Anastácia Azevedo (BR/D)
"Heiße Tänze im brasilianischen Regen”
Dass gute brasilianische Musik auch aus Deutschland kommen kann, sollte sich als Erkenntnis inzwischen durchgesetzt haben. Ein gutes Beispiel dafür ist Anastácia Azevedo, in Berlin lebend, aber eigentlich aus Ceará, ein Bundesstaat im Nordosten Brasiliens kommend. Ihre Musik muss sich hinter den großen Namen aus Brasilien nicht verstecken. Das deutsche Umfeld hat sie vielleicht davor bewahrt, den angesagten Modismen Brasiliens zu folgen und ihre zeitgemäße Forró-Musik gefällt hierzulande genauso gut wie die bekannten brasilianischen Stile. Anastácia Azevedo ist eben anders als das Klischee. Deshalb singt sie auch vom Regen und nicht von der Sonne.
Brasilianische Musikstile
Forró ist temporeich, fast atemlos; die Lieder haben viel Text, die Rhythmen verleiten zu hektischem Tanzen, das jedoch immer schwungvoll bleibt. Forró ist zugleich der Oberbegriff für Rhythmen wie Xaxado, Coco, Baiao, und Xote. Der Xaxado ist ein Tanz, der den legendären, im Album-Booklet ihrer neuen CD „Amanaiara“ auch abgebildeten Banditen Lampiao verherrlicht, eine Art Robin Hood des brasilianischen Nordostens und zugleich selbst Musiker. Dagegen ist der durch Jackson do Pandeiro bekannt gewordene Coco eigentlich ein uralter Kreistanz aus der Küstenregion im 2/4-Takt. Die andere große Vaterfigur des Nordostens, Luiz Gonzaga, popularisierte den Baiao, eine zweiteilige Liedform mit synkopierter Melodie, instrumentalen Refrains in kurzen Apeggios und erhöhten Quarten wie verminderten Septimen. Der Xote schließlich stammt erstaunlicherweise aus dem Schottischen ab und wird ebenso im 2/4-Takt gespielt. Dies ist die Musik, die Anastácia Azevedo spielt, aber in moderner Form.
BAHIA geht in die Welt – Musikgeschichte
„Einen Baiao kann man dagegen im Titel &Mac226;O Rio’ hören, mit einer typischen Melodieführung für die nordöstliche Region aus der ich komme. Viele Leute aus dem Norden gingen z. B. nach Sao Paulo, um Arbeit zu suchen und verbreiteten die Stile des Forró damit letztlich in ganz Brasilien. Der typische Baiao wird auf der Zabumba (eine mit Stock und Klöppel geschlagene Basstrommel), der Triangel und dem Akkordeon gespielt. Aber natürlich hat sich schon seit längerem auch dieser Stil weiter entwickelt und z. B. Schlagzeug hinzu genommen. Inzwischen wird der Forró von wie Rock-Combos besetzten Bands gespielt. Wir selbst haben gar kein Akkordeon mehr in der Band, dafür Gitarre und Keyboards. Das haben wir bewusst so arrangiert, da wir es mit anderen Sachen genauso machen. So entwickelt sich bei uns aus einem Coco auch mal ein Maracatu. Diese Einflüsse auf die ursprünglichen Stile geschahen letztlich ja schon durch die Elektrifizierung der brasilianischen Musik durch Leute wie Gil und Veloso. Wir mischen gerne etwas, weil wir ja auch ein Volk sind, in dem sich viele andere Völker vermischen.“
Klingen die alten Aufnahmen von Gonzaga & Co. inzwischen manchem etwas zu verstaubt, so ist es an der Zeit, den Forró mit Musikerinnen wie Anastácia Azevedo wieder zu entdecken. Damit setzt sich ihre Musik der momentan wiederkehrenden Kommerzialisierung der brasilianischen Musik entgegen und bringt zugleich den unendlichen musikalischen Abwechslungsreichtum dieses Landes ins Bewusstsein.
Anastácia stammt aus der Gegend um Fortaleza im Bundesstaat Ceará, der eine gehörige Strecke nordwestlich von Bahia liegt. Dort lernte sie ihren Ehemann, Gitarrist und Arrangeur ihrer Band Zé Eugênio kennen. 1999 veröffentlichte sie bereits das Album „Lumerê Lumerá“, nahm aber inzwischen wegen der Namensgleichheit mit Pop-Diva „Anastácia“ sicherheitshalber ihren Nachnamen hinzu. Auf beiden Alben ist übrigens auch der Mastermind brasilianischer Perkussion-Workshops in Deutschland, Dudu Tucci, zu hören. Nach Deutschland kam sie sozusagen aus Neugierde.
