„Krasse Gitarren“ nach Maß
Interview mit der Gitarrenbauerin Michi Hartmann
Michi Hartmann betreibt als wahrscheinlich einzige Frau in Deutschland eine E-Gitarrenbauwerkstatt mit angrenzendem Laden und als solche baut und verkauft sie nicht nur neue und repariert alte Gitarren, sondern sie baut sie auch so um, dass sie danach wie maßgeschneidert auf ihre BesitzerInnen passen. Dass sie das gut kann, lässt sich auf ihrer Website www.krassegitarren.de nachlesen, wo Dutzende KundInnen von ihren neuen und überholten Gitarren schwärmen, nachdem sie durch Michi Hartmann’s Hände gegangen sind. Im Interview erzählt sie, wie sie von der Bühnenbildnerin zur Gitarrenbauerin wurde, warum alte Gitarren meist besser klingen als neue, Gitarrenspielen ursprünglich mal Frauensache war und von den vielen Dingen, auf die es beim Gitarrenbau ankommt.
In den Kundenfeedbacks auf Deiner Website ist von Deinen „Zauberhänden“ und von Wundern die Rede… die Kunden schäumen über vor Begeisterung. Hättest Du Dir das in Deinen Anfangszeiten träumen lassen?
In meinen Anfangszeiten habe ich einfach nichts gefunden, was mir passte und habe mich dann entschlossen, mir einfach eine zu bauen. Da habe ich noch gar nicht dran gedacht, das später mal professionell zu betreiben. Aber vorher habe ich ja beim Film gearbeitet, da wurde ich auch schon mal als „unser Engel mit den goldenen Händen“ bezeichnet.
Wie kamst Du zum Gitarrenbau? Du hast sicherlich selbst Gitarre gespielt? Hast Du eine Lehre gemacht?
Wie gesagt, ich wollte eine für mich, die an meinen Körper passt. Ich wollte den Fender-Twang in Verbindung mit bestimmten Effekten und Amps – da hatte ich genau den Sound, der mir vorschwebte, blöderweise nur war die Standard-Strat mir einfach zu groß. Ich konnte viele Sachen nicht sauber spielen, übte wie eine Blöde und bekam statt Erfolgserlebnisse Sehnenprobleme. Irgendwann sagte ich mir dann, hey, du bist Diplomdesignerin und Künstlerin und gleichzeitig handwerklich richtig gut, also bau dir einfach eine. Dann hab ich mich ein Jahr hingesetzt neben meiner Arbeit im Studio Babelsberg und habe erst mal gebüffelt: warum wieso weshalb. Im Studium habe ich ja gelernt, stringent zu arbeiten, Projekte zu planen und dann durchzuziehen. Danach beim Film das Gleiche, ich habe da ganz viele Dinge gebaut, die man nicht kaufen kann und da musste ich mich ja auch sehr oft erstmal reinarbeiten – wie funktioniert das genau und wie baue ich das nach. Mit der Gitarre hab ich das dann einfach genauso gemacht, dauerte halt nur etwas länger, ist ja doch ein größeres Projekt sowas. Meine Freunde hatten alle schon gelästert, so wird das nix, musst auch mal anfangen, weil ich halt erst mal über den Büchern bzw. im Internet hing. Ich war der Meinung, gut Ding will Weile haben und hab mich erst mal gründlich informiert und dann angefangen, als ich der Meinung war, ich weiß, was ich tue.
Wie lange hat es gedauert, bis Du selbst eine Werkstatt und einen Laden eröffnen und Dich als Gitarrenbauerin selbständig machen konntest?
Als ich meine Gitarre fertig hatte, das war wie Weihnachten, Geburtstag und Ostern zusammen. Die ist richtig gut geworden und auf einmal konnte ich Sachen spielen, die gingen vorher einfach nicht. Beim Film hatte ich zur gleichen Zeit schon die Faxen dicke, man hat eben da so ein Sklavenzeichen auf der Stirn, miese Bezahlung und noch miesere Arbeitszeiten usw. Aber am meisten ging mir die Schikaniererei auf den Geist, mir wurde auch mehrfach gesagt: Michi, für diesen Job bist du nicht devot genug. Auch hab ich meiner Meinung nach immer wieder zu spüren bekommen, dass man als Frau immer noch einen Arschtritt extra bekommt, wenn man gut oder sogar besser ist… Also beschloss ich, mein neues Hobby zum Beruf zu machen und mal zu schauen, wie weit ich komme. Ich hab dann meinen Filmjob geschmissen, ein Jahr „geharzt“ und in dieser Zeit meine Werkstatt aufgebaut. Nach dem Jahr lief es so gut, dass ich davon leben konnte. Zuerst hab ich kaputte Gitarren bei ebay gekauft und an denen die Reparaturen „geübt“, gleichzeitig ein Praktikum gemacht bei einem Gitarrenbauer, das ging aber nicht so lange. Das Meiste hab ich mir tatsächlich selber beigebracht, musste ich auch… im Praktikum bekam ich zu hören, das sei eben eine Art zu denken, die könne ich nicht lernen, im Übrigen sei das typisch für mein Geschlecht… bei den Männern, die Fehler machten, lag es bloß am fehlenden Wissen… muss ich jetzt nicht weiter ausführen, oder?
