Ani DiFranco (USA)
"Die Amazonenkriegerin"
„Ich glaube, ich war neun, als ich meine erste akustische Gitarre bekam. Und als ich begann, in kleinen Bars meiner Heimatstadt Buffalo aufzutreten, da war ich noch ein Kind. Musik war immer Teil meines Lebens.”
Ihren Eltern war das recht: „Meine Familie war so chaotisch und immer beschäftigt. Sie waren mit ihren eigenen Melodramen zugange.” Ani DiFranco lacht. „Aber so hatte ich schon ganz früh viel Freiraum, um mein eigenes Leben zu führen.”
Mit fünfzehn verkaufte sie nach ihren Konzerten Kassetten mit ihren Songs. Mit neunzehn gründete sie ihre eigene Plattenfirma „Righteous Babe Records” und brachte ihr erstes Album heraus.
Ihre frühe Entscheidung für die Unabhängigkeit von der Musikindustrie bereute Ani DiFranco nie. Heute kann die 34-jährige auf fast 20 Soloalben zurückblicken, auf unzählige Auftritte weltweit und auf eine lange Karriere als Musikerin und Produzentin. Bei „Righteous Babe Records” sind etwa 20 Leute beschäftigt. Neben den Soloalben von Ani DiFranco gehörten zu den Veröffentlichungen z.B. eine Hommage an den legendären Protestsänger Woody Guthrie, Kooperationen mit Utah Phillips sowie die Alben der lesbischen Folkpunk-Ladies Bitch & Animal, die inzwischen beide auf Solopfaden unterwegs sind. Der innovative Rockviolinist Andrew Bird, der Ani DiFrancos Frühjahrstournee als Support-Act begleiten wird, ist die neueste Entdeckung des Labels.
Seit vielen Jahren hat Ani DiFranco eine eingeschworene Fangemeinde, darunter viele Lesben, die sie zu ihrem Idol erkoren, als die Musikerin selbst noch Frauenbeziehungen hatte. Später heiratete sie einen Mann aus ihrer Crew: „Ich war nie gay und ich war nie straight oder sonstwas – ich hatte einfach verschiedene Beziehungen mit verschiedenen Menschen. Aber eine Beziehung verändert nicht meine Überzeugung, dass alle Menschen das Recht haben zu lieben, wen sie wollen. Ich finde, es ist ein Fehler zu denken, nur eine Lesbe könnte ein Rolemodel für Lesben sein. Ganz verschiedene Leute können für die Rechte der Queer-Bewegung und überhaupt für das Recht auf Selbstbestimmung für alle kämpfen. Und mein Publikum – ich hoffe eigentlich, dass da eine Beziehung zu der Musik, zu den Songs besteht, und dass das tiefer geht als nur darum, mit wem ich ins Bett gehe.”
Ihre Songtexte waren von Anfang an rebellisch und kritisch.
Ani DiFranco hielt sich mit ihrer Meinung nicht zurück und hatte schon früh radikale politische Ansichten: „An einen speziellen Anstoß kann ich mich nicht erinnern, aber meine politische Bewusstwerdung fing sehr früh an. Das ist ein andauernder Prozeß, denke ich. Ich werde jeden Tag politischer.“ Gerne wird Ani DiFranco als zornige Rebellin oder wütende Radikalfeministin beschrieben. Auch ihre Auftritte scheinen von Wut und Aggressivität zu zeugen. Sie betont aber: „Ich bin kein wütender Mensch. Ich glaube, daß Fröhlichkeit im Mittelpunkt meines Wesens steht. Natürlich machen mich Ungerechtigkeiten, die politischen und sozialen Zustände auf der Welt usw. wütend. Aber politisches Engagement macht einen nicht zu einer wütenden Person an sich.”
