Diva mit der Goldwaage
Ein Interview mit Pat Appleton
„Mambo Craze“ hieß das von Pat Appleton und De-Phazz-Gründer Pit Baumgartner geschriebene, legendäre Mambo-Stück, mit dem der Band 1999 der Durchbruch in Deutschland und Zentraleuropa gelang. Das Lied lief hoch und runter in den Clubs und geistert noch heute durch die eine oder andere Fernsehwerbung. Nach mehr als zehn Jahren Mitgliedschaft bei De-Phazz und in Bands wie Jazzkantine, Nighthawks oder Bahama Soul Club urteilte der Sender 3sat über sie, sie sei „eine der wichtigsten Stimmen des zeitgenössischen, deutschen Jazz“. 2007 war dann ein Befreiungsschlag nötig, sie veröffentlichte ihr erstes Solo-Album, das englischsprachige „What’s Next?“. Die ersten zaghaften Schritte auf Solopfaden waren gemacht, die Kritiker fanden es gut, sie selbst war mit sich zufrieden. Doch jetzt legt sie mit ihrem brandneuen Album „Mittendrin“ noch einen drauf und präsentiert eine neue Mrs. Appleton. Anfang April startet ihre Tour durch Deutschland.
Deine langjährige Mitgliedschaft bei De-Phazz hat Dir den Titel „Lounge-Diva“ eingebracht. Jetzt hast Du kürzlich den Sprung gewagt und ein Album auf Deutsch herausgebracht, „Mittendrin“, das mit mondäner Club-Musik nicht mehr viel zu tun hat. Wie waren die Reaktionen?
Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Manche jubeln und sagen “Endlich! Mal ein ganz andere Pat, die sich neu erfunden hat.“ Andere sind verstört, weil ich doch jetzt sehr deutsch, ungeschminkt und offen in Erscheinung trete. Es kommen jedoch auch einige dazu, die mich in dem Lounge Feld nie wirklich wahrgenommen haben, und so gewinne ich Fans und verliere welche. Das ist aber normal, dass sich das hier jetzt polarisiert – schließlich ist das schon ein ganz schön anderer Weg, den ich jetzt mit “Mittendrin” eingeschlagen habe.
Wie hat sich das Überwechseln ins Deutsche angefühlt? War das ein bisschen wie ein Striptease für Dich?
Striptease, absolut und noch mehr! Vor allem mussten sich Mund und Stimme erst an diese sperrig, sachliche Sprache gewöhnen, die ich ja bis jetzt kaum gesungen hatte (außer vielleicht grölend am Lagerfeuer). Es war für mich eine neue Herausforderung, mich musikalisch in einer Sprache zu bewegen, die gesanglich manchmal recht abgedroschen bedient wird. Das Damoklesschwert des Schlagers hängt doch oft über dem deutschen Texter. Da habe ich mir gedacht, das muss doch auch anders gehen. Ich wollte mir selber beweisen, dass ich auf Deutsch texten kann, eine Aufgabe, die ich streckenweise für unmöglich gehalten habe.
Du hast auf Deiner Homepage geschrieben, dass Dich in „Deinem Deutschsein manchmal die Schwermut überfällt“, und dass Du deshalb erst einmal nach freudigeren Themen für Deine Songs gesucht hast. Was hast Du gegen Schwermut?
Das Wort “Schwermut” deutet es schon an…wenn ich Frust habe, dann werde ich dick und lethargisch. Aus dem Grund kann ich „Trübsal blasen“ überhaupt nicht gebrauchen. Ich glaube, eine Prise Weltschmerz ab und zu kann ganz heilsam sein, aber auf echte tagelange Melancholie kann ich gerne verzichten. Außerdem gab es in der Szene schon genug Besinnungsgewimmer, da wollte ich einen lustigeren Weg gehen und meine eigenen Erfahrungen möglichst anders beschreiben.
Versen wie „Ich hab den Strauss gefangen / und jetzt hab ich den Salat / die Blumen sind vertrocknet / und du hast mich nicht gefragt“ („Niemals“) ist anzuhören, dass Du Spaß beim Schreiben hattest. Wer ein Lied über Paris schreibt und es mit „Weißmehl“ betitelt, muss ja eine gehörige Portion Humor haben! Hast Du das jetzt erst im Deutschen ausleben können?
Ich denke, jetzt verstehen manche Leute erst, was für eine witzige Person ich sein kann. Ich habe mir bei De-Phazz schon endlos humoristisch den Wolf getextet, doch oft hört man dort meistens nur auf das Gesamtkunstwerk, in dem die Stimme sich wie ein Instrument verhält. Und so plätschert der Humor oft am Hörer vorbei: Im Englischen hört man eher auf die Lautmalerei als auf den Text. Mir geht das ja selbst so, obwohl Englisch mir genauso geläufig ist wie Deutsch.
