Maren Kroymann
"Preis der Wahrheit"
Maren Kroymann – Die wichtigsten Stationen:
1949 geboren, aufgewachsen in Tübingen
1967 Auslandsaufenthalte, Schauspielunterricht, Theatererfahrungen
1971 singt im linken Hanns-Eisler-Chor in Berlin
1982 erstes Bühnenrogramm: „Auf du und du mit dem Stöckelschuh – vom Mädel zum Fräulein, vom Fräulein zur Frau. Schlager wiesen ihr den Weg“
1988 Hauptrolle in der ARD-Serie „Oh Gott, Herr Pfarrer“ und
1992 „Vera Wesskamp“
1993 – 97: „Nachtschwester Kroymann“, feministische Satiresendung / ARD
1993 Coming Out vor Millionenpublikum: Kroymann lässt sich mit ihrer damaligen Lebensgefährtin für den „Stern“ fotografieren
8. März 2000: Berliner Frauenpreis für ihr „mutiges und wegweisendes feministisches Kabarett“
2001: „Escape to Life“, Doku-Fiction von Andrea Weiss und Wieland Speck über die Lebensgeschichte von Klaus und Erika Mann
Seit 2000 ist Maren Kroymann mit ihrem Bühnenprogramm „Gebrauchte Lieder“ unterwegs in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Nett sieht sie aus,
in ihrem schwarzen Abendkleid und den adrett frisierten blonden Haaren. Und nett plaudert sie von der Bühne, im Festsaal der schwäbischen Kleinstadt, wo so viele gekommen sind, um die patente Pfarrersgattin Claudia Wiegand aus der Fernsehserie „Oh Gott Herr Pfarrer“ einmal live zu sehen. „Nun sagen Sie sicher, jetzt singt diese Schauspielerin auch noch…“, säuselt Maren Kroymann ins Publikum. „Und dann ist die ja auch noch lesbisch!“ Verkrampftes Lachen aus den vorderen Reihen, andere hauen sich wiehernd auf die Schenkel, wieder andere verstummen urplötzlich. Man ist irritiert. Maren Kroymann nutzt die Arglosigkeit ihres Publikums. Wer sich bei ihrem Programm „Gebrauchte Lieder“ auf einen entspannten Abend mit Songs von Elvis, Dusty Springfield oder Hank Williams gefreut hat, bekommt ihn.
Und noch mehr: „Einen kleinen Pädophilie-Block“ zum Beispiel. „Young Girl“ von Gary Puckett – oft gehört, über den Text nie nachgedacht – leitet ihn ein, dann wäre da noch „You’re sixteen, you’re beautiful and you’re mine“ und viele mehr… Maren Kroymann analysiert selbst die anrüchigsten Textpassagen durchaus sympathisch.
Die Nettigkeit ist Maren Kroymanns Waffe
Das war auch schon in ihrem ersten Bühnenprogramm „Auf du und du mit dem Stöckelschuh“ so. Da ging es um den Weiblichkeitswahn der 50er Jahre; um „Cindy“, die nicht traurig sein durfte oder um Frauen, die „Bambina“ hießen. Maren Kroymann singt als fröhliche Feministin jene schlichten Schlager und beträllert damit zugleich zuckersüß die Scheinmoral und Spießigkeit der Fifties. Bis 1986 ging Maren Kroymann mit dieser Soloshow auf Tournee und wurde damit zur Wegbereiterin einer neuen Form des satirischen Entertainments.
Dass sie jemals auf einer Bühne stehen würde, hat Maren Kroymann nicht geahnt, als sie noch selbst im „Bambina-Alter“ war. Das war in der ehrwürdigen Universitätsstadt Tübingen.
