International Female Musicians Collective auf Tour

Interview mit Sonja Huber

Vor ca. einem Jahr haben sechs Schweizer Jazzmusikerinnen den Verein „International Female Musicians Collective“ (IFMC) mit dem Ziel gegründet, professionelle Jazzmusikerinnen länderübergreifend zusammenzuführen, ihnen eine Plattform zu bieten und ein europäisches Netzwerk zu schaffen. Jetzt spielen sie mit dem 16-köpfigen Jazz Orchestra ab 13. Oktober 2017 zehn Konzerte in Schweizer Clubs.

Die Geschlechtergerechtigkeit ist ein mehrere Generationen umspannendes Feld, das in allen Ländern Europas beackert wird und auch viele Früchte trägt, aber weiterhin viel Einsatz braucht, um wirkliche Gleichstellung zu erreichen. Denn nach wie vor begegnen Jazzmusikerinnen, die nicht singen oder am Piano sitzen, hartnäckigen Vorurteilen, dass sie im Jazz eigentlich nichts zu suchen haben. Daher hat sich in der Schweizer Musikszene vor einem Jahr ein neues, vielversprechendes Pflänzchen gebildet: das „International Female Musicians Collective“, kurz IFMC. Der Verein wurde von den sechs Schweizer Musikerinnen Sarah Chaksad, Rahel Thierstein, Julie Fahrer, Fabienne Hoerni, Sandra Merk und Sonja Huber gegründet und soll Europa’s Musikerinnen vernetzen und in einem neuen Jazzorchester vereinen. Entstanden ist ein 16-köpfiges Orchester, das jüngere, aufstrebende und bereits gestandene Jazzmusikerinnen aus Norwegen, Dänemark, Deutschland, Frankreich und der Schweiz vereint. Neben guter Musik wollen die Musikerinnen vor allem bei heranwachsenden KünstlerInnen einen prägenden Eindruck hinterlassen und zeigen, dass Frauen einen festen Platz in der heutigen Jazzwelt haben. Der Verein übernimmt die Tourneeplanung sowie die organisatorischen Aufgaben rund um Reisen, Proben, Unterkünfte, Promo und Finanzen und entscheidet über den musikalischen Inhalt und die Besetzung des Jazzorchestras. Geplant ist, dass es jedes Jahr eine Tournee gibt, folgerichtig heißt die erste Tour, die in Kürze startet und an zehn Orte in der Schweiz führt, „ONE“. Es spielen die Musikerinnen:

Julie Fahrer (voc), Fabienne Hoerni (ts/ss), Sonja Huber (vib), Sarah Chaksad (as/ss/fl), Rahel Thierstein (p), Ines Brodbeck (perc) und Sandra Merk (eb) – Schweiz
Christine Christensen (as), Anne-Sophie Thykjær (tp), Annette Sax (tb) und Benita Haastrup (dr) – Dänemark
Hildegunn Øiseth (tp) und Gunhild Seim (tp) – Norwegen
Lisa Stick (tb) und Josephine Nagorsnik (btb) – Deutschland
Christine Corvisier (ts) – Frankreich

Als Komponistin und musikalische Leiterin des IFMC fungiert die Saxophonistin Sarah Chaksad, die bereits über einschlägige Erfahrung verfügt, leitet sie doch seit mehr als drei Jahren überaus erfolgreich ihr eigenes 15-köpfiges Sarah Chaksad Orchestra. Ab dem 13.10. werden die Musikerinnen live mit ihrem Projekt in der Schweiz zu sehen sein. Was das Publikum da erwartet, haben wir eine der Initiatorinnen, die Vibraphonistin Sonja Huber gefragt.

Erstmal herzlichen Glückwunsch zu Eurem großartigen Projekt! Wahrscheinlich liegt jetzt ein Jahr harte Arbeit hinter Euch, dass Ihr jetzt als Orchester auf Tour gehen könnt! Was bedeutet es für Dich und Deine Bandkolleginnen?
Wir freuen uns alle riesig darauf, dass es nun bald losgeht. Es steckt tatsächlich wahnsinnig viel Organisations-Arbeit dahinter und Sarah Chaksad hat viele Stunden in die Entstehung der Musik investiert. Dass wir nun auf eine 10-tägige Tour gehen können, ist sozusagen die „Kür“ nach der „Pflicht“.

