Gabriele Hasler

Jazzmusikerin und Klang-Expertin

Gabriele Hasler studierte am Berklee College of Music, Boston, USA und ist seit 1983 als Sängerin / Komponistin / Lyrikerin im Bereich Jazz und improvisierter Musik tätig. Schon 1986 gründete sie ihr eigenes Plattenlabel “Foolish Music”, das sie bis heute erfolgreich führt und auf dem bisher 18 Produktionen erschienen sind. Im Sommer letzten Jahres erschien eine neue Solo-CD “im bauch der vokale”, für die sie den Preis der deutschen Schallplattenkritik “Vocal Poetry der Jetztzeit” erhielt. Gründe genug sie auf Melodiva mit einem Portrait und Interview vorzustellen.

“In den achtziger und neunziger Jahren galt Gabriele Hasler als Deutschlands facettenreichste, eigenständigste und unabhängigste Jazzsängerin. Heute ist sie mit ihrer Arbeit weit darüber hinaus gegangen. Die eigene Stimme war für sie nie einfach nur ein Transportmittel zum Abliefern von Texten. Eher schon ein Musikinstrument, dessen Beherrschung sie sich umsichtig und unaufhörlich erarbeitet, dessen wunderbare Klangeigenschaften sie unablässig und ungeduldig bis zum heutigen Tag erweitert.
Gabriele Haslers Vorliebe für den Jazz hatte weniger mit dem Great American Songbook zu tun als mit der Idee, die Stimme als ein authentisches Ausdrucksmittel im weiten Horizont der eigenen Möglichkeiten zu verwenden. Improvisation war der einleuchtendste und zugleich der schwierigste Weg dorthin. Improvisation ist nicht einfach eine erlernbare musikalische Technik. Sie ist, wenn man sie ernst nimmt, eine sich immer wieder neu formulierende Aufgabe und erfordert eine verantwortungsbewusste Haltung gegenüber dem eigenen künstlerischen Vermögen. Es geht darum, Musik in und aus der je aktuellen Situation entstehen lassen. Die aktuelle Situation aber ist ein Gebilde, an dem nicht nur die improvisierende Musikerin mit ihrer Stimme und ihrer Seele beteiligt ist, sondern auch der Raum, in dem die Musik entsteht, samt dem Publikum, sowie den anderen Musikern, denen man hier begegnen will. Authentische Improvisation ist also immer ein Schritt ins Unbekannte.

Wenn man Musik, wenn man das Singen so begreift, dann ist „Jazz“ eine Chiffre für eine Haltung zum Musikmachen, für das die intensive, jahrelange Arbeit im Kontext der Jazz-Szene eine wunderbare Voraussetzung gewesen ist. Gabriele Hasler hat sich am Berklee College of Music in Boston in den USA ausbilden lassen und seit Anfang der achtziger Jahre überwiegend in Europa gearbeitet, in einer Vielzahl stets eigen eingefärbter, innovativer Projekte, als Sängerin, Komponistin, Bühnenkünstlerin und als Lehrende. Sie hat mit vielen der bedeutendsten Musikern der internationalen Improvisation-Szene gearbeitet und konnte sich stets einer kontinuierlichen weiträumigen Beachtung in den Medien erfreuen. Sie hat sich über Jahre immer wieder mit der Lyrik des deutsch-rumänischen Poeten Oskar Pastior befasst und mit ihm im Aufnahmestudio und auf der Bühne gearbeitet. Sie hat mit dem Altsaxofonisten Roger Hanschel Duo-Projekte aufgenommen, sie hat Musiktheater komponiert und gespielt, mit Chören jeglicher Art gearbeitet und zu vielen Themen geforscht, geschrieben, komponiert, gesungen.” *

Du bist in Wiesbaden geboren und hast auch einige Zeit in Frankfurt gelebt. Was waren in dieser Zeit wichtige Erlebnisse und verbindet Dich noch etwas mit der Rhein-Main-Region?

Ich war 6 Jahre alt, als meine Eltern mit mir nach Stuttgart zogen. Da gibt es nicht sehr viele Erinnerungen an Wiesbaden. Es gibt ein Foto von einem Kindergartenfest, wo ich sehr konzentriert Triangel spiele… An der Frankfurter Musikhochschule hatte ich in den 90er Jahren einen Lehrauftrag, erst im Bereich Schulmusik, dann beim Aufbaustudiengang Jazz unter Karl Berger. Ich hatte in der Zeit Kontakt zu etlichen MusikerInnen der Rhein-Main-Region, unter anderem spielte ich mit Elvira Plenar und Annemarie Roelofs. Es gibt immer noch Kontakte nach Frankfurt, im Frühjahr 2013 habe ich dort gemeinsam mit Viola Engelbrecht ein erfolgreiches Klangbad-Konzert veranstaltet.

