Die Serie – Teil 3: The Female-Jazz-Connection – Frauen in der Chicagoer Jazz-Szene
Patricia Barber: "Sinnlich, aber tough..."
…der Star der Jazzszene: Patricia Barber
Eine große, schlanke, schwarz gekleidete Frau betritt die Bühne. Etwas scheu blickt sie um sich, vermeidet es, Blickkontakt zum Publikum herzustellen. Sie zieht ihre Schuhe aus, setzt sich barfuß ans Klavier, krümmt sich über die Tasten und fängt ohne Worte an zu spielen. Das ist Patricia Barber, und auch dass sie mittlerweile ein internationaler Star der Jazz-Szene ist, ändert nichts an diesem leichten Unbehagen vor dem Publikum und dieser gewissen Unnahbarkeit. Eine Unnahbarkeit, von der in ihrer Musik nicht das geringste zu spüren ist. Ganz im Gegenteil – Patricias intelligente, poetische Texte und ihre teils sinnlichen, teils sehr groovigen Kompositionen scheinen Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts anzusprechen.
Patricia Barber ist dabei Sängerin, Pianistin, Komponistin, Bandleaderin, Produzentin und nicht zuletzt Poetin.
Ihr neuestes Album „Verse“, die erste Platte mit ausschließlich eigenen Songs und Texten, wurde von Publikum wie Kritikern enthusiastisch gefeiert. Sexy, lasziv, sinnlich, so wird ihre Stimme beschrieben – und dabei ist sie so gar nicht die schnurrende Katze, die sich auf dem Flügel räkelt. Sinnlichkeit ist bei ihr gepaart mit der schlauen Arroganz ihrer Wortspiele. Ihrer musikalischen Sensibilität begegnet sie mit der Toughness der Intellektuellen. Unabhängigkeit als Künstlerin ist für sie dabei unverzichtbar.
Mit Melodiva sprach sie über die Rolle der Frau im Jazz und ihre persönlichen Erfahrungen in einem Männerbusiness
„Kulturelle Konditionierung – ein sehr mächtiges Instrument…“
Melodiva: Was war Dein erster Kontakt mit Jazz? Hast Du immer schon Jazz gehört?
Patricia Barber: Mein Vater war Jazz-Musiker, ich war also von Geburt an mit der Musik in Berührung. Er starb als ich neun Jahre alt war, und ab dem Zeitpunkt stand ich dann stärker unter dem Einfluss des Geschmacks meiner Mutter – das heißt den klassischen Sängern der Big-Band-Arrangements: Peggy Lee, Judy Garland, Frank Sinatra. Der nächste Schritt waren Sängerinnen wie Sarah Vaughn und Billie Holiday. Den instrumentalen Jazz mit Künstlern wie Miles Davis, Bill Evans und Chick Corea entdeckte ich dann eigentlich erst, als ich aufs College ging.
Melodiva: Du hast zunächst klassisches Piano studiert und bist später zum Jazz zurückgekehrt. Warum?
Patricia Barber: Ich liebe das Klavier und wollte es als Hauptfach im College weiterspielen. Um eine Technik auf dem Instrument zu entwickeln, muss man klassisches Klavier studieren. Dann nahm ich diese Technik und verwendete sie im Jazz – meine Leidenschaft, die ich zwar versuchte zu unterdrücken, es aber nie schaffte.
Melodiva: Warum denkst Du gibt es immer noch vergleichsweise wenig Frauen im Jazz-Business (ich denke dabei vor allem an Instrumentalistinnen)?
Patricia Barber: Der Grund sind kulturelle Stereotypen. Mädchen lernen, dass es nicht akzeptabel oder sexy ist, Trompete oder Saxophon zu spielen, also greifen sie nach dem Image der Stand-Up-Sängerin.
Melodiva: Folgende Stichworte werden oft in die Diskussion eingebracht, wenn es darum geht, warum die meisten Musikerinnen keinen Zugang zum Jazz und speziell zur Improvisation finden: mangelndes Selbstbewusstsein, Angst vor Kontrollverlust, Angst, exponiert zu sein, hässlich zu klingen oder auszusehen, traditionelle weibliche Rollenmodelle, Agressions-Tabus. Was hältst Du von diesen Erklärungen?
Patricia Barber: Ich denke, einige dieser Erklärungen treffen zu. Hauptsächlich glaube ich, der Mangel an Jazz-Instrumentalistinnen hat mit kultureller Konditionierung von Kindheit an zu tun. Band-Leader ermuntern sie nicht, diese Instrumente zu lernen, wenn sie klein sind. Wenn es mehr Band-Leaderinnen gäbe, vielleicht gäbe es mehr Jazz-Instrumentalistinnen. Kulturelle Konditionierung ist allerdings ein sehr mächtiges Konzept.
