Melissa Etheridge

Live und nicht mehr allein

Melissa Etheridge hat zwar schon viel Material für ihr nächstes Album geschrieben, doch in der Zwischenzeit müssen sich die Fans erstmal mit der jüngst erschienenen DVD „Melissa Etheridge: Live … and Alone“ begnügen, einer Compilation aus Filmmitschnitten ihrer letztjährigen Tournee. Diese DVD wurde im Mai in vier ausgewählten deutschen Kinos vor großem Publikum präsentiert, inklusive einem Mini-Livekonzert – via Satellit in die Kinosäle übertragen. Im Vorfeld dieser Aktion sprach Lespress-Autorin Irene Hummel mit Melissa Etheridge.

Zu Beginn ein Blick zurück: Dein letztes Album erschien vor zwei Jahren. „Skin“ spiegelt sicherlich unter anderem die Aufarbeitung der Trennung von deiner langjährigen Partnerin Julie Cypher wieder. Nun bist Du wieder verliebt und offensichtlich sehr glücklich. Wie wirkt sich das auf deine Musik aus?

Melissa Etheridge:
Ich denke, das kann man hören. Die Musik spiegelt meine Stimmung wieder; als ich traurig war, war auch meine Musik traurig, und sehr sanft. Jetzt steckt wieder mehr Power drin. Der Daumen zeigt nach oben, es ist wieder Rock’n’Roll: Spaß und ein klein wenig verrückt.

War Deine „Live and Alone“-Tour also eine einmalige Sache?

Melissa Etheridge: Oh ja! So etwas macht man nur alle zehn Jahre! Es hat wirklich viel Spaß gemacht, und ich werde sicherlich wieder alleine auf Tour gehen, aber nicht so bald!

Auf „Skin” hast du viel mit Computern und sogenannten „Pro Tools” experimentiert. Wie sieht das bei der nächsten Produktion aus?

Melissa Etheridge: Es ist heutzutage fast unmöglich, im Studio professionell ohne den entsprechenden technischen Aufwand zu arbeiten. Ich möchte den Anteil der computerproduzierten Musik jedoch jetzt deutlich reduzieren. So sind nun wieder mehr „reale“ Musiker an Bord, wie mein langjähriger Bassist Mark Browne. Ich würde übrigens auch gerne mit guten Musikerinnen zusammenarbeiten. Aber da man musikalisch einfach zueinanderpassen muss, sind mir bislang noch nicht die Richtigen über den Weg gelaufen.

Wie wäre es denn mit Meshell Ndegeocello? Habt ihr jemals zusammen gespielt?

Melissa Etheridge: Nein, nie! Aber das wäre toll! Das würde ich wirklich gerne mal machen.

Du hast Deine DVD mitproduziert. Was war deine Aufgabe?

Melissa Etheridge: Oh, ich war lediglich Executive Producer und habe gesagt: „Ja, das ist gut“ oder: „Nein, das gefällt mir nicht“. Von mir stammt zwar die ursprüngliche Idee zu der DVD, die Ausführung übernahmen dann aber viele Fachleute. Ich habe den Produktionsprozess also im Prinzip nur überwacht.

Was läuft zur Zeit in deinem privaten CD-Player?

Melissa Etheridge: Mal überlegen: Ben Harper, White Stripes, Flaming Lips und andere.

Hast Du eigentlich auch Spaß daran, deine eigene Musik zu hören?

Melissa Etheridge: Ich höre sie mir zu Lernzwecken an. Also zur Weiterentwicklung, nicht zur Entspannung oder zum Spaß. Ich arbeite jeden Tag an meiner musikalischen Entwicklung und versuche, so gut wie möglich zu werden.

Du wirst bald 42 – was hält dich jung?

Melissa Etheridge: Meine Freundin (lacht)! Und meine Kinder natürlich. Einfach das tun zu können, was ich am liebsten tue. Beim Aufstehen schon das Leben zu lieben, das hält mich fit. Abgesehen davon habe ich in meiner Garage einen Fitnessraum und probiere, fünf Mal in der Woche zu trainieren. Und ich versuche, mich gesund zu ernähren…

Keine Drogen also?

Melissa Etheridge: Doch! (lacht): Liebe! Liebe ist meine Droge. Nein, die „echten Drogen” habe ich hinter mir, ich hatte sowieso nie viel damit zu tun. Nur ganz selten trinke ich Alkohol. Ich brauche es einfach nicht. Mir macht das Leben, so wie es ist, Spaß.

Du wärst also heute nicht noch gerne einmal 20?

Melissa Etheridge: Nein, das habe ich doch schon hinter mir. Gut, ich hätte gerne einen erst zwanzigjährigen Körper, aber das geht nun mal nicht. Damals konnte ich leider die Vorteile, jung zu sein, nicht erkennen. Aber noch mal von vorne anzufangen kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem hat das Älterwerden ja auch ganz spezielle positive Vorzüge: es bringt Erfahrung, Weisheit und das Gefühl, viel von dem erreicht zu haben, was ich mir gewünscht habe.

Du lebst inzwischen mit deiner neuen Partnerin Tammy Lynn Michaels zusammen. .. Wie kommen die Kinder, die ja eine andere Mutter haben, und Tammy miteinander aus?

