Anna Aaron’s „Dogs In Spirit“

Die Schweizer Singer-/Songwriterin im Interview

Eigenwillig ist der Sound der 26jährigen auf ihrem LP-Debüt. Der Gesang ist tief und rau, aber auch vielstimmig-engelsgleich. „Meine Stimme ist manchmal wie ein wildes Tier, das raus will“, sagte die Baslerin einmal im Interview. Sie liebt Bilder und Mythen, mit denen sie Seelenzustände und Dinge, die den menschlichen Verstand übersteigen, treffend umschreiben kann. Die Atmosphäre des Schreibens ist ihr heilig und darf nicht durch Gedanken an Geld, Erfolg oder Status gestört werden. Ihr „stürmisches, obsessives, verrücktes Album voller trügerischer Rocksongs“ (O-Ton Website) wird in der Presse hoch gelobt. Die Rede ist von der Schweizer Singer-/Songwriterin Anna Aaron.

Bereits ihre selbst produzierte EP „I’ll Dry Your Tears Little Murderer“ (2009) erregte Aufsehen in der schweizerischen Presse und fand Gefallen beim Label Two Gentlemen, auf dem sie nun ihre erste LP veröffentlicht hat. Nach Auftritten u.a. auf dem Reeperbahnfestival im letzten Jahr und bei Eurosonic 2012, war sie schon kein Geheimtipp mehr, ihr Album „Dogs In Spirit“ wurde deshalb mit Spannung erwartet. Das Cover ist so kryptisch wie der Inhalt. Die von ihrem basslastigen Piano angeführte, eigenwillige Folk-Rock-Popmusik ist ungeheuer atmosphärisch und voller Symbolfiguren, die für verschiedene Seelenlandschaften stehen. Die „Dogs In Spirit“, die sie als titelgebende Figuren gewählt hat, sind für sie ein Symbol für die menschliche Schwachheit, die Kleinheit angesichts der Welt. So ist ihre neue CD vor allem als Manifest des Zweifels und der Ängste zu verstehen, die wir alle kennen, aber auch – und das wird durch die dunkle Einfärbung ihrer Musik oft übersehen – als Dank an das Leben. Bevor die umtriebige Songwriterin auf Tour geht und sich bereits dem nächsten Album zuwendet, hat sie uns noch ein Interview gegeben.

Du beziehst Dich in Deinen Texten immer wieder auf mythologische Figuren. Nutzt Du sie nur als Stilmittel oder kannst Du Dich mit ihnen wirklich verbinden und identifizieren?

Mythologie und Archetypen sind für mich beim Schreiben nützliches Material, da sie ein breites Spektrum an Emotionen bei den Menschen ansprechen und deshalb eine Art universelle Zugänglichkeit bilden. Zumindest habe ich dies beim Schreiben der Lieder gedacht. Als das Album dann aber veröffentlicht wurde und die Fragen auftauchten, merkte ich, dass der in den Liedern vorhandene Wortschatz doch viel subjektiver ist als von mir selbst erwartet. Darum ja, ich habe eine sehr persönliche Verbindung zu den Namen, die auftauchen. Vor allem David und Elijah sind für mich sehr symbolträchtige Namen.

Haben Spiritualität und Tiefgründigkeit schon in Deiner Familie eine wichtige Rolle gespielt?

Ich weiß nicht, ob Spiritualität immer zwingend auch Tiefgründigkeit impliziert, aber wir sind sicher sehr religiös erzogen worden.

Über Dich wurde bereits viel geschrieben, auch, dass Deine Geschwister selbst MusikerInnen sind und Dich sehr beeinflusst haben. Habt Ihr schon als Kinder zusammen Musik gemacht?

Nein.

Ihr seid Euch sehr nahe. Hat eine Rolle gespielt, dass Ihr in England, Asien und Neuseeland aufgewachsen seid und Euch so in unterschiedlichen Lebenswelten zurecht finden musstet?

Das ist schwierig zu beantworten, da ich es ja nicht anders kenne. Andere Geschwister hätten sich vielleicht gerade durch eine solche Erfahrung voneinander entfremdet. Und wir wiederum hätten wohl auch ohne den Auslandaufenthalt in der Kindheit sehr enge Bindungen zueinander.

Wann hast Du begonnen, selbst Lieder zu schreiben?
Ich denke ich war ungefähr 17 Jahre alt.

Du warst ein sehr fantasievolles Kind, das – so hast Du in einem anderen Interview gesagt – den Bäumen Namen gegeben hat. Ist das Lieder schreiben damit vergleichbar?

Nein, denn bei der Musik kann man sich nicht ausschließlich der Phantasie hingeben. Man muss auch einer gewissen internen Logik folgen, die der Musik zugrunde liegt, und eine Sensibilität für diese entwickeln. In diesem Zusammenhang habe ich auch gelernt, dass das Verhältnis von Demut und Autorität sehr wichtig ist – man muss sich dem Zauber der Musik hingeben können und gleichzeitig die Dinge, die ablaufen, im Griff haben.

Fotos: Fabienne Haase

Du schreibst sehr bildhaft. Siehst Du auch Bilder, wenn Du singst ;-)?

Nein. Wenn ich singe, bin ich konzentriert.

Wie entsteht Eure Musik, wie gehst Du als Bandleaderin vor?

Ich schreibe die Lieder zuhause und nehme mp3-Demos auf, die ich dann an meine Musiker weiterschicke. Die Dinge, die ich selber nicht aufnehmen kann, versuche ich ihnen dann vor Ort im Bandraum zu erklären.

