Die Serie – The Female-Jazz-Connection

Teil 1: Frauen in der Chicagoer Jazz-Szene - Lauren Deutsch

Den Jazz im Blick: Lauren Deutsch
(Direktorin des Jazz Institute of Chicago & begnadete Jazz-Fotografin)

Lauren Deutsch ist eine kleine Frau, sanft und irgendwie sehr mädchenhaft. Einer jener Menschen, die unaufdringlich aber bestimmt jeden Winkel des Raumes ausfüllen und sich leise und dennoch eisern durchsetzen. Und das muss sie auch – Lauren ist Leiterin des Jazz Institute of Chicago.

Mit Enthusiasmus setzt sie sich ein für den in der Musikindustrie marginalisierten Jazz. Und kämpft gleichzeitig gegen die sexistischen, rassistischen und elitären Barrieren, die der Jazz sich selbst aufgebaut hat.
Nebenbei versucht sie, ihre ganz persönlichen Jazz-Ansichten auf Zelluloid zu bannen.

Vom Jazz-Composers-Project bis hin zum weltberühmten Chicago-Jazz-Festival….

Das Fine Arts Building ist wahrscheinlich eines der letzten Hochhäuser der Welt, die noch einen per Hand betriebenen Fahrstuhl haben. Das Haus hat absoluten Kultstatus und das strotzt aus jedem Detail.
Mit von der Partie ist das Composers Forum, einer der berühmtesten Läden mit antiken Streichinstrumenten, ein Notengeschäft, eine Schule für Gesang….
Und mitten in diesem Sammelsurium aus Kunst, Kultur und Kruschtl, im 9. Stock, sitzt Lauren Deutsch, Direktorin des Jazz Institute of Chicago.

Mit nur drei fest angestellten Mitarbeitern und einem ganzen Haufen ehrenamtlicher Helfer stellt sie jedes Jahr ein beachtliches Programm auf die Beine: eine Konzertreihe mit etwa 10 Konzerten, dieses Jahr unter anderem eine Jazz-Oper, eine mehrtägige riesige Jazz-Messe, das umfangreiche Composer’s Project, für das jedes Jahr ein Komponist oder eine Komponistin einer bestimmten ethnischen Gruppe ausgewählt wird, die Jazz Club Tour, an der jedes Jahr mehr Jazz-Lokale teilnehmen.
Und nicht zu vergessen, das weltberühmte Chicago Jazz Festival, für dessen Programm das Jazz Institute verantwortlich zeichnet.

Spätberufen – und sofort süchtig

Dabei ist Lauren ganz und gar nicht in und mit dem Jazz aufgewachsen. Feuer gefangen hat sie erst als Teenager. Die Einstiegsdroge war bereits ganz schön harter Tobak: die Experimente der AACM, die sie als ein sowohl musikalisches, als auch visuelles Erlebnis empfand, waren es, die Lauren für den Jazz begeisterten. Und von Anfang an behielt Lauren beide Aspekte – den klanglichen wie den visuellen – im Auge.

Oder besser vor der Linse: Sie begann, Jazz zu fotografieren.
„Was mich an der Fotografie so faszinierte, war, glaube ich, dass sie mir eine Ausrede gab, den Musikern so nah wie möglich zu sein“, erinnert sie sich, „so hatte ich die Möglichkeit, den ganzen Abend am Bühnenrand zu sitzen und die Musik richtig bis ins Mark zu spüren.“
Von da ab verbrachte Lauren jede frei Minute im „Jazz Showcase“, einem der ältesten Jazz-Clubs Chicagos und fotografierte.
Tagsüber arbeitete sie für eine Initiative der Stadt Chicago mit dem Titel „Artists in Residence Program“, einem Kultursponsoringprogramm.

Betty Carter – Foto: Lauren Deutsch

Women in the New Jazz….and a new woman in jazz

Anfang der 80er Jahre wurde sie in den Vorstand des Jazz Institute of Chicago berufen. Etwa zur selben Zeit traf sie Margarete Hallberg, damals Barkeeperin im „Jazz Showcase“, und die beiden beschlossen, ein Programm von und mit Frauen im Jazz auf die Beine und die Bühne zu stellen.