Ani DiFranco führt den politischen Kampf musikalisch: mit der Gitarre nicht nur gegen die Ungerechtigkeit der Welt und die Unmenschlichkeit des Systems, sondern ebenso gegen kleinbürgerliche Spießer, Vorurteile und Denunzianten. Sie schrieb Songs gegen Rassismus, gegen Krieg, gegen Ausbeutung, gegen die Todesstrafe sowie für soziale Gerechtigkeit und für das Recht auf Abtreibung. Unzählige weitere Politikfelder beackerte sie in ihren tiefsinnigen Texten. Mit ihrer unverwechselbar kratzigen Stimme singt sie aber auch Liebeslieder. Die behandeln das Thema Liebe dann oft aus einem abgeklärten Blickwinkel heraus und drehen sich um das Wachsen in Beziehungen. Stillstand gibt es bei ihr nicht. Von ihren Ursprüngen in der akustischen Folkmusik Amerikas, deren Protagonisten Utah Phillips, Pete Seeger und Woody Guthrie sie inspirierten, hat sie sich weit über die Grenzen des Genres hinaus entwickelt – nicht nur mit ihrem typischen heiseren Gesang.
Bei ihren Auftritten strotzt die charismatische Ani DiFranco vor Energie: sie schwitzt und schreit; sie springt auf der Bühne auf und ab; sie schlägt auf die Gitarrensaiten ein, die Finger dick mit Klebeband umwickelt. Solides Rhythmusgefühl besaß sie schon, als sie noch allein mit ihrer Gitarre auftrat. Im Publikum sind oft mehrheitlich Mädchen und Frauen. Die Stimmung kocht von Anfang an, alle werden sofort von der pulsierenden Energie mitgerissen. Hier steht eine auf der Bühne, die jeden Abend alles gibt: „Idealerweise vergesse ich alles um mich herum und werde eins mit der Musik. Meine Band und ich, wir erreichen musikalisch intensivste Momente von Gemeinsamkeit. Das alles macht mich sehr glücklich, und ich bin sehr dankbar dafür.”
Radikal und Politisch
Die Art und Weise, in der Ani DiFranco über die Musik spricht, hat einen beinahe spirituellen Beigeschmack: „Ja, ich glaube, Musik ist einfach mein Weg, um mit meiner Mitte und mit meinem spirituellen Selbst und gleichzeitig mit der Erde und mit anderen Menschen verbunden zu sein. Alle, die ich kenne, machen Yoga, nur ich noch nicht – aber ich benutze eben die Musik und die Auftritte als mein Yoga.”
Trotz Yoga ist es vor allem die radikale politische Einmischung, die mit dem Namen Ani DiFranco verbunden wird. Auf ihrem 2002er Live-Doppelalbum „So Much Shouting / So Much Laughter“ findet sich als eines von drei bisher unveröffentlichten Stücken eine Stellungnahme zu den Ereignissen des 11. September 2001. Das neunminütige Poem „Self Evident“ löste in den USA viele Diskussionen aus.
Die 2003er Studioproduktion „Evolve“, stilistisch zwischen Jazz, Funk und Folk angesiedelt, macht überwiegend einen sehr gefühlvollen Eindruck: auf sanften Gitarrenklängen und perlenden Latin-Grooves sind manche Erkenntnisse mehr gehaucht als wie früher oft beinahe geschrieen. Mit „Serpentine“ präsentiert die Fingerpicking-Spezialistin ein zehnminütiges komplexes Sprechgesangsstück. Mit dem Studioalbum „Evolve“ entwickelt sich Ani DiFranco wieder weg vom Funk und zurück zu ihrem akustischen Gitarren-Folk.
Als ihr achtzehntes Album erscheint 2004 eine reine Soloaufnahme. Auf „Educated Guess” spielt die Musikerin alle Instrumente selbst und singt neben den Lead- auch die Backgroundvocals. Zum ersten Mal übernahm sie auch die technische Seite der Aufnahmen und das anschließende Abmischen. Das Album wurde in einer kleinen Hütte in der Nähe von New Orleans und zuhause in Buffalo mit altbewährter analoger Technik aufgenommen. Den akustischen Gitarren, immer wieder verschieden gestimmt, entlockt Ani DiFranco mit beeindruckender Fingerfertigkeit aufregend mehrdimensionale Melodien.