In Deine Musik wird viel hinein interpretiert, sie scheint sich gut zu Projektionen zu eignen. Gefällt Dir das oder ärgerst Du Dich über manche Interpretation und Vergleiche?

Ich finde die Kunst ist ja gerade dazu da, dass die Menschen sie zu ihrem Eigenen machen können und in ihren Phantasien und Träumen angeregt werden. Ich würde auch von keinem meiner Lieder behaupten, dass sie eine fixe Bedeutung haben, die sich von den anderen Interpretationen der Menschen abgrenzt.

„Uns Deutschen“ fällt natürlich auf, dass Singer-/SongwriterInnen aus der Schweiz scheinbar wenig auf Mainstream-Kompatibilität geben, schon in sehr jungen Jahren sehr eigenwillig ihren Weg gehen. Wäre Deine Musik genauso, wenn Du keine Schweizerin wärst oder spielt Deine „Heimat“ keine Rolle?

Diese Frage finde ich seltsam, da ich diese Eigenwilligkeit bei uns Schweizern ehrlich gesagt nicht so sehr sehe und da ich mir mich selbst ja auch gar nicht als eine andere Person vorstellen kann außer als Schweizerin.

Empfindest Du die Schweiz überhaupt als Deine „Heimat“?

Ja, natürlich. Ich wurde hier geboren und ich lebe hier.

Wie musikerfreundlich ist die Schweiz? Ist es schwer, an Auftritte zu kommen und sich ein gewisses Renommée als Musikerin zu verschaffen?

Die Kleinheit der Schweiz hat Vorteile und Nachteile – einerseits kommt man relativ schnell zu Auftritten und/oder medialer Aufmerksamkeit, andererseits hat man auch schnell so ziemlich alle Orte bespielt, die es zu bespielen gibt.

Foto: Stéphane Schmutz

Mir gefiel das Bild, das Du in einem Deiner „A Word By The Window“-Episoden (kleine Clips, wo Aaron z.B. ihre Mitmusiker interviewt; Anm. der Red.) beschrieben hast: Du stellst Dir das Publikum als eine Art „Fake“-Publikum vor, das nur so tut, als wäre es Publikum. Das sind Leute, die quasi mitspielen und Teil der Performance sind und daneben erst, an der Seite, sitzt das richtige Publikum. Ist das nur eine Methode, mit Lampenfieber umzugehen oder siehst Du das Publikum wirklich als wichtigen Akteur bei Deinen Auftritten?

Ich glaube, etwas vom Wichtigsten, das ich gelernt habe bezüglich der Bühne ist, dass man nicht „vorspielen“ darf. Man darf nicht denken, „das ist mein Publikum, und ich spiele ihnen jetzt meine Lieder vor.“ Meine Art das Auftreten zu sehen hat sich auf radikale Weise verändert, als ich anfing, das Publikum nicht mehr als eine Gruppe von Zuschauern zu sehen, sondern sie als meine Zeugen zu verstehen – als eine unterstützende Instanz, deren Anwesenheit für die Kraft, die ich auf der Bühne zu entfalten versuche, von absoluter Notwendigkeit ist.

Du warst ja in den letzten Jahren vor allem als Support für Sophie Hunger, den Young Gods und Eric Truffaz unterwegs, warst aber letztes Jahr beim Reeperbahnfestival dabei und hast eine Clubtour durch Deutschland gemacht. Jetzt folgt im Oktober Deine erste große Tour durch Österreich und Deutschland mit dem neuen Album. Wie fühlt sich das an?

Schön, weil ich gerne spiele.

Mit wem wirst Du auf der Bühne stehen, sind das die Musiker, die bei der Albumproduktion dabei waren? Vielleicht kannst Du sie uns kurz vorstellen.

Nein, es sind nicht die gleichen Musiker wie auf dem Album. Jérémie Duciel aus Lausanne spielt Schlagzeug, lernt Englisch mit Hilfe von phantasy-Literatur und isst nie mit uns vor den Auftritten, weil er Yoga machen geht. Emilie Zoé aus Lausanne spielt Gitarre, bedient die samplers und singt backings, geht während zehn Monaten im Jahr barfuß, schreibt eigene Lieder und liebt Bioprodukte. Christophe Farine aus Neuchâtel spielt Bass, ist erst seit zwei Konzerten bei uns in der Band, arbeitet auch noch als Architekt und ist der Einzige, der es schafft, während dem soundcheck drei Zigaretten zu rauchen.

Welche Pläne hast Du für die Zukunft?

Ich hoffe, ich werde noch dieses Jahr mit den Vor-Aufnahmen für das neue Album beginnen.

(Titelfoto & Foto im Wasser: Germinal Roaux)

CD „Dogs In Spirit“ (2012), Label: Two Gentlemen

Tourtermine:
03.10.2012 A-Innsbruck / Treibhaus
05.10.2012 A-Wien / Waves Vienna Festival
09.10.2012 D-Dresden / Beatpol
11.10.2012 D-Berlin / Comet
12.10.2012 D-Hamburg / Kampnagel
13.10.2012 D-Bremen / MS Treue
14.10.2012 D-Köln / Studio 672
16.10.2012 D-Frankfurt am Main / Brotfabrik
17.10.2012 D-Ingolstadt / „Der Oktober ist eine Frau“
18.10.2012 D-München / 59:1

http://annaaaron.com/
Autorin: Mane Stelzer

25.09.2012