„Women in the New Jazz“ war dann auch Margaretes Eröffnungsevent für ihren eigenen Jazzclub „Hothouse“, der heute einer der hippsten Adressen in Chicago ist. Das Programm wurde ein großer Erfolg, wir hatten Deirdre Murray, David Murrays Frau, die Cello spielt, Marilyn Crispell, Amina Claudine Meyers, Sheila Jordan…ich müsste nachschauen, um sie alle aufzuzählen. Es folgte eine zweite Auflage des Mini-Festivals im Jahr 1992, diesmal gesponsort durch das Jazz Institute.

Mutter des Jazz – trainiert im Multitasking

Nach einer Auszeit als „Vollzeit-Mutter“ wurde ihr dann sozusagen aus heiterem Himmel der Posten als Direktorin des Jazz Institute angeboten. „Mein Vorgänger, David Sacks, rief mich an und erklärte, ich hätte zwei Wochen Zeit, mich zu entscheiden“.
Da kam erst einmal Panik auf: „Ich wusste nicht, ob ich wirklich reif war für diesen Job. Irgendwie war ich wohl noch nicht ganz bereit, die Mama-Geschichte hinter mir zu lassen.“ Sich für Kunst zu engagieren, findet Lauren, erfordert die gleiche Art der intensiven Hingabe wie eine Mutterschaft – Leidenschaften, die zwangsläufig miteinander konkurrieren.

Sie ließ sich schließlich überreden, die Stelle übergangsweise zu übernehmen – um bald festzustellen, dass sie tatsächlich genau die Richtige für diesen Job war. Sie verfügte über das nötige Netzwerk, genoss das Vertrauen der Musiker ebenso wie das des Vorstands, sie wusste wie das Business funktioniert, und sie hatte Erfahrung mit Non-Profit-Organisationen, die nötigen kommunikativen Fähigkeiten und war trainiert im Multitasking. Und so blieb sie. Bis heute.

Ihr Ziel: Jazz fürs Volk

Mittlerweile trägt das Jazz Institute of Chicago tatsächlich ihre Handschrift. Jazz ist für sie eine Musik, die die Kraft hat, Menschen zu verbinden, Rassengrenzen und -trennungen aufzuheben. Eine Vision, die leider auch heute noch bitter nötig ist in Chicago. Und so legt Lauren einen großen Schwerpunkt auf Programme, die die verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen Chicagos einbindet und verbindet. Sie möchte den Jazz aus seinem Elfenbeinturm heraus zurück in die Seele des Volkes bringen.

Musik sichtbar machen

Daneben fotografiert sie immer noch mit unverminderter Energie und entwickelt sich unentwegt künstlerisch weiter. Aber wie geht das eigentlich, Musik fotografieren? Wie hält man ein klangliches Medium visuell fest?
Auch Lauren selbst ist in diese Fragestellungen erst nach und nach hineingewachsen: „Am Anfang habe ich hauptsächlich dokumentiert“, erzählt sie. Irgendwann fing sie an, auf die besonderen Momente zu warten. Zum Beispiel, bis der Saxophonist seine Augen öffnete. „Manchmal musste ich ewig warten. Aber so habe ich gelernt, den Ausdruck, die Atmung, den persönlichen Rhythmus eines Musikers zu beobachten. Und ich begann mir zu überlegen, warum der Saxophonist mit geschlossenen Augen spielt, und warum er sie in eben diesem Moment öffnet.“
Es ging nun nicht mehr darum, den Musiker einfach nur zu fotografieren, sondern den Schaffensprozess mitzuerleben und festzuhalten. Bald beobachtete Lauren nicht mehr nur die Mimik und Gestik der Musiker, sondern experimentierte mit Licht- und Schattennuancen und wie sie den Charakter der Musik im Moment der Fotografie einfingen.

