Juliana Hatfield
Interview von Christina Mohr
Vor ihrer Zeit als Soloartist war die aus Boston stammende Sängerin, Gitarristin und Songwriterin Mitglied der Blake Babies, einem Trio, das sie mit ihren Studienfreunden vom Berklee College of Music, Freda Love und John Strohm gründete. Die Blake Babies waren Bestandteil der Boston-Scene, die von Bands wie den Lemonheads und Dinosaur, später Dinosaur jr. dominiert wurde. Gerüchte über eine Affäre zwischen Lemonhead Evan Dando und Juliana Hatfield hielten sich hartnäckig, sie dementierte diese ebenso hartnäckig, aber das nur am Rande. Mit den Blake Babies veröffentlicht Hatfield drei Alben, die weit über die Collegeradios Bostons hinaus Aufmerksamkeit erregen und der Band bis heute Kultstatus verleihen.
Nach dem Ende der Blake Babies macht Juliana Hatfield als Solomusikerin weiter, tritt live mit wechselnden Bandbesetzungen auf. Ihr Debüt „Hey Babe“ wird 1992 zur erfolgreichsten Independent-Veröffentlichung in den USA, eine erfolgreiche Karriere scheint vor ihr zu liegen. Doch Hatfield fühlt sich im Rampenlicht unwohl, kommt mit Journalisten und dem Musikgeschäft nicht klar, entwickelt Ängste und Phobien, so muss sie zum Beispiel wegen Depressionen eine groß angelegte Europatournee absagen.
Ihr Album „God’s Hand“ (1996), das sie selbst als ihr bestes bezeichnet, wird nie veröffentlicht, ihre Plattenfirma bezeichnet es als komplett unkommerziell. Sie kauft sich aus dem Vertrag frei, die Masterbänder von „God’s Hand“ allerdings bleiben Eigentum des Labels. 1998 nimmt sie das raue, schroffe Album „Bed“ auf, in dem sie schonunglos ihr Innerstes nach außen kehrt, ihrer Enttäuschung über das Popbiz freien Lauf läßt, sie ist wieder da – und nimmt unermüdlich, beinah Jahr für Jahr neue Alben auf, geht auf kleine Tourneen innerhalb Amerikas, ist als Gastmusikerin auf Platten befreundeter Bands wie den Lemonheads und Giant Sand zu hören.
Mit zwei Musikerinnen gründet sie die Band Some Girls, deren Album „Feel it“ 2003 erscheint. Ein großer Star wird Juliana Hatfield aber nie mehr: zu scheu für die großen Bühnen, zu „kompliziert“ im Umgang mit Medien und Fans. Auch musikalisch sitzt sie zwischen den Stühlen: als Singer-/Songwriterin zu rockig, als Riot Grrrl zu schüchtern, für Country & Western nicht patriotisch genug. Zu viele Widersprüche für eine strahlende Karriere.
Im vergangenen Herbst veröffentlichte Hatfield ihre Autobiographie „When I Grow up: A Memoir“ (noch nicht auf Deutsch erhältlich), in der sie auf unvergleichlich offene Weise ihren Werdegang und ihre Erfahrungen als „Indie-Rockstar“ schildert. Sie schont sich nicht, thematisiert ihre Depressionen, Magersucht, Bühnenangst, Menschenscheu und Unfähigkeit zur Kommunikation mit anderen, Beziehungsunfähigkeit sowieso. Was sie immer weitermachen lässt, ist die Hingabe zur Musik: von dem Moment an, als sie an ihrer Schule zum „most individual“ gewählt wurde (trocken erklärt sie, dass diese Auszeichnung nichts weiter als „hopeless loner“ bedeutet), wußte sie, daß sie Musikerin werden will – wie hoch der Preis dafür auch sein möge. Ebenso persönlich und eindringlich wie Ihre Autobiographie ist auch Julianas neues Album, „How to Walk Away“: ihr Markenzeichen, die helle, mädchenhafte Stimme, hat sich kaum verändert, die Songs hingegen klingen gereifter, abgeklärter als auf früheren Platten. Melancholische Balladen wie „Remember November“ kontrastieren mit rockigeren Songs wie „Now I’m Gone“, in dem das ungestüme Collegegirl aus Berklee wieder zum Vorschein kommt. Im lasziven „Just Lust“ spielt sie augenzwinkernd die männermordende Femme Fatale – eine Rolle, die sie im „echten“ Leben wohl nur selten spielt. „Shining On“, „My Baby“ und „This Lonely Love“ sind traurige, aber irgendwie auch tröstliche Liebeslieder, Julianas Spezialität. Wahrscheinlich werden weder „When I Grow Up“ noch „How to Walk Away“ zu Kassenschlagern, aber das ist ganz egal: schön, dass Juliana Hatfield mal wieder von sich hören läßt.
