Bossa Nova zur blauen Stunde

Ein Interview mit Eva Jagun

Kürzlich präsentierte Eva Jagun mit ihrer neuen CD „The Blue Hour“ zwar ihr Debütalbum, aber sie ist beileibe keine Debütantin. Jahrelang lieh sie als Studiomusikerin anderen Größen Stimme und Geigenspiel, doch jetzt ist sie endlich mit eigenen Songs am Start. Mit ihren luftig-leichten Bossanova-Perlen verzaubert sie schon bald die Leverkusener Jazztage (11.10.) und das Kieler Kultur Forum (12.10.).

In einem romantischen Film des französischen Filmemachers Eric Rohmer („Vier Abenteuer von Reinette und Mirabelle“) kommt eine sog. „blaue Stunde“ vor, nämlich eine Minute vor der Morgendämmerung, in der alle Vögel schweigen, in der es vollkommen still ist. Du hast vor einem halben Jahr Dein Debüt „My Blue Hour“ veröffentlicht – hast Du da eine ähnliche Assoziation gehabt?

Das oben beschriebene Bild beschreibt die Blaue Stunde, so wie sie von der Allgemeinheit verstanden wird. Der Name des Albums „My Blue Hour“ ist hingegen ein sehr persönlicher Titel. Für mich ist die blaue Stunde eine Zeit der Inspiration, aus der ich Kraft schöpfe und in der Ideen geboren werden. Da kann mir ein gutes Buch helfen, ansprechende Musik oder gerne auch mein blaues Sofa, auf dem die meisten meiner Texte entstanden sind.

Deine Musik vereint Latin, Jazz und Pop, Bossa Nova- und Sambarhythmen überwiegen, zwei Deiner Songs singst Du teilweise auf Spanisch. Im Studio hast Du Dich mit Deiner Band am Sound brasilianischer Platten der 50er Jahre orientiert. Woher kommt diese Nähe zum Latin?

Ich selbst war 1995 das erste Mal in Brasilien. Am Strand von Buzios, einem Hafenstädchen nördlich von Rio, den Brigitte Bardot in den 60ern berühmt gemacht hat, habe ich das erste Mal in meinem Leben Bossa-Nova live erleben können. Ich war überwältigt. Zurück in Deutschland habe ich mir einige Bossa-Nova Platten gekauft und angefangen die Musik zu „inhalieren“. Die Leichtigkeit der Melodien, die raffinierten Jazzharmonien und die poetischen Texte haben mich sehr beeindruckt. Drei der Songs habe ich übrigens mit Cesar Diaz, einem in Berlin lebenden Komponisten aus Kolumbien geschrieben.

Deine Stimme wird immer als luftig-leicht beschrieben, sie berührt, stimmt aber nie traurig oder melancholisch. Bist Du ein optimistischer Mensch?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe aber auch eine melancholische Seite, die die traurigen Harmonien in meine Songs schmuggelt.

Es heißt, Du hattest eine musikalische Familie, Dein Vater spielte Klavier und mit Deinen vier Geschwistern hast Du viel gesungen. Wie müssen wir uns das vorstellen: war Dein Vater Profimusiker und ihr seid um ihn herum gesprungen, während er übte oder gar komponierte?

Nein, er ist kein professioneller Pianist, aber er war Profi darin, uns von klein auf für die Musik zu begeistern. Noch heute ist das Klavier Mittelpunkt der 7-köpfigen Familie wenn wir zusammen kommen.

Du sagst selbst, dass Dein Zugang zur Musik spielerisch und natürlich war; glaubst Du, dass das auch Dein Talent zur Komposition gefördert hat? Wann hast Du begonnen, selbst Songs zu schreiben?

Selbsterdachte Melodien hatte ich schon früh als Kind in meinem Kopf, und das Singen habe ich immer nebenbei praktiziert. Das intensive Schreiben allerdings kam bei mir später. Geige war mein Hauptinstrument. Meine ältere Schwester hatte leider das Klavier abbekommen… Erste Stücke habe ich auf der Gitarre geschrieben und bin dann zum Klavier übergegangen, weil ich merkte, dass es mir am Klavier leichter fiel, Akkordstrukturen zu verstehen und umzusetzen.

Wie entstehen Deine Songs?

Meist führen mich schöne Akkordverbindungen zu Melodien. Diese führen mich weiter zu den Texten, weil die Musik Stimmungen in mir hochkommen lässt. Die Inspiration habe ich mir vorher irgendwo eingefangen, z.B. in Gesprächen mit Menschen, durch Bücher, Filme oder wenn ich draußen unterwegs bin.

„Ein guter Song lässt keine Fragen offen“, sollst Du mal gesagt haben. Wir haben dennoch noch eine Frage: Was macht für dich einen guten Song aus?

Dass er dich berührt und etwas in dir bewegt.

Als Jugendliche hast Du dann in diversen Chören, Bands und Duos gesungen. War für Dich nach der Schule gleich klar: jetzt werde ich Profimusikerin?

Nein, das hat sich nach und nach entwickelt. Zwar stand die Musik bei mir immer im Mittelpunkt, aber das sie zu meiner Berufung wird, ist mir durch das viele Musizieren und im Laufe der Zeit klargeworden.

Du bist dann von Hamburg nach Berlin gezogen, warum?

Zum einen der Liebe wegen, zum anderen wegen der Musik und meiner Neugierde. Hier in Berlin ankern Musiker aus aller Welt und das macht die Stadt so interessant. Auch die Geschichte Berlins, die vielen Museen und Veranstaltungen machen es für mich sehr attraktiv, noch etwas hier zu bleiben.

Du hast ja in Berlin erstmal bei Projekten unterschiedlichster KünstlerInnen mitgewirkt, von Nina Hagen über The Baseballs bis zu Didi Hallervorden – als Sängerin oder als Violinistin? Wie war diese Zeit für Dich?

