FABULOUS DISASTER/USA

Tattoos, Lesben, Punkmusik

„We’re just a kick ass punk band!”

Fabulous Disaster ist eine heiße Punkband aus San Francisco

Die vier Musikerinnen – drei davon sind Lesben – kommen im Mai auf Tournee nach Europa. Zuletzt waren sie vor einem Jahr hier, und begeisterten mit ihrem harten Punk das Publikum auf der „Girls Kick Ass”-Tour, zusammen mit der Band Bambix. Gerade erschien das zweite Album der Band mit dem Titel „Panty Raid!”.

Irene Hummel befragte die Drummerin Sally Gess über die Geschichte von Fabulous Disaster, das aufregende Bandleben, über politische Ansichten und natürlich über ihre Musik.

Fabulous Disaster sind:
Laura Litter (voc)
Lynda Mandolyn (git, voc, keyb)
Mr. Nancy (bass)
Sally Gess (dr)

Welche Frage möchtet ihr nie mehr hören?

Sally Gess: Die Frage „Wie ist es, in einer Frauenband zu sein?”

In welche Kategorie würdet ihr eure Musik einsortieren?

Sally Gess: Das ist schwer, aber ich würde es „PunkPop“ nennen

Wie fand die Band zusammen?

Sally Gess: Fabulous Disaster wurde zuerst nur für eine Show zusammengestellt. Lynda, Laura und ich selbst waren in einer Band namens Piston und Mr. Nancy war in einer Band namens Fiction. Sie wollte eine Show nur mit Frauenbands machen, aber selbst auch dabei auftreten. Wir waren alle miteinander befreundet und so bastelten wir ein paar Songs für dieses Konzert zusammen, das übrigens nie stattfand!
Aber als wir dann einmal begonnen hatten, zusammen zu spielen und Songs zu schreiben, stiegen wir alle aus unseren früheren Bands aus, um uns nur noch Fabulous Disaster zu widmen.

War es von Anfang an klar, dass ihr eine Frauenband sein wolltet?

Sally Gess: Wir wollten definitiv eine reine Frauenpunkband gründen. Wir sind alle schon lange Musikerinnen und wissen, dass wir echt was draufhaben.

Während eure erste Platte noch sehr roh und ungeschliffen wirkte, macht die neue den Eindruck, als hättet ihr viel intensiver daran gearbeitet.

Sally Gess: Die meisten Songs auf „Put Out Or Get Out“ entstanden 1998, gleich nach unserer Gründung, als wir Songs vor allem schrieben, um sie live zu spielen. Sie waren nicht wirklich ausgearbeitet. Bei dieser Platte jetzt – „Panty Raid!“ – schrieben wir die Songs speziell dafür und nahmen uns fast ein Jahr Zeit für die Feinarbeiten. Auch die Arrangements entwickelten wir sorgfältig – und das hat sich echt gelohnt.

Also hat sich eure Musik seit der Gründung 1998 weiterentwickelt?

Sally Gess: Ich glaube, dass wir nach fünf Jahren Fabulous Disaster einfach ein besseres Gefühl für die Richtung haben, in die wir wollen. Jetzt richten wir auch mehr Aufmerksamkeit auf die Harmonien, anstatt einfach das draufloszuspielen, was aus unseren kleinen Punkrock-Herzen kommt. Das ist eine natürliche Weiterentwicklung einer Band.

Die Songs auf dem neuen Album „Panty Raid!” beschäftigen sich alle mit traurigen Liebesgeschichten. Alles selbst erlebt?

Sally Gess: Hölle ja, dieses ganze Album basiert auf Selbstdarstellung und handelt von den ganzen Sachen, die wir das letzte Jahr durchmachten. Wir hatten ein paar Trennungen, Aggressionen, neue Liebe und Lust und all das – und sowas bringt nebenbei immer gute Songideen mit sich.

Wie passt der Albumtitel „Panty Raid!“ dazu?

Sally Gess: Shit,das weiß ich eigentlich gar nicht. Es klang lustig und wir dachten, Unterhosen klauen wäre so ein Highschool-Jungsding, deshalb wollten wir uns den Begriff zurückholen. Vor allem dachten wir, das wäre mal was anderes. Eigentlich steckt nicht soviel Bedeutung darin.

Was für Ideen wollt ihr musikalisch noch verwirklichen?

Sally Gess: Wir wollen eigentlich nur die Musik spielen, auf die wir abfahren – beeinflusst eben von der Musik, mit der wir aufgewachsen sind, wie der späte 70er und frühe 80er Punk. Das ist die Musik, die in uns steckt.

