Frankfurter Musikmesse 2010

Platten, Stars und Dezibel

Zum ersten Mal auf der Frankfurter Musikmesse! Ich geb’s ja zu. Als Songwriterin hielt sich mein Interesse an neuem Musikequipment und bahnbrechenden musikalischen Neuheiten in Grenzen und das einzige Gerät, das ich auf der Musikmesse zu entdecken hoffte (eine Loopstation), hätte ich mir auch in einem stinknormalen Musikladen anschauen können. Dass wir jedoch als Frauen Musik Büro selbst Musikerinnen präsentierten wollten, war ein guter Grund, sich auf dieser Messe endlich mal umzuschauen.

Jule Schaper & Katrin Zurborg, Foto: Ute Köhler, www.uk-pictures.de

Am Donnerstag treffe ich mich nach endlosen Kilometern durch Messehallen mit Kollegin Hilde und Maria von Waggong an der Singer-/Songwriterbühne. Die KollegInnen vom VirusMusikRadio sind natürlich schon da und die Twitter Twins Ian und Gianni sind schon mitten dabei, die aufregenden Erlebnisse am Stand mit ihren sagenhaften Kurznachrichten sekundenaktuell aufzubereiten (den Messe-Blog findet ihr hier: http://www.virusmusik.de/radio/). Außerdem am Stand: Newcomer TV, das 2007 seinen TV-Sendeplatz bei ARD & Co. räumen musste, aber am 22. Mai in der Batschkapp sein „Comeback“ feiern wird (das könnt ihr unterstützen, indem ihr Euch als Mitglied registrieren lasst: http://newcomertv.moonfruit.com).
Als erste von uns gebuchte „Band“ begrüßen wir zwei Mitglieder der Frankfurter Band Junk, das Duo Katrin Zurborg (Gitarre, Komposition) und Jule Schaper (Vocals). Die beiden rocken die Bühne und als Sängerin Jule mal etwas die Stimme erhebt, erscheint prompt ein übereifriger Security-Mann, der was von 72 erlaubten Dezibel faselt. (Wohlgemerkt: die angeblichen 102 dB sind im allgemeinen Gedröhne der nahen E-Gitarrenbühnen kaum zu hören, denn keine 50 m entfernt buhlen gleich mehrere wahnsinnige Gitarren-Endorser nebeneinander um die Gunst der ZuhörerInnen.) Im Interview mit den beiden Junk-Ladies erfahren wir, dass die Band bald auf Urlaub fährt und dass die ausschließliche Songschreiberin der Band Katrin dann in Quarantäne eingeschlossen wird, um eine Handvoll neue Songs zu schreiben. Außerdem gibt es einen neuen Auftrittsort in Frankfurt, das 25h Hotel, wo die Band am 09.06.2010 ihren nächsten Gig haben wird.

SONiA

Dann machen wir uns auf ins Getümmel und halten Ausschau nach Musikerinnen. Denn das ist ja das Gute an der mangelnden Präsenz der Frauen auf der Musikmesse: frau findet sie sofort! Das Auge focussiert sich sozusagen von selbst auf die wenigen potentiellen Ansprechpartnerinnen. Wir finden eine Gruppe von Berufsschülerinnen aus dem Schwäbischen, die hier munter Instrumente ausprobiert hat, die dann jedoch erklären, dass sie sich in die Popularmusik-Abteilung bloß „verirrt“ haben, da sie eigentlich aus der Klassik kommen. Eine Coversängerin, die ich anspreche, wartet auf ihren Freund und hat gerade erst mit ihrem (ersten) Messebesuch begonnen.

Schließlich landen wir den ersten Glücksgriff: die Songwriterin SONiA aus Baltimore/Maryland ist Endorserin für Kapodaster (das sind diese Dinger, die frau sich auf die Gitarrensaiten klemmt, um den Gesamtklang zu erhöhen), Amps, Gitarren und Pick Up’s und präsentiert hier ihre neue CD „Blood, Bones & Baltimore“. Normalerweise ist sie mit ihrer Band „disappear fear“ (Sax-Bass-Gitarre-Violine-Drums) auf Tour, doch jetzt sitzt sie mit ihrem kleinen Gitarrenverstärker am Stand und singt ihre Blues-Americana-Folksongs. Sie ist sehr sympathisch und wir bekommen sofort ein Interview mit ihr, das im VirusMusikRadio gesendet wird. Am Ende versprechen wir, in Kontakt zu bleiben und visieren an, sie im Herbst, wenn Sonia in Deutschland einige Konzerte gibt, zu einem Club Concert einzuladen. Wer reinhören möchte: www.soniadf.com.

