Au Revoir Simone
Interview von Christina Mohr
Das erste Album „Verses of Comfort“ erschien 2005, mit ihrem Zweitling „The Bird of Music“ spielten sie sich vor zwei Jahren in die Herzen der Indiepopfans, einige ihrer Songs landeten auf Film-Soundtracks, z.B. Til Schweigers „Keinohrhasen“ und Ulrike von Ribbecks „Früher oder später“. Au Revoir Simones Musik ist zart, schwebend, leichtfüßig – für Bands wie sie erfand die Presse den Begriff „Dream Pop“ und die drei Musikerinnen von Au Revoir Simone tun ihrerseits scheinbar sehr viel dafür, um den verträumten Charakter ihrer Musik und ihres Images hervorzuheben: viele Fotos zeigen Annie, Erika und Heather mit brav geflochtenen Zöpfen, golden schimmernd im Gegenlicht, als würden sie Szenen aus dem Film „The Virgin Suicides“ nachstellen. Doch das mädchenhaft-fragile Image ist nur eine Seite der engagierten Musikerinnen, die sich selbst als enorm ambitioniert und ehrgeizig bezeichnen. Für ihr drittes Album „Still Night, Still Light“, das wie die beiden anderen Platten auf dem Label Moshi Moshi erscheint, engagierten sie den Produzenten Thom Monahan (Vetiver, Little Joy), damit er ihren Sound perfektionieren sollte. Die Kooperation trägt erfreuliche Früchte: das Songwriting auf „Still Night, Still Light“ ist deutlich gereift, die Stücke sind jedes für sich einzigartig und werden doch alle vom unverwechselbaren Simone-Sound getragen. Das monoton-hypnotische „Trace A Line“ erinnert an frühen Elektropop á la Kraftwerk und Depeche Mode, „Knight of Wands“, „Shadows“ und „Anywhere You Looked“ sind pure, hinreißende Popsongs mit eingängigen Melodien; „All Or Nothing“ dagegen ist sehr zurückhaltend und beinah schüchtern geraten, die folkbeeinflusste Ballade „Take Me As I Am“ klingt nur oberflächlich treuherzig und aufrichtig, bei genauem Hinhören merkt man, dass hier jemand keinerlei Kompromisse eingehen will. „Still Night, Still Light“ ist ein großer Schritt für Au Revoir Simone, denen das Kunststück gelingt, bei aller Perfektionierung der eigenen Ansprüche und des Sounds nichts von ihrem Charme einzubüßen – die Zöpfe wären gar nicht nötig.
Was hat sich seit Eurem letzten/ersten Album „The Bird of Music“ verändert – fühlt Ihr Euch heute erfahrener?
Annie: Ja, definitiv! Wir wagen jetzt viel mehr!
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Producer Thom Monahan?
Annie: Es war großartig – er hat genau herausgearbeitet, wie wir klingen wollten. Wir hatten zwar ungefähre Vorstellungen, aber weil wir noch eine recht junge Band sind, hätten wir uns ohne seine Unterstützung längst nicht so viel zugetraut. Er hat manchmal nur ganz einfache Sachen gemacht, zum Beispiel die Synthesizer ein bisschen mehr aufgedreht, oder hier und da einen Akkord um eine Terz verändert oder einzelne Töne in der Höhe geändert. Solche Dinge – sehr sensibel, aber enorm wirkungsvoll.
Könnt Ihr Euch vorstellen, außer den Keyboards auch mal andere Instrumente einzusetzen?
Annie: Oh, das haben wir schon: bei dem Song “Shadows” vom neuen Album ist ein E-Bass dabei! Und vielleicht verwenden wir bald mal ein Akkordeon, das hört sich ganz bezaubernd an.
Eure Musik erinnert mich ein wenig an Telepathe – nur, dass Ihr nicht so düster klingt. Kennt Ihr Euch?
