Leni Stern (D/USA)

"When Evening Falls"

Eigentlich muss man die Gitarristin, Komponistin und Sängerin Leni Stern nicht mehr vorstellen. Die Münchnerin in New York ist seit vielen Jahren eine konstante Größe. Ihre mittlerweile 13. Platte in 20 Jahren ist noch globaler, ihre Geschichten kommen diesmal aus Afrika, Indien und den Südstaaten, die auch ganz eigene Sounds haben. Redakteurin Angela Ballhorn traf sich mit der quirligen Gitarristin in Berlin, um über ihre neueste CD „When Evening Falls“ zu sprechen.

Melodiva: Wann sagt dir dein Gespür, dass es wieder soweit ist, eine Platte aufzunehmen? Nimmst du fortlaufend auf, oder sammelst du erst?

Leni Stern: Das ist verschieden. Wenn man die frisch geschriebenen Stücke sofort aufnimmt, hat das eine ganz spezielle Magie: Wenn das Stück aus dem Haus raus geht, zur Band und quasi öffentlich wird, was du dir zu den Stücken gedacht hast. Schon beim allerersten Durchspielen mit einem Bandkollegen nehme ich auf, weil es einen ersten Eindruck hinterläßt – spielen, ohne zu denken. Wenn du auf Tour warst, entsteht eine bewußte Version, da bestimmst du und arrangierst. Das sind zwei Seiten. Die erste Fassung ist nicht ausgefeilt, roher. Beides braucht man. Auf der Platte soll es kurz sein, live viel länger.

Bei meiner neuen Platte sind die Stücke „On the Outsight“ und „Calling“ neu, mit „Let me fly“ und „Icecold Water“ waren wir schon unterwegs. Das afrikanische war neu – und schwierig. Den Standard „I’ll be seeing you“ hatten wir schon länger im Programm und ich hatte lange Zweifel, ob ich wirklich ein Billie Holiday Stück aufnehmen sollte. Aber nur mit Gitarre, Bass und Schlagzeug ist es ja schon was ganz anders, schließlich hat sie nie ohne Klavier gespielt.

Ihre (Billie Holidays) Art zu singen ist wieder sehr modern mit ihrem Understatement. Die Stimme als Instrument und eher als Geschichtenerzähler ist zeitlos. Der Billie glaubt man alles, Stücke wie „Don’t Explain“, das ist alles die Wahrheit gewesen.

Melodiva: Was für ein Gefühl ist es, den Song an die Band abzugeben?
Leni Stern: Das ist mein Lieblingsgefühl, die Belohnung dafür, dass du im Zimmer sitzt und feilst und wegwirfst, bearbeitest, das leere Blatt anstarrst. Ich gebe es immer zuerst dem Bassisten, dann werden die Stücke lebendig. Paul Socolow, mein Bassist und ich spielen seit 14 Jahren zusammen, und Georg Whitty und Bob Malach sind ebenfalls langjährige Weggefährten. Die haben dann als Interpreten deiner Musik auch ein gutes Vokabular. Es kann passieren, dass einem Stück noch etwas fehlt, oder dass der Song nicht funktioniert.
Melodiva: Du läßt dich sehr durch deine Reisen inspirieren.
Leni Stern: Es waren sehr verschiedene Reisen, die teilweise schon wieder etwas zurück liegen. Afrikanische Musik wie die von Youssou N‘Dour interessiert mich sehr. Die indische Musik liebe ich schon seit Bill Frisell. Die indische ist dem Jazz sehr verwandt, daran haben sich John Coltrane und Charlie Mariano orientiert. In unserer Kultur ist das Improvisieren wieder abgeschafft worden, weil die Geigenvirtuosen den Komponisten die Stücke verdorben haben. Ich arbeite schon lange an der indischen Musik. Die Leute sagen: Du mußt immer so viel reisen, du bist nie zu hause. Das ist aber genau der Teil der mich interessiert. Ich versuche, meine Reisen zu verlängern und mit Leuten vor Ort zu musizieren

Melodiva: Du kannst dir den Luxus leisten, dort zu bleiben, und kennst nicht nur Club, Hotel, Flughafen und Autobahn?

Leni Stern: Den Luxus muß man sich nehmen. Ich schreibe ja immer, das gehört zu mir. Stücke, die ich wo anders geschrieben habe, klingen anders. „Blue Clouds“, ein älteres Stück, habe ich in Kathmandu geschrieben, und die Wolken über dem Himalaja haben eine ganz merkwürdige Farbe, blau gegen einen rosa Himmel. „Blue Clouds“ könnte aber auch zu einer von Picassos Perioden passen, aber alle fragten „Hast du das in Nepal geschrieben?“ Offensichtlich kommt die Stimmung in den Kompositionen durch. Ich bleibe absichtlich und verbinde Gig und Aufenthalt. Höre Musik und schreibe. Ich kann überall schreiben, auch weil ich so viel unterwegs bin. Ich kann im Park, im Flugzeug oder im Zug schreiben. Und Geld sparen kann ich auch noch…. wenn mir das Geld ausgehen sollte, gehe ich nach Indien, da brauche ich in einem Monat so viel Geld wie in drei Tagen in New York. Wo anders hat man auch sehr viel mehr Zeit. In New York verpaßt Du immer was. Ich reise, damit ich komponieren kann. Bis heute merke ich nicht, dass es anders ist, erst wenn ich nach Hause komme, merke ich, dass die Stücke anders klingen.