Wie waren anfangs die Reaktionen der KundInnen, wenn sie Dich im Laden sahen?
Die meisten reagieren ganz normal, nämlich gar nicht, sondern schildern mir ihre Wünsche. Manche sagen was dazu – „oh, eine Frau!“ – denen sage ich dann, dass ich das nicht mehr hören kann und sie sich bitte in meine Situation versetzen sollen, dass ich das schon verstehe, weil es halt im E-Gitarrenbereich selten ist, aber dass ich das 1. nicht mehr hören kann, weil halt zu oft und 2. das auch seinen Grund hat, dass es so wenige gibt, nämlich Ausgrenzung…
Du bist handwerklich sehr begabt, war Dir das schon früh klar und wurdest Du darin gefördert und bestärkt?
Ach, von wegen. Mir wurden eher in allen meinen Begabungen Steine in den Weg gelegt – ich habe leider wirklich extremes Pech gehabt, in einer oberspießig-katholischen-misogynen Umgebung aufzuwachsen. Sicher bin ich handwerklich begabt und mache das auch gerne, aber eigentlich bin ich mathematisch-künstlerisch-musikalisch hochbegabt und das wurde alles in keinster Weise gefördert, im Gegenteil. In meiner Kindheit wurde versucht, aus mir ein devotes liebes Mädchen zu machen, man steckte mich in eine Nonnenschule und wollte mich disziplinieren und kleinkriegen. Das ging natürlich völlig nach hinten los, denn ich besitze außer meiner Hochbegabung auch noch sowas wie Stolz und Charakter. Aber ich habe mich eben durchgebissen und auch ohne Hilfe habe ich jetzt meinen eigenen Laden, meine eigene Band mit hochkarätigen Musikern und so…
Dein Steckenpferd ist ja, die Ergonomie und Spielbarkeit der Instrumente zu verbessern und sie den KundInnen quasi „auf den Leib zu schneidern“. Wie gehst Du da vor, misst Du die Hände der Kunden aus und müssen die KundInnen vor Ort sein?
Messen tue ich eher nicht (das ist wichtig beim späteren exakten Bauen, dass alles 100000000-%ig passt), ich muss die Hand sehen. Das geht auch über Bilder, habe ich alles schon gemacht. Ich habe mal eine Gitarre für jemanden gebaut, der sehr große Hände hat, der kam mit den normalen „kleinen“ Gitarren nicht klar. Als das Bild seiner Hand aus dem Drucker quoll, sah das aus, als ob sein Hand-1-zu1-Scan, um den ich ihn gebeten hatte, über den Rand vom Blatt fällt. Dann habe ich den Gitarrenhals so gebaut, wie es mir passend erschien (ich habe ja auch mal Kunst studiert und viel Bildhauerei gemacht und mich mit figürlichem Arbeiten beschäftigt, das hilft ungemein) mit sehr breitem Sattel und richtig dick. Ich konnte da gar nicht richtig drauf spielen mit meinen Zwergenhänden ;). Der kam dann angereist aus seiner Heimatstadt und ich dachte, The Incredible Hulk betritt meinen Laden, so groß und kräftig war der und der hatte wirklich riesige Hände… Dann nahm er seine neue Gitarre, spielte die ersten Töne – sein Gesicht fing an zu strahlen und er sagte: „Endlich eine Gitarre, die ich spielen kann“ … das sind die Momente, die den Job toll machen, man kann ab und zu tatsächlich ein bisschen Glück in die Welt setzen!
Du empfiehlst ja auch, nach einem Neueinkauf das Instrument erst einmal auf den Kunden „einzustellen“, was wird da genau gemacht?
