LILA DOWNS

"Mexican Power"

Sie klagt in ihren Liedern die Verletzung der Menschenrechte mexikanischer Indianer und Emigranten an, doch ist sie dabei weit entfernt, den messianischen Protestsong wieder auferstehen zu lassen. Die mexikanische Sängerin Lila Downs zeigt vielmehr, wie weltoffen mexikanische Musik inzwischen ist. Doch bei allem künstlerischen Anspruch nimmt ihre Gänsehaut erzeugende Stimme einen zuallererst gefangen.

Es spricht für die Qualität ihres musikalischen Konzepts, wenn sich Lila Downs an einen alten Gassenhauer wie „La Cucharacha“ heran wagt und dabei die emotionalen Klischees mexikanischer Musik weit umgeht. Lila Downs lässt mit ihrer Band auf fast natürliche Weise die Grenzen zwischen Cumbia-Klängen, Reggae, Indio-Musik u. v. m. verwischen als wäre die Musik das Vorbild ihrer politischer Sehnsüchte bezüglich dem Verschwinden von Grenzen. Nicht von ungefähr singt sie deshalb auch über mexikanische Emigranten, deren Leben es kostete, dass die realen Grenzen Mexikos zur USA sich eben keineswegs verwischen. Und so offenbart sich dann auch das manchmal schon als albern empfundene „La Cucharacha“ bei Lila Downs als ein Lied über gewissenlose Machtpolitik in der mexikanischen Revolution und man erkennt erst jetzt, dass es schon immer davon handelte, wie amerikanische Soldaten damals mit Marihuana gefügig gemacht wurden, gegen die mexikanischen Revolutionäre zu kämpfen.

Mit wilden und unverbrauchten stilistischen Mischungen

und ungeschminkten politischen Aussagen drängen seit kurzem immer öfter mexikanische Musiker ins Blickfeld. Offensichtlich besteht Nachholbedarf und die konventionelle Mariachi-Folklore hat zu lange die Sicht verstellt auf das, was sich parallel zur zunehmenden Internationalisierung musikalischer Wurzeln auch in Mexiko abgespielt hat. Erst vor kurzem stellte Jazzthetik die stilistisch vielfältige, mexikanisch-stämmige Sängerin Lhasa vor. Lila Downs geht ähnliche Wege, fühlt sich jedoch inhaltlich stärker den Problemen der mexikanischen Gesellschaft verpflichtet.

Sie beherrscht aber auch alle Nuancen mexikanischer Gesangsstile, seien es nun die lang gezogenen Töne, bei denen man Atemnot befürchten muss, die fast infantil klingende, hoch gesungene Melodik der Indianerlieder oder der tiefe Flüstergesang inbrünstiger Balladen. In ihrer lateinamerikanisch besetzten Band vermischen sich zudem Klänge aus allen Himmelsrichtungen. Neben einem Harfenisten aus Paraguay ertönt manchmal afrikanisch anmutende Perkussion aus Chile, der Gitarrist kommt aus Brasilien und der Bassist aus Kuba. Doch schillern noch ganz andere Töne durch die Musik, seien es Gospel oder Country, die Indianermusik Mexikos oder gar Club Music.

Lila Downs Ansinnen, einerseits die mexikanische Kultur durch Modernisierung international bekannt zu machen

und andererseits sich immer mehr ihrer eigenen indianische Abstammung zuzuwenden, ist nur scheinbar widersprüchlich. Einerseits öffnete sie sich mit einem Umzug nach New York neuen Einflüssen und andererseits begegnete sie mit dem Blick aus der Ferne dem Authentischen umso unverstellter. So ging sie z. B. auf dem Album „One Blood“ den Ursprüngen des Pop-Songs „La Bamba“ nach, dem insbesondere der erste Hispano-Rockstar Ritchie Valens in den späten 50ern seinen Stempel aufdrückte. !

