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Caroline Thon feiert CD-Release „Black & White Swan“ am 27.09.2015 in Köln
Interview mit der Saxofonistin und Komponistin
Nach Veröffentlichung des von den Kritikern hochgelobten Debüt-Albums „Panta Rhei“ (2011) ihrer Big Band THONELINE ORCHESTRA, steht nun ein weiterer Release ins Haus: am 25.09.2015 erscheint das zweite Album unter dem Titel Black & White Swan. Für alle, die dieses Hörerlebnis auch live genießen möchten, gibt es ein Konzert am 27.09.2015 im Kölner Stadtgarten. Dort wird das 19-köpfige Ensemble u.a. mit Laia Genc (p) und Filippa Gojo (voc) unter der Leitung von Thon die neuen Stücke präsentieren. Visuelle Unterstützung erhält das Orchester von der als Special Guest eingeladenen Malerin/Live-Painterin Chantal Marquez. Auch ein Film über den Event ist geplant.
Wer ist die Musikerin Caroline Thon? Eines lässt sich über sie mit Gewissheit sagen: die 1966 geborene Kölnerin geht gerne ungewöhnliche Wege, damals wie heute. Bereits während Thons Ausbildung machte sich dieser Hang zur Unkonventionalität bemerkbar: sie erlernte zunächst den Beruf der Tontechnikerin und spielte vor ihrer akademischen Laufbahn sowohl in Free- und Avantgardeensembles als auch in Soul- und Funkbands. Schließlich begann sie ein Studium zur klassischen Instrumentalpädagogin an der Musikhochschule in Wuppertal, welches sie 1996 mit dem Diplom abschloss, ging danach für ein Jahr ans renommierte Berklee College of Music in Boston und erwarb später weitere Diplome als Jazz-Komponistin und Jazz-Saxofonistin an der Musikhochschule in Köln. Von Beginn ihrer Jazzkarriere an stach Caroline Thon heraus. Zeitweise war sie die einzige Jazzkompositionsstudentin in ganz Deutschland und sorgte schon bei ihrem Kompositionsexamen mit ihrem „farbenreichen und sehr persönlichen Arrangierstil für Aufsehen“ (Aachener Nachrichten Online/ Juni 2010). Konkret äußert sich dieser sehr eigene Charakter der Kompositionen etwa in ungewöhnlichem instrumentalem Einsatz der Stimme, die auch schon mal durch ein Megaphon verstärkt wird. Oder in unkonventionellen Formstrukturen und ausgefallenen Voicings, die nicht unbedingt typischen Satztechniken entsprechen.
Das Ergebnis von Thons vielschichtiger Ausbildung ist eine musikalische Philosophie, die konsequent Grenzen hinterfragt und überschreitet: „Grenzen existieren für sie eigentlich in der Musik nicht. Gemäß einer Haltung, die weit über die Musik hinausgeht, hängt für Caroline Thon alles zusammen und bedingt sich gegenseitig“ (Homepage Caroline Thon). Der Titel des Debüt-Albums vom THONELINE ORCHESTRA „Panta Rhei“, der nach dem griechischen Philosophen Heraklit die „Einheit aller Dinge“ beschreibt, kommt also nicht von ungefähr.
