Esperanza Spalding – bass & soul

Interview von Angela Ballhorn

Ein neuer Star! 2008 wird ihr Jahr! – Solche Mitteilungen machen normalerweise misstrauisch. Künstler, die so viele Vorschusslorbeeren bekommen, haben schon aus Prinzip einen schweren Stand bei mir. Doch im Fall von Esperanza Spalding musste ich all diese Prinzipien sofort über Bord schmeißen, denn diese junge Frau ist einfach fantastisch. Die gerade mal 23jährige ist eine großartige Kontrabassistin, eine mindestens ebenso gute Sängerin und als Komponistin und Texterin ebenfalls ebenbürtig. Manchmal ist es einfach nicht fair, wie die Begabungen verteilt werden.

1984 in Portland, Oregon geboren, wurde Esperanza Spalding trotz schwieriger Lebensumstände von ihrer Mutter nach allen Möglichkeiten gefördert. Sie verschaffte ihrer Tochter die Chance, in einem Musikunterrichtsprogramm für schwarze Inner-City-Kids aus einkommensschwachen Familien unterzukommen. Dabei konzentrierte sich Esperanza zuerst auf die Violine und war mit 15 Jahren schon Konzertmeisterin der Chamber Music Society of Oregon. Als sie jedoch das erste Mal einen Kontrabass in ihre Finger bekam, war es um Esperanza geschehen. Auf diese Frequenzen, die mit dem ganzen Körper wahrnehmbar sind, wollte sie nie wieder verzichten. Ihr Weg führte sie über das Berklee College in Boston zur Band des Trompeters Christian Scott und zum Quartett des Saxophon-Giganten Joe Lovano. Doch 2008 war die Zeit reif für ganz eigene Musik: Mit ihrer ersten CD auf einem großen Label stellt sich Esperanza Spalding als Bassistin, Sängerin, Texterin und Komponistin vor: ,Esperanza‘. Und nicht nur die eigenen Stücke überzeugen, auch ihre spanische Bearbeitung des Jazz-Klassikers ‚Body & Soul‘ zeigt, dass hier eine Musikerin am Werk ist, die genau weiß, was sie macht und genau weiß, wo sie noch hin will: erst mal viel touren, dann eine neue CD mit eigener Musik aufnehmen und neue Musiker kennenlernen, die auf der gleichen Wellenlänge sind. Karriere um jeden Preis möchte sie eigentlich nicht – deshalb studiert Esperanza Spalding „nebenher“ noch Mathematik. Aber den Erfolg wird sie haben – Anfang Juni konnte man sie in der David Letterman Show sehen.

Herzlichen Glückwunsch zu einer großartigen CD! Zum ersten Mal habe ich deinen Namen im Interview mit dem Trompeter Christian Scott gehört, in dessen Band du gespielt hast. Er sprach in den höchsten Tönen von dir und bedauerte zutiefst, dass du weniger Zeit für ihn hast, weil jetzt deine eigene Musik im Mittelpunkt steht …

Dieses Jahr ist wirklich unglaublich, alles geht so schnell!

Mich würde dein Background interessieren. Du hast auf der Geige begonnen und hast gegen Ende deiner Teen-Zeit zum Bass gewechselt. Warum?

Ab einem bestimmten Alter war die Geige nicht mehr das richtige für mich. Ich habe mir Musik angehört, die ich nicht auf der Geige machen konnte – das war sehr frustrierend für mich. Als ich den Bass entdeckte, war es eine drastische Veränderung und ich wusste, dass ich nach dieser Entdeckung nie wieder Geige spielen konnte. Wenn ich heute zurückblicke, war es aber ein einfacher Wechsel.

Die Geschichte, dass deine Schule einen Kontrabass kaufte und du nach dem ersten Zupfen bei dem Instrument
geblieben bist, stimmt also?

Ja, die Schule wollte den Eindruck erwecken, ein umfassenderes Musikprogramm anzubieten und diesen Bass zu kaufen, war der erste Schritt dazu. Aus irgendwelchen Gründen war ich in dem Klassenzimmer, in dem der Bass stand, und wenn du noch nie einen Kontrabass gespielt hast, dann beeindruckt dich diese Unmenge an Resonanz, die durch deinen ganzen Körper geht. Das war eine sehr komische Erfahrung, und der Sound hat mich gefangen genommen. Deshalb musste ich bei diesem Instrument bleiben. Wenn ich heute wieder Geige spielen wollte, würde ich vermutlich nur noch Terzen greifen, weil die Abstände auf dem Bass viel größer sind.

