Laia Genc (D)
"Spielernatur am Jazzpiano"
Laia Genc ist 1978 in Berlin geboren. Seit 2000 studiert sie an der Musikhochschule Köln Jazzpiano. Sie war von 2001 – 2003 jeweils Mitglied im BuJazzO und im LJJO NRW, mit dem sie 2003 nach Korea und Marokko tourte. Von 2001 bis 2003 war sie jeweils eingeladen, in Leipzig beim Jazznachwuchswettbewerb in der Moritzbastei zu spielen. In chronologischer Reihenfolge mit: Nurse Or Nuc, einem Jazzquartett, dem Terrence Ngassa Sextett und dem Laia Genc Trio. Mit Terrence Ngassa spielte sie einige Konzert z.B. beim Jazzfestival in Köln und auf der Jazzrally in Düsseldorf. Mit der Klarinettistin Annette Maye arbeitet sie in einem Duo, das sich mit einer Fusion von modern Jazz, Musik vom Balkan und frei improvisierter Musik auseinandersetzt.
2004 erhielt sie den Biberacher Jazzpreis.
Straight Ahead oder Screamin’ the Blues?
Laia Genc weiß nicht mehr, welches der beiden Nelson/Dolphy-Alben die erste Jazzaufnahme gewesen sein mag, die sie im Alter von 15 Jahren gehört hat. Jedenfalls hatte sie da längst beschlossen, Musikerin zu werden. Und zwar Jazzpianistin. Angesichts des – langweiligen – klassischen Klavierunterrichts, den sie mit sechs Jahren begonnen hatte, muss von einem Fall vorausschauender Notwehr gesprochen werden.
Die aus Berlin kommende 27-jährige Wahlkölnerin ist mittlerweile eine gefragte »Musician’s Musician« und hat in diesem Jahr ihre erste CD vorgelegt – Trilogien. Ausgerechnet in der Königsklasse: im Jazztrio, in dessen klassischer Ausprägung das Piano Chefsache ist. Genc ist gerne Chef, aber sie sucht sich mit Vorliebe Partner, die ihr etwas anzubieten oder sogar entgegenzusetzen haben.
So jemand ist der Schlagzeuger ihres Trios Liaison Tonique, Nils Tegen. Tegen ist nicht nur exzentrisch, was Mode angeht – auch als Schlagzeuger kultiviert er einen eigenwillig expressiven, manchmal sperrigen Stil. Gleiches gilt für sein hervorragendes Pianospiel. Dass Tegen instrumentenübergreifend tätig ist, sieht Genc als klaren Vorteil, da sie sich beim Spielen quasi blind verstünden. »Die Band ist wegen ihm so gut«, bemerkt sie ganz ernsthaft. Das ist zu viel Bescheidenheit angesichts ihres eigenen und des Beitrages von Bassist Friedrich Störmer.
Musikalisch sucht Laia Genc mit ihrer Liaison Tonique die Schnittstelle zwischen klassischem Triojazz und freier Improvisation. Wobei sie ihren Hörern gut verträgliche Dosen verabreicht. Sie ist sich dessen bewusst: »Ich würde mir nicht anmaßen, zu sagen: Ich mache freie Improvisation. Ich weiß, was das für ein Weg ist, da hinzukommen – verglichen mit den Konzepten von Frank Gratkowski bin ich noch nicht mal losgegangen. Ich stehe total auf freie Improvisation, aber ein ganzes Konzert so durchzuziehen, das möchte ich nicht. Im Moment.«
Das könnte sich nämlich ändern, wenn sich ein großer Wunsch von ihr erfüllte und sie eines Tages der Ausnahmepianistin Aki Takase persönlich über den Weg liefe.
