„Geht nicht – gibt’s nicht!“

Sax Talk mit Sandra Weckert /Berlin

Es gibt Sachen, die macht frau eigentlich nicht. Man eröffnet eine CD für ein Jazzlabel eigentlich nicht mit einem AC/DC-Stück, für das man sich einen Punk-Sänger ins Studio geholt hat. Man macht keine Sprüche wie „Ich mache Bar Jazz, weil mein Manager mit Diana Krall durchgebrannt ist“. Man bügelt nicht einfach so das Jazz-Image des Intellektuellen quer. Man hat keinen dreizeiligen Liedtitel, die sich kein Mensch merken kann. Mit so was klappt es nie mit dem Erfolg….

Denkste….

Die Berliner Saxophonistin Sandra Weckert räumt anarchisch und frech-frisch die Musikszene auf.

„Geht nicht gibt´s nicht“ ist einer ihrer Leitfäden.
Mit ihrer neuen Band, den Exotic Fruits‘ tobt sie sich kollektiv aus – und das mit viel Frauenpower. Mit der Saxophonistin Kathrin Lemke und der Drummerin Sabine Zlotos ist der Frauenanteil des Band auf 50 Prozent, zudem kommen bei einem Stück noch Posaunistinnen dazu.

Melodiva: Du hast dich selber mehr zurückgenommen auf dieser neuen CD. Statt ausufernden Solos gibt es mehr Konzept und Durchkomponiertes

Sandra Weckert: Die Entwicklung ging bei der letzten CD schon in diese Richtung. Bei der „50 Fans“ spiele ich glaube ich auch nur zwei Solos. Beim `Postzusteller‘ auf der neuen spiele ich ein Solo und auf der Musette `Er Sie Er‘. Wir kürzen ab, anders geht das bei dem Titel einfach nicht. Jeder sollte ja sein Solo kriegen. Kathrin hat eins bekommen und John hat zwei, eins auf dem Tenorsax und eins auf der Mundharmonika.

Es ging mir sehr um den Gruppensound, deshalb ist auch viel auskomponiert und da gibt’s dann kein Solo. Punkt. Die Gruppe ist einfach so stark. Seit ich die Band „Exotische Früchte der Saison“ habe, fühle ich mich total beschenkt, weil die Gruppe funktioniert. Die Egos sind nicht so groß, dass du keine Musik mehr machen kannst. Früher hatte ich Musiker in der Band, denen es immer nur darum ging, noch ein Solo zu spielen, und die nicht akzeptieren konnten, dass ich Stücke habe, die fertig durchkomponiert sind und die so gespielt werden, wie sie aufgeschrieben sind. Und das jedes Mal und in jedem Konzert.

Bei dem AC/DC-Stück habe ich mir alles von der Platte abgehört und habe John gesagt, er soll ein Solo drüber spielen, wie er es für richtig hält. Trotzdem muss man sicher immer gegen Leute durchsetzen, die sagen: „Das geht nicht. Du kannst nicht den Punk-Sänger King Khan, ein Streichquartett, HipHopper und Jazzband zusammen packen, und mit Nasenpfeifen spielen geht überhaupt nicht und lablablabla….“. Mir macht das Spaß, genau denen zu zeigen „Ätsch, seht ihr, es geht doch….“

Melodiva: Und mit den verschiedenen Besetzungen hast du dich wahrscheinlich wie ein Kind im Süßwarenladen gefühlt…

Sandra Weckert: Na klar, das macht Spaß. Zu den Kinderzimmern nach Ulm fahren, zu Stefan Rogall, der Nu Jazz macht, um zu checken, wie die arbeiten. Kinderzimmer sind Hiphopper, die Klangrestaurationen machen. Sich mit solchen Leuten zu treffen erweitert deinen Horizont, das ist was anderes, als zum 100sten mal im Proberaum zu hocken und zu Aebersold zu spielen. Die vielen Einflüsse sind toll, neue Leute kennen zu lernen. King Khan ist zwar manchmal ein bisschen krank, aber ein sehr lieber und kreativer Mensch.

Und mit den `Früchten` fühle mich total unterstützt. Da wird nicht dauernd gefragt: „Da ist ein c-moll- Akkord, du hast da ein e geschrieben, das geht nicht“. Jetzt wird gefragt, ob das so stimmt und dann wird’s es gespielt und nicht mehr dauernd angezweifelt. Die Mischung macht’s auch: Drei Frauen, drei Männer, ohne dass irgendwelche Konkurrenzsachen am Laufen sind, das finde ich schon toll. Mit Kathrin könnte das ja durchaus der Fall sein, da sie ja das selbe Instrument spielt. Jeder nimmt sein Ego sehr weit zurück. Live gibt es dann auch Platz für jeden, sich auszubreiten.

