„JAZZ WE CAN“ zeigt Entwicklungspotential des Jazz auf

Studie zur Situation des Jazz in NRW

Die Studie „JAZZ WE CAN“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Situation des Jazz in NRW zu beleuchten, um seine kultur- und kreativwirtschaftliche Bedeutung herauszustellen. Der besondere Verdienst der StudienmacherInnen ist hierbei, dass sie – quasi flankierend – MusikerInnen, VeranstalterInnen und Publikum gleichermaßen befragt haben. Daraus ergeben sich Empfehlungen für die Zukunft: was können die MusikerInnen tun, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, wo ist bei den VeranstalterInnen noch Potential und was kann die öffentliche und privatwirtschaftliche Förderung leisten. Ein 360 Grad-Blick auf ein interessantes Thema, der jetzt in Form einer Broschüre veröffentlicht wird.

Die MacherInnen der Studie – der Verein nrwjazz e.V. – haben lange Jahre Erfahrung in der Netzwerkarbeit und somit ohnehin schon einen guten Überblick über die Jazzszene in NRW. Seit sechs Jahren betreiben sie das Portal nrwjazz.net (http://www.nrwjazz.net) und sind somit gut informiert über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der JazzmusikerInnen. Ihre Motivation für die Studie erklären sie in der Borschüre so: „In vielen Gesprächen mit dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen erwuchs die Erkenntnis, dass die Kultursparte Jazz ein Segment der Kultur- und Kreativwirtschaft ist. Dies war der entscheidende Impuls für das Projekt mit dem Arbeitstitel „Die Situation des Jazz in NRW“ (…). Zweck der Broschüre sei es, ein Bild von der Situation zu zeichnen, in der sich der Jazz in NRW heute befinde, welche Bedeutung er für ein Bundesland wie Nordrhein-Westfalen in Bezug auf kulturelle Vielfalt, Integrationsbemühungen, Vorbildfunktionen, Schaffung von Innovationen und kreativem Umfeld biete, und was er in diesem Zusammenhang zur Entwicklung der Kreativwirtschaft beitragen könne. Verantwortlichen in Politik, Verwaltung, Unternehmen und Stiftungen solle so vor Augen geführt werden, dass eine sinnvolle Unterstützung des Jazz nicht nur eine kulturelle Aufgabe ist, sondern eine vielfältige Investition in die Zukunft. Gleichzeitig wollen die MacherInnen auch den Protagonisten deutlich machen, dass sie selbst durch eine Vielzahl von Maßnahmen ihre eigene Situation verbessern können.

Befragt wurden MusikerInnen per Umfrage, aber auch in ausführlichen Interviews, wie z.B. mit der Musikerin Caroline Thon (http://www.nrwjazz.net/jazzreports/2015/Caroline_Thon_im_Gespraech_ueber_Kunst_und_Lebenserfahrung_/). Außerdem wurden das Publikum und die Veranstalter befragt und ergänzend Literatur- und umfangreiche Internetrecherchen durchgeführt. Es wurde kritisch hinterfragt, welche Beschäftigungsmöglichkeiten MusikerInnen auf dem „Arbeitsmarkt Jazz“ haben und wie viele hochqualifizierte MusikerInnen dieser Arbeitsmarkt verträgt. Ob sie für ihre Situation als Freelancer genügend qualifiziert sind und wie die gegenwärtige und zukünftige Situation der Auftraggeber, sprich Veranstalter und Spielstätten, ist.

522 MusikerInnen wurden von der Studienleitung zur Umfrage eingeladen. 128 MusikerInnen zwischen 20 und 72 Jahren beantworteten den ausführlichen Fragebogen. Sie spielen im Durchschnitt 66 Gigs pro Jahr (die Bandbreite reicht von 5 bis 250 Konzerte pro Jahr), 17% waren Frauen.

Die Studie beleuchtet, dass pro Jahr eine große Zahl neuer JazzmusikerInnen aus den Hochschulen auf den „Arbeitsmarkt“ strömen, die Zahl der Auftrittsorte – ohnehin handelt es sich oft um schlecht oder unbezahlte Auftrittsmöglichkeiten – jedoch stagniert und das Publikum immer älter wird. Die MusikerInnen müssen sich also unter Wert verkaufen, um überhaupt an Auftritte heranzukommen. Der von der UDJ (Union Deutscher Jazzmusiker) geforderte Mindestlohn für MusikerInnen wurde daher in der Umfrage ebenfalls angesprochen und diskutiert. Über zwei Drittel der KonzertveranstalterInnen und MusikerInnen sehen denn auch Bedarf in einer besseren Förderung der Spielstätten und zur Verbesserung der Präsenz des Jazz in der Öffentlichkeit, letztlich um ein „Audience Development“ betreiben und langfristig die Zahl der BesucherInnen und damit auch der Auftrittsmöglichkeiten erhöhen zu können.

