Julia Hülsmann (Piano) & Rebekka Bakken (Vocals)
Vertonte Poesie: "scattering poems"
Eine wunderschöne CD hat die Berliner Pianistin Julia Hülsmann mit ihrem Trio zusammen mit der norwegischen Sängerin Rebekka Bakken aufgenommen. Die textliche Vorlage fand die 34jährige in Gedichten des amerikanischen Lyrikers E.E. Cummings, die sie sensibel und durchsichtig vertont hat.
Seit 1997 besteht das Trio um Julia Hülsmann, das Repertoire wechselte langsam von Standards zu Eigenkompositionen, die fast ausschließlich aus der Feder der Pianistin stammen. Die Musik ist erfüllt von jener Mischung aus entspannter Konzentration und überschwänglicher Freude an der Interaktion, die allen Beteiligten Lust auf mehr macht. Im November 2000 erschien dann ihre Debüt-CD Hülsmann – Muellbauer – Winch: „Trio“.
Im Februar 2000 hörte Julia Hülsmann während eines New York Besuches zum ersten Mal Rebekka Bakken in einem Konzert mit Wolfgang Muthspiel. Sie war so von Rebekka Bakken hingerissen, dass sie auf der Stelle beschloss, Musik für sie zu komponieren.
DAS INTERVIEW:
„Nein, ich singe nicht!“
Melodiva: Julia, du hattest zu Studienzeiten mal ein T-Shirt mit der Aufschrift „Nein, ich singe nicht“….
Julia Hülsmann: (lacht) Ja, da stand drauf „Ich bin keine Sängerin“. Das hatten mir meine Kommilitonen geschenkt. Mich fragen aber immer noch oft Leute, ob ich die Sängerin der Band bin. Inzwischen ist es aber weniger geworden.
Melodiva: Inzwischen bist du ja einen Schritt weiter: Du läßt singen.
Julia: Genau.
Melodiva: Woher kommt die Faszination für die Stimme? Pianotrio hätte doch ausreichend sein können.
Julia: Ich hatte nie großes Interesse daran, für Sänger oder Sängerinnen zu schreiben. Bis ich Rebekka getroffen habe, und das ist wirklich wahr! Nach zwei Minuten des Konzerts, das ich in New York gehört hatte, war mir das klar. Ich wollte etwas mit ihr zusammen machen, da mich ihre Stimme fasziniert hat.
Melodiva: Was war das für ein Konzert?
Julia: Das war ein Konzert des Daily Mirror-Projekts mit Wolfgang Muthspiel an der Gitarre, Rebekka, Brian Blade am Schlagzeug, Scott Colley am Bass und Chris Cheek am Saxophon.
Melodiva: Da hat sie dich einfach angesprochen, dass sie unbedingt was mit dir machen möchte?
Rebekka: Sie sagte mir, daß sie unbedingt Musik für mich schreiben wolle und natürlich sagte ich: „Klar, schick mir was“, und sie machte es tatsächlich. Das war ein Start.
Melodiva: Ohne, dass du etwas von Julia kanntest… Du hättest ja auch sagen können, nein, ich schreibe meine eigenen Sachen, ich brauche sowas nicht.
Rebekka: Sie hatte mir ihre Trio-CD geschickt, und ab da hatte ich ein gutes Gefühl.
Zurück in Berlin stöberte sie in Bibliotheken und Buchhandlungen auf der Suche nach passenden Texten, die sie in Gedichten des amerikanischen Lyrikers E.E. Cummings (1891-1962) fand, dessen poetische Bildwelten und sprachlicher Rhythmus sie sofort ansprachen. Als sie seine Texte las, begann sie bereits Musik dazu zu hören. Gekonnt verbindet sie dabei die Einfachheit von Songs mit der offenen, spannungsladenen Komplexität und Interaktion des zeitgenössischen Jazz.
Melodiva: Dann bist du auf die Suche nach Texten gegangen.
Julia: In der Tat. Ich wusste, dass ich keine Texte schreiben kann und es gibt Leute, die sehr gut Texte schreiben können. Ich wollte keine annehmbaren Worte, sondern richtig gute Texte. Ich habe Stunden in englischen Buchläden verbracht und habe mich durch Gedichte earbeitet. Ich habe Bücher gekauft und es hat eine Weile gedauert, bis ich dann endlich E.E.Cummings entdeckt hatte.
Melodiva: Und mit dessen Gedichten konntest du sofort etwas anfangen.
Julia: Nicht sofort, weil auch E.E. Cummings Gedichte hat, mit denen ich nichts anfangen kann. Aber ich hatte erst mal eins gefunden, das für mich funktionieren konnte. Ich glaube, das war „Anyone“, der Opener der CD.
Melodiva: Diese Art der Lyrik ist schwierig umzusetzen, denke ich, da sich die Silbenzahl immer ändert und der Sprachrhythmus dauernd wechselt.