Hast du bei diesem Musikunterricht auch deine ersten Jazz-Schritte gemacht.

Ich bin im Alter von neun Jahren in dieses Förder-Programm reingekommen, und zwar zuerst für Holzbläser und Komposition. Denn damals habe ich Klarinette gespielt und mich nicht sehr erfolgreich mit der Oboe abgemüht. Ich war auch in den Bläser-Ensembles. Unter den Lehrern, die mich unterrichtet haben, waren einige Jazz-Musiker. Ich habe wenig verstanden, aber diese Leute haben aus tiefsten Herzen unterrichtet – und das ohne jede Bezahlung! Als ich jedoch Bass spielte, kamen alle wieder in mein Leben zurück. Das war sehr erstaunlich. Ich durfte eine sehr gute, wenn auch harte Schule mit sehr viel älteren Blues-Musikern erleben. Die hatten gehört, dass ich Bass spiele und fragten mich für einen Gig. Das Schlimme war, dass ich keine Ahnung hatte, was ich tun muss, ich habe gefaked. Sie hatten sehr viel Geduld mit mir. Ich kannte die Stücke nicht, und ich musste zuhören und das Beste draus machen.

Das ist doch der schnellste und effektivste Weg zu lernen! Und eben nicht dieses „Erst musst du das Real Book auswendig können, dann erst darfst du einen Gig spielen“.

Auf jeden Fall! Hören ist das Wichtigste in der Musik, und der Großteil der Ausbildung ist heute zu akademisch. Heute erkennen die Leute das erst spät, manchmal haben die Musikstudenten keine Ahnung von ihrer Funktion in einer Band-Situation. Zwar wissen sie, welche Skala gespielt werden sollte, aber hey: Das sind doch alles nur Wörter, die Musik oder Sound beschreiben! Man muss ausprobieren, warum und wozu der Sound da ist.

Trotzdem bist du ans Berklee College of Music gegangen. Für ein Klassik- oder für ein Jazz-Studium?

Für Jazz, aber ich hatte auch ein klassisches Stück zusammen mit meinem tollen Lehrer, der stellvertretender Solist im Oregon Symphony Orchestra ist, vorbereitet. Mir wurde gesagt: Geh nach Seattle, da ist eine Audition für Berklee, da solltest du mitmachen!

Auf deiner Website erzählst du eine schöne Geschichte von den Mitmusikern deiner Heimatstadt, die ein Benefiz-
Konzert für dich spielten.

Wie könnte ich diese wunderschöne Geschichte vergessen? Das war eine tolle Sache. Ein total verrückter Saxophonist schlug das vor, weil ich Sorgen hatte, nicht nach Berklee gehen zu können, und ich es mir nicht leisten konnte, meinen Bass quer durch das Land zu transportieren. „Jeder liebt dich hier, warum machen wir nicht ein Benefiz-Konzert für dich?“ war sein Vorschlag. Mit etwas Werbung über Plakate und Zeitungsberichte fand das Konzert statt, und noch in derselben Nacht musste ich los. Diese vielen Leute zu sehen, die gekommen waren, um mich zu unterstützen, war unglaublich. Ich habe an diesem Tag eine Menge geheult.

Was für Einflüsse nennst du als Bassistin und als Sängerin?

Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich nie viel andere Bassisten als Solisten studiert, weil es mich langweilte. Es interessiert mich mehr, was die Bassisten in einer Band machen. Da gibt es viele Bassisten, die mich inspirieren und verwirren – aber auf eine gute Weise. Ron Carter zum Beispiel: Ich habe sein Spiel nie verstanden, und dann hörte ich das Stück ‚ESP‘, und fragte mich, warum weiß er, welche Noten er wann spielen muss, und warum funktioniert diese Band so? Was hört er in diesem Moment? Unter diesem Gesichtspunkt beeinflusst mich jeder Bassist. Vielleicht interessiert mich die Technik nicht, aber seine Funktion in der Band. Zu den Bassisten, die mich als Musiker beeindrucken, gehört sicher Slam Stewart, der so melodische Soli spielen konnte. Bei Sängern ist es ähnlich. Wenn du nur Betty Carter und Sarah Vaughn studierst, verpasst du etwas. Bläser und Pianisten studiere ich fast mehr als Bassisten und Sänger. Klavier ist gut zu transkribieren, weil du immer genaue Noten hast und keine Intonationsgeschichten bewältigen musst, wie auf dem Bass oder mit der Stimme. Ich kann mich erinnern, dass ich anfangs schwer beeindruckt war, wenn ich am College jemanden getroffen habe, der genau wie ein anderer Musiker klang. Meine Logik später war – für ein Tribute ist es OK, aber lieber hätte ich ein Tribute an dich selber, so wie du fühlst und spielst. Jemanden kopieren zu lernen ist vielleicht einer der falschen Aspekte einer akademischen Ausbildung.