Wie kam es dazu, dass ihr den Verein IFMC gegründet habt? Gab es eine Art Schlüsselerlebnis?
Es gab ein vorgängiges Projekt, welches wir aber nach eineinhalb Jahren beenden mussten, weil wir finanziell und personell an unsere Grenzen gestoßen sind. Die Idee eines größeren Collectives mit weiblicher Besetzung ging uns aber nicht aus dem Kopf, und so haben wir sechs uns zusammengetan und sind zum Schluss gekommen, dass wir über die Schweizer Grenze hinausdenken und auch im Ausland nach Musikerinnen suchen müssen.

Warum überhaupt die Vereinsgründung? Worin liegen die Vorteile? Hättet Ihr nicht einfach ein Orchester gründen können?
Ja, das hätten wir natürlich, aber wir wollten die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen. Um uns auch finanziell abzusichern war die Gründung eines Vereins sinnvoll. Zudem möchten wir nicht nur ein Collective sein, sondern uns auch für die Förderung der Frauen in der Jazz und Pop/Rock Szene einsetzen.

Was sind die spezifischen Probleme und Hindernisse, mit denen sich Musikerinnen in der Schweiz konfrontiert sehen? Was möchtet Ihr mit Eurem Verein erreichen?
Oft ist es so, dass Musikerinnen automatisch für Sängerinnen gehalten werden. Es ist zu wenig im Bewusstsein der Leute, dass es ja auch Instrumentalistinnen gibt. Eine kleine Anekdote: Wir haben unser Projekt auch für allfällige Unfälle versichert. Die Versicherung schrieb in der Police dann von einem Chor. Es kann ja nicht sein, dass es sich bei 16 Frauen um ein Orchester handelt ;). Wir möchten erreichen, dass ein Umdenken stattfindet und auch mehr junge Mädchen Vorbilder haben und sich vorstellen können eine Profikarriere anzustreben.

Foto v.l.n.r.: Sarah Chaksad, Rahel Thierstein, Julie Fahrer, Fabienne Hoerni, Sandra Merk, Sonja Huber

In Eurem Jazzorchester spielen 16 Musikerinnen aus fünf europäischen Ländern, wie habt Ihr Eure Mitmusikerinnen gefunden? Kanntet Ihr sie schon vorher?
Da alle sechs im Vorstand des Vereins bereits gute Kontakte während ihres musikalischen Schaffens aufgebaut haben, konnten wir teilweise darauf zurückgreifen. Einige von uns haben auch im Ausland studiert und damals andere Musikerinnen kennengelernt. Unsere Sängerin Julie Fahrer ist Halb-Dänin und konnte am letztjährigen Aarhus Festival mit Marilyn Mazur sprechen. Sie hat uns einige Musikerinnen aus der nordländischen Szene empfohlen. Nicht zuletzt haben wir auch übers Internet recherchiert. Per Skype konnten wir bereits mit allen Musikerinnen Kontakt aufnehmen und uns etwas kennenlernen. Den Großteil der „Nicht-Schweizerinnen“ im Orchester kannten wir davor noch nicht.

Habt Ihr Euch darüber ausgetauscht, wie die Situation in den jeweiligen Ländern ist? Sind Eure Erfahrungen ähnlich oder gibt es Unterschiede?
Als wir mit der Suche nach Instrumentalistinnen in Europa begonnen haben, ist uns aufgefallen wie viel mehr professionell tätige Musikerinnen auf allen möglichen Instrumenten des Jazz es in Skandinavien gibt. Wir haben dabei auch erfahren, dass die Frauenförderung in diesen Ländern weiter fortgeschritten ist als in der Schweiz und bereits im Primarschulalter beginnt, z.B. in Form von obligatorischen Orchestern und Big Bands. Wenn man unser Line Up betrachtet, kommen aus ebendiesen Ländern immerhin auch sechs von sechzehn Musikerinnen.
Nichtsdestotrotz waren bisher alle, auch die Skandinavierinnen, seit der ersten Kontaktaufnahme sehr motiviert und allen war sofort klar, dass dieses Projekt wichtig ist und einen wichtigen Wert für die Frauenförderung im Jazz hat.

