Die Serie: The Female-Jazz-Connection
Teil 2 - Interview mit Lauren Deutsch / Chicago
Frauen in der Chicagoer Jazz-Szene
Frauen und Jazz: „Nur Sexappeal bringt Geld“
Ein Interview mit Lauren Deutsch (Direktorin des Jazz Institute of Chicago)
M. Taubenberger: Als Jazz-Fotografin hast du ja einen sehr visuellen Zugang zu Jazz. Welche Rolle spielen Schönheitsideale, ästhetische Konzepte und visuelle Präsentation allgemein im Jazz und besonders für Frauen? Ich denke da besonders an die Art und Weise wie viele Musikerinnen vermarktet oder auf ihren CD-Covers präsentiert werden..
Lauren Deutsch: Ich denke, viele Frauen sind damit einverstanden, weil sie das Gefühl haben, das ist der einzige Weg, Erfolg zu haben. Auf der anderen Seite ist es absolut in Ordnung, wenn Frauen, die sich sexy fühlen und gerne sexy aussehen, sich so präsentieren – solange sie sich dabei wohlfühlen und es mit ihrem Selbstverständnis in Einklang bringen können, und wenn es das ist, was sie rüberbringen wollen…
Trotzdem ist natürlich das meiste, was man in der Beziehung sieht, das männliche Idealbild. Das war immer schon so in diesem Business. Nur Sex-Appeal bringt Geld.
Das kleine schmutzige Geheimnis des Jazz
Trotzdem könnte man auch damit argumentieren – ich stecke hier nur mal vorsichtig meinen Zeh in diese Idee – dass diese Musik ja auch sehr viel mit Sinnlichkeit und Sexualität zu tun hat. Ich denke, das ist auch mit ein Grund, warum Jazz die Fähigkeit hat, Menschen zu bewegen und zu berühren und zu stimulieren. Diese Musik stimuliert alle Sinne, ist also dahingehend sinnlich. Und auf vielerlei Art ist sie auch sexuell sinnlich. Vielleicht ist das das kleine schmutzige Geheimnis des Jazz.
Auf der einen Seite sagt natürlich meine feministische Hälfte: „Ja klar, es ist, weil Männer die Frauen vermarkten“. Auf der anderen Seite ist diese Art der Darstellung vielleicht auch angebracht – was kein anti-feministischer Blickwinkel ist!
Vorausgesetzt, die Frauen haben die Kontrolle über die Bilder, die von ihnen erzeugt und vermarktet werden.
M. Taubenberger: Warum gibt es immer noch vergleichsweise wenige Frauen im Jazz? Inwieweit hat das etwas zu tun mit den oft zitierten Stichworten Mangel an Selbstbewusstsein, Angst vor Kontrollverlust, Angst, zu viel preiszugeben, Angst, hässlich zu klingen oder auszusehen, traditionelle Rollenmodelle…?
Lauren Deutsch: Es gibt ja nicht viele Rollenmodelle, weder im Business noch in der Musik. Ich erinnere mich an Gespräche mit Sheila Jordan, in denen sie mir erzählte, dass sie von männlichen Kollegen immer noch oft respektlos behandelt wird als einzige weibliche Musikerin auf der Bühne. Dabei ist sie wirklich schon lange dabei. Vieles davon hat einfach damit zu tun, wie Männer Frauen traditionell sehen. Sie zollen ihnen nicht den nötigen Respekt. Ich denke nicht, dass es an mangelndem Selbstbewusstsein liegt. Es ist eher eine Art Prügelerfahrung, die Frauen erleben, die versuchen in einer Männerwelt zu operieren – du kannst absolut überzeugt sein von dem, was du als Künstlerin machst, aber im Business wirst du behandelt als hättest du keine Ahnung.
Foto: Lauren Deutsch
Female musicians – NO RESPECT!
Das kann das Selbstwertgefühl natürlich verletzen, ich glaube aber nicht, dass es Frauen davon abhält, überhaupt in den Jazz hineinzukommen. Unsere Gesellschaft ist schon ein gutes Stück weit gekommen in Bezug auf die Anerkennung, dass die Beiträge von Frauen genauso wertvoll sind. Aber es ist immer noch ein weiter Weg bis wir wirklich dort sind.
Frauen hatten keine Rollenmodelle als Geschäftsfrauen und es gibt nur wenige Modelle für Musikerinnen. Das Business wird von Männern dominiert. Punkt. Das gilt durch die ganze Geschichte für jegliche Form der Kunst.
Ich persönlich denke gar nicht so viel darüber nach. Ich bin aber davon überzeugt, dass einer der Gründe, dass ich erfolgreich bin und tue, was ich tue, ist, weil ich eine Frau bin. In meiner Fotografie, in meinen Beziehungen zu den Musikern, mit denen ich arbeite. Auf der anderen Seite bin ich allgemein keine sehr bedrohliche Person. Ich bin ein sehr ruhiger, besonnener Mensch – und ich glaube nicht, dass das etwas damit zu tun hat, dass ich eine Frau bin.