Deine Audition für Patti Austin öffnete dir viele Türen, aber du warst auch sauer, dass es oft hieß „für eine Frau machst du tolle Musik“.

Es war mir schnell klar, dass Patti Austin niemand in ihre Band nimmt, der nicht spielen kann. Die kümmert sich nicht um weiblich oder männlich. Aber die anderen Musiker hatten schon solche Sprüche drauf zu Beginn. Inzwischen werde ich gebucht, weil ich so spiele, wie ich bin. Aber ich muss ehrlich sein – männliche Musiker gehen vier Schritte weiter als Musikerinnen, auf der anderen Seit haben die Männer wirklich oft schlimme Sprüche drauf…

Du hattest ein sehr denkwürdiges Treffen an der Hochschule – mit Pat Metheny …

Lustigerweise habe ich ihn seither nicht mehr getroffen, und ich habe keine Ahnung, ob er sich überhaupt noch daran erinnert. Ich war echt in einer Zwickmühle, weil ich nicht sicher war, ob ich Musik zu meinem Beruf machen sollte oder nicht. Und ausgerechnet in dieser Woche, in der mich diese Zweifel ganz heftig befielen, kam er in die Schule, marschierte ins Studio und motivierte uns. Wenn du nach einer Antwort suchst, ist das kleinste Ding manchmal das Größte.

Du bist Sängerin und Bassistin, diese Kombination trifft man nicht so häufig. Paul McCartney, Marcus Miller und Mark King singen, aber zu Kontrabass und Gesang würde mir im Moment niemand einfallen. Dafür braucht man eine multiple Persönlichkeit, oder?

Die habe ich sowieso! Ich möchte nicht, dass die Leute denken, es wäre nicht mehr interessant, aber ich denke, es ist so ähnlich, wie wenn du Klavier mit deiner rechten und deiner linken Hand spielst. Da bist du ja auch nur eine Person. Für ein Baby mag laufen, essen und gleichzeitig mit dem Handy telefonieren unvorstellbar sein, aber wir machen so etwas jeden Tag. Wenn du damit vertraut bist, dann ist es OK. Wenn du nicht aufpasst, wirst du allerdings von einem Truck erwischt. Ich bin nur auf der Bühne, da sind wenig Trucks unterwegs (lacht). Wenn du mit den Handlungen vertraut bist, ist es natürlich für dich, sie zu kombinieren. Da geht ein Teil deines Gehirns auf Autopilot. Irgendwie kannst du einen Teil des Gehirns isolieren und dich auf den schwierigeren Part konzentrieren. Dann klappt es. Es hat etwas Meditatives, und ich würde gerne mit einem anderen Bassisten sprechen, der auch so etwas macht, oder mit jedem Musiker, der singt und spielt, um zu wissen, wie sich das für andere anfühlt.

Aber mit Klavier ist es doch etwas anders, weil du da den ganzen harmonischen Zusammenhang hörst. Bei Bass und Stimme hast du das Fundament und die oberste Stimme.

Beim Klavier ist zwar alles näher beieinander, aber trotzdem denke ich, dass es mit Bass und Stimme einfacher ist. Das kann ich mit dem großen Abstand viel besser hören, da kann ich wirklich mein Gehirn aufteilen. Ich kann deutlich die Rollen der beiden Stimmen hören. Ich hatte mich mal an der Gitarre versucht, da fiel mir das Singen viel schwerer.

Ich möchte über dein eigenes Projekt sprechen. Es ist außergewöhnlich, dass jemand ganz zu Beginn seiner Karriere ein Album mit fast ausschließlich eigener Musik auf den Markt bringt.