Melissa Etheridge: Die Kinder lieben Tammy! Sie erkennen sie als ihre Stiefmutter an; aber Julie und ich haben das gemeinsame Sorgerecht. Das heißt, die Kinder leben eine Woche bei mir, und dann wieder bei Julie. Das funktioniert sehr gut, auch weil wir in unmittelbarer Nachbarschaft leben. Bailey und Beckett kommen erstaunlich gut mit dieser Regelung klar, obwohl sie sicherlich lieber nur eines statt zweier Zuhause hätten. Auf der anderen Seite merken sie aber einfach, dass sie von allen sehr geliebt werden.

Hattest du deine Kinder damals eigentlich adoptiert? Bei uns ist das für die lesbische Co-Mutter nämlich nicht möglich.

Melissa Etheridge: Ja, ich habe sie adoptiert. Es war auch hier auch recht kompliziert, aber wir haben es schließlich geschafft. Ich muss es einfach noch einmal sagen: Meine Kinder sind einfach das Beste, was mir jemals passiert ist!

Was möchtest du deinen Kindern auf ihren späteren Lebensweg mitgeben?

Melissa Etheridge:Respekt sich selbst und anderen gegenüber. Sie sollen lernen, dass man andere Menschen so behandelt, wie man selbst behandelt werden möchte. Nämlich mit Freundlichkeit, Liebe und eben: Respekt.

Was denkst du über Religion und / oder Spiritualität?

Melissa Etheridge:Das sind für mich zwei völlig verschiedene Dinge. Spiritualität gehört zu meinem Leben: Ich glaube an eine höhere Macht, und daran, dass wir alle eine Verbindung miteinander haben, dass wir alle „eins sind“. Aber ich habe nichts mit irgendeiner organisierten Religionsausübung zu tun. Grundsätzlich basieren die verschiedenen Religionen ja auf ähnlichen Grundideen: es gibt einen Gott, wir sollen Gutes tun usw. Aber da, wo sie anfangen, zwischen „Wir” und „Die Anderen” zu unterscheiden und zu sagen „Wir sind die Besseren”, da entsteht in der Folge Gewalt und Brutalität. Ich bin überzeugt, dass eine Menge der aktuellen Weltprobleme ihren Ursprung in der Organisierung der Religionen haben.

Bist du politisch engagiert?

Melissa Etheridge: Ja!. Da in den USA im Moment das politische Pendel so stark zur konservativen Seite hin ausschlägt, ist es dringend notwendig, mehr freiheitliches Gedankengut in die Regierungspolitik zu bringen. Deshalb leihe ich meinen Namen und manchmal auch mein Gesicht den Demokraten, schließlich ist meine Art offen lesbisch zu leben ja durchaus auch schon ein Politikum.

Zu Beginn Deiner Karriere hast Du in lesbischen Bars und auf Frauenmusikfestivals gespielt. Würdest du heute auch nochmal nur für Frauen auftreten?

Melissa Etheridge: Wenn die Situation sich richtig anfühlen würde, möglicherweise. Aber ich stehe nicht darauf, jemanden auszuschließen. Ich weiß, dass die große Mehrheit meiner Fans Frauen sind, will aber die Männer nicht aussperren.

Wie würdest du deine Verbindung zu der lesbischen Community beschreiben?

Melissa Etheridge: Ich bin der Elvis der Lesben (lacht)! – Nein, schreib das lieber nicht, sie werden das hassen. Die lesbische Community ist sehr sehr wichtig für mich: Die Frauen haben mich schon vor meinem Plattenvertrag unterstützt. Sie waren da, als ich noch nicht erfolgreich war, und sie haben mich während meiner Karriere immer begleitet. Sie sind meine größten Fans. Ich stehe für immer in der Schuld der lesbischen Community.

Was magst du am Rockstar-Leben am meisten?

Melissa Etheridge: Mich nicht anstellen müssen und den guten Tisch im Restaurant bekommen!! – Nein, im Ernst: was ich wirklich am meisten mag, ist die Tatsache, dass es Leute gibt, die Spaß an meiner Musik haben und meine Alben kaufen, und dass ich mit meiner Musik die Leute begeistern kann. Das ist einfach wunderbar.

Wann wirst du wieder nach Europa kommen?

Melissa Etheridge: Nächstes Jahr. Da werde ich wieder ziemlich hart arbeiten. Aber es steht noch nichts fest, da wir noch nicht wissen, wann das neue Album erscheinen wird. Erst dann wird die Tour geplant.

Letzte Frage: Wie fühlt man sich auf der Bühne vor Tausenden von enthusiastischen Fans?

Melissa Etheridge: Wie im Himmel! Ich liebe es! Es ist ein wahr gewordener Traum – genau das, was ich immer wollte.

Discographie (Auswahl):

CD – Skin

CD – Breakdown

CD – Yes I am

CD – Never enough

CD – Brave and crazy

CD – Melissa Etheridge

www.popentertainment.com/etheridge.htm

Quelle: Dieser Text erschien in der Juni-Ausgabe 2003 der LESPRESS.
www.lespress.de

Wir bedanken uns bei Ulrike Anhamm und der Autorin für die kollegiale Unterstützung.

Copyright: Redaktion Melodiva

melissaetheridge.com
Autorin: Irene Hummel

31.05.2003