M. Taubenberger: Wie steht es mit Jazz-Hörern? Hören mehr Männer als Frauen Jazz?
Lauren Deutsch: Ich weiß es nicht. Es trifft bestimmt zu in Bezug auf Konzertgänger. Ich war eine Ausnahme in meiner Jugend. Ich bin überall alleine hingegangen. Allgemein gehen die meisten Frauen aber nicht gerne alleine aus oder sie fühlen sich unwohl, nachts alleine unterwegs zu sein. Es gibt definitiv den Sicherheitsrisikofaktor.
M. Taubenberger: Hat es also etwas zu tun mit den in gewisser Weise rauen Umgebungen, in denen Jazz gespielt wird (Anm.: das stimmt für die USA mit Sicherheit in deutlich größerem Maße als für Deutschland)?
Lauren Deutsch: In gewisser Weise, ja…unsere Club Tour ist zum Beispiel sehr beliebt bei Frauen. Um genau zu sein, besteht die Mehrheit der Teilnehmer aus Frauen, weil sie da eben nicht alleine sind. Das gibt ihnen die Möglichkeit, Neues auszuprobieren und neue Musik zu hören, ohne das Risiko, alleine zu sein oder sich um die Heimfahrt Gedanken machen zu müssen.
Ansonsten…ich weiß nicht. Ich kenne genauso viele Frauen wie Männer, die Jazz hören. Jazz hat im allgemeinen den Ruf, schwer zugänglich und anstrengend zu sein. Da hat sich eine Barriere aufgebaut, die es Leuten schwer macht, sich dem Jazz anzunähern. Ich würde sogar aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass es einfacher ist für Frauen. Weil wir öfter und eher an den Rand der Gesellschaft und eigentlich aller Lebensbereiche geraten. Damit ist es einfacher für uns, uns mit dieser Art des Andersseins zu identifizieren.
Fotos: Lauren Deutsch
Mehr Vertrauen in die eigene kreative Energie
M. Taubenberger: Wie könnte man mehr Frauen für Jazz begeistern und sie vor allem in die Jazz-Clubs bringen?
Lauren Deutsch: Das ist eine gute Frage. Vielleicht, indem man Konzerte zu Zeiten veranstaltet, die es einfacher für Frauen machen, alleine hinzukommen, am Nachmittag zum Beispiel. Berufstätige Frauen und berufstätige Frauen mit Kindern oder hauptberufliche Mütter haben es schwer, sich Zeit und Geld zu nehmen, um oft zu Jazz-Konzerten zu gehen. Mir geht das ähnlich. Und natürlich das Thema Rollenmodelle. Wir brauchen mehr Frauen, die den Jazz als Lehrerinnen vermitteln. Und diese Maske des Jazz muss fallen – dass es eine Männermusik ist….und der rassistische Aspekt, dass es eine schwarze Musik ist, die schlecht ist, und von der man sich fernhalten sollte.
Ich denke allgemein sollten Frauen mehr Vertrauen in ihre eigenen kreativen Energien haben. Das trifft auf alle Menschen zu, aber besonders auf uns Frauen.
M. Taubenberger: Wie reagieren Männer auf weibliche Jazzmusikerinnen? Im Publikum wie auch auf der Bühne?
Lauren Deutsch: Da kann ich nicht viel dazu sagen. Tendenziell würde ich sagen, nicht anders als auf jeden anderen Musiker. Natürlich weiß ich nicht, was die Männer wirklich denken, wie „Die spielt ziemlich gut für ein Mädchen“. Oder Überraschung, dass eine Frau die gleiche Intensität bringt, wenn nicht sogar mehr, aber ich könnte nicht sagen, dass ich das wirklich beobachtet hätte. Ich denke es ist wieder eine andere Geschichte mit Sängerinnen, die ja in ganz anderem Maße mit dem Publikum spielen und gewisse Reaktionen provozieren, je nachdem, was sie singen.
M. Taubenberger: Wer sind deine Jazz-Favoritinnen?
Lauren Deutsch: Mira, Nicole Mitchell, eine zeitgenössische Chicagoer Flötistin, Sheila Jordan, eine meiner persönlichen musikalischen Heldinnen, Billie Holiday, Sarah Vaughan. Marilyn Crispell ist auch eine ganz außergewöhnliche Musikerin, Jane Bunnett…
M. Taubenberger: Und was bedeutet Jazz für dich persönlich?
Lauren Deutsch: Jazz ist meine Religion, meine Kirche!
Der Link zum Jazz Institute of Chicago:
www.jazzinstituteofchicago.org
Copyright: Redaktion Melodiva
30.11.2002