Melodiva: Was sind Deine persönlichen Erfahrungen als Jazz-Frau in dieser Beziehung? Denkst Du, die Tatsache, dass Du homosexuell bist, macht Dich unabhängiger von weiblichen Rollenmodellen und männlichen Erwartungen?
Patricia Barber: Meine Haupterfahrung als Jazz-Musikerin ist, dass ich mehr Engagements bekomme als Männer, weil ich immer noch eine Art Kuriosität bin. Und ja, ich glaube durchaus, dass ich als lesbische Frau unabhängiger bin von kulturellen Erwartungshaltungen und spezifischen Geschlechterverhaltensmustern.
Melodiva: Wie sieht es aus mit Jazz-Hörern? Wenn Du an Dein Publikum denkst – gibt es mehr Männer als Frauen? Wie erklärst Du Dir die Diskrepanz in der Geschlechterverteilung zwischen Musikern und Jazz-Hörern (falls es eine gibt)?
Patricia Barber: Ich denke nicht, dass es eine Diskrepanz beim Jazz-Publikum gibt. Wenn ich von der Bühne hinunter schaue, scheint das Publikum gleichmäßig männlich und weiblich zu sein.
„Es gibt nicht genug Songs…“
Melodiva: Wenn man InstrumentalistInnen mit VokalistInnen vergleicht, ist es auffällig, wie wenig Sänger und besonders Sängerinnen Risiken eingehen und die volle Bandbreite der menschlichen Stimme mit all ihren Ecken und Kanten ausschöpfen. Gibt es etwas im Image des Sängers (der Sängerin), das eine sanftere, sauberere Erscheinung fordert? Wo ist der Vocal Free Jazz oder der Vocal Funk? Ist Vocal Jazz vielleicht zu (?) tief in der Blues-Tradition verankert?
Patricia Barber: Um einen Text rüberzubringen, muss man ziemlich nahe an der originalen Melodie und der Intention des Songs bleiben. Ich bin der Überzeugung, dass das Narrative wichtig ist und ohne viel Ablenkung vermittelt werden sollte. Es gibt KünstlerInnen, die experimentellen Jazz-Gesang machen, aber sie werden nicht viel produziert und vermarktet, weil sie nicht populär genug sind, um Platten zu verkaufen. Außerdem sind wir über den späten Modernismus hinweg; unser kultureller Geschmack umfasst heutzutage keine großen Intervallsprünge mehr.
Melodiva: Und Du selbst? Was wagst Du in Deiner Musik? Welche Potentiale siehst Du im Genre des Vocal Jazz?
Patricia Barber: In manchen Songs habe ich offene Akkordstrukturen. Ich experimentiere mit Klängen in meinen Konzerten. Das Hauptproblem des vokalen Jazz-Repertoires ist aber eigentlich, dass es nicht genügend Material gibt. Es gibt nicht genug Songs, die für Jazz-Gesang geschrieben wurden.
Melodiva: Welche Rolle spielen Deiner Meinung nach heute Ästhetik, Schönheitsideale, visuelle Präsentation im Jazz-Business und besonders für Frauen? Ich denke dabei vor allem an das „Diana-Krall-Phänomen“ – Frauen, die produziert und vermarktet werden wie im Pop-Business, mit viel Augenmerk auf Sex Appeal.
Patricia Barber: Das gab es schon immer. Es gab immer schöne Frauen als Jazz-Sängerinnen über viele Jahre. Das ist überhaupt nicht schlimm! Die Musik könnte zusätzlich mehr Künstlerinnen als reine Künstlerinnen gebrauchen.
Melodiva: Ist gutes Aussehen ein entscheidender Faktor für eine Jazz-Karriere?
Patricia Barber: Aussehen ist sehr viel wichtiger für eine Frau als für einen Mann. Trotzdem ist es kein entscheidender Faktor. Betty Carter und Shirley Horn hatten in spätem Alter Erfolg, ohne als Sex-Symbole vermarktet zu werden, sondern als großartige Künstlerinnen.
Melodiva: Zu welchem Grad reflektieren Jazz-Musikerinnen über feministische Fragestellungen und ihre Rolle als Frauen im Jazz?
Patricia Barber: Ich habe keine Ahnung. Ich spreche nie mit Jazz-Musikerinnen über dieses Thema. Um ehrlich zu sein, ich glaube, Frauen im Jazz haben es leichter als Männer, weil sie leichter Engagements bekommen.
