Marianne Faithfull (GB)

"60s Ikone meets Alternative-Queen PJ Harvey"

Ende September erschien nun ihr neues, weitaus düsteres Album „Before The Poison“, für das die 60s-Ikone niemand Geringeres als Alternative-Queen PJ Harvey als Produzentin anheuerte. Zudem betrat Nick Cave des öfteren das Studio. Ende November präsentiert sich die Legende endlich wieder auf Konzertbühnen.

Eine bewegende, spannende Story von UPS and totally DOWNS – zu lesen wie ein Roman …das Leben und Überlebenden einer Frau, Sängerin, Musikerin, Schauspielerin, die Musik- und Geschichte schrieb.

Klosterschülerin, Jagger-Freundin, 60s-Ikone, Rockröhre, Edel-Groupie, Drogenabhängige, Schauspielerin, alternde Diva: Die Karriere der 1946 in London geborenen Marianne Faithfull hat viele Gesichter. Angefangen hat das aufregende Leben auf einer Party mitten im Swinging London 1964. Die 18-Jährige hat strahlend blondes Haar, große blaue Augen, Schmollmund und einen Traumkörper, dem auch Rolling Stones-Manager Andrew Loog Oldham nicht widerstehen kann. Der laut Marianne „verrückte Kerl mit Lidschatten“ (NZZ Interview 02/2000) stellt sie umgehend seinen Arbeitgebern Mick Jagger und Keith Richards vor.

Da diese sich noch immer mit dem Covern alter Rhythm’n’Blues-Stücke zufrieden geben, während die Beatles schon fleißig selbst komponieren, beauftragt er Mick und Keith, für Marianne einen Song zu schreiben. Das Ergebnis lautet „As Tears Go By“, mit dem Marianne binnen sechs Monaten die UK Charts stürmt. Im Jahr 1965 heiratet die begeisterte Oscar Wilde-Leserin den Kunststudenten John Dunbar. Aus dieser Liaison stammt Sohn Nicholas. Doch schon kurze Zeit später verfällt sie, wie so viele Mädels, dem Charme des Rolling Stones-Frontmannes. Im Gegensatz zu den Millionen Fans wird ihr Traum aber Wirklichkeit und die Blondine verlebt mit Mick dreieinhalb Jahre eine wilde Jugend.

Mittlerweile das glamouröseste Beat-Starlet Englands, geliebt in Mod-, Rocker- sowie Hippie-Kreisen, eröffnen sich ihr nicht nur die Türen des ungezügelten Drogenkonsums, sondern auch die der Schlafzimmer von Brian Jones, Keith Richards und Anita Pallenberg (Richards-Freundin). Roy Orbison soll sie gar als einzige Frau dazu gebracht haben, seine dunkle Sonnenbrille abzunehmen. Außerdem glänzt sie in Outsider-Filmen wie „Don’t Look Back“ oder „I’ll Never Forget What’s His Name“ (1967). In letzterem Film bricht sie als erste Person das Tabu, in einem Kinofilm das böse F-Wort auszusprechen.

Eine legendäre Party auf Keith Richards‘ Landgut im Februar 1967 endet mit einer polizeilichen Drogen-Razzia. Dabei wird Marianne, lediglich mit leichtem Fell bekleidet, festgenommen. Den Stones passt das verheerende Presse-Echo auf diese Aktion („Naked Girl At Stones Party“) blendend ins Rebellen-Image, die Faithfull dagegen leidet schwer unter dem Schlagzeilen-Terror.
1968 erleidet sie eine Fehlgeburt.
Als sie aus der Narkose erwacht, soll Jagger ihr die Worte „Wild horses couldn’t drag me away“ zugeraunt haben. Daraus wird 1971 dann der gleichnamige Stones-Hit. Mit der Liebe zu Jagger ist es jedoch bald vorbei, die Scheidung mit ihrem ersten Mann wird ebenfalls vollzogen und Marianne verfällt in tiefe Heroin-Abhängigkeit, die sie fast durch die ganzen 70er Jahre hindurch begleiten sollte. 1969 erlebt man sie noch in der Bühnenaufführung „Hamlet“. Ihr Drogenproblem thematisiert sie im Song „Sister Morphine“, der ebenfalls von den Stones für „Sticky Fingers“ neu aufgenommen wird.