„In der Pubertät bin ich plötzlich verstummt“, erzählt sie, „ich wollte mich vor allem verstecken“. Abends jedoch, wenn der große Bruder im Zimmer nebenan von seinem Grundig-Tonbandgerät die Hits von Chuck Berry, Elvis und Jerry Lee Lewis abspielte, lag Maren im Bett und träumte von Amerika: „Ich wollte einen weiten, schwingenden Rock haben – so wie Grace Kelley, eine Küche mit schicken Küchengeräten, dicke Teppichböden und flauschige Handtücher. Und ich wär’ die Frau von jemandem gewesen – völlig schleierhaft von wem“, erinnert sich Maren Kroymann. Transportiert wurden diese Träume auf einem Klangteppich aus Rock’n Roll und rührseligen Country-Balladen.
Amerika rief und Maren folgte
– Gleich nach dem Abitur. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, genauer gesagt auf einem Mädchen-College, fand Maren Koymann ihre Sprache wieder.
„Ich konnte da alles ausprobieren, Theater spielen zum Beispiel, wir wurden zu allem ermutigt – und ich hatte plötzlich keine Angst mehr!“ Wenig später geht Maren Kroymann nach Paris, um Romanistik und Anglistik zu studieren und hat dort Kontakt zu politisch engagierten und frauenbewegten Kreisen. In Berlin beschließt sie endgültig, das Lehramt anderen zu überlassen und singt stattdessen im linken Hanns-Eisler-Chor. Und: Maren Kroymann wird Schauspielerin. In den folgenden Jahren wirkt sie u.a. in „Brandnacht“ von Markus Fischer mit, in Sönke Wortmanns „Superweib“, in „Escape to Life“ von Andrea Weiss und in den TV-Serien „Vera Wesskamp“ und „Oh Gott, Herr Pfarrer“. 1993 darf sie sich als Kabarettistin, Sängerin, Parodistin, Autorin und Feministin in „Nachtschwester Kroymann“ austoben. Bis heute ist Maren Kroymann die einzige Frau, die eine solche Satire-Sendung zugestanden bekam. Vier Jahre später komplimentierte man sie jedoch wieder hinaus.
Kroymann war zu frech, zu dreist, zu mutig. Die offizielle Begründung für das „Aus“ hieß freilich „Programmreform“.
Outing + Veränderungen
Im September 1993 zeigt Maren Kroymann der Öffentlichkeit eine andere mutige Seite: Nicht Rosa von Praunheim, sondern sie selbst outet sich im Stern. Gemeinsam mit ihrer damaligen Lebenspartnerin lässt sie sich fotografieren – die Konsequenzen bezeichnet Maren Kroymann heute als „Zeit der Stille“. „So viele Lesben-Rollen gab es halt nicht, und für was anderes kam ich wohl nicht mehr in Frage“, sagt sie. Und doch ist Maren Kroymann davon überzeugt, dass es der richtige Schritt war. „Würden sich alle selbst outen, wäre es einfach nichts Besonderes mehr, homosexuell zu sein, und niemand könnte mehr erpresst werden.“
Heute ist die Durststrecke überwunden. Maren Kroymann wird am 17. Dezember in „Der Preis der Wahrheit“ (ARD) in einer Hauptrolle zu sehen sein, und auch das nächste Jahr ist schon ziemlich zugeplant. Seit sieben Jahren lebt Maren Kroymann mit der Fernsehjournalistin Claudia Müller zusammen. Und wenn sie in ihrem Soloprogramm mit Inbrunst „you don’t have to say you love me“ singt, dann ist dies sicher eines der „Gebrauchten Lieder“, die sie im Laufe ihrer turbulenten Karriere selbst oft dringend gebraucht hat.
Text: Chris Corlett/ Frankfurt/M
Maren Kroymann – Ein weiteres Proträt in Lespress 7/2003:
www.lespress.de/072003/texte072003/kroymann.html
CD „Gebrauchte Lieder “ – Live in der Bar jeder Vernunft/Berlin 2002 (www.kunstmann.de)
Copyright: Redaktion Melodiva
31.10.2003