Annie: Ich muss zugeben, dass ich Telepathe noch nie gehört habe, obwohl sie ja wie wir aus Brooklyn/New York kommen. Ich habe aber schon viel über sie gehört und würde jetzt einfach mal behaupten, dass unsere Musik lebensbejahender, positiver und fröhlicher ist.
Seid Ihr eine typische New Yorker Band?
Annie: Da fast jeder New Yorker nicht direkt aus NYC kommt, sondern zugezogen ist, muß sich hier jeder besonders beweisen und besonders hart arbeiten – vor allem im künstlerischen Bereich. Und das trifft auf uns ganz genau zu: wir sind auf keinen Fall faul, sondern eher sehr fleißig und ambitioniert.
Welcher Song war der einfachste, welcher der schwierigste auf “Still Night, Still Light”?
Annie: Da wir alle Songs zusammen schreiben und aufnehmen, versuchen wir immer, ein Stück so lange auszuprobieren und zu perfektionieren, bis wir alle damit zufrieden sind. Deshalb habe ich jetzt nicht das Gefühl, dass ein einzelner Song besonders schwierig war… Moment, doch: “Tell Me”, das letzte Stück des Albums, hat ewig gedauert. Wir haben -zig verschiedene Versionen aufgenommen und waren nie wirklich damit zufrieden. “Anywhere You Looked” hingegen ist ein Beispiel für einen wirklich gut und schnell gelungenen Song.
Streitet Ihr Euch im Studio?
Annie: Streiten würde ich das nicht nennen – wir versuchen, uns gegenseitig immer gut zuzuhören. Wir haben an “Still Night, Still Light” neun Monate gearbeitet…
… Also war das Album wie eine kollektive Schwangerschaft für Euch!
Annie: … Haha, ja genau: neun volle Monate, allerdings nur sechs Stunden am Tag, drei Tage in der Woche! Aber wenn man so lange konzentriert und stressfrei zusammen arbeiten will, ist Freundschaft eine wichtige Basis.
Was haltet Ihr von Genre-Klassifizierungen wie “Dream Pop” oder ähnlichem?
Annie: Auf unserer myspace-Seite haben wir unsere Musik selbst als “Dreamy electronic keyboard pop” bezeichnet. Ich glaube schon, dass man heute den Leuten etwas an die Hand geben muss, damit sie uns als Band besser einordnen können, sonst geht man leicht unter. Wenn die Leute durch einen Fantasiebegriff wie “Dream Pop” auf uns aufmerksam werden, bitte!
Wie wichtig ist myspace für Euch? Oder andere Internet-Plattformen?
Annie: Natürlich schon wichtig, aber in einer Band zu sein und live spielen zu können, finde ich viel wichtiger. Eine myspace-Connection kann niemals den echten Kontakt zu Fans und Publikum ersetzen.
Sucht Ihr nach Konzerten den Kontakt zu Euren Fans oder zieht Ihr Euch lieber zurück?
Annie: Wir versuchen immer, nach dem Auftritt mit den Fans ins Gespräch zu kommen oder etwas zu trinken. Die meisten Fans sind auch wirklich total nett, oft kommen junge Mädchen nach der Show zu uns und wollen “hallo” sagen oder einfach nur mit uns abhängen. Natürlich gibt es auch unangenehme Leute, bei denen man nicht wirklich weiß, was sie von einem wollen oder was man mit ihnen reden soll. Aber die sind bei uns zum Glück in der Minderheit!
Gibt es eine bestimmte Platte, die dich dazu gebracht hat, selbst Musik zu machen?
Annie: Eine einzige Platte gibt es nicht – eine Freundin von mir ermunterte mich, Keyboards in ihrer Band zu spielen. Ich hatte das vorher noch nie gemacht und traute mich erst nicht. Zum Glück war sie aber sehr hartnäckig! Diese Band war sehr beeinflusst und inspiriert von The Magnetic Fields, vor allem vom tollen Album “69 Love Songs”. Das hat mich natürlich sehr geprägt, dazu kommt, dass The Magnetic Fields wirklich ganz einfache Keyboard-Melodien haben, was mir den Einstieg sehr erleichtert hat.
