Ganz da im Jetzt
Interview mit der Musikerin Little Whale
Wann und wie hast du angefangen, Musik zu machen?
Ich mache Musik, seit ich mich erinnern kann. Ich hab als Kind angefangen Gitarre zu spielen und mit Melodien und Gedichten zu experimentieren. Meine Stimme hab ich zuerst durch das gesprochene Wort, also Dichtung erkundet und erst in meinen frühen Zwanzigern begonnen zu singen.
Wann sind deine ersten Songs entstanden?
Ich bin mir nicht sicher, ich erinnere mich vage daran, in irgendwelchen Kellern in meiner eigenen Tagtraumwelt Gedichte geschrieben und Melodien gesummt zu haben.
Du hast im Sommer dein zweites Album „Terra“ veröffentlicht. Hast du eine Band oder hast du alles allein aufgenommen?
Terra wurde in meinem Keller in Minneapolis aufgenommen. Ich habe keine Band, aber wundervolle, talentierte musikalische Freunde. Das Album featured die Gastmusiker*innen Eran Fakir an der Flöte, Arianna Wegley am Cello, Matt Blake am Kontrabass und Alex Goldfarb am Udu. Patrick Pegg hat an der Produktion der Übergänge zwischen den Tracks mitgewirkt sowie bei der Synthese von “All I Ask” and “Women with Wings”. Die Produktion, das Recording und das Einspielen aller anderen Instrumente (Gitarre, Charango, Percussion, Vocals und Mystery Sounds) hab ich übernommen. Adam Krinsky von den Bellows Studios in St. Paul, MN, hat das Album gemixt und gemastert.
Die meisten deiner Songs sind in Spanisch. Warum, ist das deine Muttersprache?
Englisch ist meine Muttersprache. Was das Spanischsprechen angeht, bin ich auf einem sehr einfachen Level, wohlwollend ausgedrückt. Es ist ein komisches Ding, oder? Songs in einer Sprache zu schreiben, die ich nicht fließend spreche… es ist offensichtlich für Muttersprachler*innen, wie einfach meine Texte sind… Ich hab ehrlich nicht erwartet, dass so viele Leute meine Songs hören.
Leider verstehe ich kein Spanisch. Worum geht es in deinen Texten?
Die meisten Songs sind von der natürlichen Welt inspiriert, sie zelebrieren und beschwören bestimmte Pflanzen und Tiere, laden dazu ein, die Schwingungen zu spüren, die diese Seelenwesen tragen, sei es die große Höhe und Perspektive von geflügelten Kreaturen, die heitere Grazie der Meerestiere, die durch die Ozeane „fliegen“, oder die so subtile wie präzise Heilkraft von pflanzlichen Heilmitteln, die uns an unsere eigene Ganzheit erinnert.
Was bedeutet Musik allgemein für dich?
Klang ist so kraftvoll, er entsteht aus der Stille, und weist von Natur aus wieder zurück zu ihr. Er ist ein Schlüssel, um uns selbst und unsere wahre Natur zu verstehen. Eine Heiltechnik, die eine unsichtbare Architektur um uns herum schafft, die wir fühlen können. Musik ist sehr visuell für mich. Menschen sind die einzigen Tiere, die bewusst ihr „Lied“ zurückhalten, aber das Singen kann alles verändern. Du kannst zum Lebensmittelladen gehen und dabei summen oder singen, und es wird jeden um dich herum beeinflussen, Freude bringen, Leichtigkeit, Nostalgie. Es kann sogar jemanden verärgern, indem es etwas verstärkt, was schon unterschwellig da war und nun erlaubt, an die Oberfläche zu kommen und etwas zu verändern. Das bringt uns in die Gegenwart, wo alle Dinge sind. Musik erlaubt uns, im Jetzt anzukommen und dem Schwingungsfeld, das auf wundersame Weise ständig aus der leeren Stille aufsteigt, unseren Herzenssong hinzuzufügen.
Du engagierst dich als Aktivistin und unterstützt mehrere Projekte mit deiner Musik. Erzähl uns doch mal etwas über diese Projekte.