Hier ist die Liste fürs Setup von meiner website; ein Setup beinhaltet: Überprüfen aller Schrauben, Schräubchen, gründliche „Checkung“ des ganzen Instrumentes auf Macken, Verarbeitungsfehler usw. / Kontrolle und Nacharbeiten der Sattelkerben, die meist nicht tief genug sind und damit das Greifen in den ersten Lagen ausserordentlich erschweren / Kontrolle/Einstellung der Halskrümmung und des Halswinkels (Schraubhals) / Kontrolle der Bundierung, ggf. werden Bünde abgerichtet, die Bundierung wird querpoliert / Nacharbeiten zu spitzer oder scharfer Bundkanten / Ölen des Griffbrettes mit einem speziellen Öl zum Schutz vor Schmutz und Feuchtigkeit / Einstellen einer Top-Saitenlage, bzw. Einstellung nach individuellem Kundenwunsch / Einstellung ggbf. des Trem, Beseitigung von Problemen mit Stimmstabilität usw. / Einstellen der Oktavreinheit und was man noch so alles findet – manchmal kann man tatsächlich mit ein paar Tricks aus SCH… Schokolade machen und dann sind sogar die ganz billigen Dinger brauchbar.
Vor allem die Sattelkerben, das Polieren der Bünde, das Ölen des Griffbrettes sind immanent wichtig für Spielbarkeit und auch für die Lebensdauer des Instrumentes. Dann macht das Spielen auch mehr Spaß, das Lernen geht besser, Erfolgserlebnisse kommen schneller und man hat vor allem nicht den Frust, dass man ackert und ackert und es klingt immer noch Sch… weil einfach das Instrument „zickt“. Die individuelle Einstellung ist dann der zweite Schritt, das ist eher für die Fortgeschrittenen, die genau wissen, was sie wollen vom Ton, Saitenlage, Spielgefühl usw.
Es gibt einige Tricks, auch z.B. für kleine Leute – zum Glück hat mir die keiner verraten, sonst gäbe es jetzt diesen Laden nicht…
Du hast ein besonderes Faible für alte Gitarren. Was fasziniert Dich so an ihnen, das gelebte Leben in ihnen und die Gebrauchsspuren oder hatten die noch eine andere Qualität im Vergleich zu den Gitarren, die es heute zu kaufen gibt?
All das, die alten Hölzer waren z.B. noch luftgetrocknet und nicht in der Kammer, es ist viel mehr Handarbeit dabei usw. (das führe ich jetzt mal nicht weiter aus, das würde glaub ich den Rahmen sprengen) und dann ist das eins der Dinge, die kein Voodoo sind: wenn eine gute Gitarre ewig lang gespielt wurde, wird die immer besser und besser. Das Holz schwingt sich ein, irgendwann singt das ganze Instrument, selbst Uraltgitarren aus Sperrholz klingen irgendwann unglaublich. Im Amerikanischen gibt es den Spruch: „looks like shit, sounds like god“…
Dann ist es wirklich eine Freude, sowas wieder zum richtigen Leben zu erwecken, wenn man z.B. eine alte Schlaggitarre bei ebay im Zahnstochermodus kauft, die Brüche, Risse, krumme Hälse usw. repariert und auf einmal hat man eine super Gitarre. Was ich auch toll daran finde, die alten Schlaggitarren sind ein Stück europäisches (böhmisch, bayrisch, deutsch) Kulturgut und das finde ich erhaltenswert und wichtig. Die süddeutsche und böhmische Tradition des Instrumentenbaus (Markneukirchen, Vogtland) ist jahrhundertealt und aus meiner Sicht ein wunderbares Erbe, aus dem man viel lernen und Inspiration und Wissen schöpfen kann. Es sind ja auch einige Gitarrenbauer von hier nach Amerika gegangen und haben da den Gitarrenbau massgeblich beeinflusst z.B. C.F. Martin oder Roger Rossmeissl.
