Buchtipp: Lady Bitch Ray – Madonna

Role Model der Rebellion

In der Kiepenheuer und Witsch Musikbibliothek schreiben Musiker*innen über Musiker*innen. In Band 6 schreibt Rapperin Lady Bitch Ray über die Pop-Ikone Madonna.

Wenn frau nicht weiß, was sie in diesem Buch erwartet, wird sie gleich mit dem vorangestellten Motto aufgeklärt: In der Hure liegt die Kraft. Das Buch eröffnet mit der elfjährigen Reyhan, die Madonna geil findet und von ihren Freundinnen ein abfälliges „Lesbische Schlampe“ hingeworfen bekommt – was sie begeistert: sie will auch eine lesbische Schlampe sein. Manche*r Leser*in mag sich hier schon innerlich ausklinken – wäre damit aber genau in die Falle der eigenen Vorurteile getappt, die sowohl Madonna als auch Lady Bitch Ray ihrem Publikum stellen.

Es geht nicht um eine chronologische Nachzeichnung der Lebensgeschichte von Madonna – dies kann frau an anderer Stelle vielfach nachlesen – sondern es geht vor allem um die Bedeutung, die Madonna in der Biographie von Lady Bitch Ray hat und hatte. Das Buch zeichnet ein sehr gut reflektiertes Beispiel dafür, was es im Leben einer rebellischen, kratzbürstigen, künstlerisch begabten Teenagerin ausmachen kann, sich in einem berühmten Role Model wiederzufinden.

Wir erleben verschiedene Dimensionen dieser besonderen Bezugnahme mit. Bewunderung, Nachahmung, später auch Kritik, eigene Inspiration, Schaffung einer eigenen Kunstfigur. Lady Bitch Ray bildet sich nach dem Vorbild der Figur der Pop-Ikone Madonna eine eigene Methode des gezielten Umgangs mit den Widersprüchen, die ihren Alltag prägen. Als Frau, als Person ohne Migrationsdefizit, mit muslimischem Hintergrund, als Rapperin und so weiter findet sie eine Gesellschaft vor, die sie ununterbrochen mit Fremdzuschreibungen überschüttet. Ganz richtig erkennt sie, dass es ein unmögliches Unterfangen ist, diese Schubladen, in die sie alle fünf Minuten gesteckt wird, immer wieder aufzumachen – um eine Reaktion zu garantieren, reicht es aber schon, aufzuzeigen, dass sie da sind. Sie entwickelt im Umgang damit eine eigene Form des (künstlerischen) Nachdenkens und Handelns in der Dimension der Provokation. Diesen Weg zeichnet das sehr persönliche Buch nach.

Den Kampf gegen Sexismus, Rassismus und andere Diskriminierungsebenen führt Lady Bitch Ray nicht nur als Wissenschaftlerin, nicht nur als Musikerin, nicht nur als Künstlerin, Kunstfigur, Aktivistin, Feministin, Alltagsperson, sondern alles zusammen und immer noch mehr. Das ist anstrengend, und auch in die Phasen der Depression, die aus diesem Kampf entstehen, nimmt sie uns mit. Trotzdem – und gerade deswegen – begegnet uns hier eine unglaublich starke Frau, die (wie sollte man es von einer Rapperin und Sprachwissenschaftlerin auch anders erwarten) virtuos mit Sprachregistern spielt und Konventionen gegen den Strich bürstet.

Als Leser*in kann man sich entweder darauf einlassen (was sich lohnt), oder bereits vor der ersten Seite in jene entsetzte Empörung verfallen, die grundsätzlich im Raum steht, wenn Frauen* sich explizit über Sex äußern. Hoffentlich entdecken – zum Beispiel mit diesem Buch – die rebellischen Mädchen von heute Lady Bitch Ray für sich als Role Model. (Foto: Reyhan Şahin)

ISBN: 978-3-462-05355-5 / 144 Seiten / 10,00 €

Autorin: Maria Bätzing

02.06.2020