Melodiva: Deine Stimme wird of als „sexy“ oder „lasziv” beschrieben. Wie viel Sinnlichkeit und Sexualität gehört zum Jazz? Denkst Du dieser sinnliche Zugang zu Jazz könnte eine Erklärung oder sogar Entschuldigung dafür sein, dass visuelle Aspekte so wichtig sind?
Patricia Barber: Ich denke, Sinnlichkeit ist wichtig in jeder Art von Gesang.
„Frauen sollten alle Instrumente spielen!“
Melodiva: Wie ist Deine Meinung dazu, in die Kategorie „Female Jazz Vocalists“ eingeordnet zu werden. Warum werden weibliche Jazz-Vokalistinnen nicht mit männlichen verglichen (in Umfragen, Kritiken, Hitlisten). Ist diese Unterscheidung notwendig und sinnvoll? Wenn es genügend weibliche Schlagzeugerinnen gäbe, würden Kritiker die Kategorie „Female Jazz Drummer“ erfinden?
Patricia barber: Die „Female Jazz Vocalist“ ist ein Phänomen das viele, viele Jahre zurückgeht. Die weibliche Stimme wird von der Öffentlichkeit gerne angenommen und das Publikum liebt sie. Diese Kategorien reflektieren die Prioritäten der Plattenindustrie und der musikliebenden Öffentlichkeit.
Melodiva: Gibt es etwas wie eine weibliche „Stimme“ im Jazz? Gibt es etwas wie weiblichen Jazz?
Patricia Barber: Im Jazz ist der Klang der Sängerin traditionell afroamerikanisch.
Melodiva: Aus Deiner Erfahrung: Wie reagieren Männer auf Jazz-Musikerinnen, im Publikum wie auch auf der Bühne?
Patricia Barber: Wenn Du eine ausgebildete Musikerin bist, wirst Du fair behandelt. Wenn Du eine Sängerin bist, die die Musik nicht versteht, die Tonarten, die Metren, die harmonische Sprache, wird Dich kein Instrumentalist respektieren. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun.
Melodiva: Du arbeitest hauptsächlich mit Männern in Deinen Bands. Unternimmst Du Versuche, Frauen in Deine Band zu bringen? Gibt es Unterschiede in der Zusammenarbeit mit Männern und Frauen?
Patricia Barber: Ich bemühe mich nicht, Musikerinnen zu finden. Das ist nicht wichtig für mich. Ich habe allerdings versucht, Terri Lynn Carrington zu buchen, und ich hoffe immer noch, mit ihr arbeiten zu können. Aber sie ist sehr teuer und sehr populär, zum Teil weil sie eine Frau ist. Ansonsten ist mir das Geschlecht meiner Musiker vollkommen egal, ich interessiere mich nur für ihre Arbeitseinstellung und ihr Talent.
Melodiva: Würdest Du sagen, dass es Dinge gibt, die speziell Frauen im Jazz erreichen oder zum Jazz beitragen können, Dinge, die Männer nicht leisten können, oder nicht leisten wollen?
Patricia Barber: Nein. Nur der Klang ihrer Stimme ist anders.
Melodiva: Du legst immer Wert darauf, absolute künstlerische Kontrolle über Deine Arbeit zu haben. Ist es schwerer für Frauen, diese Kontrolle zu behalten? Hast Du Angst, einen Teil dieser Unabhängigkeit aufgeben zu müssen, jetzt da Du zu einem der führenden Labels wechselst (Anm.: Patricia Barber wechselt von Premonition Records zu Blue Note)?
Patricia Barber: Frauen sind konditioniert zu gefallen, das heißt, das könnte ein Problem sein, das es als Bandleaderin zu überwinden gilt. Männer freunden sich leichter damit an als Frauen, Autorität auszuüben. Das ist der einzige Geschlechterunterschied, den ich in Bezug auf Bandleader sehe. Alle Musiker müssen sich mit ihren Plattenfirmen auseinandersetzen.
Melodiva: Was könnte man tun, um mehr Frauen auf die Jazz-Bühne zu bringen?
Patricia Barber: In den Schulen mit der musikalischen Jazz-Ausbildung anfangen! Musikprogramme an Schulen sind allgemein sehr wichtig, und Frauen sollten alle Instrumente spielen. Im Jazz wie auch in klassischer Musik.
Discographie:
2002 Verse
2000 Nightclub
1999 Companion
1998 Modern Cool
1994 Café Blue
1992 Distortion of Love
1989 Split
Alle CDs erschienen bei BLUE NOTE Records
Copyright: Redaktion Melodiva
Autorin: Martina Taubenberger
31.01.2003