Zwischenräume

„Davon ausgehend konzentrierte ich mich immer mehr auf die Teile der Musik, die lautlos sind. Jeder Musiker weiß, dass die Noten, die man hört, genauso wichtig sind, wie die, die nicht gespielt werden, und die Räume dazwischen.“ Lauren versuchte nun, die Musiker in diesen Zwischenräumen festzuhalten, zum Beispiel, wenn sie dem Solo eines anderen Instrumentalisten zuhörten.

Ein Einschnitt in ihrer Entwicklung als Fotografin war eine Ausstellung von Robert Heineken im Jahr 2000: „Heineken fotografiert keine Musik. Aber in dieser Ausstellung sah ich eine zimmergroße Fotografie, eine Art Mosaik,“ beschreibt sie ihre Vision. „Ich hatte vorher schon diese Idee, richtig große Fotos zu machen, die mir genug Raum geben würden, das auszudrücken, was ich in der Musik fühle – die verschiedenen Farben und Beschaffenheiten und Rhythmen, ich hatte aber die Ausrüstung nicht.

Und als ich dieses Bild sah, wusste ich – ich kann das auch“

Ohne wirklich zu wissen, wie, ging sie in ihre Dunkelkammer und experimentierte.
„Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich bräuchte mehr Bewegung und fing an, das Papier bei der Entwicklung hin und her zu drehen und zu verschieben, während ich gleichzeitig Jazz-Platten anhörte.
Irgendwann kam ich an einen Punkt, an dem ich einen Zustand des totalen körperlichen und emotionalen Einklangs zwischen der Musik und der Bewegung der Bilder erreichte. Das war wirklich aufregend. All diese Negative, die sich in den letzten 25 Jahren angesammelt hatten, hatten so viele neue Bilder in sich. Du kannst sie komplett von innen nach außen stülpen.
So ähnlich muss es sein, neue Klänge in der Musik zu produzieren. In meinem Fall hieß das, vollkommen Abschied zu nehmen von der Vorstellung, das Bild müsse noch aussehen wie ein Musiker.“

Fotos v. Lauren Deutsch – „Jazz Awards Photo of the Year Entries – Journalists Association“

Klang wird zu Licht

Der nächste Meilenstein für die Fotografin Lauren Deutsch war die Anschaffung einer Digitalkamera. Auch hier erlebte sie eine Art Epiphaniemoment: „Ich benutzte eine sehr lange Belichtungszeit. Das Display der Kamera zeigt das Bild mit einer kleinen digitalen Verzögerung und ich konnte diese Lichtspuren sehen, durch die Bewegungen des Musikers und seines Saxophons. Es war wie Schallwellen, in Lichtwellen umgewandelt. Dazu kam etwas, das ich mit einer Analogkamera noch nie erlebt hatte – ich konnte sehen, was ich fotografierte, beinahe im selben Moment. Wie ein Musiker, der hört, was er spielt, während er es spielt. Es ist, als sei ich endlich da angekommen, wo ich immer hinwollte – ich kann ihre Musik fotografieren!“

Die Kamera – Ihr Musikinstrument

Derzeit denkt Lauren über ein interaktives Jazz-Projekt nach. Die Musiker sollen dabei unmittelbar auf ihre Bilder reagieren, die sie im Moment des Fotografierens auf eine große Leinwand projiziert. Und sie hat auch schon ein paar interessierte Jazzer gefunden. Vielleicht wird das der nächste große Schritt für Lauren – damit wäre sie dann nicht mehr nur Beobachterin der Musik, sondern tatsächlich Teil der Band. Im Hinterkopf hat sich auch einen Event-Kalender für das Jazz Institute of Chicago, mit ihren eigenen Bildern. Dafür sucht sie noch einen Sponsor.

Bewegte Klänge

Die Ideen und Visionen gehen Lauren bestimmt nicht so schnell aus. Und auch, wenn die privaten Geldgeber ihre Geldbörsen derzeit etwas tiefer zurück in die Tasche schieben – Lauren wird nicht locker lassen. Mit ihrer sanften, freundlichen Art, gegen die jeder Widerstand zwecklos ist.

Jazz Institute of Chicago

Copyright: Redaktion Melodiva

Autorin: Martina Taubenberger

31.10.2002