Meine allererste CD ist ‚Esperanza‘ nicht, es gab noch ein Album davor auf einem Label namens IVA. Ich muss diesen Leuten wirklich danken, sie haben mich immer unterstützt und sie haben mich meinem Management vorgestellt. Ohne sie wüsste ich nicht, wo ich wäre. Jetzt bin ich bei Heads Up! und es ist mein erstes großes Projekt mit meiner eigenen Musik. Als Musikerin ist es mir egal, ob die CD finanziell ein großer Erfolg wird oder nicht. Aber das Besondere ist, dass ich ein Label von diesem Kaliber habe, und dass es jemandem in meinem Alter wirklich die absolute Freiheit gelassen hat.

Du hast nur zwei Cover-Songs auf deiner CD, aber sehr anders, als man sie vermuten würde: ‚Body & Soul‘ ist gar nicht mehr die schwermütige Jazz-Ballade und die Fassung von ‚Ponto De Areia‘, die Wayne Shorter für sein Album ‚Native Dancer‘ aufgenommen hatte, ist ebenfalls sehr speziell.

Oh ja, ich liebe Waynes Song. Und ich liebe Sprachen. Ich wünschte, ich hätte mehr auf Spanisch aufgenommen. Sprachen arbeiten so unterschiedlich mit der Grammatik und dem Fluss, der Melodie. Man kann ganz andere Songs schreiben.

Was für Instrumente spielst du genau?

Ich spiele zwei verschiedene Bässe. Mein Kontrabass ist ein Realist mit einem David-Gage-Pickup. Und David Gages Pickup ist großartig, für den günstigen Preis ist er echt der Beste. Dazu habe ich einen Gallien-Krueger-MB150 als Verstärker. Außerdem spiele ich einen Doolin-Bass, das ist eine akustische Bassgitarre, aber ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was für ein Pickup da drin ist. Dieser Bass ist ebenfalls fretless.

Und was davon nimmst du auf Tour mit?

Es ist inzwischen absolut unmöglich, mit Kontrabass zu reisen. Ich versuche es nicht mal, ich kriege Kopfschmerzen und Bauchschmerzen davon. Wenn ich berühmt und reich bin, dann nehme ich meinen eigenen Bass mit und bezahle ihm einen Platz im Flugzeug. Wenn ich mir John Patitucci anschaue, der mit Wayne Shorter auf Tour ist – der ist schon lange so weit, der nimmt natürlich seinen eigenen Bass mit … Ich verwende also jeweils, was am Venue für mich bereit steht – und bete, dass der gestellte Bass nicht allzu schrecklich ist. Manchmal ist er grässlich und ich muss ordentlich beim Soundcheck üben, um überhaupt etwas Brauchbares rauszukriegen.

Was sind deine Träume und Pläne? Du spielst seit einiger Zeit mit Joe Lovano, was du in diesem Jahr auch wieder machen wirst.

Das ist im Laufe der letzten Jahre weniger geworden, weil ich so viel zu tun habe. Es ist mir wichtig, mit ihm zu spielen, und es tut mir leid, dass ich dafür nicht mehr so viel Zeit habe. Ich will nicht, dass er denkt, dass ich seine Musik nicht mehr schätze. Im Moment möchte ich mit vielen anderen Leuten zusammenarbeiten, um mehr Musik kennenzulernen. Ich habe eine große Wunschliste, mit wem ich spielen möchte, und ich will weiter an meiner Musik arbeiten. In diesem Jahr werde ich auch mit der Arbeit an meiner neuen CD beginnen. Außerdem studiere ich im Moment ja auch Mathematik, und möchte dieses Studium abschließen.

Hast du eine Traumliste von Musikern mit denen du spielen möchtest?

Wer hat die nicht? Aber weißt du was? Es hilft nicht, weil du nie weißt, mit wem du arbeiten wirst. Ich zögere allerdings, meine Liste zu verraten; vielleicht spiele ich mit dem ein oder anderen darauf später mal zusammen, und wir passen musikalisch gar nicht zusammen … Das weiß man ja vorher nicht. Ich habe Musiker, die ich bewundere; aber ich möchte natürlich vor allem mit den Musikern spielen, mit denen ich zusammenpasse.
Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Angela Ballhorn für Gitarre & Bass (Das Musiker-Fachmagazin, Ausgabe 08/2008); wir bedanken uns für die freundliche Abdruckgenehmigung.
Fotos: uk.promotion, Johann Sauty

Diskografie:

Aktuelle CD:
„Esperanza“ (2008), Label: Heads Up

„Junjo“ (2006), Label: Ayva

www.gitarreundbass.de, www.esperanzaspalding.com
Autorin: Angela Ballhorn

05.10.2008