Heute lebst Du in Bremen, hatte Dein Umzug berufliche oder private Gründe? Und klingt der Norden anders als der Süden oder die Mitte Deutschlands?

Meine beiden Kinder gehen hier zur Schule.

Dein Werdegang und Deine künstlerische Karriere sind sehr beeindruckend, besonders in einem Musikbereich, der nicht als populär gilt. Dazu gehört sicher ein sehr starkes Überzeugtsein von der eigenen Kunst und dem starken Willen, seine Kunst ausdrücken zu wollen. Gab es Stationen und Menschen, die Dir auf diesem Weg geholfen haben?

Ja, es gab von Anfang an Anerkennung und Wertschätzung für meine Musik. Als ich in den 80er Jahren anfing, hatte ich auch jahrelang ein ziemliches Monopol, es gab einfach so gut wie keine anderen deutschen Sängerinnen, die zeitgenössischen oder gar experimentellen Jazz machten. Es gab auch noch keinerlei Ausbildungsmöglichkeiten für vokalen Jazz… Für meine zweite LP „God Is A She“ bekam ich den SWF Jazzpreis von Joachim Ernst Berendt, der mich sehr unterstützte. Ich wurde zu sämtlichen wichtigen Festivals eingeladen und vom Goethe Institut nach Nordafrika und Südasien auf Tour geschickt. Rundfunkredakteure wie z. B. Uli Olshausen vom HR, Michael Naura vom NDR oder Manfred Niehaus vom WDR begleiteten und unterstützten meine Entwicklung. Es gab damals keine Rundfunkredakteurinnen im Bereich Jazz. Auch so gut wie keine Journalistin, die kompetent über Jazz und Improvisierte Musik schrieb.

Du unterrichtest auch viel, hast eine eigene Schule gegründet, das Creativ Vocal Centre, leitest in Bremen den Improchor und hast eigene Techniken entwickelt wie “Sound Poetry und Feldimprovisationen à la Gabriele Hasler”. Kannst Du uns darüber etwas erzählen?

Ich habe von Anfang an viel unterrichtet, als Dozentin bei Jazzworkshops und privat, auch an der Universität Oldenburg und an der Musikhochschule Frankfurt. Neben dem „klassischen“ Jazz war es mir immer wichtig, andere Wege zu erforschen und zu zeigen, mit der Stimme zu improvisieren. Wichtig dabei waren auch Texte, Lautpoesie, Lyrik. Von 1993 bis zu seinem Tod 2006 arbeitete ich eng mit dem Dichter Oskar Pastior zusammen und habe sehr viel von ihm gelernt über die Klanglichkeit von Sprache.
Beim „Creative Vocal Centre“ ging es mir noch um die Ausbildung einzelner SängerInnen. Mit dem „Klangbad“ – Konzept und dem Improchor verfolge ich inzwischen allerdings hauptsächlich den Weg vokaler Gruppenimprovisation. Es gibt so etwas wie vokale Schwarmintelligenz. Ich verwende Circlesinging, vocal poetry, minimal Konzepte, Feldimprovisationen. Die Teilnehmenden geraten dabei wie von selbst in den „Lauschmodus“. Improvisation ist für mich inzwischen eine Art zu leben und zu sein. So betrachtet kann ich mit jedem und jeder arbeiten, die Lust hat, an einer solchen Gruppe teilzunehmen. Stimme hat jede und jeder.

Du improvisierst und experimentierst mit Deiner Stimme und Klängen, macht es Dir auch Spass, einen Song, eine Melodie zu singen? Und wie würdest Du den Unterschied beschreiben?

Ja klar singe ich sehr gerne auch Songs und Melodien. So habe ich beispielsweise mit dem Altsaxophonisten Roger Hanschel zusammen eine CD mit und nach Liedern von John Dowland aufgenommen („Lovesongs“ Foolish Music 211003). Ich singe auch sehr gerne Jazzstandards und kann unglaublich viele mit Text auswendig… Das ist wie in der bildenden Kunst: manchmal habe ich eine abstrakte Phase und dann wirds wieder gegenständlicher.