Habt ihr musikalische Vorbilder?

Sally Gess: Lynda, Laura und ich sind alle als große Fans der Go-Go’s aufgewachsen. Wir waren Kinder, als sie ihren Durchbruch hatten und sie waren die erste Frauenband, die wir im Mainstream mitbekamen. Das hat unser Leben verändert, als uns klar wurde: das können wir auch!

Und habt ihr irgendwelche Wunschpartner, mit denen ihr spielen wollt?

Sally Gess: Angelina Jolie – we just wanna play with her!!

Hättet ihr lieber einen Vertrag mit einem großen Label? Oder seid ihr lieber bei eurem kleinen unabhängigen FatWreck / Pink and Black Label?

Sally Gess: Ganz bestimmt!! Fuck major labels – da gibt es einfach zuviel Druck, ein Produkt zu sein und du verlierst viel von deiner Unabhängigkeit. Wir wollten alle unbedingt ein Teil der FatWreck Familie sein. Sie unterstützen uns wirklich, und FatMike liebt Lesben. Also stopfen wir seinen Kopf voll mit saftigen Geschichten und dem ganzen Kram. Das macht Spaß!!

Wärt ihr gerne Superstars, so wie gerade das kleine Punkgirl Avril Lavigne?

Sally Gess: Oh Mann, sie ist überhaupt nicht Punk. Sie ist genau das, was ich eben sagte: ein Produkt. Sie ist eine gute Stimme für das, was sie ist: eine Popsängerin und nichts weiter. Punkrock heißt nicht nur ein Nietenarmband zu tragen – es ist eine Art zu leben, eine Art der Selbstdarstellung gegen den Mainstream.

Schon gut, deshalb ja die Verniedlichungsform! Um die Frage anders zu stellen – was würdet ihr dafür aufgeben und was nie?

Sally Gess: Um ein Superstar zu werden? Nein danke, auf den ganzen Druck können wir gut verzichten. Das ist überhaupt kein Ziel für uns. Wir möchten uns nur ein nettes Leben machen, mit Musik, Tourneen, Liveauftritten – und dabei spannende Leute kennenlernen und Spaß haben. Wenn wir auf der Jagd nach Ruhm oder Geld wären, dann wären wir wirklich im falschen Musikgenre!

Was gefällt euch besonders am Musikerinnenleben?

Sally Gess: Wir lieben es, tolle Leute kennenzulernen, durch die Welt zu reisen und Partys zu machen. Wir finden es insgesamt großartig!!

Hat eine von euch Kinder?

Sally Gess: Oh Hölle, nein. Lynda und Laura haben ihre Katzen, und Mr. Nancy hat ihren Hund. Ich habe meine Drums!

Könnt ihr von eurer Musik leben oder was macht ihr sonst noch?

Sally Gess: Einige von uns arbeiten in Zeitjobs, wenn wir zu Hause in San Francisco sind. Die anderen arbeiten halbtags. Von irgendwas muss man ja die Miete zahlen. Das ist manchmal hart, aber es lohnt sich auf jeden Fall!

Was würdet ihr machen, wenn ihr die Musik nicht hättet?

Sally Gess: Ich wäre im Irrenhaus. Ich würde verrückt werden ohne Punkrock, meine Band und die Touren und all das. Das ist wirklich genau das, was wir schon immer wollten, und wir sind so glücklich, dass wir die Möglichkeit dazu haben.

Wie sieht euer typisches Publikum aus? Spielt ihr manchmal auch nur für Frauen?

Sally Gess: Meistens touren wir mit den anderen Bands von FatWreck. Daher besteht das Publikum meistens aus jungen Leuten, Mädchen und Jungs. Wir stellen aber auch fest, dass mehr und mehr Lesben kommen, und das ist echt stark. Wir hätten große Lust, mal nur für Frauen zu spielen – sagt uns wo und wir kommen!

Wart ihr schon mal beim Frauenmusikfestival in Michigan?

Sally Gess: Nein, da haben wir noch nie gespielt. Aber wir sind beim Ladyfest in San Francisco im letzten Jahr aufgetreten, und wir sind jedesmal mit dabei beim großen Gay Pride hier, wenn wir in der Stadt sind.

Bezeichnet ihr euch als Feministinnen?