Die Sängerin fand heraus, dass der Begriff „bamba“

sich auf eine kongolesische Stadt im 16. Jahrhundert bezieht, als Afrikaner als Sklaven ins mexikanische Veracruz verschleppt wurden, wo der Ursprung des Liedes auszumachen ist. Den von ihr verwendeten traditionellen Text von „La Bamba“ stellte sie aus verschiedenen dokumentierten Tonaufnahmen des im späten 16. Jahrhundert geschriebenen Liedes zusammen. Lila Downs gibt dem Song aber auch eine andere rhythmische Akzentuierung. Ihre Version ist wesentlich perkussionsbetonter und damit afrikanischer geprägt, andererseits verweist das gleichzeitige Harfenspiel auf die indigene Abstammung. Ein wiederkehrender Drumbox-Beat zitiert zudem noch den Nimbus als Party-Hit. Lila Downs nennt diese Arrangements „Mestizierung“ als Widerspiegelung der Vermischungen im mexikanischen Volk.

Doch sie selbst ist schließlich auch „mestiziert“. Als Tochter einer Mixtec-indianischen Sängerin und eines schottisch-amerikanischen Filmemachers und Malers wuchs sie in Oaxaca im Süden Mexikos auf und studierte dort Musik und Anthropologie.

„Als ich einmal Totenscheine junger Männer, die beim Versuch der Einwanderung in die USA zwecks Arbeitssuche ums Leben gekommen waren, für ihre Verwandten vom Englischen ins Indianische übersetzte, war ich sehr bewegt. So entschloss ich mich meine Empfindungen darüber in Lieder umzusetzen. Ich musste darüber singen, um ihnen Ehre zu erweisen.“

Sie begann infolge nach alten indianischsprachigen Texten zu suchen,

die sie in Lieder umsetzte. Auf ihrem Album „Border“ widmete sie sich des Weiteren den unter Ausbeutung und Rassismus leidenden mexikanischen Grenzgängern. In den Texten klagt sie in teilweise pathetischem Ton den Umgang der Amerikaner mit den mexikanischen illegalen Einwanderern als eine Form von hierzulande kaum mehr wahrgenommenem Völkermord an. Doch vermeidet sie dabei, ihr Volk einseitig in einer Opferrolle darzustellen, sondern betont immer wieder die gemeinsamen Interessen aller Rassen.

So heißt es im Song „Good for Nothin’“: „The fatherland has claimed it’s blood from progress, but those people, who’ve been sacrificed are your same race – the indian, the black, the „mestizo“, the whitish one…“ Und so ist ihr letztes Album „One Blood” auch eine Aufforderung, die Situation des mexikanischen Volkes nicht getrennt von der eigenen Situation zu verstehen, wenn es darum geht, die Menschenrechte abzusichern. Ihr Kampfgeist zitiert dabei den eines Woodie Guthrie, dessen „This Land is your Land“ sie mit seiner Emigranten-Ballade „Pastures of Plenty“ kunstvoll in einer Art Latin-Blues verwebt. Ihre Fähigkeit, sozial engagierte Lieder aber nicht im verstaubten Gestus der Protestsongs, sondern mit raffiniertem weltmusikalischem Crossover und durchaus tanzbaren Arrangements zu präsentieren, hat sie in Mexiko zum Superstar gemacht. Die wachsende Welle der Latino-Kultur erfreut sie:

„Die mexikanische Kultur ist in den USA gewissermaßen unsichtbar, weil sie in diesem Land die Kultur der ärmsten Arbeiterklasse ist. Deshalb ist die derzeitige Renaissance von Mexiko durch verschiedene Film- und Musikprojekte so erfreulich. Die Menschen erfahren endlich mehr über die indigenen Wurzeln.“

Sie selbst hat im Film „Frida“ über die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo mit einem Auftritt als Sängerin dazu beigetragen.

Discographie

Aktuelle CD:

LA CANTINA -Entre copa y copa… (Label: peregrina music)

Vertrieb: In-Akustik 2006

www.liladowns.com
Autor: Hans Jürgen-Lenhart

29.05.2006