Genc hat ihren eigenen Kopf – und auch ihre eigene Lesart für Jazzstandards, »What Is This Thing Called Love« und »Stella By Starlight« tauchen auf ihrer CD auf. Sie belässt die Stücke im Groove, fasst sie aber, was Stiltreue angeht, ungebundener auf. Das trägt ihr vor allem Kritik von Fundamentaljazzern ein, begleitet von der Frage: »Kannst du denn überhaupt „inside“spielen?« Die akademische Frage nach Defiziten nimmt sie bis zu einem gewissen Punkt sehr ernst. Sie weiß, woran sie arbeiten muss. Dennoch:
»Ich habe manchmal den Eindruck, dass Männer eine intellektuellere Herangehensweise haben, eher in Systemen denken. Denen ist mein Spiel nicht fundiert genug. Ich weiß aber sehr wohl, was ich mache, nur lasse ich es in dem Moment, wenn ich spiele, los. Ich setze, was ich höre, intuitiv um. Manchmal denke ich, das ist ein naives Spiel, das ich da spiele. Ich setze mich hin und: „n’importe quoi“, wie der Franzose sagt.«
1997 lernte sie John Taylor kennen, der heute (noch) ihr Dozent an der Musikhochschule in Köln ist. »Bevor ich im Oktober 2002 bei ihm mein Hauptstudium begann, haben wir im Bundesjugendjazzorchester zusammengearbeitet. Weil ich sehr großen Respekt vor ihm hatte, war ich immer gut vorbereitet, letztendlich aber total verspannt. Ich habe mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm als meinem Mentor. Er sagt mir ziemlich konkret, wo er mich sieht. Freiere Geschichten empfiehlt er mir, auf die Vermischung von „Jazzjazz“ und freieren Strukturen steht er nicht. Für mich ist das manchmal frustrierend.«
Auch wenn Taylor noch Kritikpunkte sehe, ihre Debüt-CD gefalle ihm, sagt Genc.
»Die Kritik ist schmerzhaft, aber auch gut. Es ist diese Reibung, die produktiv ist. John Taylor war für mich lange Zeit das Nonplusultra. Ich habe das Gefühl, dass ich mich langsam von ihm freimachen muss, um meinen eigenen Weg zu finden. Das erinnert mich an den Ausspruch: Wenn du den Buddha gefunden hast, dann töte ihn. Aber ich weiß, dass er für mich da ist, wenn ich mal auf die Nase falle.«
Von Auf-die-Nase-fallen kann bislang nicht die Rede sein. Dafür hätte sie auch keine Zeit: Genc ist Bandleaderin und zurzeit ihre eigene Managerin, spielt in zahlreichen Ensembles – u.a. als »Sub« im United Women’s Orchestra – und nutzt, mit ihren Worten, »die Spielpausen für Wettbewerbe«.
Gebracht hat ihr das 2004 den Internationalen Biberacher Jazzpreis.
In diesem Jahr errang sie den dritten Solistenpreis beim Défense Jazz Festival in Paris. Hier verbrachte sie auch zehn Monate als Erasmusstudentin am Conservatoire national supérieur de musique et de danse. Das dort herrschende Niveau hat sie beeindruckt:
»Die Studenten sind gut ausgebildet in Mainstream. Die können Bebop richtig nageln, und frei improvisieren ist auch kein Problem. Sie sind musikalisch sehr offen, das ist sehr spannend.“
Zu ihren aktuellen Formationen gehört ein Jazzquartett mit Musikern aus dem Pariser Umfeld: L’Orchidée opaque, mit dem sie bereits auch in Deutschland aufgetreten ist.
Auch wenn ihre Liebe dem Jazz gilt, verschließt sich Genc keineswegs anderen musikalischen Einflüssen. Ihr gefällt die Musik des Saxofonisten Nicolas Simion sehr, der Elemente rumänischer Folklore mit modernem Jazz mischt. Angeregt durch die Kölner Klarinettistin Annette Maye
entdeckte Genc ihre Affinität zu osteuropäischer Musik, von der sich beide im PyromanDuo inspirieren lassen. »Mit Annette, das war eine dieser seltenen Begegnungen, bei denen man sofort merkt: Das passt gut zusammen.« Wie gut, das lässt sich auf der CD des Duos nachhören, bald erscheinen wird.
Discographie:
Aktuelle CD: Laia Genc „Liaison Tonique: Trilogien“ (JazzHausMusik)
Als Sidewoman:
Blue Art Orchestra: The Topaz Session (rubyRec)
Laia Genc ist auch Pianistin des UWO (united women orchestra/köln)
Quelle: Dieser Text erschien in der Januar-Ausgabe 2006 des Magazins JAZZTHETIK.
Text: Volker M. Leprich
Fotos von der Musikerin und u.a. von Heike Fischer
Wir bedanken uns bei der Redaktion und dem Autor für die kollegiale Unterstützung.
29.08.2006