Bei den Baseballs war ich gestern noch als Sängerin im Studio, um für deren Weihnachtsplatte 50er Jahre-Chöre einzusingen. Für Ella Endlichs neues Album habe ich ein paar Streicher eingespielt. Die Arbeit mit und für die verschiedensten Künstler macht mir großen Spaß und stellt für mich immer wieder eine Herausforderung dar. Vergleichbar mit einem Schauspieler, der in Rollen schlüpft. Wenn es zu Jagun kommt, bin ich allerdings ganz bei mir. Hier darf ich alle Rollen hinten anstellen und kann meine ganz persönliche Sprache sprechen.

Record Release in Berlin

Wie kam es, dass Du 2007 Deine eigene Band „Jagun“ gegründet hast?

Ich hatte einige Stücke geschrieben und war heiß drauf, diese mit einer Band umzusetzen. Zur selben Zeit hatte ein Freund von mir ein Konzert im Live-Club Quasimodo in Berlin für uns organisiert, und so standen wir mächtig unter Druck. Innerhalb kurzer Zeit hatten wir ein Programm mit Band und drei Streichern erarbeitet. So begann alles…

Wer sind Deine MitmusikerInnen, kanntest Du sie schon vorher von anderen Projekten?

Mit den Mitmusikern hatte ich schon in diversen anderen Projekten gespielt, oder sie auf anderen Bühnen erlebt und mich für sie begeistern können. Da die Musik vielseitig ist und diverse Stilistiken beinhaltet, war es gar nicht so leicht, die richtigen Mitmusiker zu finden. Zwei meiner damaligen Bandkollegen, die den Jagunsound sehr geprägt haben, sind leider wieder in ihre Heimat nach Australien gegangen. Aber so ist das halt in der Großstadt. Da gibt es ein Kommen und Gehen und man muss flexibel und aufgeschlossen sein. Mein Bassist und Freund Manuel Zacek spielt in der Band allerdings seit Beginn eine sehr große Rolle. Er arbeitet mit mir an den Songs, hilft mir bei der aufwendigen Organisation der Konzerte und Studiosessions und hat den kompletten CD Prozess begleitet.

Wie kam der Kontakt zu Galileo MC zustande? Welche Rolle spielte das Galileo-Team bei der Produktion des Albums?

Den Kontakt zu Galileo MC hat Rainer Robben vom Audio Cue Studio in Berlin hergestellt. Rainer hat die ersten Stücke der Produktion an Galileo weitergeleitet und die haben sofort angebissen. Galileo hat die komplette Produktion übernommen, mir Uwe Hauth als Fotografen und Artworker zur Seite gestellt und fleißig die Promotion gemacht. Die künstlerische Freiheit hat er mir allerdings nie genommen. Die Idee, ein Cover auf das Album zu packen, kam von mir.

Jetzt seid ihr vor kurzer Zeit in das Ursprungsland Eurer Musik gefahren, Du warst nämlich mit Deiner Band in Brasilien, wurdet ihr eingeladen?

Der Kontakt nach Brasilien entstand über MySpace. Der Pianist und Komponist Beba Zanettini hat meinen Bassisten Manuel Zacek und mich eingeladen, nach Sao Paulo zu kommen, um dort auf einem Deutsch-Brasilianischen Festival im Stadtteil Brooklin zu spielen. Uns wurde eine sehr professionelle fünfköpfige Band zur Seite gestellt, die vorab mein Material einstudiert hat. Es gab einige Proben und insgesamt vier Auftritte. Zwei davon auf dem Deutsch-Brasilianischen Festival, eines im Liveclub „Ao Vivo“, und eines in einem Museum für zeitgenössische brasilianische Kunst dem „Museu da Casa Brasileira“.

Wie waren die Reaktionen des Publikums?

Die Reaktionen waren äußerst positiv. Man muss vorab vielleicht betonen, dass in Brasilien auf alle Importwaren bis zu 60% Einfuhrsteuern erhoben werden! Der Zugang zu ausländischer Musik ist daher nicht so problemlos zu bekommen wie bei uns in Deutschland. Selbst iTunes ist aus rechtlichen Gründen im Land nicht verfügbar. Auch wenn ich in meiner Musik einen starken Latin-Einfluss habe, ist dieser weit entfernt von der traditionellen brasilianischen Musik und für das Publikum recht exotisch. Mir wurde drüben klar, dass ich doch stärker in der europäischen Musik verwurzelt bin als ich gedacht habe. Melodien, Phrasierungen, Akkorde sprechen ihre ganz persönliche heimische Sprache und das macht für die Menschen dort drüben Jagun zu etwas ganz Besonderem.

Was steht als Nächstes bei Euch an?

Am 08. Oktober gibt es ein ganz gemütliches Konzert mit Streichern im kleinen Artenschutztheater in Berlin Mitte, wo wir auch einen Livemitschnitt (Bild + Ton) planen. Am 11.Oktober sind wir wieder im Quartett unterwegs und auf den Leverkusener Jazztagen und am 12. Oktober im Kieler Kulturforum zu Gast. Vielleicht geht es Ende Oktober noch einmal nach Brasilien, aber das steht noch nicht ganz fest.

Aktuelle CD „My Blue Hour“ (2011)
Galileo MC
(siehe CD-Tipp: https://www.melodiva.de/cdreviews/my-blue-hour/)

Eva Jagun live:
08.10.2011 Berlin, Artenschutztheater
11.10.2011 Leverkusen, Leverkusener Jazztage
12.10.2011 Kiel, Kieler Kultur Forum

http://www.jagun.eu/
Autorin: Mane Stelzer

23.09.2011