Beata Kossowska

Danach erleben wir auf der größten Bühne der Messe, der Agora Stage, die „First Lady of Blues Harp“, Beata Kossowska. Diese Ausnahmemusikerin ist eine absolut virtouse Mundharmonika-Spielerin und Sängerin, die mehr ZuhörerInnen verdient hätte. Leider hat sie das Pech, mit einer zu Teilen offensichtlich ignoranten, gemieteten (?) Band aufzutreten, die ihr nicht nur ins grandiose Solo reindudelte (der Bass wollte entweder sein Instrument stimmen oder kommende Passagen vom Blatt schon mal vorab spielen), sondern sie auch noch mit der Abmoderation „Das war Beate Kosslowski und jetzt kommt gleich auf der Nachbarbühne…“ falsch beim Namen nannte und gnadenlos abwürgte. Sehr peinlich für Frankfurt. Hoffentlich kommt sie das nächste Mal mit ihrer eigenen Band „United Blues Experience“. Ihre Musik findet ihr auf: http://www.beata-kossowska.com/.

Am nächsten Tag sind wir mit der US-amerikanischen Gitarristin, Sängerin und Songwriterin Vicki Genfan verabredet, ihres Zeichens „Guitar Superstar 2008“, die wir tags davor durch unseren speziellen „Musikerinnen-Zoom“ auf einem Flur entdeckt und gleich nach einem Interview gefragt hatten. Sie steht uns eine Viertelstunde vor ihrem Auftritt auf der Acoustic Stage ganz unkompliziert Rede und Antwort.

Vicki Genfan

Wir fragen Vicki, ob der Titel „Guitar Superstar“ ihr Leben verändert habe, und sie antwortet trocken, dass es eben die Leute beeindruckt und einige Türen geöffnet habe (sie war nicht nur die erste Frau, die diesen Preis gewann, sondern sogar die erste Frau, die je ins Finale kam). Sie berichtet, dass es auch in den USA sehr schwer ist, sich einen Namen zu machen, weil die Konkurrenz so groß ist, und dass frau wirklich alles tun muss, was in ihrer Macht steht, um sich Respekt zu verschaffen.

Sie hat mit 5 Jahren mit dem Gitarrenspiel angefangen und nie aufgehört, da es ihr, wie sie selbst sagt, von Anfang an leicht fiel. Mit 11 begann sie schon, von Joni Mitchell inspiriert, „open tunings“ für sich zu entdecken und mit der offen gestimmten Gitarre eigene Musik zu kreiieren. Sie schulte ihr Gehör, indem sie alles von James Taylor lernte. Ihre Musik beschreibt sie als Worldmusic, als „Singer-/Songwriter +“, denn sie singt und spielt meist allein, hat aber auch viele Instrumentalstücke in ihrem Programm. Ihre Musik bedient viele Stile, sie ist sehr offen und weitreichend, nicht zuletzt wegen ihrer Spezialität: der offenen Stimmung. Nicht umsonst wird sie als Königin dieser Disziplin bezeichnet; sie spielt in 32 verschiedenen Stimmungen, d.h. sie stimmt ihre Gitarre jeweils auf einen Akkord, woraus sich immer wieder neue Spielmöglichkeiten ergeben.