Ihr wollt mit Eurem Projekt ja auch Vorbildfunktion für junge Frauen übernehmen und habt wahrscheinlich auch Schülerinnen, die ihr unterrichtet. Was sind Eure Erfahrungen mit ihnen? Was braucht es, damit mehr Mädchen den Beruf der (Jazz-)Musikerin wählen und nicht ihre Leidenschaft für die Musik aufgeben?
Meine Erfahrung ist, dass Mädchen oft etwas schüchterner sind und sich weniger getrauen hinzustehen und einfach mal zu machen und auch dazu zu stehen, was sie gerade spielen. Eine Qualität, die gerade für’s Improvisieren sehr wichtig ist. Für Musikerinnen, die auch Mütter sind, ist es nicht so einfach alles zu organisieren. Man kann ja das Kind am Samstagabend nicht einfach in die Kita bringen, wenn man einen Gig hat. Da braucht es einen Partner und auch ein Umfeld, das einen unterstützt. Zum Glück habe ich einen solchen Mann gefunden. Aber ich glaube, das ist heute immer noch nicht selbstverständlich.

Wie sah die Zusammenarbeit aus? Habt Ihr alle gemeinsam proben können? Das stell ich mir bei 16 vollbeschäftigten Musikerinnen aus fünf Ländern nicht so einfach vor…
Das „Kernprojekt“ dauert vom 08. bis 22. Oktober. Zuerst gibt es 5 Probetage und dann eine 10-tägige Tournee. Davor haben wir sechs Frauen vom Vorstand bereits miteinander geprobt. Alle Beteiligten haben frühzeitig das Notenmaterial erhalten und Sarah, die Komponistin und Altsaxophonistin des IFMC, hat mit allen Mitmusikerinnnen per Skype die Kompositionen besprochen. So sind nun alle bereits gut vorbereitet.

Magst Du schon etwas über Euer Programm verraten? Von wem stammen die Stücke, die Ihr spielt?
Wir spielen ein Programm, das Sarah Chaksad extra für unsere erste Tour geschrieben hat. Sie hat die Stücke auf unsere Besetzung sozusagen maßgeschneidert. Es wird moderne europäische Jazz-Musik zu hören sein, die toll groovt und trotz kompositorischen Raffinessen stets zugänglich bleibt.

Wie ist die Resonanz bisher?
Wir sind mit dem IFMC auf viele offene Ohren gestoßen und dürfen auf eine breite Unterstützung durch Stiftungen zählen. Der Verein hat auch einige Mitglieder und Gönner gewonnen. Nun hoffen wir natürlich auf viel Publikum bei den Konzerten.

Wie sind Eure Pläne? Wird das Orchester immer in dieser Besetzung bleiben oder soll sie wechseln? Ist auch ein Album geplant?
Ein Album ist durchaus denkbar. Nach der ersten Tour werden wir Rückschau halten und dann weiterplanen. Das International Female Musicians Collective wird auf jeden Fall weiter bestehen.

Wir wünschen Euch viel Freude und Erfolg bei der Tour! Vielen lieben Dank für das Interview.

Tourtermine:
13.10.17 Bejazz Bern
14.10.17 Le Singe Biel/Bienne
15.10.17 Dampfschiff Brugg
16.10.17 Mehrspur Zürich
17.10.17 Altes Spital Solothurn
18.10.17 Eisenwerk Frauenfeld
19.10.17 Jazzclub Aarau
20.10.17 Vario Bar Olten
21.10.17 Jazzcampus Basel
22.10.17 Kantiforum Wohlen

https://www.ifmcollective.com
Autorin: Mane Stelzer

06.10.2017