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Foto: Ralf Bauer
Auch in ihrem neuen Album wird dieser Ansatz spürbar. Sein Titel „Black & White Swan“ wurde inspiriert durch den Film „Black Swan“ mit Natalie Portman, die dort als Tänzerin im Ballett „Schwanensee“ sowohl die Schönheit und Harmonie des weißen Schwans als auch die Aggressivität und Zügellosigkeit des schwarzen Schwans verkörpern muss. Zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ein Gegensatz, der in Wirklichkeit eine Einheit bildet, wie Yin und Yang. Caroline Thon schreibt dazu im Booklet des Albums: „Diese scheinbaren Gegensätze sind beide Bestandteil der Welt, die uns umgibt. Ich beobachte immer öfter, dass die Menschen eher Kontraste und Abgrenzungen wahr- und vornehmen wollen, anstatt auf kleine und feine Unterschiede zu achten und das macht mich bisweilen melancholisch, da ich das nuancierte Hinschauen als Achtsamkeit und oft als Bereicherung begreife! Mit der Musik habe ich meine Möglichkeit gefunden, dieser Melancholie eine Stimme zu geben, vielleicht auch um dagegen zu halten, zu berühren, zu Nachdenken und Besinnung anzuregen. Schwarz und weiß mögen Kontraste sein, aber sie können nicht unabhängig voneinander existieren, und es sind genau diese Zusammenhänge, derer wir uns in meinen Augen bewusst sein sollten!“
Entstanden ist auf Grundlage dieses Konzepts ein Album, das die Verflechtungen von Gegensätzen auf vielfältige Weise aufgreift. Im Titelstück etwa, das die Doppelnatur des Menschen thematisiert, seine Aggressivität und Gewaltbereitschaft sowohl im gesellschaftlichen Alltag, als auch im Krieg in scharfen, schneidenden Klängen, in brachialen Geräuschen zum Ausdruck bringt, sind die Nachwehen der Gewalt auch noch im hoffnungsvollen Neuanfang zum Ende des Stücks hin spürbar. Kompositionen wie „Deep Diving“, „Song for Robin Hood“ oder „Is it you?“ hingegen nähern sich dem Thema an über das Intime, das Zwischenmenschliche. Es geht um die dunklen und hellen Seiten, Wonne und Bedrohlichkeit echter und tiefer Begegnungen. Um den Mut, sein Herz trotz seelischer Blessuren wieder anderen Menschen gegenüber zu öffnen und um das Suchen und Sehnen nach der großen, wahren Liebe. Der letzte Titel des Albums „Kolysanka“ wurde von Alex Morsey ursprünglich als Schlaflied komponiert. Thons ins Gegenteil verkehrte Neuinterpretation des Stücks kommt frisch und lebendig daher, weckt auch schon mal Assoziationen von Straßenvolksfest und entlässt den Zuhörer mit viel positiver Energie.
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Thoneline Orchestra (Foto: k h krauskopf)
Entsprechend ihrer vielseitigen Ausbildung ist Thon in zahlreiche musikalische Projekte involviert, für die sie komponiert, arrangiert und dirigiert, aber auch selber das Saxofon in die Hand nimmt. Neben dem Quintett PATCHWORK und dem THONELINE ORCHESTRA unterhält sie ein Duo mit dem Pianist Gunter Rose, ist zudem Mitglied des Saxofon-Quartetts DOUBLE XX und präsentierte 2014 beim Festival „Women in Jazz“ in Halle erstmals das World-Jazz-Oktett EURASIANS UNITY, das sich musikalisch in der Spannbreite zwischen Jazz, Balkan und Vorderem Orient bewegt.
Sowohl als Komponistin als auch als Instrumentalistin erlangte sie Preise bei internationalen Jazzwettbewerben und erhielt 2008 einen Kompositionsauftrag vom Europäischen Musikfestival in Stuttgart zur Bearbeitung der „Kunst der Fuge“ aus der Sicht des Jazz.
Als Dozentin ist Thon ebenfalls tätig: im Jahr 2011 leitete sie zusammen mit der Pianistin Julia Hülsmann im Rahmen des Festivals „Women in Jazz“ den ersten Kompositionsworkshop für Komponistinnen, unterrichtete anschließend Komposition bei der „Hessischen Frauenmusikwoche“ und gestaltete im Frühjahr 2012 die Arbeitsphase des „Landesjugend-Jazz-Orchester Sachsen“ als Gastdirigentin.
Wie hat das mit der Musik bei Dir angefangen? Wurde schon in Deinem Elternhaus musiziert? Und wie kamst Du ausgerechnet zum Saxofon?
Ich komme aus einem nicht-musikalischen Haushalt, eher aus einer Rundfunkfamilie, wobei mein Großvater mütterlicherseits wohl ein sehr guter Texter und Journalist war, auch mir fallen manchmal immer wieder spontan Gedichte ein.
