Ane Brun (S)
"Autarkes Songwriting"
Ihre erste Live-Erfahrung sammelte Ane Brun vor einigen Jahren als jugendliche Strassenmusikerin in den Gassen und auf den Plätzen Spaniens.
Inzwischen ist die End-Zwanzigerin, die ursprünglich aus dem norwegischen Städtchen Molde stammt, so etwas wie der neue Singer-Songwriter-Star Skandinaviens. Sie lebt und arbeitet inzwischen vom schwedischen Stockholm aus und erreichte mit ihrem Album „A Temporary Dive“ in ihrer Heimat Norwegen bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung Goldstatus. „Unkonventionell, aber stets mit hohem Anspruch“ könnte eine Beschreibung der Herangehensweise der jungen Frau ans Songschreiben wie an ihr Gitarrenspiel sein: so oder so, das Ergebnis sind melancholisch-schöne Songs voll erdiger Tiefe.
Carina Prange (Berlin) sprach mit Ane Brun
Du hast mit 21 angefangen, Gitarre zu spielen, was für jemand, der inzwischen professionell Musik macht, recht spät ist. Als du das Instrument das erste Mal in die Hand nahmst, wusstest du da schon, dass du es zum Beruf machen würdest?
Überhaupt nicht! Es war eher Zufall – ich hatte nach einer Beschäftigung gesucht, etwas, das für mich allein einen Stellenwert haben sollte; eigentlich nichts anderes als ein Hobby oder Zeitvertreib. Ich habe sozusagen die Gitarre meiner Eltern nach Oslo entführt und dann einfach angefangen zu spielen. Es war … wie soll ich sagen, gesucht und gefunden! Ich konnte nicht mehr damit aufhören: Die ganze Zeit saß ich da und versuchte rauszubekommen, wie meine Lieblingssongs auf der Gitarre funktionieren.
Ich glaube, es hat etwa drei oder vier Jahre gedauert, bis ich mich getraut habe, vor Leuten aufzutreten. Offiziell aufzutreten, meine ich – nicht einfach vor Freunden. Und es ist tatsächlich erst ungefähr zwei Jahre her, dass mir klar wurde, dass ich es professionell machen könnte. Gar keine so lange Zeit!
Wenn meine Informationen stimmen, hattest du nie Unterricht. Wie ist es dir gelungen, einen eigenen Stil zu entwickeln? Hast du dir Techniken von anderen Musikern abgeschaut, und woran hast du gemerkt, welche Richtung dir liegt?
Ja … eigentlich kann man schon sagen, ich hätte mir alles selbst beigebracht – ich hatte nur etwa drei oder vier Unterrichtsstunden. Etwa zur gleichen Zeit als ich zur Gitarre kam, tauchte nämlich allerhand Musik auf, bei der dieses Instrument im Zentrum stand – hauptsächlich amerikanische Folkmusik: Da waren Ani DiFranco und Ben Harper, da waren Joni Mitchell und Nick Drake. Ihre Musik habe ich quasi gleichzeitig mit der Gitarre entdeckt. Mit dieser Art Songs habe ich spielen gelernt. Deshalb steht bei mir das Fingerpicking im Vordergrund.Vor ein paar Jahren kam ich dann dazu, meine Spielweise näher zu analysieren. Mir wurde klarer, wie ich beim Arrangieren vorgehe: Ich denke in Linien – hier die Melodielinie, da die Basslinie. Und ich übernehme den Part der Rhythmusgruppe, Akkorde und alles. Und eigentlich war es genau das, was mich an meinen Vorbildern von Anfang an fasziniert hatte – dass die Gitarre die Aufgaben eines ganzen Orchesters übernimmt. Während der letzten zwei oder drei Jahre habe ich meinen Stil mehr aus mir selbst heraus weiterentwickelt. Die Inspiration dazu … Da wären beispielsweise die Gitarristin Gillian Welch, oder „16 Horsepower“ etc.
Lass‘ uns mal über die Picking-Techniken reden, die du einsetzt. Verwendest du gelegentlich Finger- oder Thumbpicks oder gar künstliche Fingernägel – oder spielst du gewöhnlich mit bloßen Fingerkuppen?
Normalerweise benutze ich einfach die Fingerkuppen. Ich hab‘ ein paarmal versucht mit den Nägeln zu spielen, sogar welche aufgeklebt. Ich hab’s vielleicht ja nicht richtig gemacht … Jetzt ist da nur ein Song, bei dem ich dann ein Plektrum einsetze, alle anderen spiele ich mit bloßen Fingern.
Du hast auf der alten Nylonsaiten-Gitarre deines Vaters spielen gelernt – du hast sie auf den Namen „Morgan“ getauft, heißt es. Wie ich gelesen habe, handelt es sich um eine etwa 1969 gebaute Bjerton-Gitarre. Spielst du sie noch immer?
Oh, da geht was durcheinander – das sind eigentlich drei verschiedene Gitarren, von denen du redest! (lacht) Mein erstes Instrument war in der Tat eine namenlose Nylongitarre, etwas wie die „Familiengitarre“, nichts besonderes. Die Bjerton ist wieder eine andere Gitarre. Es ist eine alte Steelstring, die ich in einem Secondhand-Laden gekauft habe. Sie klingt irgendwie magisch. Ich habe sie, was Touren angeht, außer Dienst gestellt und verwende sie nur noch Zuhause. Sie ist viel zu empfindlich, um sie im Flugzeug mitzunehmen. Für den Zweck habe ich jetzt zwei Martin-Gitarren. Und dann ist da noch eine Bariton-Gitarre, handgebaut. Gerade gekauft.