Die Einnahmen der Bandcamp-Verkäufe gehen an zwei Projekte: an die Wasserschützer*innen von Line 3 in Minnesota und APIB („Articulacao dos Puvos do Brazil-the Articulation of Indigenous Peoples of Brazil“, Anm. der Red.) und die Aktivist*innen indigener Gruppen, die sich gegen PL490 wehren, ein geplantes Gesetz, das indigene Landrechte im Amazonas-Regenwald in Brasilien bedroht.
Line 3 ist eine geplante Öl-Pipeline der kanadischen Ölfirma Enbridge. Sie will die Pipeline auf unberührten Feuchtgebieten und dem Staatsgebiet der Anishanaabe bauen, vom Oberlauf des Mississippi bis zum Strand des Lake Superior. Deren Mission ist es, die im Niedergang befindliche Ölsandindustrie unter völliger Missachtung und Zerstörung des Landes der Ureinwohner*innen auszudehnen, in dem sie wertvolle Wasserreservoire einer verheerenden Zerstörung aussetzen, die auch viele unverzichtbare Wildreis-Anbaugebiete der Anishinaabe einschließen. Die Einnahmen unterstützen die mutigen Wasserschützer*innen, viele sind einheimische Großmütter, die jeden Tag ihr Leben riskieren, um in vorderster Front für den Schutz ihres Wassers zu kämpfen (Foto: Keri Pickett).
Die anderen Geldmittel gehen an die Protestierenden in Brasilien und die Organisation APIB (The Articulation of Indigenous Peoples of Brazil), die indigene Gruppen in ihrem Kampf gegen das Gesetzesvorhaben PL490 unterstützen, auch bekannt als „Demarcation of Indigenous Lands“. Dieses Gesetz würde die Rechte indigener Menschen beschneiden, neue Reservate auszuweisen, es der Regierung erlauben, sich bestehende anzueignen und die Regel des Nicht-Kontakts mit isolierten indigenen Menschen zu beenden. Dadurch könnten die letzten Hüter des Waldes, auch des Amazonas verschwinden. Es entzieht den Ureinwohner*innen sozusagen den Schutz ihres eigenen Landes und setzt es dem Risiko aus, von der Regierung bebaut zu werden. Um es deutlicher zu sagen: Bolsonaro versucht, die Ureinwohner*innen und den Amazonas Regenwald zu vernichten, wie er es unverfroren in seinem Wahlkampf angekündigt hat. Wir müssen unsere Stimmen auf der ganzen Welt erheben, um indigene Menschen in Brasilien, die bedroht werden, zu unterstützen.
Ich glaube nicht, dass ich sagen kann, dass ich eine große Aktivistin bin. Vor einigen Jahren war ich ziemlich involviert. Jetzt finde ich meinen Aktivismus momentan in meinen Interaktionen und meiner individuellen Vorgehensweise. Wasser- und Naturschützer*innen und Ökobäuer*innen sind Held*innen… was meine Musik angeht, sie ist von diesen Orten inspiriert, von der Natur und der Tiefsinnigkeit des Wassers, das wir mit unseren Körpern beleben; wir (Menschen) sind buchstäblich von Bewusstsein bewohntes Wasser… was für ein Wunder! Es wurde von der Intelligenz der Pflanzen in Wäldern rund um den Planeten inspiriert… etwas tief Vertrautes in unserer DNA, unseren Ahnen rund um den Planeten, die sich mit Pflanzen beschäftigten und Bezug zur natürlichen Welt hatten.
