Esther Kaiser (D)
"Heavy Jazz Poems"
„…Wir spielen alles andere als leichten Jazz“ lacht die Berlinerin.
Sehr mondän ist das Cover der neuesten CD von Esther Kaiser: „The Moment We Met“. Es geht um Momente und Begegnungen. Und die gab es bei der 30jährigen zuhauf, denn es gab nicht nur das „normale“ Leben einer Jazzmusikerin im letzten halben Jahr, sondern auch Highlights wie Tourneen nach Südostasien und nach Aserbaidschan. Dort wurde ihre Musik wie die von Popstars gefeiert.
Die CD „The Moment We Met“
Leichten Zugang findet man dagegen schnell zu den elf Stücken der neuen CD. Deren Tiefgang läßt sich allerdings erst nach mehrfachem genauen Hinhören erschließen. Nicht zu unterschätzen ist der Anteil der Band. Gemeinsam mit Pianist Carsten Daerr, Bassist Marc Muellbauer, Schlagzeuger Jens Dohle und Saxophonist und Flötist Uwe Steinmetz bringt Esther Kaiser die Musik zum Leben.
„Wir nehmen nur erprobtes Material auf, was für das Publikum, das regelmäßig zu unseren Konzerten kommt, leider keine neuen Sachen bringt. Für mich sind CD-Aufnahmen ein inneres Weitergehen, ich habe Lust, etwas neues zu machen und bleibe auch nicht lange stehen. Die CD wurde im März aufgenommen, und ich bin jetzt schon wieder voller Ideen.“
Die Auswahl des Materials mag man auf den ersten Blick (nicht auf das erste Hinhören) irritieren, denn neben drei Eigenkompositionen finden sich Stücke von Abbey Lincoln, Richie Beirach, aber auch Traditionals, „Eleanor Rigby“ von den Beatles und eine Bearbeitung eines Chopin Walzers.
„Mein Hauptkriterium ist die Leidenschaft. Ich frage mich, welche Stücke mir begegnen – das kann von Chopin oder von den Beatles sein. Bei Eleanor Rigby von den Beatles beispielsweise hat mich der Text angesprochen.“
Sie habe so viel Musik gehört, sagt Esther Kaiser, und sie würde keine Unterschiede mehr zwischen den einzelnen Genres machen. „Letztendlich übersetze ich die Stücke ja sowieso in meine musikalische Sprache. Nie würde ich ein Potpourri aus Pop, Chanson und Jazz machen. Von den Quellen aus die Grenzen zu überwinden finde ich viel spannender.“
Wie arbeitet die Sängerin an ihren eigenen Stücken?
„Das läuft in Phasen. Ein Vortasten entsteht am Klavier. Manchmal habe ich schon was im Ohr. Ich arbeite sehr patternorientiert, mir fallen schnell Klangpattern ein. Oft kommt mir schnell eine Idee für eine Melodie dazu, manchmal sogar gleichzeitig. Die Keimzelle ist aber immer ein Pattern, ein Motiv. Der Text kommt danach, manchmal aber nur fünf Minuten später. Bei mir ist der Text nie vorher da. Manchmal bin ich auf der Strasse unterwegs und mir fällt eine Melodie und fast zeitgleich ein Text dazu ein. Ich probiere Klänge aus, dann kommt die Melodie, dann kommt der Text. Das ist meine normale Arbeitsweise. Alles erscheint als Geflecht.“
Der Pressetext besagt, dass du „Eleanor Rigby“ nach Noten erarbeitet hast?
„Ich kenne das Original der Beatles gar nicht so gut, hatte sie zwar als Kind gehört, habe aber keine Aufnahme davon hier. Mir sind dann die Noten irgendwann man in die Hände gefallen und so bin ich wieder auf dieses Stück gekommen. Ich war dadurch relativ frei und unbeleckt. Ich hatte den großen Schatten des Originals gar nicht so über mir schweben gefühlt, weil ich es nicht gut genug kannte. Aber inzwischen habe ich mir die Fassung der Beatles natürlich mal wieder angehört. Ich finde es gut, erst mal den eigenen Weg zu gehen und dann erst wieder rein zu hören. Mein Auslöser war, dass ich die Noten wieder gefunden hatte.“
Wie dringend ist das Gefühl, eine neue CD aufzunehmen, und in wie weit ist der Termin von der Plattenfirma vorgegeben?