Auf Deutsch ist das was ganz Anderes. Da verstehen wir auf Anhieb fast jedes Wort und das kann auch riskant sein. Ich war diesmal in der gesanglichen Darbietung auch nicht so vornehm zurückhaltend wie bei De-Phazz. Ich hatte was zu sagen und das wollte ich mit ungewöhnlichen Assoziationen und viel Humor tun. Ich habe tagelang die Worte auf die Goldwaage gelegt.
Du hast mal in einem Interview gesagt, dass Du erst jetzt mit „Mittendrin“ die Pat Appleton „von der Kette gelassen“ hast. War die Rolle als coole Leadsängerin von De-Phazz da eher ein Korsett für Dich?
De-Phazz hat mir eine Nische eröffnet und mir die Möglichkeit gegeben meine Kunst zu präsentieren, und das ist eine tolle Chance in diesem hart umkämpften Musikmarkt. Das möchte ich auf keinen Fall missen und ich habe die Rolle als süffisante Loungediva gerne gespielt und werde sie auch weiterspielen. Es ist für mich ein bisschen wie schauspielern und das ist vielleicht die Rolle meines Lebens bei De-Phazz, wer weiß?
Allerdings bin ich zu vielseitig, als nur diese eine Facette von mir zu zeigen. Ich langweile mich schnell, wenn ich musikalisch ständig nur in eine Kerbe hauen darf. Mit „Mittendrin“ wollte ich ein bisschen von dem Live-Charakter einfangen, den ich sonst nur auf der Bühne zeigen kann und auch mal etwas mehr musikalisch die Sau raus lassen, als es in der Loungemusik erlaubt ist. Das erklärt auch gleich das Wildschwein auf dem Album-Cover.
Mittendrin – was bedeutet der Titel für Dich?
Mittendrin in einer Sache zu sein ohne zu wissen, wie es weitergeht. Der Weg ist schließlich das Ziel. Im Moment habe ich einen Punkt erreicht, an dem man sich als Sängerin fragt: „Wie lange kann ich noch als säuselnde Sirene leicht bekleidet durch die Loungegemeinde flittern?“ Ich könnte ja ewig so weitermachen, aber es gibt ja dummerweise für uns Frauen diesen Zeitwert, den uns die „auf-ewig-jung-machende“ Musikindustrie auferlegt hat, und das hat sich bei mir eingebrannt. So vertrete ich die Ansicht, dass man sich irgendwann mit Würde aus dem Geschäft zurückziehen sollte, bevor es in gelifteter Lächerlichkeit endet. So suche ich vielleicht auch die Möglichkeit, mir durch originelle Texte eine Art Visitenkarte zu schaffen, um in Zukunft mehr für andere Künstler zu schreiben und mich langsam ein bisschen von der vordersten Front zurückzuziehen. Weiter Songs schreiben kann man ja in jedem Alter. Heute schon an morgen denken! Trotzdem will ich noch lange nicht aufs Singen verzichten!
Du hast Dir für die Platte neue Musiker gesucht, wie bist Du da vorgegangen?
Ich hatte ja bei meinem ersten Solo Album „What’s Next?“ schon ein paar Musiker, die mit mir auf Tournee waren und die haben sich als Bereicherung für meine neue Platte erwiesen. Für „Mittendrin“ brauchte ich versierte Musiker, die ähnlich wie ich schon verschiedene Stile gespielt haben und sich bestens in der Popgeschichte auskennen. Ich wollte den erdigen, rockigen Sound mit dem ich aufgewachsen bin – das war z.B. Herbert Grönemeyer, Queen, Pink Floyd – also eher Rock als Soul. Auf dieser Grundlage galt es etwas Neues aufzubauen. Als wir ins Studio gingen, hatten wir von vielen Songs nur grobe Skizzen und die Jungs haben einen soliden Sound daraus gemacht. Da hatte ich wirklich viel Glück und natürlich einen guten Produzenten!
Kleine Scherzfrage zum Schluss: Wann wirst Du das Wort „unsachgemäß“ in einem Song verwenden? (Pat Appleton sprach davon in einem Interview im Radio: „Menschen in Berlin“, Anm. d. Red.)
Ist schon längst passiert. Mit De-Phazz haben wir 2003 einen Abstecher in die deutsche Musik gewagt und eine Platte namens “Fräuleinwunder” herausgebracht. Die wurde uns damals von der Kritik gehörig um die Ohren geschlagen, dabei hatten wir uns damals schon in ungewöhnlicher Wortwahl versucht. So entstand der Song “Schleier der Nacht”, dort singen bereits im Hintergrund zig engelsgleiche Pat Appleton-Chorstimmen “unsachgemäß und unbeschwert”. Auftrag also schon erfüllt.
Fotos: Katja Kuhl
Aktuelle CD: „Mittendrin“ (2011)
Label: Content Records
Tourtermine:
02.04.2011 Berlin, Frannz Club
05.04.2011 München, Bayerischer Hof
06.04.2011 Stuttgart, Universum
07.04.2011 Hannover, 3Raum
08.04.2011 Frankfurt, Das Bett
09.04.2011 Bonn, Harmonie
Autorin: Mane Stelzer
21.03.2011