Cassandra Wilson (USA)

"Die Jazzdiva"

Der Thron der Jazzkönigin steht schon lange leer. Seit Ella Fitzgerald zur ewigen Jamsession aufgebrochen ist, gibt es allerdings mehrere „Kronprinzessinnen“.
Eine der heißesten Anwärterinnen ist Cassandra Wilson. Die 50jährige Sängerin aus dem Bundesstaat Mississippi ist ein „alter Hase“, mit neun Jahren hatte sie erste Klavierstunden, und schon als 12jährige schrieb sie Texte und komponierte Songs. Doch auf die Musik wollte sich die farbige Sängerin mit den blonden Dreadlocks zuerst nicht verlassen. Sie studierte Kommunikationswissenschaften und arbeitete zunächst bei einem Fernsehsender, bevor sie sich ganz der Musik widmete.

Steckbrief:

1982 ging Cassandra Wilson nach New York und machte dort ihre erste Plattenaufnahmen mit Steve Coleman und seinem M-Base Collective. In diesen bald 25 Jahren als Recording Artist war die Sängerin mit der dunklen Altstimme sehr fleißig. Seit Mitte der 80er Jahre erscheinen Platten unter ihrem eigenen Namen, mit zwei Grammys wurde sie seither ausgezeichnet. Der große internationale Durchbruch gelang ihr mit „Blue Light Til Dawn“, einem zerbrechlichen Album mit viel Gefühl. Hier ist Cassandra Wilson bei sich selbst angelangt. Sie interpretiert nicht mehr, sie verschmilzt mit ihren Stücken. Wer die Sängerin noch nicht kennen sollte, sollte sich auf alle Fälle „You Don’t Know What Love Is“ anhören, so viel Schmerz hat man seit Billie Holiday nicht mehr vernommen.

Im November ist die famose Sängerin endlich wieder auf deutschen Bühnen zu hören.
Im Gepäck hat sie Stücke ihrer neuesten CD, „Thunderbird“ (Blue Note /EMI, 2006), die in diesem Jahr erschienen ist. Die „Donnervögel“ haben eine magische Bedeutung. So sollen die von den Göttern geschickten Vögel vor den Mächten des Bösen schützen. Cassandra Wilson nutzt den Begriff als Metapher. Trotzdem taucht sie mit „Thunderbird“ tief in das Spirituelle ein. Sie hat sich in den letzten Jahren immer weiter vom eigentlichen Jazz entfernt und ist nun ganz im Blues des Mississippi-Deltas angekommen. Aus dieser Tradition hat sie sich auch Klassiker wie „Easy Rider“ von Blind Lemon Jefferson, „I Want To Be Loved“ von Willie Dixon oder den allseits bekannten Traditional „Red River Valley“ herausgesucht. Zwei Stücke von T-Bone-Burnett, der dieses Album produziert hat, einer Nummer von Jakob Dylon und eigene Kompositionen schließen das Album ab, das Cassandra Wilson auch als Gitarristin erleben läßt.

Überraschend ist der andere Sound. Herrschten auf den Vorgängeralben noch Purismus und viel akustische Instrumente, und waren die Platten seit „New Moon Daughter“ von der akustischen Gitarre dominiert, so bringt Produzent T-Bone Burnett sehr geschmackvoll die Keyboards und ein bißchen Programming zurück in Wilsons Musik.

Ihre Stimme kann sich auf den extra für sie gewebten Teppichen bestens ausbreiten.

Cassandra Wilson ist mit „Thunderbird“ ein Album gelungen, das auf ebenso aufregende wie einzigartige Art eine grandiose, postmoderne Interpretation der Delta-Blues-Musik wagt.

Ein Album voll von Magie und unerhörten Klangfarben, das sich kraftvoll wie der sagenhafte Vogel in bislang ungeahnte Höhen erhebt.

Und als Live-Act ist Cassandra Wilson nochmals ein eindrücklicheres Erlebnis als „nur“ auf CD. Man darf auf die Tour gespannt sein!

Discographie

aktuelle CD: „Thunderbird“ (Blue Note /EMI, 2006)

Weitere Veröffentlichungen:
Traveling Miles (1999)
Belly of the Sun (2002)
Sings Standards (2002)
Glamoured (2003)
Point of View (1986)
Days Aweigh (1987)
Blue Skies (1988)
Jumpworld (1990)
She Who Weeps (1991)
Live (1992)
Dance to the Drums Again (1993)
Blue Light ‚Til Dawn (1993)
After the Beginning Again (1994)
New Moon Daughter (1996) Best Of Genre, Songbook (1996)
Rendezvous (mit Jacky Terrasson) (1997)

Text: Angela Ballhorn/Berlin
Fotos by Blue Note Reocrds
Erschienen: November 2006

Copyright: Redaktion MELODIVA

www.cassandrawilson.com
Autorin: Angela Ballhorn

29.11.2006