Weil sie sich irgendwann sehr einsam fühlte, fing sie an, mit anderen Songwriterinnen zusammen zu arbeiten; sie nennt Christina Lux und Susan Weinert aus Deutschland, Sally Barker aus England, Kerstin Blodig, die zwar gebürtige Norwegerin ist, aber in Berlin lebt, sowie Trina Hamlin aus den USA. Sie hat deren Energie in der gemeinsamen CD „UnCovered“ eingefangen, die 2009 veröffentlicht wurde und auf der sie mit jeder Musikerin je zwei (Cover-)Songs aufgenommen hat, nicht zuletzt, um diese europäischen Musikerinnen in den USA bekannter zu machen.
Sie ist noch bis 05.04. in Deutschland, wer sich beeilt, kann sie noch auf der Bühne erleben: am 01.04. mit McKinley Black in der Frauenkultur in Leipzig und am 03.04. mit Christina Lux in der Kulturwerkstatt Buer in Melle (bei Osnabrück). Wir arbeiten daran, dass wir sie im Herbst nach Frankfurt locken können, wenn sie auf Tour in Deutschland ist. Hier geht’s zu ihrer Website: http://www.vickigenfan.com/.

Judith Erb & Nicole Badila, Foto: Ute Köhler

Nach dem eindrucksvollen Konzert von Vicki Genfan begeben wir uns wieder zu Halle 4.1, Stand H37 zum VirusMusik-Stand. Auf der Songwriter-Bühne ist heute das Duo voice&bass der Sängerin Judith Erb und der Bassistin Nicole Badila bei uns zu Gast. Die beiden Musikerinnen waren einmal als klassische, 4-köpfige Band gestartet, entdeckten dann aber das gewisse Etwas und eine neue Freiheit, die sie plötzlich im Duo hatten.
Während des ca. 20-minütigen Konzerts der beiden zeigte sich wieder, dass die erlaubten 72 dB der akustischen Musik vis à vis der posenden E-Gitarristen im dröhnenden Geschrammel der Nachbarschaft nur schwer auszumachen waren (übrigens: 70 dB hat ein Staubsauger in 1m Entfernung). Im Interview sprechen wir unter anderem über Nicoles Job als Endorserin und wie sie an diesen Job gekommen ist. Daraufhin erzählt uns Nicole, dass sie die Firma, die sie als Endorserin vertritt, sehr gut persönlich kennt und dass diese Engagements eben hauptsächlich durch diese persönlichen Beziehungen zustande kommen. Also Mädels, wenn Ihr Endorserin werden wollt, macht Euch an die Pflege Eures Vitamin B!

Natascha Leonie & Band, Foto: Ute Köhler

Als nächstes folgt die Songwriterin Natascha Leonie, die als Künstlerin aus dem „Artistpool“ des Musikerportals regioactive.de kommt und mit zwei Mitmusikern (Gitarre/Geige) ein 20-minütiges Folk-Country-Pop-Konzert gibt und ihre Debut-CD „Forget Humble“ vorstellt. Wir hatten ihre CD als MELODIVA CD-Tipp im Newsletter Januar (s.Reviews), wer mal reinhören möchte: http://www.nataschaleonie.com/. Live ist sie wieder am 08.05.2010 um 20 Uhr 30 bei der Heidenheimer Musiknacht @ Stifflers zu erleben.

Wir bedanken uns bei den MacherInnen des VirusMusik-Standes, dass wir diesmal selbst Musikerinnen präsentieren konnten und freuen uns schon jetzt auf 2011. Ich habe für meinen Teil jedenfalls beschlossen, auch nächstes Jahr wieder zu kommen. Vielleicht bin ich bis dahin stolze Besitzerin einer Loop-Station und ganz verrückt danach, endlich DIE geupdatete Version davon auszuprobieren. Dann werde ich mal so richtig aufdrehen, wie die Herren links und rechts neben mir – hört zwar keiner, ist aber gut fürs Ego…

Zu guter Letzt wollen wir Euch ein Plakat nicht vorenthalten, dass – zugegebenermaßen – das Einzige seiner Art war.

Fotos: Hildegard Bernasconi & Mane Stelzer; das Titelbild zeigt einen „Teppich“ aus Vinyl, den es am Stand „Music was my first love“ , einer Sonderausstellung der Heyne Kunst Fabrik, die Linoldrucke und Vinylobjekte von O.W. Himmel präsentierte, zu begehen gab.

Copyright: Redaktion MELODIVA

Autorin: Mane Stelzer

30.03.2010