Melodiva: Abend- und Nachtstimmungen dominieren auf der neuen CD.

Leni Stern: Auf dieser Platte ja. „Let me fly“ habe ich abends geschrieben. Momentan schreibe ich morgens. In meinem Studio ist abends immer eine sehr schöne Stimmung. Um 18 Uhr ist Schluß, da sind keine Interviews, Touren , Proben etc. Da habe ich mich oft hingesetzt, mir die Gitarre genommen. Freunde sind vor dem Gig noch zum Musizieren vorbeigekommen. Mein Gebäude ist das höchste im East Village und die Abendsonne ist echt toll, man kann bis an die Brooklyn Bridge schauen. Die Sonnenuntergänge haben mich sehr inspiriert. Zur Zeit schreibe ich morgens, weil der Tag noch nicht angefangen hat, so von 7 bis 10 bin ich ungestört.

Melodiva: Kannst du etwas zu den Stücken „When Evening Falls“, „I’ll Be Seeing You“ und „Icecold Water“ erzählen?

Leni Stern: „Icecold Water“ ist der Rhythmus von Amerika. Eigentlich gehört New Orleans, diese Mischung aus Europa und Afrika, ebenfalls zur Weltmusik. Auch die klassischen Komponisten haben Volkslieder oder Zigeunerlieder als Grundlagen genommen, womit wir schon wieder in Indien wären. Zu „Let Me Fly“ kann ich nur sagen: Laß mich fliegen, dann komme ich wieder zu dir zurück. Ein Kommentar über die Liebe. Wenn du zu sehr festhältst, erdrückst du die Liebe, wenn du losläßt, gewinnst du. Frauen werden heutzutage nicht mehr so festgehalten, zumindest in meiner Kultur nicht. Durch die Freiheit gewinnen wir alle. Wenn du mich einsperrst, laufe ich weg. Wir werden zwar nicht mehr in Ketten gehalten, aber sich die innere Welt schön zu gestalten ist noch nicht selbstverständlich.

Melodiva: Wie sieht ein normaler Tag in deinem Leben aus?
Leni Stern: Egal, ob ich auf Reisen bin oder Zuhause, die Tage sehen ähnlich aus. Ich beginne den Tag mit Gitarre spielen und singen. Tambura spielen und singen. In der indischen Tradition soll man singen bevor man spricht. Die tut der Stimme gut. Dann beginne ich zu schreiben, so lange wie es geht. Dann gibt es Mittagessen, ich gehe ins Büro, beantworte Mails, plane Touren, unterhalte mich mit meinen Musikern, probe… Meistens bin ich ein zwei Stunden am Tag damit beschäftigt, meine Sachen zu organisieren. Gegen Abend wird geprobt oder es gibt einen Gig. Nachdem Proben geht es in die Kung Fu Schule, manchmal auch schon dazwischen, weil ich für meinen braunen Gürtel trainiere.

Melodiva: Du spielst immer noch viel, aber nicht in Deutschland.

Leni Stern: Ich habe in den Staaten viel gespielt, weil ich nie in Amerika gespielt habe. Ich bin durch ganz Amerika gereist, und das Land ist so riesig wie Europa, da bist ein ganzes Jahr beschäftigt! Aber ich möchte unbedingt bald wieder nach Europa auf Tour kommen. Für mich ist Amerika mit seinen Staaten alles neu, und als Singer Songwriter hat man mehr Zugang. Die Musik, die ich mache, kommt in den Staaten gut an. Jetzt möchte ich wieder mehr in Europa spielen.

Melodiva: Wie ist die Gitarristin zum Singen gekommen?

Die Welt ist internationaler geworden. Ich singe auch auf Hindi auf dieser Platte. Warum hast du begonnen zu singen, haben mich oft Leute gefragt. Die Frage ist aber eher anders herum: Warum hast du aufgehört zu singen? Englisch war meine Fremdsprache, das fühlte sich lange Jahre komisch an. Mir hat man gesagt „Leni Stern is selling out“, als ich mit dem Singen begonnen hatte. Davor war die elektrische Gitarre auch suspekt. Dabei gibt es jetzt viel mehr Gitarristinnen: Sheryl Bailey, Susan Weinert, Jane Getter, Jennifer Batten…

Als Instrumentalistin ist es ein Schock, wenn du zum Instrument wirst – Hilfe, ich bin erkältet, und solche Sachen. Es gab viele Pianistinnen wie Shirley Horn und Nina Simone, die von den Plattenfirmen aus singen mußten, damit sich’s verkauft.

Melodiva: Frech gefragt: Bist du eine Gitarristin, die auch singt oder eine Sängerin, die sich auch begleitet?

Leni Stern: Ich sehe mich als Komponistin, elektrische Gitarristin und Sängerin. Alles zusammen, das muß auch möglich sein!

Aktuelle CD Leni Stern „when evening falls“ (LSR / bhm music / Vertrieb: zyx)

Copyright: Redaktion Melodiva

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Autorin: Angela Ballhorn

29.05.2005