Dann definierte die Institution der Kirche Gott als etwas Separates, bei dem es einen Vermittler braucht, um mit ihm in Beziehung zu treten. Die Grausamkeit der Kirche, die uns glauben macht, dass wir getrennt sind, um die Kontrolle über die Menschen zu erlangen, während sie Andersgläubige, Heiden, Hexen, Ureinwohner*innen und alle, die sich durch ihr Wissen und ihre Verbundenheit mit der Natur bekräftigt fühlten, unterdrückte, kommt mehr und mehr ans Licht. Und es hat nichts mit Christus und seinen Lehren zu tun. So wie ich von diesen Orten und der Natur profitiert habe und geheilt wurde, macht es nur Sinn, diese schützenden Ursachen durch die Musik zu verstärken, die von diesen Orten und den Menschen, die sie betreuen, inspiriert wurde (Single-Cover „Aguila de Oro“, Artwork: Ryan Blume).
Gerade für diejenigen unter uns mit privilegiertem Hintergrund ist es wichtig, sich für die Ureinwohner*innen auf der ganzen Welt einzusetzen, die für den Schutz der Natur ihr Leben geben, und der Erkenntnis, dass wir auch zu diesen Dingen gehören; und sie zu zerstören, heißt uns selbst zu zerstören. Was für ein gewaltiges Missverständnis… Es ist, als ob wir verlorene Kinder sind, verwirrt und abgeschnitten vom Leben. Wir vergessen, dass jede*r, der außerhalb von uns erscheint, in uns vorkommt. Da führt kein Weg daran vorbei. Was immer in unserem Bewusstsein entsteht, sind wir. Irgendwann wird das selbstverständlich. Es gab nie ein „sie“ „ihnen“. Es ist „wir“ „uns“. Identifiziere dich als uns/wir für eine Stunde als ein Experiment und schau, wie es sich anfühlt. Dies ist ein Türöffner zum Herzen, sich im „uns“ zu entspannen und die „ich“-Geschichte für eine gewisse Zeit loszulassen. Von diesem Ort aus ist es eine intelligente Perspektive, die Welt zu steuern. Das ist nicht um die Bewegung der bevorzugten Pronomen abzulehnen, denn tatsächlich kommen sie im uns/wir vor, und wir können erkennen, dass jede Identifikation nur eine Rolle spielt, (nämlich) eine temporäre. Es ist gut, unsere Rollen auszuleben und es ist noch besser, dies mit Weisheit zu tun.
Hast du mit deiner Musik Erfolge erzielt?
Du hast gefragt, ob ich Erfolge erzielen konnte. Ich glaube, ich weiß es nicht… Ich bin nicht sicher, ob Erfolg jemals ein Ort ist, den ich erreicht haben werde, es sei denn, es bedeutet einfach, dass ich hier bin ohne dem gegenwärtigen Moment zu widerstehen. Voll und ganz da zu sein und den Moment in sich aufzunehmen, und wenn ich verloren gehe, und das ist oft, meinen Kopf zu verneigen und der Natur zu dienen, sie zu beschützen und dem Leben zu dienen. Das klingt wie eine erfolgreiche Reise für mich…
Ich habe einen Traum, den ich vielleicht einen Erfolg nennen könnte, wenn ich ihn verwirklichen kann, und das ist Geld zu sammeln um Monokultur-Ackerland im Mittleren Westen zu kaufen und es den Ureinwohner*innen zurückzugeben, denen es gehört. Um es zu renaturieren und viele natürliche Pflanzen und Wälder zu pflanzen, oder es an regenerative Bäuer*innen abzugeben. Erneuerbare Permakultur ist eine radikale proaktive Lösung für viele heutige Probleme. Düngemittel wie Glyphosat in Round-up sind im Wesentlichen Antibiotika, sie verringern die gesunden Nährstoffe und Bakterien. In die regenerative Permakultur zu investieren oder sie zu betreiben ist einer der proaktivsten Wege um dem Boden, dem Land, unserem Ernährungssystem, dem Planeten als Ganzes sowie uns Menschen, unserer individuellen Gesundheit und der Gesundheit der kommenden Generationen Gesundheit und Vitalität zurückzugeben.
CD „Terra“ (2021)
Bandcamp
Soundcloud
Apple Music
Wir haben das Interview ins Deutsche übersetzt (Danke, liebe Julia Auer!) und etwas gekürzt. Das englischsprachige Interview in voller Länge findet ihr hier.
12.01.2022