Meine Mutter steckte meine große Schwester und mich in die örtliche Musikschule (und auch den Sportverein). Nach der üblichen musikalischen Früherziehung fing ich mit Klarinette an und als dann der Lehrer wechselte und mir Charlie Parker-Stücke vorlegte und sagte, die wären auf dem Saxofon wesentlich leichter als auf der Klarinette, habe ich dann gewechselt. Dennoch dauerte es noch lange, bis ich wirklich einen Zugang zum Jazz bekam… improvisiert habe ich tatsächlich aber schon immer gerne! Am coolsten fand ich es damals, mit Freunden zusammen vor Freunden Konzerte mit einer Rockband zu geben und vor allem danach gemeinsam „abzuhängen“… das mache ich heute noch sehr gern, vor allem nach Konzerten… man hat da doch gemeinsam was auf der Bühne kreiert. Ich fühle mich dann mit meinen Mitmusikern immer sehr verbunden, vor allem wenn es schön war!
In Deiner Biografie heißt es, dass Du ein Jahr am Berklee College of Music verbrachtest, um Dich zum ersten Mal gezielter dem Jazz zuzuwenden. Welche Erfahrungen waren dort wichtig für Dich und wie haben sie Deinen weiteren Werdegang beeinflusst?
Die meisten von uns waren dort mit ähnlichen Voraussetzungen und dem gleichen Ziel vor Ort, das war unser gemeinsamer Nenner: aus Liebe zur Musik waren wir weg aus der Heimat gezogen und wollten Musik machen!
Dort habe ich viele tolle Musiker aus aller Welt kennengelernt, zu denen ich heute zum Teil noch Kontakt habe. So kennen und schätzen die Sängerin meines Quintetts PATCHWORK, Elke Wörndle und ich uns aus dieser Zeit! Auch habe ich an der amerikanischen Ostküste einen anderen Zugang zum Jazz erlebt, den ich hier oft vermisse, sehr natürlich und „volksverbunden“. Und es waren zu meiner Zeit dort schon über 3000 Studenten. Als der 100. Saxofonist innerhalb einer Stunde an mir vorbeikam und ich mich jedes Mal unbewusst fragte, ob der oder die besser spielte als ich, musste ich auf einmal so lachen über diesen Schwachsinn, der sich da in meinem Hirn abspielte! Das hatte ja mit Musik nix zu tun… da bin ich „wach“ geworden, glaub ich. Schade, dass gerade die hiesige nicht so leichte Situation für Jazzmusiker so eine Haltung nicht gerade fördert, sondern eher das Gegenteil!
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Foto: Arvo Wichmann
Bevor Du im Jazzbereich studiertest, hast Du zunächst ein Diplom als klassische Instrumentalpädagogin erworben. Spielt die klassische Musik in Deinem heutigen künstlerischen Schaffen noch eine Rolle?
Ja, sehr, vor allem kompositorisch. Ich habe zwar viele klassische Kompositionstheorien nur rudimentär gestreift, aber sie haben mich dennoch sehr fasziniert. Zudem habe ich während des klassischen Kompositionsstudiums Choralsatz und Fugen schreiben geübt. Ich mag auch sehr das völlig konzeptfreie Klangforschen, das hört man bei mir hoffentlich auch, wie zum Beispiel bei der Komposition „Is it you?“ auf der zweiten CD „Black & White Swan“ meines THONELINE ORCHESTRA, die am 04.10.2015 bei Enja/Yellowbird veröffentlicht wird. Da hört man Papierrascheln und in den Stimmen von Keyboard und Gitarre steht wirklich „sound like electronic problem“. Vielleicht ist diese Vorliebe auch bedingt durch meine Tätigkeit als Tontechnikerin bei einer Rundfunkanstalt (50 % Stelle), wo ich immer wieder bei Musikproduktionen dabei bin. Dort gibt es zum Beispiel so ein großartiges Festival wie „Forum Neue Musik“, sehr empfehlenswert in meinen Augen!
Deine Kompositionen, etwa für Deine Big Band „Thoneline Orchestra“ oder Dein Quintett „Patchwork“ werden von der Presse hochgelobt. Wie würdest Du selbst Deinen Kompositionsstil beschreiben?