1977 erscheint nach langer Pause mit „Dreaming My Dreams“ ein Country beseeltes Album, das nur in ihrer späteren Heimat Irland für Aufruhr sorgt. Erst 1979 wird die Öffentlichkeit mit dem gefeierten, sperrigen Album „Broken English“ wieder auf die Sängerin aufmerksam. Faithfulls ehemals schneidende Stimme hat sich dank der jahrelangen chemischen Nahrungsergänzung in eine rasselnde Röhre verwandelt, die dem neuen Songmaterial eine noch intensivere Note verleiht. Dennoch verfällt sie erneut dem giftigen Stoff, überlebt eine Überdosis und setzt sich 1985 den letzten Schuss. Weitere Album-Veröffentlichungen werden zu lyrischen Therapien für die rekonvaleszente Sängerin, die sich zunehmend für Kurt Weill und Musik aus der Weimarer Republik interessiert. Diese Begeisterung kulminiert 1997 in der Album-Aufnahme „20th Century Blues“ sowie der Weill/Brecht-Oper „The Seven Deadly Sins“ (1998).

In den 90ern bewegt sie sich somit mit immer größeren Schritten hin zu einer charismatischen Chansonniere. 1996 kehrt sie dank Metallica noch einmal in die Rock-Schlagzeilen zurück. Auf der Single „The Memory Remains“ hat sie einen bemerkenswerten Gastauftritt. Ihre Autobiografie „Faithfull“ (1994) und der Auftritt als erster Pop-Star bei den Salzburger Festspielen erregen ebenfalls großes Aufsehen.

2002 hat Marianne Faithfull drei gescheiterte Ehen hinter sich und wohnt alleine und zurückgezogen in Dublin. Zu ihren Bewunderern zählen sich mittlerweile auch Billy Corgan, Pulp, Blur, Dave Stewart und Beck, die alle mit Gastauftritten auf Faithfulls Werk „Kissin Time“ vertreten sind.

CD-Infos: „Bevor the poison“

Zwei Jahre sind seit „Kissing Time“ vergangen, Marianne Faithfulls ziemlich großartiger Rückkehr auf die Pop-Bühne. Wie aus dem Nichts tauchte die ehemalige Klosterschülerin damals mit einer Celebrity-Gästeliste auf, die sich gewaschen hatte: Dreimal Billy Corgan und Beck, je einmal Blur, Pulp und Dave Stewart. Wow! Beim Hören wurde schnell deutlich, dass die Gäste bei Madame angeklopft haben, und nicht umgekehrt. Die rau rasselnde Stimme der Faithfull bleibt unvergleichlich.

Marianne Faithfull hat für ihr neues Album mit namhaften Kollegen zusammengearbeitet. Konkret waren PJ Harvey, Nick Cave, Damon Albarn (Blur) und Filmkomponist Jon Brion an den Aufnahmen beteiligt. Die CD „Before The Poison“, Nachfolger des Longplayers „Kissin Time“ (2002), soll laut der Plattenfirma edel am 27. September erscheinen. PJ Harvey steuerte den Text und die Musik zum Opener „The Mystery Of Love“ bei. Außerdem singen die Damen unterschiedlicher Rock-Generationen gemeinsam „No Child Of Mine“.

Von Nick Cave stammt die Musik zum Song „Crazy Love“, untermalt mit Piano, Geige und Akustikgitarre. Cave komponierte noch ein zweites Lied, „There Is A Ghost“, „eine eindrucksvolle Harmonie zwischen Gesang und ruhigen Klaviertönen“, wie es im Pressetext heißt. Viel Freiraum gibt Albarns Stück „Last Song“ den unverwechselbaren Vocals von Faithfull.

MARIANNE FAITHFULL „Before the poison“ (Edel coltraine – Sept. 2004)

2002 – CD „Kissin Time“ – Großartiges Comeback mit Pulp, Blur, Billy Corgan und Beck.

2001- CD „Stranger On Earth“ – An Introduction To Marianne Faithfull

1999 – CD „Vagabond Ways“

1998 – CD „Perfect Stranger“ – The Island Anthology
1998 – CD „The Seven Deadly Sins“
1997 – CD „20th Century Blues“
1995 – CD „A Secret Life“
1994 – CD „Faithfull“ – A Collection Of Her Best Recordings
1990 – CD „Blazing Away (live)“
1988 – CD „Rich Kid Blues“
1987 – CD „Strange Weather“
1985 – CD „Music For The Millions“

Quelle: Dieser Text erschien in der September-Ausgabe des Online- Magazins

Wir bedanken uns bei der Redaktion und Rainer Henze für die kollegiale Unterstützung.

Text zusammengestellt von: Anne Breick

Erschienen: November 2004

www.laut.de

29.11.2004