Diese Platte hat eine Fülle von weiteren Assoziationen in mir ausgelöst und ich schreibe wie eine Bekloppte.
Dieses Streichquartett und ich wollten eine Platte zusammen aufnehmen, und ich bin jetzt dabei, ältere Stücke von mir und neue Note für Note aufzuschreiben. Das wird dieses Jahr noch aufgenommen. Außerdem plane ich schon die nächste Platte mit den `Exotischen Früchten`.
Das Problem ist: Wenn ich ein Stück schreibe, zieht das so viele Ideen nach, dass ich mit dem Aufschreiben überhaupt nicht mehr hinterher komme. Ich renne mit Minidisc herum und singe Melodien ein, damit ich nichts vergesse. Es ist dann schwer, sich bei den 1000 Sachen, die mir gleichzeitig einfallen, auf eine zu konzentrieren und das erst mal fertig zu machen. Die Musik wuchert momentan in mir, und das macht Riesenspaß.

Weils so gut läuft mit den Ideen, sind im Prinzip die nächsten drei Platten schon fertig voraus gedacht. Leider kann man nicht drei oder vier Platten pro Jahr rausbringen….

Melodiva: Die `Exotischen Früchte` haben den hohen Frauenanteil von 50 %. War das gesucht, oder hat sich das ergeben?

Sandra Weckert: Die Schlagzeugerin Sabine Zlotos ist irgendwann in meinen Proberaum gezogen, weil ich noch jemanden gesucht habe, der sich die Miete mit mir teilt. Dann hat erst mal jede ihr Ding gemacht, bis mir die Band, die ich vorher hatte, auseinander fiel. Für die letzte CD `50 Fans…‘ hatte ich, weil ich in vielen Sachen die Schnauze voll hatte mit der alten Band, einige Sachen mit den `Exotischen Früchten` noch mal aufgenommen. Das hat uns so viel Spaß gemacht. Auch mit der Saxophonistin Kathrin lief das gleich von Anfang an toll, obwohl sie ja nun das gleiche Instrument spielt wie ich. Sie spielt aber anders, und sie spielt auch Bassklarinette. Die hat ihren Proberaum zwei Räume weiter. Wir sind alle im Berliner Frauenmusikzentrum Lärm und Lust, aber die haben zwei Räume an Frauen abgegeben, die nicht mehr zu Lärm und Lust gehören wollten, nämlich an Kathrin und mich. Wir sind die, die nicht dazu gehören, obwohl wir mitten drin sitzen. Kathrin hatte dann Stephan und Peer mit in die Band gebracht, weil die schon bei ihrer Band JazzXclamation gespielt haben.

Die drei Posaunistinnen sind auch hier im Frauenmusikzentrum.
Als ich das `Postman‘-Stück geschrieben hatte, hatte ich die Idee, dass es total geil wäre, wenn wir noch fettes Blech hätten. Und just als ich die Idee hatte und aus meinem Proberaum raus bin in Richtung Toilette, stieß ich auf Petra. Die sagte mir sofort zu, und in dem Moment kam Nikolaus Neuser aus dem Proberaum daneben und sagte: „Ich könnte auch Euphonium spielen“. Nachdem ich mir erklären ließ, was ein Euphonium ist, war er auch dabei, dann kamen Anke und Ulrike auch noch. Die schieben echt, und ich mag die Leute total gerne…. Wir haben auch Fotos im Studio gemacht, und sechs Frauen zusammen zu haben ist schon toll. Meine Erfahrung mit Frauen war eigentliche eher, dass es ein Hauen und Stechen gibt, weil eine Frau der anderen den Erfolg neidet…
Auch mir ist früher `bitch‘ aufs Plakat geschmiert worden. Vor drei Jahren hat mich das noch tierisch aufgeregt, aber jetzt ist das egal. Das habe ich in den letzten Jahren ausgelebt und ruhe jetzt besser in mir. Jetzt kann ich anfangen zu lernen, wie man eine Band leitet, weil es mehr ist, als nur Probentermine auszumachen und Noten mitzubringen.

Melodiva: Wie bist du bei Enja gelandet? Und um wieviel macht dir dieser Vertrag die Sache einfacher?

Sandra Weckert: Ich habe 2000 `Way Out East‘ rausgebracht und 2001 ’50 Fans‘. Dafür bin ich dann nach München gefahren, um mit Hans-Jürgen Schaal, der rechten Hand von Matthias Winckelmann, ein Interview zu machen. Der fragte mich, ob sich Sony schon bei mir gemeldet hat, und wenn nicht, müsste ich die nächste Platte bei Enja machen. Als ich meine Ideen vorgestellt habe, fanden die das gut, und das war der Deal mit Enja. Ohne die beiden Platten in Eigenregie wäre ich jetzt nicht hier.
Enja hat mit Soulfood einen sehr guten Vertrieb. Die CD ist sicher keine Hintergrundmusik, und ich glaube, dass sich Leute, die sich die CD anhören, sie auch kaufen. Für die ’50 Fans‘ habe ich super Besprechungen bekommen, was dem Verkauf nichts genützt hat, weil die Plattem in keinem Laden standen.
Ich will ganz sicher nicht in der Berliner Szene versauern. Ich habe vier Platten im Kopf, und es werden immer mehr, ich glaube, dass die Musik wert ist, gehört zu werden. Dafür ist Enja eine gute Adresse.