Christina: Der Albumtitel und der Titelsong „How to Walk Away“ – wie sind sie gemeint? Hoffentlich nicht als Abschiedsalbum…
Juliana: Mit „How to Walk Away“ erkenne ich einerseits meine Probleme an und versuche andererseits, mir selbst beizubringen, dieselben Fehler nicht immer und immer zu wiederholen. Ich trainiere sozusagen darin, aus schwierigen und miesen Situationen einfach wegzugehen. Wie auch immer, etwas zu erkennen ist schwieriger, als es zu ändern und auf dem Album gestehe ich das ein. Aber die Platte ist auch von sehr viel Hoffnung durchzogen, Hoffnung auf die Zukunft. Es ist also kein Abschiedsalbum, sondern ein Absage daran, mir selbst wehzutun.
Christina: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Richard Butler* (Psychedelic Furs)? Kanntet Ihr Euch schon vorher?
Juliana: Ich habe Richard Butler zum allerersten Mal gesehen, als er durch die Studiotür kam, um seinen Part auf „This Lonely Love“ zu singen. Mein Producer Andy Chase und ich waren uns einig, dass dieser Song eine britische, männliche Stimme braucht. Andy kontaktierte Richard und fragte ihn, ob er Lust habe, auf der Platte mitzusingen und zu meiner großen Überraschung und Freude sagte Richard sofort zu. So einfach war das!
Christina: Welcher Song auf „How to Walk Away“ ist der persönlichste? Oder kannst du das nicht so genau sagen?
Juliana: „My Baby…“ ist sehr persönlich. Es ist eine sehr, sehr wahre Geschichte und die Details darin sollte eigentlich jeder verstehen…**
Christina: Dein Bruder Jason ist auf einigen Songs des neuen Albums zu hören (Gitarre und Gesang) – wie ist es, mit dem eigenen Bruder zu arbeiten?
Juliana: Die Zusammenarbeit war für meinen Bruder und mich eine schöne Art, Zeit miteinander zu verbringen. Wir sind beide ziemlich reserviert und sehr vorsichtig im Umgang miteinander, zusammen Musik zu machen hilft uns, lockerer zu werden und gemeinsam Spaß zu haben.
Christina: Wirst du mit „How to Walk Away“ auf Tour gehen?
Juliana: Ich war mit „How to Walk Away“ in den USA unterwegs, aber im Moment gibt es keine Pläne, woanders auf Tour zu gehen. Das heißt aber nicht, dass ich in 2009 nicht außerhalb Amerikas auftreten werde – ich weiß es nur schlicht und einfach noch nicht.
Christina: Als ich dein Buch „When I grow up“ fertig gelesen hatte, fühlte ich mich, als hätte ich den langen Brief einer sehr engen Freundin gelesen. Du schreibst viel persönlicher und intimer als viele andere Musiker, die ihre Autobiografien veröffentlichen. Hattest du manchmal das Gefühl, zu offen zu sein? Und schreiben dir manchmal Leute, um ihre eigenen Geschichten zu erzählen?
Juliana: Leute fragen mich immer wieder, ob es nicht heikel oder gar gefährlich sei, so persönlich zu schreiben, meine geheimsten Gedanken öffentlich kundzutun, so dass Fremde in mein Herz und meinen Kopf gucken können. Aber das kümmert mich überhaupt nicht: ich bin Autorin, und SchriftstellerInnen oder SongtexterInnen schreiben nun mal über sich selbst und ihre Erfahrungen. Selbst wenn ein Roman reine Fiktion zu sein scheint, beinhaltet er trotzdem jede Menge persönliche Wahrheiten und Ansichten des Autors. Mir bleibt keine Wahl: ich muss ehrlich sein in dem, was ich über mich und meine Erfahrungen schreibe, sonst wird es nicht gut. Mir haben bisher viele Leute berichtet, dass sie sich mit meinem Buch sehr identifizieren konnten, ich hätte etwas von ihnen selbst im Buch festgehalten. Mir gefällt es sehr, dass meine eigenen Gefühle denen anderer Leute so ähnlich sind. Das Buch ist eine Form der Kommunikation.
Christina: In deinem Buch erwähnst du immer wieder, wie scheu und schüchtern du anderen Menschen gegenüber bist – in deinem Blog „an arm and a leg“ schreibst du sehr offen über dein Leben, zum Beispiel auch darüber, wie sehr du um deine tote Hündin Betty trauerst. Ist das Internet das Instrument, auf das du insgeheim gewartet hast, um leichter mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen?