„Ich bekam eine Einladung eines in Deutschland verheirateten Freundes, in Berlin ein brasilianisches Kulturzentrum aufzubauen. Ich nahm das Angebot an, weil ich auch gespannt auf Deutschland war. Das machte ich zwei Jahre mit und entschloss mich dann, Pop- und Jazz-Gesang an der Hanns-Eisler-Musikhochschule in Berlin zu studieren. In Brasilien hätte ich vielleicht etwas anderes gemacht, denn ich hatte bei meiner Abreise schon sieben Monate Psychologie studiert.“
Als Brasilianerin in Berlin lebend vermischte sie den Einfluss des europäischen Umfeldes mit ihrer Musik – für Brasilianer nichts Außergewöhnliches. Die Mischung kam bislang gut an, auch wenn den Deutschen Forró weniger geläufig ist als ein Samba.
„Man bekommt als Brasilianerin in Deutschland andere Impulse. Aber man kann hier auch unbelasteter von brasilianischen Modewellen seine individuelle Musik entwickeln. Wir spielen ja andere Musik als was man hier von brasilianischer Musik her kennt. Aber wir sehen dennoch, dass die Musik des Nordostens Brasiliens genauso angenommen wird. Das freut uns.“
In Brasilien macht die Musikszene derzeit gerade einen Rückschritt ins allzu Kommerzielle. Das wirkt sich merkbar auch auf das Angebot brasilianischer Musik auf deutschen Festivals usw. aus. Individualisten haben es da in beiden Ländern schwer. Doch Anastácia Azevedo lässt sich dadurch nicht beirren.
„Die kommerzielle Musik hat in Brasilien enorm zugenommen, insbesondere Gruppen, die nicht über einen bestimmten Stil mehr hinaus kommen oder die Eintagsfliegen. Anspruchsvolle Musik ist am Abnehmen, vielleicht ist dies auch ein Zeichen für wirtschaftliche Verarmung. Es gibt zwar einen zunehmenden Independent-Markt in Brasilien, der aber schon den Radios etwas zahlen muss, damit diese Musik dort gespielt wird. In Deutschland nun ist es weniger schwer, in Konkurrenz zu kommerzieller brasilianischer Musik in Deutschland anzuspielen als die Tatsache, in der deutschen Musikszene überhaupt brasilianische Musik zu spielen, denn diese ist ja genauso von kommerzieller Musik beherrscht. Trotzdem gibt es hierzulande ein recht offenes Publikum. Es bringt einem auch nichts, sich darum zu kümmern, dass es immer mehr brasilianische Showbands gibt. Ich muss mich um mein Publikum kümmern und stelle letztlich doch fest, dass ich jetzt 15 Jahre hier bin und sich die brasilianische Musikszene in Deutschland durchaus entwickelt hat. Anfangs passierte wenig, dann brachte der Lambada einen kleinen Schub, dann der Samba-Reggae. Die Deutschen haben inzwischen wesentlich mehr Überblick über die brasilianische Musik. Und was wir spielen ist ja auch eine Alternative zur Dominanz der kommerziellen Musik.“
Und alternativ wirkt auch das Motto ihres Albums „Amanaiara“. Das klangvolle Wort aus der Indiosprache Tupi bezeichnet eine Art Sagengestalt, die den Regen darstellt. Und wenn der kommt, dann kommt er richtig. „Chuva de matar sapo“ sagen die Einheimischen dazu. Der Regen, der die Frösche erschlägt.
„Nun, in einem tropischen Land gibt es eben auch viel Regen bzw. auch das Gegenteil davon, also die Trockenheit und damit ist der Regen immer ein Thema für uns Brasilianer. Es gibt z. B. immer wieder große Diskussionen um Bewässerungsprojekte, weil diese oft eher den Großgrundbesitzern als den Kleinbauern zugute kommen. Sonne hat man in Brasilien eh genug. Das ist in gewisser Weise kein Diskussionsthema mehr. Aber im Norden wartet man oft sehnsüchtig auf den Regen. Es ist vielleicht ein kleines bisschen umgekehrt als wie in Deutschland.“
Mag es nun ein Zufall sein, dass beide Städte, Fortaleza und Berlin, im Nordosten ihres Landes liegen?
Discographie
Aktuelle CD:
„Amanaiara“ (2004 – Piranha 1893)
CD Anastacia Azevedo:
„Lumerê Lumerá“ (2001 – Piranha1363)
Copyright: Melodiva
Autor: Hans Jürgen-Lenhart
29.07.2006