Julia: Aber sie haben Rhythmus, nicht immer offensichtlich, aber es gibt einen Rhythmus. Das fehlt vielen Gedichten. „Anyone“ reimt sich an vielen Stellen. Manchmal muss man den Rhythmus suchen.
Melodiva: Dann habt ihr das Material ausgetauscht, eine Tour ausgemacht und aufgenommen.
Julia: Eine Tour ist ein großes Wort, es waren ein paar Konzert.
Rebekka: In erster Linie bin ich für die Aufnahmen von New York nach Berlin gekommen. Wir haben gleich aufgenommen. Ich glaube sogar, wir haben zuerst aufgenommen und dann die Konzerte gespielt?
Julia: Wir hatten ein Konzert in Berlin als Try Out, bevor wir ins Studio gegangen sind. Die Nacht vor dem Studiotermin, bei dem wir sechs Stücke aufgenommen hatten. Nach den Aufnahmen haben wir noch drei weitere Konzerte gespielt. Den Rest haben wir im Mai 2002 aufgenommen. Zu Anfang hatte ich nicht mehr als die sechs Stücke, aber es war immerhin ein Anfang.
E.E. Cummungs ist toll
Melodiva: Und du hast dich in dieser Besetzung wohl gefühlt? Ansonsten kenne ich dich nur von denen eigenen Bands mit eigenen Stücken.
Rebekka: Absolut wohl! E.E. Cummings ist toll, ich kannte ihn vorher nicht, ich wusste nur, dass er keine Großbuchstaben verwendet. Aber ich habe mich in seine Texte verliebt, wie auch in Julias Kompositionen. Und das passierte nicht, bevor wir ins Studio gingen. Ich übe nicht viel, und ich probe nicht. Ich möchte die Sachen nicht vorher schon komplett festmachen. Deshalb habe ich noch keine starke Verbindung zu den Sachen, bevor ich sie nicht gemacht habe. Das ist zwar riskant, aber so arbeite ich nun mal. Diese Risiken sind wichtig für mich. Kunst steht für sich alleine, und es ist ein Privileg, bei einem guten Projekt mitmachen zu können. Das verlangt nicht viel von dir, du musst dich nur zurücklehnen und alles auf dich einwirken lassen. Ist Cummings nicht wundervoll? Wie kann er solche Sachen nur wissen? Er spricht über Dinge, über die du dich schon lange wunderst, und auf einmal macht alles Sinn für dich.
Melodiva: Wenn du selber schreibst, dann kennst du die Sachen ja, aber wenn du Material von anderen bekommst, bereitest du dich auch nicht vor?
Rebekka: Beim ersten Konzert dachte ich mir: „Shit, du hättest dich doch besser vorbereiten sollen“, dann wäre es besser gewesen. Aber für mich ist es gefährlich, mich zu genau vorzubereiten. Du wirst der Schöpfer eines Bildes, das du siehst. Es ist schwierig, dann auch andere Bilder sehen zu können. Ich bin nicht der Schöpfer, ich bin nur ein kleiner Teil im Ganzen. Nicht vorbereitet zu sein, ist für mich eine Möglichkeit, die ganze Band zu sehen und zu hören und nicht nur meinen Part. Dann ist das, was ich mache, kein Produkt von mir, sondern Teil eines Gruppenprodukts. Ich möchte nicht schon vorher ein genaues, vorgefertigtes Bild haben.
Melodiva: Du hast eine ganz spezielle Soundidee für das Klaviertrio. Marc, der Bassist, verwendet einige Effekte für seinen Kontrabass, man hört eine Menge Perkussion, und du spielst auch ab und zu Sounds auf dem Keyboard. Hat sich das nur für dieses Projekt so entwickelt? Ich erinnere mich, dass deine Trio-CD zumindest vom Sound her, wenn auch nicht unbedingt von den Kompositionen her, doch eher traditionell war.
Julia: Schwierige Frage. Ich finde die Trio-CD traditionell. Im Trio gibt es kein Leader-Instrument. Meine Idee war, dass ich mehr moderne Klänge hören wollte. Ich wollte einfach einen anderen als den typischen Jazzsound haben. Außerdem sind die Stücke eher Songs, auch wenn es Solos und Improvisationen gibt, wollte ich diese im Rahmen des Songs haben. Alles sollte songdienlich bleiben.
Melodiva: Es gibt auch ein Instrumentalstück auf der CD, eine wunderschöne Sting-Komposition. Warum ist die noch zum anderen Programm dazugerutscht?
Julia: Ich wollte ein ruhiges Stück als Outro spielen. Denn für mich war klar, wenn es ein Instrumental geben sollte, dann muss es am Schluss der CD sein. Vielleicht wollte ich bei einem Stück auch mal die Melodie spielen (Gelächter der beiden).