“Beim Singen ist, das kann man bei Gabriele Hasler lernen, die Stimme nie alles, was man braucht. Singen stellt Beziehungen her und enthält die Chance, andere Menschen auf eine Art zu berühren, die mit Sprache allein nicht zu erreichen wäre. Kein Wunder, dass in vielen Kulturen das Singen eine wichtige soziale Praxis ist.
Menschen haben im Laufe ihrer Geschichte in vielen Weltgegenden viele Gesangstechniken entwickelt, vom Joik der Sami über den zentralasiatischen Obertongesang, die große abendländischen Lied- und Operntradition bis hin zum Sprechgesang der New Yorker Hip-Hopper. Gesangstechniken erweitern den Klangreichtum der Stimme. Gabriele Hasler hat sich nie auf nur eine Gesangstechnik spezialisiert. Sie hat nie nur einen Stil gepflegt, und sie hat nie darauf bestanden, beim Singen immer auf einer Bühne zu stehen. Über die Stimme – nicht zuletzt ihre eigene – und ihre Wirkungen hat sie einen riesigen Fundus an Wissen und Fertigkeiten gesammelt, der nicht nur auf Konzerten und Tonträgern erfahrbar wird.
Der Jazz war ein guter Anfang. Aber im Mittelpunkt der Arbeit von Gabriele Hasler steht der Klang.
Wie nutzen wir unsere Stimme eigentlich? Gabriele Hasler zeigt ein Spektrum, das Mut braucht, Spielfreude und Lust am Experimentieren. Das uns nur leise und bescheiden erahnen lässt, welche Klänge wir mit unserer Stimme erzeugen könnten. Mit einer gehörigen Portion Frechheit werden nicht nur Wohlklänge erzeugt.” *

Im letzten August veröffentlichte Gabriele Hasler ihre neue Solo CD „im bauch der vokale“, auf der sie sich erstmalig auch am Klavier begleitet. Außerdem verwendet sie eine Dulcetina (Harmonium), Porzellanscherben und Loops. Die Kompositionen und Improvisationen entstanden nach eigenen lyrischen Texten.

Haben sich die Stücke auf Deiner CD im Laufe der Zeit angesammelt, oder sind sie erst bei der Produktion entstanden?

Ein Teil der Stücke ist im Laufe der letzten Jahre entstanden, z.B. „Planting My Tomatoes“. Es gibt ja leider viel zu wenig Kompositionen zum Thema Obst und Gemüse. „Sunday“ ist ein altes Stück von mir, das ich gerelaunched habe. Und einige Stücke entstanden im Studio nach den mitgebrachten Texten, z.B. „honigmilch“.

Im Bauch der Vokale ist ein schöner Titel, der zu Deinen Stücken führt. Du singst über das Wachsen des Bärlauchs, Deine Tochter als Künstlerkind, Deine Mutter, Silben und Wörter, einen Sonntag und die Gebrauchsanleitung für eine japanische Digitaluhr, daraus spricht auch eine gehörige Portion Humor und Witz. Ich stelle mir vor, dass Du Dich beim Entstehen Deiner Stücke vielseitig inspirieren lässt, von Texten, Stimmungen, Gegenständen, Geräuschen etc. Braucht es bestimmte Räume, Bedingungen dafür?

Es braucht den Lauschmodus, also eine bestimmte innere Haltung und Offenheit, dann kann eigentlich alles Auslöser für einen Text oder eine Komposition werden. Eine alltägliche Beobachtung, ein aufgeschnappter Satz, ein erlauschtes Vogel – Frühlings – Motiv, der rhythmische Tanz der Straßenbahnen am Hauptbahnhof.

Du reizt in vielen Stücken den Klang der Worte aus und verlässt zunächst die eigentliche Bedeutungsebene der Wörter. Schaffst Du damit neue Bedeutungen oder geht es Dir nur um den Klang ohne Inhalt?

Mich interessiert das Spannungsfeld zwischen Wort und Klang. Ab wann verliert ein Wort seine Bedeutung? Wie oft muss es dazu wiederholt oder gedehnt oder auseinandergenommen oder geschreddert werden? Und ab wann geht ein Klang bei mir in Resonanz und die Resonanz führt zu Gedanken, also zu Worten… Fasziniert bin ich von den individuellen Ausprägungen der Sprachmelodie, also der Intonation und der Prosodie. Daraus lassen sich dann wieder Melodien filtern. Und natürlich hat jede Sprache ihre typische Intonation. Ich habe gerade zwei Monate in Thailand verbracht und war fasziniert von der thailändischen Tonsprache. Auch springe ich gerne assoziativ zwischen den Sprachen hin und her, in meinem Fall ist das neben Deutsch Englisch und Französisch. Da wird dann aus der hiprose (Hagebutte) die Hüftrose. Hagebutte ist aber auch ein schönes Wort – da ensteht bei mir sofort eine reiche Bilder- und Wortwelt dazu. Ich bin umgeben von Büchern aufgewachsen. Ich kann nicht anders 🙂

Du warst mit Deinen Projekten und Konzerten schon fast in der ganzen Welt, hast Du eine Vorliebe für eine bestimmte musikalische Region?