Schwer zu sagen. Ich habe kürzlich bei einem anderen Interview resümiert, dass ich mich eigentlich noch nicht mal wirklich als Komponistin, vielleicht noch nicht mal in erster Linie als Musikerin begreife, sondern dass ich mir die Musik anscheinend als ein, hoffentlich wirkungsvolles Medium ausgesucht habe, um ein Statement zu setzen in der heutigen Zeit. Ich hoffe sehr, dass das nicht überheblich klingt, aber ich möchte mich in dieser Form einbringen und auch einmischen in die Art und Weise, wie die Gesellschaft zurzeit mit Lebewesen umgeht. Seit ich denken kann begleitet mich eine immer wiederkehrende Melancholie wie herzlos oft vieles ist, und auch ich selbst muss im Alltag immer wieder aufpassen, mich in diesem Sinne nicht vereinnahmen zu lassen. Deswegen bin ich sehr froh auch eine spirituelle Heimat gefunden zu haben, die eher zum Wohle aller Wesen ausgerichtet ist. Das steckt wohl in mir, auch bedingt durch meine politische Jugend – ich hab mich für Amnesty International und passiv auch für Greenpeace engagiert – und meine Arbeit bei einer sehr guten Rundfunkanstalt.
Deswegen tut Kritik an meinen Kompositionen zwar weh, dafür sind sie zu persönlich, liegt aber eigentlich in der Natur der Sache und kommt daher nicht unerwartet. Ich kenne natürlich vor allem durch das Studium die historischen Kompositionstechniken für Big Band und liebe zum Beispiel die Thad Jones/ Mel Lewis Big Band usw. – Bob Brookmeyer war so unglaublich gut! Aber nicht alles davon entspricht zumindest meinen jetzigen Klangvorstellungen. Und abgesehen davon haben Komponisten/Arrangeure wie Brookmeyer auf einem Niveau gearbeitet … du lieber Gott, da bin ich noch lange nicht!!
Was machst Du, wenn Du gerade keine Musik machst?
Ui, tägliche Meditation, Sport, mich mit Freunden treffen, wenn es irgendwie geht auf Konzerte oder ins Theater gehen, auch Konzerte von befreundeten Musikern unterstützen … meine größte Kraftquelle ist aber vor allem die Natur!
Deine musikalischen Pläne für die Zukunft?
Pläne??? Ehrlich gesagt bin ich ein wenig müde, immer so viel Energie reinzustecken und so wenig läuft vielleicht auch mal aus sich selbst heraus. Soll heißen: man sollte doch meinen, dass ich zumindest schon ein bisschen was erreicht habe und dadurch eventuell auch mal die Konzertaquise leichter fällt oder dann doch mal etwas Gage bei mir hängen bleibt … das ist aber höchst selten der Fall!
Ich will wirklich nicht undankbar erscheinen, aber mit diesem Lob der Fachpresse, einer so hervorragend und gut eingespielten Band wie z.B. meinem THONELINE ORCHESTRA, Unterstützung durch Landes- und Kunststiftungsförderung und einem Vertrag bei Werner Aldingers Enja/Yellowbird sollten doch einige Dinge etwas leichter gehen… immerhin bin ich allein für dieses Orchester Komponistin, Dirigentin, Managerin, Pressefrau und Bookerin … achja, Büro mach ich auch noch … you know, what I mean? Und ich habe ja noch das relativ neue, international besetzte Projekt EURASIANS UNITY (Festivalprojekt/ Women in Jazz), mit dem wir kürzlich den RUTH-Hauptpreis bekommen haben und mein Quintett PATCHWORK, wo eine aktuelle CD längst überfällig ist … und ein Privatleben gibt es ja eigentlich auch noch!
Titelbild: Beatpics
Aktuelle CD „Black & White Swan“ (Enja/Yellowbird) (2015)
„Thoneline Orchestra“ live:
27.09. Stadtgarten Köln, 20:30, Tickets unter www.stadtgarten.de
www.carolinethon.de
Autorin: Jessica Wall
21.09.2015