Du besitzt auch eine E-Gitarre. Was für eine ist es, und planst du, sie in Zukunft häufiger einzusetzen?
Ich spiele sie eher selten. Das hat wohl etwas mit der Faszination zu tun, die akustische Instrumente auf mich ausüben; dorther rührt meine eigentliche Liebe fürs Gitarrespielen. Man spürt die Schwingungen stärker, wenn man die Basssaiten anschlägt – besonders bei offenen Stimmungen mit tiefergestimmten Saiten: man spürt die Vibration. Und dann ist da der natürliche, reine Akustikklang, der mich einfach anmacht.
Ich habe die Elektrische ausprobiert, und das Gefühl ist einfach nicht das gleiche.
Deinen Songwriting-Prozess hast du, ganz knapp, mal so beschrieben: Erst ein kurzes Riff, das ich mit dem 4-Spur-Recorder aufnehme. Dann denke ich mir ein paar Melodien aus und am Schluss kommt der Text. Arbeitest du noch so?
Manchmal schon – die Songs der letzten Platte sind aber … eigentlich sind sie sogar auf ganz andere Weise entstanden. Die kreativen Prozesse waren getrennter. An die Texte bin ich eher wie beim Gedichteschreiben rangegangen, habe mich auch mit Wörterbuch und Synonym-Lexikon hingesetzt. Das war echte Arbeit.
Parallel dazu habe ich mir einige Gitarrenarrangements ausgedacht. Die Texte habe ich dann mit den Gitarrensachen zusammengebracht und darauf versucht, eine Melodie aufzubauen. Dabei verändern sich die Texte natürlich noch, aber von Anfang an gibt es eine feste Grundlage.
Dann gibt’s da natürlich auch die Songs mit den „Herz-Schmerz“-Reimen, wo eben Text und Begleitung gleichzeitig entsteht. Wenn das passiert, dann sind das meist ganz einfache Gitarrensachen, weil ich für die ausgefuchsteren Arrangements eher Wochen brauche. Die sind dann anfänglich auch schwer zu spielen und ich muss üben, bis ich gleichzeitig singen kann. Also, obwohl manche Songs „am Stück“ entstehen, ist es bei den meisten ein Zusammenwirken zweier Prozesse.
Die meisten der Songs deines neuen Albums, die du ja alle selbst geschrieben hast, handeln von der „dunklen Seite des Lebens“, sind melancholisch und gefühlsbetont. Wie sehr hat das mit eigenen Erfahrungen zu tun? Ist es einfacher, über negative oder existenzbedrohende Dinge zu schreiben als über die angenehmen Seiten des Lebens?
Erstmal – jede einzelne Zeile hat natürlich mit meinem Leben zu tun. Man könnte aber auch sagen, dass die Situationen und die Gefühle wiederum universellen Charakter haben: So als ob ich mit etwas Persönlichem anfange und dann versuche, ein allgemeingültiges Bild zu finden. Starke Gefühle machen mich kreativ. Ob es ein positives oder negatives Gefühl ist, oder etwas dazwischen, ist egal.
Wenn ich richtig gut drauf bin, dann ziehe ich mich ganz selten in meine kleine Muschel zurück und schreibe ein Lied. Etwas in der Art muss ich aber tun, um den Fokus zu bekommen. Da muss ich allein sein, zuhause. Wenn’s mir gut geht, hänge ich aber eher am Telefon oder gehe mit Freunden aus. Ich käme nicht auf die Idee, ich bin grad so glücklich, ich schreib‘ mal ein Stück drüber.
Nachdem du die Stücke anderer gecovert hast, konzentrierst du dich seit einigen Jahren auf eigenes Songmaterial. Verstehst du dich selbst als Singer-Songwriter? Und worauf wirst du deinen Schwerpunkt legen, auf das Schreiben deiner Stücke oder auf die Einbeziehung weiterer Musikstile?
Ein Singer-Songwriter? Kann sein. Aber als Genrebezeichnung ist das ein bisschen seltsam, oder? Es sagt ja überhaupt nichts darüber aus, was du für Musik machst – nur etwas darüber, was du tust, nämlich Songs schreiben und sie selbst singen. So gesehen bin ich Singer-Songwriter, wenn du willst! (lacht)
Auf jeden Fall will ich mein Songwriting weiterentwickeln. Wie meine nächste Platte sein wird, davon habe ich noch keine Vorstellung. Ich denke, ich werde mir ein Heimstudio zulegen, und dort, ganz allein, zumindest ein paar Skizzen machen. Ja, da bin ich ziemlich sicher. Ich denke, ich werde mir dafür etwa zwei Jahre Zeit lassen. Und während ich auf Tour bin, wird auch noch allerhand passieren, ich werde neue Musik hören und so. Das alles wird sich entwickeln und wachsen.
Discographie
Aktuelle CD „Live in Scandinavia“ (V2 Records / Rough Trade – 2007)
CD „A Temporary Dive“ (V2 Records / Rough Trade – 2005)
CD „Duets“ (V2 Records / Rought Trade – 2005)
CD „Spending time with Morgan“ (V2 Records / Rough Trade – 2003)
Quelle: Dieser Text erschien in der Dezember-Ausgabe von JAZZDIMENSIONS (www.jazzdimensions.de). Wir bedanken uns bei der Redaktion und der Autorin für die kollegiale Unterstützung.
Autorin: Carina Prange
29.03.2007