Nicht wirklich. Aber ich war in Schwarzafrika überwältigt von der Kraft und der Schönheit der Stimmen, gesprochen oder gesungen. Ich erinnere mich an einen Mönch in einem togoischen Kloster, der den schwärzesten Bass sprach, den ich je gehört habe. Da hätte ich hineinkriechen können vor Begeisterung. Ich weiss gar nicht mehr, WAS er gesagt hat, ich wollte nur, dass er nicht aufhört zu sprechen! Leider hatte ich an dem Tag kein Aufnahmegerät dabei.

Wie wirken fremde musikalische Stile und Traditionen auf die eigene Stimme?

Oft befreiend, weil es darin oft weniger als bei uns um Stimmideale und Virtuosität, sondern mehr um Ausdruck und Persönlichkeit geht.

Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema. 2012 erhielt der Bassist Manfred Bründl von einer rein männlichen Jury den SWR – Jazzpreis. Das war für Dich Anlass, ein bisschen zu recherchieren und ein paar Fakten zusammenzutragen, wie:
– von 30 Preisträgern des Jazzpreis Baden Württemberg waren nur 2 Frauen,
– der WDR Jazzpreis wurde seit 2004 an 24 Männer sowie etliche Big Bands vergeben. 2014 ging er zum 1. Mal an eine Musikerin, Christina Fuchs;
– der SWR Jazzpreis erhielten seit 1981 28 Männer und nur 4 Frauen,
– die Jury des Echo Jazz 2012 bestand aus 11 Männern und 2 Frauen
– in den Musikhochschulen sind weibliche Dozentinnen deutlich unterrepräsentiert. Es gibt lediglich 4 Professorinnen (alle im Bereich Gesang), der Rest sind Lehraufträge.

Ich glaube, die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Jazz ist nach wie vor rundum männlich dominiert, vor allem dort wo es um die Verteilung von Geld und Aufmerksamkeit geht. Noch nicht habe ich untersucht, wie viele Frauen das Programm für Jazzfestivals kuratieren…

Vielleicht ist die von männlicher Arroganz geprägte Jazzwelt auch nicht besonders anziehend für Mädchen und Frauen. Und die positiven und erfolgreichen Rollenvorbilder wie Julia Hülsmann oder Angelika Niescier sind einfach nicht bekannt genug? Wie wird denn Jazz heute in Schulen überhaupt vermittelt? Ich kann da nur im Nebel stochern. Ein positives Rollenmodell ist übrigens die Saxophonistin Alexandra Lehmler, die den diesjährigen Baden Württembergischen Jazzpreis erhält. Sie hat zwei kleine Kinder und macht einen überzeugend geerdeten Eindruck. Und gute Musik.

Was sind Deine aktuellen Projekte und welche Pläne hast Du?

Aktuell bin ich am aktivsten mit meinem Soloprogramm „im bauch der vokale“, das ich in verschiedenen Städten vorstelle.
Für den Herbst plane ich eine einmonatige Aktion zusammen mit der bildenden Künstlerin Gunhild Tuschen. Ich werde in ihrer Galerie täglich meine Komposition „G.bete 365“ aufführen und sie wird zeichnen. Dabei geht es uns darum, einen Zyklus des Entstehens und Vergehens über vier Wochen abzubilden, jede mit ihren Mitteln.
Vor anderthalb Jahren habe ich den Improchor Bremen gegründet. Mit ihm wird es unter anderem ein Konzert im Dunkeln geben und eine Besingung des Finanzamts am Tag der offenen Tür…
Mit dem Kasseler Schlagwerker Olaf Pyras erarbeite ich zur Zeit ein Programm nach Kompositionen von Tom Johnson.
Und dann gibt es noch Vocal Interplay! Vocal Interplay bringt Circlesinging und vokale Schwarmintelligenz in die Welt von Firmen und Organisationen, Konferenzen und Kongressen.
Und am 3./4. Mai findet in Bremen ein Workshop Vocal Interplay statt, vokale Improvisation in der Gruppe.

www.improchor-bremen.de
www.vocal-interplay.de

Das sind viele spannende Projekte! Wir wünschen Dir weiterhin ein reiches kreatives Schaffen und viel Erfolg, vielen Dank für das Interview.

Danke für die inspirierenden Fragen!

* Hans-Jürgen Linke, Gabriele Hasler: Vom Crazy Wunder des Jazz zur Grande Dame des Klangs. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung.

www.gabrielehasler.de
Autorin: Hildegard Bernasconi

19.03.2014