin gab mir eine Kassette ihrer Lieblingslieder, und da war „Gracias a la Vida“ von Mercedes Sosa dabei. Ich erinnere mich genau an die Stimmung der Live-Aufnahme, die mich in den Bann zog – und die Tränen, die bei mir am Ende des Tapes liefen. Genau so sollte Musik immer sein, sie sollte – auch wenn man den Text nicht verstehen kann – starke Gefühle auslösen.
Nun darf ich zu Mercedes Sosas 70. Geburtstag und ihrer neuen CD schreiben, was für mich eine große Ehre ist.“

Man nennt sie „die Stimme Lateinamerikas“, weltweit wird sie als Freiheitskämpferin verehrt. Mercedes Sosa ist seit mehr als vier Jahrzehnten eine der wichtigsten Stimmen gegen Ungerechtigkeit und Gewalt. Sie verband von Anfang an den künstlerischen Auftrag mit politischem Engagement. Ende der 70er Jahre mußte sie aus ihrem Heimatland Argentinien fliehen, zu unbequem war der Militärjunta die Sängerin, die kein Blatt vor den Mund nahm und Korruption und Militärgewalt zu Themen ihrer Lieder machte. Ihre Rückkehr drei Jahre später wurde gefeiert, Mercedes Sosa erlangte den Status einer Nationalheldin. Seither ist sie als Kulturbotschafterin ihres Landes unterwegs und wird auf weltweiten Tourneen euphorisch gefeiert. Wer denkt, daß man im Alter von 70 Jahren etwas langsamer treten würde, wird von Mercedes Sosa eines besseren belehrt. Nach einer sechsjährigen Pause erscheint endlich eine neue CD, „Corazón Libre“ (edge music / Universal), auf der die Sängerin jünger klingt denn je.

Es gibt CDs, auf denen Mercedes Sosa Rock, Pop und sogar Tangos singt. Für „Corazón Libre“ hat sie sich ausschließlich auf argentinische Folklore konzentriert, was sie folgendermaßen kommentiert: „Du weißt, wie es sich anfühlt, wenn man wie ein kleiner Fisch schwimmt, oder? Es ist das beste, vor allem an einem heißen Tag, und mit dieser Musik schwimme ich in Gewässern, die ich gut kenne.“
Die CD besticht durch ihre Sparsamkeit. Mercedes Sosa wird beinahe nur von Gitarre begleitet, und die Begleiter, die sie dabei hat, können das meisterlich: Ihr langjähriger Weggefährte Jorge Guiliano und die Gitarristen Luis Salinas und Eduardo Falú, die beide auch singen. Über die Arbeit ihres Produzenten Chango Farías Gómez ist die Sängerin mehr als begeistert. „Er ist brillant, aber wie hätten wir jemand unter diesen Fähigkeiten für unsere erste Veröffentlichung in Europa nehmen sollen? Es ist das erste Mal, daß eine argentinische Sängerin von Europa aus aufgenommen wird, wenn wir mal die Pianistin Martha Argerich ausnehmen, die für die Deutsche Grammophon aufnimmt. Ich muß ehrlich sagen, daß ich sehr, sehr, sehr aufgeregt bin wegen dieser Platte.“

Trotz dieser Liebe, vor Publikum zu singen, schätzt Mercedes Sosa auch die Arbeit im Studio. Obwohl sie immer mit dem Rücken zum Regieraum sitzt und nie die rote Aufnahmelampe sieht, hat sie ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, wann der richtige Moment für eine Aufnahme ist. „Ich muß meine Art zu singen finden und mich mit den Songs auch im Studio identifizieren könne, was nicht immer ganz einfach ist. Früher hielt ich die Studioarbeit für einen kalten Job, heute sehe ich das anders. Ich brauche nur wenig Licht, gerade so viel, daß ich meine Textblätter erkennen kann. Dann kann ich tief in mich tauchen und versuchen, mit den Charakteren, die ich in meinen Liedern besinge, verschmelzen.“

Singt sie den Titelsong „Corazón Libre“ (Freies Herz), spürt sie große Freude, sagt sie. Da sie den Texter Amor kennt, kann sie in sein freies Herz hinein fühlen. Stücke, zu denen sie keine Beziehung hat, kann Mercedes Sosa auch nicht singen. „Wie soll ich denn dann meine Vorstellungskraft anwenden? Wie kann ich mir etwas vorstellen, daß ich nicht fühlen kann?“

Auffällig sind auch die treffenden Zeichnungen im Booklet und auf der CD. Auf dem Cover sieht man Mercedes Sosa mit einem Blumenstrauß im Arm, auf einem Stuhl sitzend, von hinten skizziert. Unverkennbar ist ihre Haltung, und sehr genau beobachtet, denn nur wenige Striche reichen aus. Die Zeichnungen stammen von Joan Baez, ebenfalls eine Gesangslegende und eine Freiheitskämpferin. Vor einigen Jahren waren Baez, Mercedes Sosa und Konstantin Wecker gemeinsam auf Tour. „Jedes Mal, wenn ich auf die Bühne ging, schnappte sie sich ein Blatt Papier und malte mich. Die zwei sind sehr nette, tolle Menschen, und eines Tages sagte Joan sogar zu mir, daß ich die Mutter, die Königin von allen sei. Ich habe im Laufe der Jahre die Zeichnungen vergessen, aber jemand hatte sie, und sie tauchten wieder auf. Joan hat einen ganz speziellen Humor, den man in ihren Zeichnungen samt Kommentaren findet.“

Die Argentinierin ist mehr als glücklich mit ihrer neuen Platte und der deutschen Plattenfirma eDGe Music. „Ich danke jedem, der so viel Geduld mit mir hatte und trotz meiner langen Jahre ohne Veröffentlichungen immer zu mir gehalten hat.“

Herzlichen Glückwunsch, Mercedes Sosa, zu so vielen Jahren im Musikgeschäft, nachträglich zum 70. Geburtstag und zur hervorragenden neuen CD, die das Herz befreit. „Corazón Libre“!

Europatournee im Herbst von Mercedes Sosa entfällt

Mercedes Sosa muss ihre für den Herbst 2005 angekündigte Europatournee absagen. Sie laboriert an einer Krankheit und hat sich noch nicht ausreichend erholen können. Das für Samstag, 12. November 2005, in der Alten Oper Frankfurt geplante Konzert Mercedes Sosa live 2005 entfällt. Es gibt keinen Ersatztermin. Bereits erworbene Eintrittskarten können zurückgegeben werden.

Aktuelle CD: Mercedes Sosa „Corazón Libre“ (edge / Universal)

Fotos: Eduardo Torres (Dt. Gramophon)

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