Bitte erklär‘ mir Euren Bandnamen – ich habe nichts wirklich Sinnvolles gefunden. Spielt Ihr auf Simone de Beauvoir oder Simone Signoret an?
Annie: Haha, obwohl diese beiden Simones wirklich bedeutende role models sind, haben sie nichts mit unserem Bandnamen zu tun! Kennst du den Film “PeeWee´s Big Adventure”? (Nein, cm) Das ist unser Lieblingsfilm – ein ziemlich alberner Kinderfilm aus dem Jahr 1985, gedreht von Tim Burton mit Paul Reubens in der Hauptrolle. Besagter PeeWee, der Kind und Erwachsener gleichzeitig ist, will mit seinem Fahrrad auf große Entdeckungsreise gehen, das wird ihm aber geklaut, während er in einem Geschäft für Zauberartikel ist. Später lernt er an einer Bushaltestelle in Texas die Kellnerin Simone kennen, die in einen Franzosen verliebt ist und unbedingt nach Paris fahren will. An der Bushaltestelle entspinnt sich ein kleiner Dialog, der mit PeeWee´s Worten “Au Revoir, Simone!” endet. Diese Szene fanden wir so toll, dass wir uns nach ihr benannt haben.
In vielen Artikeln werdet ihr als “Girl-” bzw. Mädchenband bezeichnet. Findet Ihr das gut so oder wäre Euch der Begriff Frauen lieber?
Annie: Gut, dass du das ansprichst: tatsächlich finde ich es manchmal schwierig, als “girl” wahrgenommen zu werden, besonders weil ich einen sehr stark feministischen Background habe. Ich finde auch, dass man als girl/Mädchen schnell in einer Ecke landet, in der man nicht ernst genommen wird – seriöse MusikER sind erwachsen, “Mädchenband” klingt immer ein wenig herablassend. Andererseits kommt mir gerade im Popkontext das Wort woman/Frau sehr schwergewichtig vor, viel zu schwer für den leichtlebigen Popbetrieb. Aber es ist ein Dilemma, das stimmt.
Könntet Ihr Euch ein männliches Mitglied bei Au Revoir Simone vorstellen?
Annie: Möglich ist alles – aber Au Revoir Simone ist ein gewachsenes Projekt von drei engen Freundinnen, die genau so, wie es jetzt ist, zusammenarbeiten wollen. Wir haben aber alle “Nebenprojekte”, spielen in Bands mit Jungs – und mit denen ist es genauso nett wie unter Freundinnen. Abgesehen davon, dass wir mit ihnen keine Klamotten tauschen!
Was war für Dich der bisher schönste oder wichtigste Moment in Eurer Karriere?
Annie: Das war während unserer gesamten letztjährigen Europa-Tournee: fast jede Show war ausverkauft und die Leute konnten alle unsere Lieder mitsingen. Das hat mich so sehr beeindruckt – und ich war glücklich darüber, in einer Band sein zu können.
Freust du dich auf die kommende Tournee? Worauf besonders?
Annie: Ich liebe es, auf Tour zu sein! Und auf Deutschland freue ich mich besonders: heute morgen unter der Dusche habe ich mir vorgenommen, ganz viele Dr. Hauschka-Produkte zu kaufen! Die sind hier in Amerika nämlich wahnsinnig teuer.
Titelfoto: Sarah Wilmer
CD: „Still Night, Still Light“
VÖ: 24.04.2009
Label: Cooperativ
Au Revoir Simone live in Deutschland:
München, Atomic Café 28.4.09
Berlin, Admiralspalast, 29.4.09
Copyright: Redaktion MELODIVA
23.04.2009