„Konzeptionell und wirtschaftlich gedacht steht dem entgegen, dass die Musik erst mal ins Leben kommen mußt. Eine CD mit erprobten Material aufzunehmen, bringt für das Publikum, das oft kommt, nichts neues. Für mich ist es ein inneres Weitergehen, ich habe Lust, etwas neues zu machen und ich bleibe auch nicht lange stehen. Die CD ist im März aufgenommen wurden, und ich bin jetzt schon wieder voller Ideen. Vielleicht bin ich einfach ein Mensch, der sich nicht lange ausruht.“
Du bist im letzten halben Jahr viel gereist, warst in Südostasien und Aserbeidschan…
„Es war ein reisereiches Halbjahr, Südostasien über das Goethe-Institut, und die Berlin Voices waren in Aserbaidschan. Das war beides sehr spannend. Ich habe vor über 600 Leuten in einem Jugendtheater in Hanoi gespielt, aber auch in Baku im Jazzcenter vor einem kaukasischen Publikum. Durch den Vater von Aziza Mustafa Zadeh ist da eine gute Kultur in Sachen Jazz, leider ändert sich das momentan. Es wird viel nur noch nach dem Geld gesehen. Das macht kulturelle Feinheiten schwierig. Wir haben vier Nächte hintereinander gespielt und jede Nacht wurde es voller, wie in einem Popkonzert. Die wedelten mit Postkarten und Wunderkerzen und haben sich Autogramme auf die Arme geben lassen. Die Begeisterungsfähigkeit für Jazz ist toll. Auch in Jakarta… dabei machen wir nun wirklich keinen einfachen Jazz.“
Was kannst du bei kaltem und nassem Wetter für die Stimme empfehlen?
„In Südostasien tut die Wärme und die Feuchtigkeit der Stimme gut. Müde werde ich sowieso nicht, auch nicht stimmmüde nach den Konzerten. Hier ist das kalte Wetter nicht so angenehm. Man muß wissen, wie man sich schützt, und da ich schon seit 15 Jahren ernsthaft singe, bekommt man eine gewisse Gelassenheit, die wichtig ist. Seit ich keine Angst mehr vor Erkältungen habe, habe ich weniger.
Wer kam auf die Idee, ein so mondänes Cover mit Brokat aufzunehmen?
„Das war die Idee eines Mannes… mein erstes Cover war etwas steif, etwas statisch und blutleer, und jetzt sollte es etwas lebendiger sein, und etwas, wo ich nach mehr aussehe, als ich bin. Ich wollte „Moment“ und „Begegnung“ haben. Die Idee kam von der Plattenfirma, war aber alles zusammen abgesprochen. Ich bin sehr offen, und finde das Ergebnis als Artwork schön, aber es ist für mich komisch, weil es nicht 100% ich bin. Es polarisiert, und ich habe eine Distanz dazu. Die Aufnahmen fanden in einem Bordell in Hamburg statt. Es entsprach meiner Stimmung, da die CD auch ein sehr privates Werk über die letzten anderthalb Jahre ist. An dem Tag der Photosession war ich sowieso noch mal mit all diesem konfrontiert, und ich weiß noch genau, wie ich mich auf dem Photo fühlte. Für mich ist es alles noch da. So ist es ehrlich, auch wenn ich sehr divenmäßig wirke.“
STECKBRIEF:
*** Geboren wurde Esther Kaiser 1975 in Freiburg, wo sie sich in den 90-er Jahren mit zahlreichen Auftritten in der Bigbandszene einen Namen machte.
*** 1995 und 1997 war sie Finalistin beim Bundeswettbewerb „Musical, Chanson und Song“.
*** 1996 – 2001: Studium (Jazzgesang) an der HfM „Hanns Eisler“ bei Jiggs Whigham und Judy Niemack.
*** Als Solistin und Ensemblemitglied der Konzertbesetzung des BundesJazzOrchesters (BuJazzO) unter der Leitung von Peter Herbolzheimer war Esther Kaiser deutschlandweit und auf der Südost-Europa-Tournee `99 zu hören
*** Zwischen 1997 und 2002 wirkte Esther Kaiser in verschiedenen Musiktheaterproduktionen mit und hatte zahlreiche Gastspiele mit dem Berliner Opernensemble „Ensemble Weil…“. U.a. hatte sie Hauptrollen in der „Dreigroschenoper“, „Happy End“ und dem „Mahagonny Songspiel“.
*** 1999 gründete Esther Kaiser mit Marc Secara und Kristofer Benn das Modern Vocal Quartett „Berlin Voices“ ; seitdem ist das Quartett ein lebendiger Teil der jungen deutschen Jazzszene (siehe www.berlinvoices.de).
*** Seit 2001 ist Esther Kaiser außerdem mit ihrer eigenen Band und dem ganz persönlichen Projekt „Jazz Poems“ zu erleben.
*** Die CD „Jazz Poems“ wurde im Januar 2004 bei Double Moon Records veröffentlicht und eröffnete als Vol.1 die vielbeachtete Reihe „Next Generation“ des Labels mit der Zeitschrift Jazz thing.
*** Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit arbeitet Esther Kaiser als Gesangspädagogin an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber“ in Dresden, sowie an der städtischen Musikschule Potsdam „Johann Sebastian Bach“, als auch im Bereich der Studienvorbereitung für Jazzgesang an der Musikschule Neukölln „Paul Hindemith“.
Discographie
Aktuelle CD: „The Moment We Met“ (Minor Music / in-akustik) VÖ: Jan 2006
CD: Esther Kaiser „Jazzpoems“ (Double Moon Records – 2004)
Copyright: Redaktion MELODIVA
Autorin: Angela Ballhorn
29.01.2006