„Ohne Proben ganz nach oben“
Melodiva: Ausgerechnet der Song eines Sängers wird ein Instrumentalstück…
Julia: Das wäre zu offensichtlich gewesen, wenn dieses Stück auch noch gesungen würde. Ich bin ein großer Sting-Fan und meine CD ist zwischen Jazz und Pop. Sting ist auch irgendwo zwischen den Stilen, deshalb haben wir auch den einen Randy Newman Song aufgenommen. Ich spiele solche Songs auch gerne im Trio, aber den Randy Newman-Song wollte ich mit Gesang haben. Stings „Thousand Years“ ist in Es Moll und spielt sich toll. Nur ein paar Akkorde, sehr toll und sehr einfach strukturiert. Meine Sachen werden schnell zu kompliziert, aber Sting schafft es, einfach und gut zu bleiben.
Melodiva: Und du warst nicht sauer, dass du den Sting-Song nicht singen durftest?
Rebekka: Nein, aber ich habe da auch noch nie drüber nachgedacht, ob ich das Lied singen wollte.
Melodiva: Im Frühjahr seid ihr auf Tour, und dann wird wieder nicht geprobt?
Rebekka: So wenig wie möglich.
Julia: Unser Motto ist „Ohne Proben ganz nach oben“ (lacht). Ich finde auch, dass man Stücke nicht zu oft spielen sollte, damit die Inspiration frisch bleibt. Du darfst das Bild nicht fertig haben, wie Rebekka das so schön sagte.
Melodiva: Aber mit Proben weiß man genau, was man von den Mitmusikern erwarten kann.
Rebekka: Manchmal sind Proben einfach Scheiße. Niemand hört mein Potential bei Proben. Wenn man das als Point of Departure nehmen würde, wollte sicher niemand mit mir spielen.
Julia: Ich spiele viel mit Marc, sehr viel, und ich kenne Heinrich auch gut. Wir kennen uns gut, auch wenn wir dieses Programm nicht oft gespielt haben. Mit Rebekka gibt es diese magische Verbindung. Wir sind offen und wir können reagieren.
Rebekka: Du schmeißt dich in die Wellen und hoffst, daß du irgendwo hinkommst. Es ist eine Frage von Vertrauen. Es ist egal, was deiner Meinung nach passieren sollte. Ride the wave and trust. Wenn ich etwas immer und immer wieder machen müsste, hätte ich das Gefühl, dass ich im ersten Versuch nicht ehrlich genug war. Ich habe diese Idee und muss die Konturen fühlen, auch wenn es nicht immer meine Idee ist. Die schönsten Sachen kommen manchmal am einfachsten. Wir sind damit aufgewachsen, dass nur harte Arbeit und leiden zu etwas führt. Das stimmt für mich nicht, ich musste lernen, der Leichtigkeit im Leben zu vertrauen. So schreibe ich auch. Man muss aber auch einen Background haben, man sollte ein paar Akkorde kennen. Der Prozess muss einfach sein.
Ich habe als Kind mit Geige angefangen. Ich habe Musiktheorie gelernt. Ich habe mir aber nie viel Musik angehört, meine musikalischen Einflüsse waren die Bands, in denen ich gespielt habe. Die haben meine wilden musikalischen Entwicklungsschritte akzeptiert. Bob Dylan anzuhören war mir ein gutes Beispiel für Ehrlichkeit. Da geht es nicht um großartige Stimme und gekonntes Singen. Er schreibt tolle Stücke und trägt sie vor, und er ist ehrlich. Wenn du ehrlich bist, brauchst du nicht mehr viel anderes.
Julia: Bei mir waren es eher zu viele Einflüsse. Ich habe in den letzten Jahren entdecken müssen, dass meine klassischen Einflüsse wesentlich stärker waren, als ich dachte. Ich liebe es, Bach und Grieg und Prokofiev zu spielen. Das kommt zurück. Jazzmäßig liebe ich Don Grolnick, weil er auch toll schreibt. Ansonsten die komplette Jazzpiano-Liste von Bill Evans über Herbie Hancock…. Aber auch Sting oder Randy Newman finde ich toll. Ich wollte nicht unbedingt Jazz studieren. Eigentlich wollte ich Pop- oder Rockmusikerin werden, aber ich wollte es richtig machen, also mit Studium. Das gabs nicht, also habe ich Jazz studiert und entdeckte die Kraft dieser Musik und sehe mich jetzt auch als Jazzmusikerin. Jazz und Fusion. Pat Metheny ist ebenfalls ein wichtiger Einfluss für mich, oder die Yellowjackets. Mir geht’s um Musik, nicht um Jazz oder Pop etc…
CD „Scattering Poems“ Julia Hülsmann Trio With Rebekka Bakken
(ACT Music + Vision)
Copyright: Redaktion Melodiva
31.01.2003