Genauso prekär wie die Einkommenssituation der MusikerInnen ist die der VeranstalterInnen, die zum großen Teil – im Gegensatz zu den meist an Hochschulen ausgebildeten MusikerInnen – ehrenamtlich agieren und häufig keine Bühne, keine gute Licht- und Beschallungs-Anlage und auch keine Bühnentechniker zur Verfügung haben. So verwundert es nicht, dass VeranstalterInnen zunehmend den Jazz aus dem Programm nehmen und lukrativere Angebote buchen.

Die gleichzeitige Publikumsbefragung ergab jedoch noch Luft nach oben: laut Studie sind viele JazzkonzertbesucherInnen bereit, einen Eintrittspreis von 20 und mehr Euro zu bezahlen. Neugierig gehen sie auch auf Konzerte, wenn sie die MusikerInnen nicht kennen – ein Novum in der heutigen Medienlandschaft, in der nur bekannte Namen einen Marktwert haben. Außerdem besuchen sie überdurchschnittlich viele Konzerte im Jahr, nämlich 18, jedoch meist bei einem Veranstalter, also meist lokal, höchstens aber regional.

Das Fazit der Studie: „Nur wenn es mehr Publikum gibt und diese auch faire Preise zahlen, können Musiker und auch Veranstalter besser von ihrer Arbeit leben„. Und eine weitere Erkenntnis lautet: der Jazz kann ein Image-, Wirtschafts- und Standortfaktor sein. Gerade NRW mit seinen 30 Jazzfestivals (!) ist hier ein gutes Beispiel. Dem trägt die Verteilung öffentlicher Gelder aber nicht Rechnung, denn der breite Strom öffentlicher Förderungen von Bund, Ländern und Gemeinden fließe am Jazzsegment immer noch weitgehend vorbei. Der Kulturbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2014 zeigt, dass gerade mal 0,15% der Gesamtfördersumme für Orchester an Jazzformationen ging: „Allein das aus 27 Musikern bestehende Detmolder Kammerorchester erhielt vier Mal so viel Landesmittel wie die Sparte Jazz zusammengenommen„. Ein Opernbesuch in Köln werde mit 229 Euro, der Besuch eines Jazzkonzerts mit gerade mal 1,40 Euro gefördert. Hinzu käme, dass die meisten Förderungen zeitlich begrenzt und somit nicht für eine langfristige Gestaltung wirtschaftlich erfolgreicher Strukturen förderlich seien.

Fördermaßnahmen sind auch nicht per se immer fördernd. Die Studie zitiert dazu den sog. Kreativ-Report NRW, der einen differenzierten Umgang mit der Bewertung von Fördermaßnahmen anregt, die wirtschaftliche Entwicklungen geradezu ausbremsen könnten: „Es wird behauptet, dass Kultur- und Kreativwirtschaft wesentlich davon abhängig ist, dass es eine ausreichend finanzierte, öffentliche kulturelle Infrastruktur gibt. Ausgeblendet wird dann meist, dass öffentliche Einrichtungen auch Hinderungsgründe für das Entstehen kulturwirtschaftlich florierender Märkte sein können, wo sie nämlich mit öffentlichen Subventionen mit privatwirtschaftlichen Angeboten konkurrieren, diese verdrängen.“

Während der Arbeit an der Studie hat sich übrigens die Kölner Jazzkonferenz (KJK) formiert, in der erstmalig alle Jazzspielorte vertreten sind, um mit gemeinsamer Stimme in einen konstruktiven Dialog mit den Entscheidern über die Vergabe kommunaler Fördermittel zu treten.

Das Ende 2014 beschlossene Gesetz zur Förderung und Entwicklung der Kultur, der Kunst und der kulturellen Bildung in Nordrhein-Westfalen (Kulturfördergesetz NRW) soll die Arbeitsbedingungen verbessern helfen und vor allem VertreterInnen der freien, also auch der Jazzszene unterstützen. Um diese Willenserklärung mit Inhalten zu füllen, leistet die Studie einen wichtigen Beitrag.

Die Broschüre kann hier als pdf heruntergeladen werden: http://www.nrwjazz.net/netzwerk/2016_broschuere_screen.pdf

http://www.nrwjazz.net/netzwerk/studie_index.html
Autorin: Mane Stelzer

24.04.2016