Für die Firma Martin hält übrigens eine Endorserin, Diane Ponzio einen sehr hübschen Vortrag über die Tradition des Gitarrespielens: Bis vor ca. 200 Jahren war Gitarrespielen Frauensache. Man sieht ja auch sehr oft auf alten Gemälden Lautenspielerinnen usw. und es gab wohl auch mindestens 25% weibliche Troubardoure, obwohl diese Historie – wie so viel weibliche Geschichte – ähnlich vernachlässigt wird wie z.B. die Historie der weiblichen Handwerkszünfte des Frühmittelalters. Jedenfalls fingen aber dann in Amerika auch die Männer an, Gitarre im Folk und Country in Bands zu spielen. Nun waren diese damaligen Gitarren aber klein und hatten Nylon- bzw. Darmsaiten und waren somit leise und das war ein Problem in Verbindung mit Instrumenten wie z.B. einem Banjo. Das waren Parlorgitarren und die hießen so, weil sie eben im Parlor, nämlich dem Salon gespielt wurden. Diane macht an dieser Stelle meist den Witz – „the guys they did not play, but were out to hunt to get the gut for the strings„. Also konstruierte die Firma Martin 1847 (ich hoffe, die Jahreszahl stimmt jetzt genau, auf jeden Fall war das ungefähr zu dieser Zeit) das X-Bracing, die kreuzförmige Deckenbeleistung mit Unterfütterung unter der Brücke. Dadurch konnte man Stahlsaiten auf die Gitarre ziehen, die ja einen mehrfachen Zug von Nylon oder Darm haben, und die Gitarre war plötzlich doppelt so laut. Aber sie war immer noch klein. Dann konstruierte Martin die Dreadnought, gross, vollklingend, laut, die heute ja die Standardform der Westerngitarre ist, und das ganze Ding klappte total um – Gitarrespielen war plötzlich Männersache. Gleichzeitig kamen die ersten E-Gitarren ins Spiel, z.B. Rickenbackers Frying Pan in den Dreißigern und das war dann gleich Männersache. Jetzt aber ändert sich das immer mehr und das ist auch gut so, denn Musik ist Menschensache.
Du bietest auch Instrumente zum jammen im Laden an – wird das rege – auch von Frauen – genutzt?
Klar, vor allem macht das super Spaß, spontan mit KundInnen zu jammen!
Frauen berichten ja immer wieder, das sie sich in Musikläden schlecht beraten und oftmals von oben herab behandelt fühlen. Kommen viele Kundinnen in Deinen Laden bzw. kommen sie vielleicht besonders gern zu Dir, weil Du eine Frau bist und noch dazu Service und Beratung groß schreibst?
Das gilt eigentlich für alle Kunden, egal ob Männlein oder Weiblein, die kommen gerne zu mir, weil ich nett bin und Qualität biete 😉 aber es hat tatsächlich einige Frauen gegeben, wo ich gemerkt habe, die waren richtig verletzt von der arroganten Art der „tollen Typen“ in anderen Geschäften. Die haben das mir gegenüber auch verbalisiert, wie gut es tut, behandelt zu werden wie ein Mensch und vor allem, ernst genommen zu werden. Das werden die männlichen Anfänger und Ahnungslosen schließlich auch. Bei Frauen ist es oft noch so, dass selbst Profis behandelt werden wie Idiotinnen, kenne ich selber auch…
Hast Du das Gefühl, dass es mehr Profimusikerinnen und Instrumentalistinnen als früher gibt oder sind Deine Kundinnen eher Musikerinnen, die zuhause musizieren?
Oh ja, früher gab es einfach so gut wie keine. Heute werden es immer mehr, wenn man bei youtube mal girl and guitar eingibt in der Suchfunktion, was man dann zu sehen bekommt als Nachwuchs, das ist umwerfend! Auch meine Kundinnen werden immer mehr und die spielen auch auf Bühnen, nicht im stillen Kämmerlein. Und am liebsten hätte ich, dass mal Tal Wilkenfeld oder Orianthi bei mir im Laden stehen oder Bibi McGill oder Gail Ann Dorsey oder Esperanza Spalding… allerdings mit einer Einschränkung – wenn die arrogant und unfreundlich sind und Starallüren haben, können sie wegbleiben, genau wie die männlichen Kollegen. Das ist nämlich auch eine tolle Sache an meinem eigenen Business: ich muss mich nicht mehr mit A… löchern abgeben. Die schmeiß ich raus, aus meinem Leben und meinem Laden.
Wie sieht es mit Mädchen aus? Gibt es mittlerweile Mädchen, die in Deinen Laden kommen und selbstbewusst eine Gitarre nach der anderen ausprobieren?
Na klar, die wachsen jetzt nach, es ist nicht mehr wie früher, wo die wie bestellt und nicht abgeholt hinter ihrem Freund stehen. Sind nicht viele, aber es werden mehr.
Was sind Deine Pläne für die Zukunft?
Kleine Videos drehen zum Thema Setup und Gitarrenbau, mein Wissen gegen einen kleinen Obolus einem großen Kreis zugänglich machen, mit dem Voodoo und den Vorurteilen aufräumen.
Weniger Routinearbeiten machen (dafür suche ich grade eine Kollegin/Kollegen, mehr Entwerfen und Bauen und ganz allgemein sowieso wieder mehr spielen, bevor meine Finger endgültig zu steif sind von der Ackerei.
Songs schreiben, auf Tour gehen, Spaß haben.
Michi Hartmann bei Facebook: https://www.facebook.com/pages/Krassegitarren-Gitarrenbau-Stromgitarrenwerkstatt/174334712648191
Autorin: Mane Stelzer
30.06.2013