Die Politaktivistin, die sich in dem Song „Origami“ selbst als „An All Powerful Amazon Warrior“, als Amazonenkriegerin, beschreibt, bezieht wie gewohnt explizit Stellung, wie in „Animal“ gegen die „brutale Imperialmacht“ Amerika oder in mehreren rhythmisch gesprochenen Poems zu dem Zustand der Welt. Feminismus ist für sie „The Coolest F-Word Ever“, und mit Liebe zu ihrem Land meint sie vor allem die Verbindung zu all denen, die jemals gegen die Regierung gekämpft haben, um sie auf den richtigen Weg zu bringen. Dazwischen stehen persönliche Reflektionen über Ansprüche und vergangene Liebesbeziehungen. Nachdem das letzte Album „Evolve“ eine Art Abschluss ihrer bandfokussierten Phase darstellte, ist Ani DiFranco mit „Educated Guess“ auf dem „langen Weg zurück zu mir selbst“, wie es gleich im ersten Lied heißt.
Das soeben erschienene Album „Knuckle Down“ bildet, folgerichtig auf diesem Weg, eine umfassende Innenschau einer erfolgreichen Songwriterin.
Diesmal arbeitete Ani DiFranco wieder mit verschiedenen MusikerInnen zusammen, darunter ihre langjährige Keyboarderin Julie Wolf, die gelegentlichen Supporting Acts Tony Scherr und Noe Venable sowie ihr aktueller Bühnenpartner am Bass, Todd Sickafoose. Die Produzentenarbeit teilte Ani DiFranco sich, zum ersten Mal in ihrer Karriere, mit einem Kollegen, dem Songwriter Joe Henry.
Ungewohnte klangliche Akzente setzt vor allem Andrew Bird an Violine und Glockenspiel. Liebeslieder und intime persönliche Reflektionen prägen das sehr ruhige und überwiegend akustische Album, das manchmal sehr melancholisch und beinahe düster wirkt.
Richtig bedrohlich ist das eindringlich gesprochene Poem über einen Fremden im nächtlichen Schlafzimmer. Beinahe bluesig kommt „Seeing Eye Dog“ daher. „Modulation“ könnte sich auf einen politischen Zusammenhang beziehen, scheint sich aber doch nur an einen Liebespartner zu richten. In „Minerva“ stellt Ani DiFranco fest, dass sie „natürlich weniger zu singen“ habe, wenn sie glücklich sei.
Die Mittdreißigerin beschäftigt sich mit Erinnerungen und ihrer Familiengeschichte genauso wie mit den Ansprüchen in Beziehungen, den Irrwegen der Liebe und mit der Einsamkeit am Sonntagmorgen.
„Knuckle Down“ ist ein hervorragendes, dabei aber sehr introvertiertes Album einer extrem talentierten Musikerin. Hat Ani DiFranco zur aktuellen politischen Situation denn bereits all ihr Pulver verschossen?
Label:
www.righteousbabe.com
Discographie:
„Knuckle Down“ (Anfang 2005)
CD „Educated Guess“ (2004)
CD „EVOLVE“ (2003)
2001 Revelling/Reckoning
1999 Fellow Workers
1998 Up Up Up Up Up Up
1998 Little Plastic Castle
1997 Living in Clip
1996 The Past Didn’t Go Anywhere
1996 Dilate
1995 Not A Pretty Girl
1994 Out Of Range
1993 Like I Said (Songs 1990-91)
Puddle Dive (1993)
Imperfectly (1992)
Not So Soft (1991)
Ani DiFranco (1990)
Copyright: Redaktion Melodiva
29.03.2005