Sally Gess: Nein, nicht so sehr. Wir wollen uns nicht so sehr absondern. Wir sind alle starke Persönlichkeiten und tolle Musikerinnen und dabei eben zufällig Frauen. Viele Leute sehen nur diese Tatsache, aber wir selbst sehen uns vor allem als eine geile Punkband.

Drei von euch vier sind Lesben – was bedeutet das für eure Band und eure Musik?

Sally Gess: Yeah, drei von uns sind Lesben und manchmal steht das mehr im Mittelpunkt als die Musik, aber das hat doch nichts zu tun mit der Band. Sicher hat das eine Auswirkung auf unsere Texte, die natürlich aus unserer Sicht erzählen, aber die Musik verändert sich dadurch nicht. Ich finde Lesbenpunkbands klasse, aber trotzdem wollen wir in erster Linie einfach als tolle Band gesehen werden, nicht als tolle Band von und für Mädchen!

Seid ihr in San Francisco Teil der Lesbenszene?

Sally Gess: Ich würde mir wirklich wünschen, dass mehr Lesben und Schwule Punkrock und Livemusik unterstützen würden. Leider ist aus irgendeinem Grund Disco in der Homokultur wichtiger. Wir sind ein Untergrund-Phänomen. Darum geht es beim Punkrock auch. Wir sind nicht nur vom Mainstream Ausgestoßene, sondern sogar von der Homoszene… Aber es kommen immer mehr Lesben zu unseren Konzerten.

Ihr seid alle über und über tätowiert. Was bedeutet euch das?

Sally Gess: Ah, wir lieben unsere Tattoos. Das hat keine wirkliche Verbindung zur Band, das ist nur etwas, nach dem wir alle süchtig sind! Also, wenn ihr euch uns auf einer Tour mit eurer Tinte anschließen möchtet, promoten wir gerne euren Shop! Wir haben alle unsere Tattoos von Lovedog Tattoo in Santa Cruz, Kalifornien, der von Lesben betrieben wird. Sie sind die allerbesten!!

Wie steht ihr zu Bush und zu dem Krieg im Irak?

Sally Gess: Wir sind total gegen Bush! Alle hatten wir für Gore gestimmt, und wir fanden es niederschmetternd, den konservativen rechten Flügel an die Macht kommen zu sehen. Es ist richtig schlimm – die Arbeitslosenrate ist emporgeschnellt, es ist viel weniger Geld für soziale Programme da und so weiter. Insgesamt keine gute Zeit hier. Gegen den Krieg im Irak sind wir auch total.

Unternehmt ihr etwas dagegen? Seid ihr politisch engagiert?

Sally Gess: Nicht wirklich.

Was wäre deine erste Amtshandlung als Präsidentin?

Sally Gess: Die Homo-Ehe legalisieren – das wär doch mal was.

Was denkt ihr über Religion und Spiritualität?

Sally Gess: Ich persönlich stehe nicht auf organisierte Religionsausübung. Ich bin eine spirituelle Person, aber das lebe ich privat.

Was ist deine Droge? Etwa Süßigkeiten, wie in dem Song „My Addiction”?

Sally Gess: Drums!! Und Tattoos. Nur Lauras Sucht sind Süßigkeiten. Gerade kamen wir von einer Sechs-Wochen-Tour zurück und ihr Rucksack wog bestimmt 15 Kilo. Als sie ihn öffnete, zog sie riesige Tüten mit Süßkram heraus. Sie sitzt nachts im Bett und frönt ihrer Sucht!

Was ist euer Lebensmotto?

Sally Gess: Leben und leben lassen, das ist mein Motto. Ich habe Leute so satt, die immer anderen ihre Ideale aufdrücken. Live and let live baby!!

Eure Zukunftspläne?

Sally Gess: Wir werden vom 13. Mai bis zum 9. Juni in Europa auf Tournee sein, erst auf unserer eigenen Tour, dann als Teil der Deconstruction Tour mit vielen anderen Bands – zum allerersten Mal ist eine Frauenband mit auf der Tour! Wir sind bereit, unser Bestes zu geben und echt abzurocken. Danach geht es wieder nach Hause, wo wir Songs für das nächste Album schreiben werden, und dann fängt alles wieder von vorne an!

Quelle: Dieser Text erschien in der Mai-Ausgabe 2003 der LESPRESS.
(http://www.lespress.de).

Wir bedanken uns bei Ulrike Anhamm und der Autorin für die kollegiale Unterstützung.

Copyright: Redaktion Melodiva

www.fabulous-disaster.com
Autorin: Irene Hummel

30.04.2003