Juliana: Ich habe das Internet im Allgemeinen und Bloggen im Besonderen lange Zeit gemieden. Ich hatte Angst davor, für so viele Menschen öffentlich „zugänglich“ zu sein und fürchtete mich, zu viel von mir preiszugeben. Das kam mir wirklich gefährlich vor! Aber dann habe ich doch angefangen, ein eigenes Blog zu schreiben und es macht mir sehr viel Spaß – es ist ein Weg, mit Leuten auf der ganzen Welt zu kommunizieren. Und es ist mein persönliches „support system“: als mein Hund starb, bekam ich so viele warmherzige Zuschriften – die Leute schrieben mir, wie es war, als ihr eigenes Haustier starb und das hat mir wirklich geholfen. Ich fühlte mich nicht mehr so schrecklich allein.
Christina: In „When I grow up“ schreibst du, dass es so gut wie unmöglich ist, bei Livekonzerten immer gleich leidenschaftlich zu sein – und dass auch jemand wie Lenny Kravitz manchmal müde und gelangweilt sein MUSS. Ich fand das bemerkenswert, weil andere Musiker selten darüber reden, dass man durchaus abstumpfen kann, wenn man längere Zeit auf Tour ist. Haben dich andere Musiker für diese Äußerung kritisiert?
Juliana: Nein, auf diese Textstelle bin ich noch nicht angesprochen worden. Vielleicht ist es auch einfacher, jeden Abend total leidenschaftlich und aufgeregt zu sein, wenn man vor Tausenden von Leuten spielt. Mein Publikum ist nicht so groß und ich finde es an manchen Abenden schwierig, mich selbst zu motivieren und aufzumuntern. Die Performer und das Publikum beeinflussen sich gegenseitig, und eine begeisterte große Menge kann dich auf der Bühne wirklich hochziehen. Die Energie, die vom Publikum ausgeht, kann man buchstäblich greifen, so als ob du diese Energie mit einem Generator verbinden könntest, um damit eine ganze Stadt aufzuheizen oder abzukühlen.
Christina: Du warst in den frühen neunziger Jahren sehr erfolgreich und ein role model für weibliche Musiker. Denkst du manchmal, du hättest „mainstreamiger“ sein sollen, um noch erfolgreicher zu werden? Gefällt dir deine Rolle als Indie-Popstar? Ich frage, weil dein Buch mit einer sehr bemerkenswerten Episode in einem schäbigen Club beginnt, in der du dich (heutzutage) fragst, warum du das alles machst…
Juliana: Manchmal wünsche ich mir schon, ich hätte etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen (damals wie heute), aber dann bin ich wieder froh, nicht zu berühmt geworden zu sein. Ich schätze es sehr, dass ich mich anonym und unerkannt durch die Straßen und den Alltag bewegen kann. Ich glaube sogar, dass es für mich ein Alptraum wäre, superberühmt zu sein – überall Leute, die dich anstarren, fotografieren, dich beim Essen unterbrechen, weil sie ein Autogramm haben wollen…
Christina: Glaubst du, dass es heute für weibliche Musiker immer noch schwieriger ist als für Männer, akzeptiert zu werden – und zwar für ihre Musik, nicht für ihr Aussehen. Gibt es junge Musikerinnen, die du bewunderst oder die deiner Meinung nach alles richtig machen?
Juliana: Ich finde, dass es heute sogar noch schwieriger ist, eine gewisse Mainstream-Akzeptanz zu erreichen, als damals, als ich angefangen habe, Musik zu machen. Heute ist es wahnsinnig wichtig, wie du aussiehst, viel wichtiger als die Musik. Wo sind denn die neuen Hole? Wo die neuen Veruca Salt? Und wo sind neue Chrissie Hyndes und PJ Harveys? Und ach ja, Chrissie Hynde hat alles richtig gemacht.
Christina: Wenn du deine Karriere auf einen einzigen Punkt konzentrieren müsstest – was war der wichtigste Moment?
Juliana: Paul Westerberg (The Replacements; Julianas großes Vorbild. Anm. d. Autorin) zu treffen war einer der bedeutendsten Momente – bis heute.
Christina: Eine letzte Frage – wenn sie dir zu morbid ist, mußt du nicht antworten – ein deutsches Label hat gerade den Sampler „Final Song“ veröffentlicht. Dort stellen Musiker und DJs den Song vor, der auf ihrer eigenen Beerdigung laufen soll. Was wäre dein liebster „funeral song“?
Juliana: Oh je, das weiß ich nicht. Darüber habe ich noch nie nachgedacht.
* Butler singt den männlichen Part auf „This Lonely Love“
** Textauszug: „… I still got the same face / but oh my baby doesn’t love me anymore / I just know he used to look in my eyes and talk to me / but now we just have sex and watch tv…“
Das Interview führte Christina Mohr für das Onlinefeuilleton „satt.org“ (www.satt.org/); wir bedanken uns für die freundliche Abdruckgenehmigung.
CD: Juliana Hatfield „How to Walk Away“
VÖ: 09.12.2008 Import
Buch: Juliana Hatfield „When I Grow Up: A Memoir“
(John Wiley & Sons, Gebunden mit Schutzumschlag, 336 Seiten)
24.02.2009