Melodiva: Hast du Schwierigkeiten, Sachen zu delegieren? Vorher hattest du ja alles alleine gemacht und du hast erzählt, dass du jetzt auch wieder beschäftigt warst, Mappen zu falten und Visitenkarten reinzupacken.

Sandra Weckert: Wer soll‘s sonst machen? Es wäre klasse, wenn es jemanden gäbe, der das macht. Aber wenn ich delegiere, dann ist es vermutlich nicht in der Qualität, die ich haben möchte. Vielleicht stellt mir ja ein großer Booker zwei Praktikanten zum Mappen falten zur Verfügung. Das Booking mache ich ja auch selber, aber es ist so zeitraubend. Es ist zwar persönlicher, aber es frisst unglaublich viel Zeit.

Melodiva: Super Cover und klasse Werbesprüche.

Sandra Weckert: Dabei trinke ich normal gar keinen Schnaps. Für das Foto habe ich zum zweiten Mal in meinem Leben einen Schnaps getrunken und es war grässlich.

„Ich mache Bar Jazz, weil mein Manager mit Diana Krall durchgebrannt ist“ ist ein Hammerspruch, und wir mussten für Enja vorher alles abklären – mit dem Management von Diana Krall etc. Universal sagte, dass sie es lustig finden, und auch das Management gab grünes Licht. Ansonsten haben wir noch schicke Bierdeckel mit `Bar Jazz Sandra Weckert‘ hergestellt, wo die aktuellen Daten auf der Rückseite stehen. Sowas sich auszudenken, macht Spaß. Es macht mir Spaß, mich von dem Rest abzuheben.

Melodiva: Der Überraschungsei-Effekt….

Sandra Weckert: Genau. Mittlerweile sagen mir Leute, dass sie mein Päckchen als erstes aufreißen, um zu sehen, was denn diesmal drinsteckt.

Ich sehe mich selber noch als Kind, das spielt, das lebe ich auch aus. So Leute, die jammern und sagen, dass es nichts Neues mehr gibt und der Jazz ausgereizt ist, die nerven mich. Bullshit, nichts von wahr. Gut, mein Deal mit Enja kommt nicht von ungefähr, ich habe zwei Platten vorher gemacht und hart gearbeitet.
Was ich mache, ist nicht unbedingt Jazz, aber das ist egal. Wir haben in Worms auf dem Jazzfest gespielt, Sonntagnachmittag um 14 Uhr und vor uns spielte so eine typische Modern Jazz Quartett Band. Meine Befürchtung war, dass wir echt eine reinkriegen bei unserem Gig. Aber zu uns kamen immer mehr Leute und wollten, dass wir weitermachen, und ich habe innerhalb von einer Viertelstunde 40 CDs verkauft. Leute, die einmal da waren, kommen wieder, weil die Leute nämlich nicht so abgestumpft sind, wie man denkt. Das Publikum gehört dazu und ist interessiert an Neuem.

Melodiva: Du gehst nach Bolivien und spielst für das Goethe-Institut dort Konzerte.

Sandra Weckert: Dazu komme ich wie die Jungfrau zum Kinde. Im letzten Jahr hat mich ein entfernt klingender Herr angerufen und mich gefragt, was ich in zwei Wochen mache, und ob ich nicht in La Paz auf dem Jazzfest spielen wolle. Klar, sagte ich, wenn sie mir sagen, wo La Paz ist…. Dann bin ich mit meinem Keyboarder Peer hingeflogen. Weil es so kurzfristig war, war kein Geld mehr für einen dritten Mann aufzutreiben. Dann haben wir sechs Stunden mit dem örtlichen Bassisten geprobt, dem ich meine Stücke gefaxt hatte. Die hatte er sich nicht angeschaut und war total zugekifft. Und wir haben dann im völligen Höhenrausch auf 3000 Metern geprobt, am Schluss konnte er fünf der 12 Stücke spielen, den Rest habe ich mit Peer im Duo gespielt. Ich hatte 20 CDs mitgenommen, zehn von jeder Sorte, weil ich dachte, dass im ärmsten Land Südamerikas nicht viel zu holen ist. Kann ich ja wieder zurück nehmen…. Nach fünf Minuten kam der Typ, der CDs verkauft, angerast und brüllte: „Muchos CDs!“ Für dieses Jahr sind wir wieder eingeladen, diesmal die komplette Band – vermutlich gibt das eine Revolution, weil wir mit drei Frauen spielen, zwei am Blasinstrument und eine am Schlagzeug!

Discographie:

CD „Bar Jazz“ (2003 – Enja Records – Vertrieb SOULFOOD)

CD „50 SANDRA WECKERT FANS CAN’T BE WRONG“ (2002 – Eigenvertrieb)

CD „Way out East“ (2001 – Eigenvertrieb)

CD „Be careful! These phrases are Out“ (1998 – Eigenvertrieb)

Label:
www.enjarecords.com

Copyright: Redaktion Melodiva

www.sandraweckert.de
Autorin: Angela Ballhorn

31.08.2003